Читать книгу Jade und Diamanten - Ernst-Günther Tietze - Страница 4
Die „Company“
ОглавлениеDer Innenminister hatte Recht mit seiner Befürchtung: Auch die Gegenseite war nicht untätig. Neben vielen großen und kleinen Gaunern, die auf eigene Faust arbeiteten, interessierten sich vor allem zwei internationale Organisationen für die „Diamond 2000“. Und außerdem war da ein arabischer Multimillionär, der den Buddhismus hasste, diese friedlichste aller großen Weltreligionen, weil sie nach seiner Ansicht die Ausbreitung des Islams verhinderte. Jetzt wollte er einen Coup landen, der alle Anhänger Buddhas tödlich kränken sollte.
Andrew (Andy) McCoolen war der Boss des größeren Kartells mit Sitz in Chicago. Er hatte Elektrotechnik und Betriebswirtschaft studiert und schon eine führende Stellung in einem Unternehmen für Spezialhardware erreicht, bevor dieses von der Konkurrenz geschluckt und er gefeuert wurde. Das hatte ihn derart an ehrlicher Arbeit zweifeln lassen, dass er das Angebot eines Freundes annahm und in die „Company“ einstieg. Dank seiner Führungsqualitäten dauerte es nur wenige Jahre, bis er der unumstrittene Chef war. Wegen seiner Technikbesessenheit hieß er überall „der Ingenieur“. Er hatte die „Company“ international ausgeweitet und mit den modernsten Datenkommunikationsmitteln ausgestattet. Unter Benutzung des Internet und von Multi-Band-Mobiltelefonen waren die führenden Leute rund um die Uhr weltweit erreichbar. Und er hatte ein einheitliches Finanzsystem eingeführt. Sowohl die amerikanische Zentrale als auch die Filialen in anderen Ländern waren als normale, Steuern zahlende Wirtschaftsunternehmen unterschiedlicher Richtungen organisiert, wodurch sie die Erträge ihrer Raubzüge recht problemlos „waschen“ konnten.
Andy war ein großer kompakter Mann von 42 Jahren mit den rotblonden Haaren seiner irischen Vorfahren. Leider lichteten sie sich im vorderen Teil des Kopfes schon ziemlich. Seit langem brachte er 120 Kilo auf die Waage. Er war von Natur aus ein sanfter Mensch und hatte diese Haltung kompromisslos durchgesetzt. Gewalt durfte zwar angedroht aber nur im Notfall ausgeübt werden. Jeder, der den Tod eines Menschen verschuldet hatte, musste unwiderruflich die „Company“ verlassen. Die „Diamond 2000“ war ihm wichtig genug, sich selbst ein Bild vom Kriegsschauplatz zu verschaffen. Er flog stets First Class, diesmal über Tokio. Dort wollte er seinen Mitarbeiter Kato Nishimuro treffen, der lange in Bangkok gelebt hatte, und sich außerdem nach langer Zeit wieder einmal von einer Geisha „behandeln“ lassen. Nachdem sich seine Frau wegen seiner Neigung zu Seitensprüngen von ihm getrennt hatte, genoss er es ausgiebig, ein freier Mann zu sein.
Kato hatte so gut vorgearbeitet, dass die Geisha lange warten musste. Einmal mussten sie intensiv die nächsten Aktionen in Japan besprechen. Dort hatten sie einiges vor, was leider immer schwieriger wurde, da die japanische Polizei sich in der letzten Zeit erheblich modernisiert hatte. Doch am interessantesten war für Andy, dass Kato den zwanzigstöckigen Gems and Jewelry Tower an der Surawong Road in Bangkok ganz genau kannte. Die Ausstellung sollte im großen Saal im 13. Stock stattfinden. Die meisten Räume in den anderen Stockwerken waren an Juwelenhändler vermietet, aber im 11. und 12. Stock, direkt unter dem Saal, war die Südostasien-Zentrale eines deutschen Touristikunternehmens untergebracht. Damit war das Gebäude für jeden zugänglich. Das weltberühmte Oriental Hotel war nur fünf Minuten vom Tower entfernt. Leider wusste Kato gar nichts über das Queen Sirikit Center, in dem wie üblich die Verkaufsmesse für Diamanten abgehalten werden sollte. Die „Company“ hatte sich vorgenommen, in einem Großangriff sowohl die „Diamond 2000“ als auch die Messe abzuräumen. Für eine Reihe von Steinen der Ausstellung lagen schon feste Bestellungen vor.
Als Andy am nächsten Tag noch ziemlich unausgeschlafen – denn die Geisha hatte ausgezeichnet gearbeitet – nach Bangkok weiterflog, fiel ihm zwei Reihen hinter ihm ein Mann auf, dessen Gesicht er schon einmal gesehen hatte; er konnte sich nur nicht erinnern wo. Doch er war nicht umsonst der „Ingenieur“. Er packte das Notebook aus, startete das Phantombildprogramm, das ein Mitarbeiter mit der zugehörigen Verbrecher-Bilddatei kürzlich bei der Polizei „besorgt“ hatte und bastelte das Gesicht zusammen. Als ihm das Programm den Namen „Sakiro Mashohito“ ausgab, zuckte er zusammen. Das war der neue Boss der zweiten, etwas kleineren internationalen Gangstergruppe, die in Japan saß. Sein Vorgänger war kürzlich für einige Jahre ins Zuchthaus gewandert. Für einen Augenblick kam ihm die Idee, mit dem Japaner zusammen zu arbeiten. Doch er kannte ihn zu wenig, um die Chancen für ein „ehrliches“ Spiel einschätzen zu können. So rief er nur seine Leute in Bangkok an, sich am Flughafen für ein „Puppenspiel“ bereit zu halten, das Codewort für Beschattung.
Da Andy die triste Eleganz des Oriental nicht mochte, war er im Royal Orchid Sheraton abgestiegen, kaum weiter vom Gems and Jewelry Tower entfernt. Er war ganz froh darüber, als er wenig später erfuhr, dass der Japaner im Oriental logierte. Andy überlegte, ob er schon heute dem Hauptkriegsschauplatz einen Besuch abstatten sollte. Aber der Jetlag steckte ihm noch in den Knochen und so beschloss er, nur auf der Terrasse des Seafoodrestaurants im benachbarten Riverside-Center etwas zu essen und dann ins Bett zu gehen. Es war ein wunderschöner Platz, direkt am Ufer des Chao Phraya, wo er nach dem Essen noch eine Weile seinen Wein austrank und das geschäftige Treiben auf dem Fluss beobachtete. Jetzt im Winter war es am Abend kaum 30° warm.
Er war gerade zurück im Hotel und saß bei einem Absacker an der Bar, als draußen eines dieser kurzen, heftigen Gewitter aufzog, die es nur in den Tropen gibt. Der Regen peitschte gegen die Scheiben und es blitzte und donnerte ununterbrochen. Plötzlich gab es einen nahen Blitz, unmittelbar gefolgt von einem gewaltigen Donnerschlag, und das Licht ging aus. Auch die Straßen waren dunkel. Ein paar Scheinwerfer in der Halle gingen automatisch an, doch sie leuchteten nur spärlich und eine Frau schrie. Nach einer Minute gab es im Hotel wieder Licht und man hörte einen Diesel laufen. Wie alle großen Häuser hatte das Hotel eine Notstromversorgung. Nach 40 Minuten ging die Straßenbeleuchtung wieder an und ein Weilchen später gab es im Hotel eine sehr kurze Stromunterbrechung. „Aha“, dachte Andy, „jetzt haben sie auf das öffentliche Netz zurück geschaltet. Sie sollten sich mal eine Synchronisiereinrichtung zulegen.“
In der Nacht wachte er auf und konnte nicht gleich einschlafen. Das war nach Interkontinentalflügen normal, und er ließ in Gedanken den Tag Revue passieren. Als er an den Stromausfall dachte, kam ihm eine Idee: „Ohne den Diesel hätte es in der vollen Hotelhalle eine Panik gegeben. Wenn es gelänge, während der Ausstellung in der ganzen Stadt die Stromversorgung lahm zu legen und an den wichtigen Stellen die Diesel zu blockieren, würde ein fürchterliches Chaos ausbrechen, bei dem unsere Leute nicht nur im Tower und auf der Verkaufsmesse, sondern auch an anderen lukrativen Stellen leichte Arbeit hätten.“ Gleich am Morgen gab er den Auftrag, Unterlagen über die Stromversorgung der Stadt zu beschaffen. Doch was seine Leute ihm etwas später berichteten, ließ ihm für einen Moment das Blut in den Adern gefrieren: Der japanische Gangsterboss war am Morgen zum Gems and Jewelry Tower gegangen. Als er das Gebäude betreten wollte, hatten ihn zwei Männer, anscheinend Kriminalbeamte, angehalten und zum Hotel zurück gebracht, wo er seine Sachen packen musste. Dann wurde er zum Flughafen gebracht und in die nächste Maschine nach Tokio gesetzt. Einer seiner beiden Begleiter war ein schon länger gesuchter einheimischer Gangster, gegen den anderen Thai lag nichts vor, aber er wurde erkennungsdienstlich behandelt und war damit für die Organisation "verbrannt". S.
„Woher kannte Bangkoks Polizei den Japaner so genau?“, fragte Andy sich irritiert. Natürlich, das Phantombildprogramm! War er vielleicht auch schon darin erfasst? Hektisch versuchte er, die Datenbasis des Programms zu öffnen, in der die Namen abgelegt sind, aber dazu fehlte ihm das Passwort. So setzte er sich vor den Spiegel und gab sein eigenes Bild ein. Soviel er auch probierte, immer war die Antwort „unknown“. Entweder war er zu aufgeregt, um genau zu arbeiten oder noch nicht drin. Vorsorglich wies er die Zentrale in Chicago an, umgehend das nächste update zu beschaffen. Doch wie stand es um Kato Nishimuro, den japanischen Mitarbeiter? Aus dem Gedächtnis fügte er dessen Physiognomie zusammen. Er dachte noch über ein Detail nach, als der Bildschirm schon den Namen und den Code der „Company“ ausgab. Andy fühlte sich plötzlich hundeelend. Er hatte sich in Tokio ganz offen mit Kato getroffen, der augenscheinlich der japanischen Polizei bestens bekannt war. Auf jeden Fall würde er sich den Besuch des Kriegsschauplatzes verkneifen müssen.
Da ihm die Lust vergangen war, überhaupt auf die Straße zu gehen, aß er im Hotel zu Mittag. Und wie immer beim Essen lichteten sich seine Gedanken wieder. Einen Vorteil hatte das Ganze immerhin: Die japanische Organisation war zunächst aus dem Rennen. Als ihm dann am Nachmittag seine beiden ranghöchsten Mitarbeiter im Lande die gewünschten Informationen brachten, hatte er schon die alte Kampfkraft wieder gewonnen. Chavalit Virunvesachakul, der dickwanstige Boss der als Reinigungsunternehmen getarnten Filiale ihrer „Company“, hatte gerade durch ein Tiefpreisangebot den Auftrag für die tägliche Säuberung des Ausstellungssaales im Gems and Jewelry Tower an Land gezogen. Sein Begleiter, Phaitchit Wathanawe hatte wichtige Einzelheiten über die Stromversorgung der Stadt zusammengestellt. Dieser schlanke Mann von knapp 40 Jahren war vor der Wirtschaftskrise ein bekannter Finanzmakler gewesen und hatte durch gutmütige Kredite an befreundete Unternehmen sein ganzes Vermögen verloren. Weil er im normalen Geschäftsleben vorläufig nicht akzeptabel war, hatte er sich der „Company“ angeschlossen. Er war intelligent, einsatzbereit und kannte Gott und die Welt. Seine Frau hatte schon bei den Finanzgeschäften mit ihm zusammen gearbeitet und beteiligte sich auch jetzt gelegentlich an den Aktivitäten für die „Company“.
Die Informationen über die Stromversorgung gliederten sich in einen organisatorischen und einen technischen Teil, und beide waren hochinteressant: Seit einem Jahr befanden sich Thailands Versorgungsunternehmen in einem gewaltigen Umbruch. Als der IMF in der Wirtschaftskrise mehr als 17 Milliarden Dollar bereitstellen musste, um das Land vor dem Bankrott zu bewahren, war seine Bedingung die Privatisierung der Staatsunternehmen gewesen. Neben der Elektroenergie gehörten dazu auch die Ölindustrie, die Wasserversorgung, der öffentliche Verkehr und die Telekommunikation. Das war eine gewaltige Aufgabe und hatte erbitterte Proteste in den Unternehmen zur Folge gehabt. Bisher waren sie alle wie staatliche Behörden organisiert, unterstanden verschiedenen Ministerien und hatten Unmengen von Mitarbeitern, die jetzt um ihre Privilegien fürchteten. Die Stromversorgung war in ein landesweites Erzeugungs-und Transportunternehmen und zwei Verteilungsgesellschaften gegliedert, eine für Bangkok und die andere für das gesamte übrige Land. Jede von ihnen erledigte alle internen Dienstleistungen selbst.
Die geplante Struktur sollte aussehen wie in den westlichen Industrieländern: Mehrere Erzeugungsgesellschaften beliefern ein Transportunternehmen, das aber nur als große Pipeline dient und keinen Gewinn macht. Daran angeschlossen sind eine Reihe von Verteilungsunternehmen, die die über das Transportnetz bereitgestellte Energie direkt von den Erzeugern kaufen und sowohl an Großkunden als auch an kleine lokale Vertreiber weiterverkaufen. Alle Aktivitäten, die nicht zu diesem Kerngeschäft gehören, wie Planung, Training, Konstruktion und Instandhaltung werden als unabhängige Unternehmen ausgegliedert. Das war teilweise schon geschehen, und um diese zwar rechtlich selbstständigen aber noch im Staatsbesitz befindlichen Firmen zu wirtschaftlichem Arbeiten zu erziehen, mussten alle Serviceleistungen öffentlich ausgeschrieben werden. Dieser Prozess war mitten im Gange und niemand in den betroffenen Unternehmen wusste genau, wo man eigentlich stand. Nur die für Thais normalerweise unübliche Arbeitsweise, über Hierarchie-und selbst Unternehmensgrenzen hinweg miteinander Vereinbarungen zu treffen, hatte bisher einen Zusammenbruch der Versorgung verhindert.
Das Netz war recht stabil und sicher aufgebaut. Ein Doppelring von 230-kV-Leitungen war schon vor 20 Jahren um den alten Stadtbereich von Bangkok gezogen worden. Zwei Kraftwerke und acht Umspannstationen waren die Knotenpunkte in diesem Ring. Da die Leistung der beiden Kraftwerke für den Bedarf von mittlerweile 9.000 Megawatt nicht ausreichte, wurden fünf Stationen des Ringes über zehn Leitungen zusätzlich von außen eingespeist,
In allen zehn Stationen standen große Transformatoren, die die Energie auf 69 kV (Kilovolt = 1.000 Volt) abspannten, und von denen Leitungen in die Stadt führten. Die eine oder zwei Verteilungsgesellschaften, die jetzt die Stadt versorgten (das alte Unternehmen wurde gerade aufgeteilt) besaßen im Stadtgebiet eigene Umspannstationen von 69 kV auf die Verteilungs-Mittelspannung 11 kV. Größere Kunden, wie Hotels und Bürogebäude wurden direkt aus diesen Netzen versorgt, kleinere über Verteilungstransformatoren mit Niederspannung 400/230 V. Nahezu alle Leitungen waren Freileitungen. Andy war sich von vornherein darüber klar, dass er am 230-kV-Ring ansetzen musste, wenn er die Versorgung der ganzen Stadt unterbrechen wollte. Zuerst dachte er daran, alle von außen einspeisenden Leitungen zu sprengen, dann würden die beiden Kraftwerke wegen Überlastung ausfallen. Doch dazu wäre ein irrer Aufwand nötig, den sie kaum zeitgleich bewältigen könnten. Und wieder kam der „Ingenieur“ in ihm durch:
Warum denn mit Gewalt, wenn es vielleicht auch auf die sanfte Tour ging? Er musste detaillierte Informationen über die in den Stationen des Ringes installierten Schutzeinrichtungen haben und außerdem wissen, wer für deren Instandhaltung zuständig war. Als er den Mitarbeitern seinen Plan erläuterte, staunten die beiden über seine Ideen. Chavalit schüttelte zweifelnd den Kopf, aber Phaitchit nickte verständnisvoll und stellte einige weitere Fragen, die sein rasches Begriffsvermögen zeigten. Andy beschloss, ihm mehr Verantwortung zu übertragen und bat ihn, die notwendigen Informationen zu beschaffen. Als er sie dann noch bat, neben dem Tower und der Verkaufsmesse sich Gedanken über mögliche weitere Einsatzstellen zu machen, protestierte Chavalit ganz entschieden. Sie hätten nicht genug fähige Leute, um noch andere Aktionen gleichzeitig durchzuführen. Andy sah Phaitchit an. Seine Augen signalisierten Zustimmung. So wies er die beiden an, den Angriff auf mindestens zehn weitere Objekte vorzubereiten.
Andy war wütend auf Chavalit. Diesen Fettwanst musste er demnächst ablösen, er war zu bequem geworden. Leider wusste der Mann zu viel, um ihn einfach fallen zu lassen. Vielleicht konnte man mit ihn einer Rente und einem Zwangsaufenthalt außerhalb Thailands ruhig stellen. Er hatte ja eine ganze Menge auf dem Kerbholz, was die hiesige Polizei brennend interessieren würde. Andy beschloss, die Sache gleich nach dem Coup in die Hand zu nehmen. Phaitchit wäre sicher der geeignete Nachfolger. Der stellte gleich noch seine Kompetenz mit einer Bemerkung unter Beweis: Er wolle versuchen, den Grundriss des 13. Stockwerks im Gems and Jewelry Tower zu beschaffen. Andy hatte gar nicht daran gedacht, offenbar spielte ihm der Jetlag noch Streiche. Er sagte, auf diesen Punkt wäre er noch gekommen und lobte Phaitchit für seine Aufmerksamkeit. Weil die Aufträge nicht so schnell zu erfüllen waren und ihm der Boden unter den Füßen heiß wurde, ließ er noch für die Nacht den Rückflug nach Chicago reservieren.
Etwas ließ er sich aber nicht nehmen und es schien auch ziemlich ungefährlich. Jedes Mal, wenn er in einem buddhistischen Land war, besuchte er einen Tempel. Diese Ruhe im Bot, dem großen Innenraum, diese Gelassenheit, die der Buddha ausstrahlte und die tiefe Gläubigkeit der Menschen hatten ihn immer wieder beeindruckt, er hätte ohne weiteres Buddhist sein können. Vor dem Hotel wurden Bootsfahrten quer über den Fluss zum Tempel der Morgenröte auf der anderen Seite des Flusses und zurück angeboten. Ohne zu handeln zahlte er die verlangten 400 Baht, obwohl er wusste, dass das viel zu teuer war.
Der Wat Arun müsste eigentlich Tempel der Abendröte heißen, denn erst bei Sonnenuntergang strahlen die Kacheln, mit denen der Chedi und die vier seitlichen Türme verkleidet sind, in ihrer ganzen Schönheit. Bewegt stand der Chef der weltgrößten Verbrecherorganisation mit ineinander gelegten Händen in einer Ecke des Bot, sah den Buddha an und träumte vor sich hin. Als Junge war er Ministrant gewesen, damals hatte ihn bei der Wandlung immer ein ähnliches Gefühl erfüllt. Andy wusste selbst nicht, wie ihm geschah, als er plötzlich auf den Knien lag und mit der Stirn den Boden berührte wie die Thais neben ihm. „Großer Buddha“, dachte sein Gehirn – oder war es seine Seele? – ganz ohne sein Zutun, „ich weiß, dass ich kein Recht habe, Dich anzusprechen. Ich tue es trotzdem, weil ich von Deiner Güte und Toleranz weiß, die unendlich viel größer ist als die der anderen Götter dieser Erde, aber Du wolltest ja nie ein Gott sein. Du kennst weder Rache noch Eifersucht und würdest nie Menschen nur deshalb strafen, weil sie nicht an Dich glauben. Ich bitte Dich nicht um Erfolg bei unserem Coup, das wäre ein Verstoß gegen Deine Güte. Aber ich bitte Dich für mich, dass Du mein Leben segnest. Und ich verspreche Dir, dass ich nach dem Coup, ganz gleich, wie er ausgeht, mir die Zeit nehmen werde, mich intensiv mit Deiner Lehre zu beschäftigen.“ Als er den Kopf wieder aufrichtete, glaubte er, ein leises Lächeln über das unnahbare Gesicht des Buddha huschen zu sehen. Nur schwer riss er sich los und schlug dreimal eine der vielen Glocken, bevor er zum Hotel zurück fuhr. Die Überlieferung sagt, dass man zum Tempel zurückkehren wird, wenn man dort eine Glocke dreimal geschlagen hat.
Beim Auschecken sah man ihn an der Rezeption verlegen an, bei dem Stromausfall war der Buchungscomputer mit einem Plattencrash abgestürzt. Alle Gästedaten waren verloren, da nur einmal täglich um Mitternacht gesichert wird. Brav gab Andy die Aufenthaltsdauer und alle zusätzlichen Ausgaben an. Er hatte schon lange begriffen, dass ein großer Gauner sich nie mit kleinen Betrügereien abgeben darf, weil die immer am ersten bemerkt werden.