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Оглавление1 Datenverarbeitung
Der Fahrstuhl stöhnte laut, als er mit einem Ruck seine Abwärtsfahrt stoppte, aus der Anzeige ging hervor, dass er zwischen dem 14. und 13. Stockwerk hing. Ferdinand Wagner erstarrte. Im ersten Moment wollte er den Alarmknopf drücken, doch noch rechtzeitig kam ihm zum Bewusstsein, dass seine geheime Mission damit bekannt würde. Bisher wusste ja niemand von seinem Eindringen in das Gebäude der Helios AG. Instinktiv fasste er in die Innentasche seiner Jacke, die kleine USB-Platte war noch da. „Verdammt“, dachte er, „bisher ist doch alles so schön gelaufen und jetzt, im letzten Augenblick kommt mir dieser Scheißfahrstuhl in die Quere!“
Am Freitag nach Himmelfahrt war es der attraktiven Betsy, einer schlanken jungen Frau, deren richtigen Namen kaum jemand kannte, gelungen, in der Venus-Bar Herrn Dr. Otto Luising, den DV-Chef der Helios-Werke für sich zu interessieren. Sie hatte sich mit ihm über alles Mögliche unterhalten, nur nicht über Technik und Datenverarbeitung. Als er einmal davon anfing, hatte sie abgewinkt, davon verstünde sie nichts, sie sei Musiklehrerin und koordiniere jetzt im Kultusministerium den Musikunterricht an den Gymnasien. Ihn faszinierte ihre Angewohnheit, ab und zu eine Haarsträhne am Kopf zu fassen und langsam zwischen den Fingern bis zum Ende gleiten zu lassen, das hatte er noch bei keiner Frau gesehen. Und dass sie fantastisch tanzte, beeindruckte ihn auch mächtig. Beim Zahlen legte sie Wert darauf, ihre Rechnung selber zu begleichen, worauf er sie für Samstag Mittag zu einer Dampferfahrt einlud.
Sie trafen sich an der Anlegestelle und er bewunderte ihr elegantes Outfit, das sich sehr von der legeren Kleidung gestern Abend in der Bar unterschied. Heute trug sie ein elegantes halblanges Kleid ohne Ärmel, das mit großen Mohnblumen bedruckt war. Ihre Füße zierten rote hochhackige Sandaletten, und ein breiter Korallenarmreif war ihr einziger Schmuck. Sie fuhren zu den teuren Seeterrassen, wo sie hervorragend dinierten und anschließend eine Weile im Sonnenschein spazieren gingen. Dr. Luising fragte sie etwas über ihr Leben aus und sie erfand eine geschiedene Ehe mit einem Macho. Er behauptete, Witwer zu sein und sie ließ es sich gerne berichten, wusste sie doch genau, dass er mit der Einkaufsleiterin einer Supermarktkette verheiratet war, die sich zurzeit auf einer Dienstreise in den Staaten befand. Zur Kaffeezeit waren sie wieder im Restaurant und gönnten sich Kaffee mit Torte und einen Remy Martin. Danach brachte der Dampfer sie zurück in die Stadt und Dr. Luising bestellte eine Taxe, um Betsy nach Hause zu bringen.
Sie war sich nicht sicher, ob sie ihn schon auf ein Glas Wein zu sich bitten durfte, aber als er sich vor der Haustür verabschieden wollte, tat sie es einfach und er biss an. In der Diele der für kurze Zeit unter falschem Namen gemieteten Wohnung nahm sie ihm die Jacke ab und hängte sie an die Garderobe. Sie hatte einen guten Rotwein und machte schnell ein paar Käseschnittchen, die sie im Wohnzimmer genossen, Otto hatte sich neben ihr auf das Sofa gesetzt. Als sie ihm beim Anstoßen in die Augen und dann auf den Mund blickte, war es um ihn geschehen, er nahm sie in die Arme und küsste sie, was sie natürlich gerne erwiderte. Immer heißer wurden die Küsse, bis er die Träger ihres Kleides herab streifte, ihren BH öffnete und die hübschen kleinen Brüste streichelte. Da zog sie ihm das Hemd aus und drückte sich an ihn, wobei sie seine Erektion fühlte. Nachdem sie ihm auch die Schuhe ausgezogen hatte, öffnete sie den Gürtel und zog die Hosen herunter, dann küsste sie behutsam den Kopf des Phallus. „Komm“, flüsterte sie und zog ihn ins Schlafzimmer. Auf dem breiten Bett ließ sie sich von ihm vollständig entkleiden und streichelte ihn sachte, was er gerne erwiderte.
Sie musste ja Zeit gewinnen, denn Ferdinand, der in der Besenkammer wartete, durchsuchte inzwischen Dr. Luisings Jacke nach seiner Schlüsselkarte. Er fand sie schnell in der Brieftasche und kopierte den Chip mit einem Spezialgerät. Die Suche nach dem Passwort war schwieriger. Schließlich fand er im Adressbuch unter Helios den Begriff „1siulorD“, der ihm wie ein Passwort vorkam, aber keinen Sinn ergab und auch schwer merkbar war. Die Ziffer am Anfang und der große Buchstabe am Ende brachte ihn auf die Idee, das Wort sei vielleicht rückwärts geschrieben und er las von hinten: „Droluis1“, das musste es sein, denn darin war der Name versteckt.
Schnell verließ er die Wohnung und pfiff auf dem Hof den River Kwai Marsch, das war das Zeichen für Betsy. Sie zog ihrem Gast ein Kondom auf und bereitete ihm große Lust, das war sie ihrer Ehre schuldig. Doch auch sie genoss die Gemeinschaft mit diesem Gast, so zärtlich und behutsam gingen wenige mit ihr um. Er blieb noch eine Stunde bei ihr, dann verabschiedete er sich freundlich. Als sie sagte, dass sie am nächsten Tag für eine Weile verreisen müsse, war er traurig.
Am Sonntag früh gab ein Gärtnerbote einen Strauß roter Rosen bei ihr ab, fast tat es ihr leid, diesen Mann hintergangen zu haben, so angenehm war er gewesen. Dann verließ sie die Wohnung auf Nimmerwiedersehen, der Auftraggeber würde sich um alles kümmern.
Im Laufe der Woche hatte Ferdinand sich die Helios-Werke an der Schleißheimer Straße in Milbertshofen genau angesehen, den 15-stöckigen Büroturm für Entwicklung, Konstruktion und Verwaltung, in dessen oberstem Stockwerk sich die DV-Zentrale befinden sollte, und die lang gestreckten flachen Fertigungsgebäude. Mit den kopierten Daten hatte er eine Schlüsselkarte hergestellt, die ihm den unbegrenzten Zugang in die DV-Anlage ermöglichen sollte. Durch einen Zugang im Keller des Gebäudes war er heute, am späten Abend des Pfingstsonntages mit Dr. Luisings Schlüsselkarte ins Gebäude gelangt, im Fahrstuhl direkt in den 15 Stock gefahren und ebenfalls mit der Schlüsselkarte problemlos in die zentrale Rechenanlage gelangt. Natürlich trug er Handschuhe, um keine Fingerabdrücke zu hinterlassen.
Er musste sich erst mal umsehen, um einen Überblick zu gewinnen. Die ganze Anlage war mindestens sieben Jahre alt, längst nicht mehr auf dem Stand der Technik. Zwei Gruppen mit je fünf großen Servern waren in der Mitte des Raumes aufgestellt, so weit voneinander entfernt, dass automatische Brandschutztüren dazwischen einfahren konnten. In einem Nebenraum, der wohl den Programmierern diente, gab es drei weitere Rechner mit Bildschirmen und Tastaturen.
An der Wand sah er eine Übersicht über das gesamte Rechnernetz des Hauses, zu dem insgesamt 473 Rechner gehörten. Es war in die fünf Gruppen Entwicklung, Konstruktion, Fertigung, Vertrieb und Verwaltung eingeteilt, deren einzelne Rechner jeweils mit den zugehörigen Servern in beiden Clustern verbunden waren. Die Cluster hatten eine doppelte Verbindung untereinander. Zu jedem Cluster gehörten ein kleiner Bedienrechner mit Tastatur und Bildschirm und ein Internetzugang, die jeweils auf die Server des Clusters zugreifen konnten. Die Internetzugänge waren über innere Router, spezielle, aufgabenbezogene Server und weitere externe Router gegen unkontrollierte Zugriffe von außen geschützt. Dies Verfahren ist als Demilitarisierte Zone (DMZ) bekannt. Von den Vertriebsservern waren VPN-Tunnel über die DMZ zu einer großen Zahl von Außenstellen eingerichtet.
Das Zugangskontrollsystem des Hauses lief parallel auf zwei Rechnern, die jeweils an die Verwaltungsserver angeschlossen waren. Außerdem gab es ohne Verbindung zum System eine Videoüberwachung für das Gebäude, auch veraltet, noch mit Bändern.
Nachdem Ferdinand das Übersichtsbild fotografiert hatte, schaltete er einen der Bedienrechner ein und war gespannt, ob das Passwort stimmte. Er hätte beinahe laut gejubelt, als sich ihm damit das gesamte Datensystem öffnete. Als Betriebssystem lief eine ältere UNIX-Version, die er gut kannte. In den Konstruktionsdateien fand er bald die gesuchten Dateien über das von dieser Firma entwickelte Drohnensystem „Heliofighter“. Erfreut stellte er fest, dass immerhin die Bedienrechner ganz neu waren, so konnte er schnell die 500 GB Daten aus dem Entwicklungsserver auf seine Platte kopieren. Im Besucherlogbuch löschte er seinen Eingang ins Gebäude und in der Videoüberwachung das letzte Band. Dann stoppte er die Video-Anlage, ohne dass eine Meldung in die Pförtnerloge gegeben wurde. Zuletzt hinterlegte er in den Routingtabellen der externen Router die IP-Adresse eines Servers in Russland für sich, über die er jederzeit auf die Daten zugreifen könnte. Dann verließ er frohgemut die Anlage, hier war auch der Ausgang nur mit der Schlüsselkarte möglich.
Und nun hing er hier im Fahrstuhl fest und hatte niemanden, der ihm helfen konnte! Er schaltete sein Handy ein, doch wie erwartet hatte er in der Kabine kein Netz, er wusste auch gar nicht, wen er anrufen könnte. Für einen kurzen Moment überfiel ihn Panik, doch gleich hatte er sich wieder im Griff und dachte nach. Wenn der Portier die Störung bemerkt hatte und den Fahrstuhl wieder in Gang setzen konnte, würde er ihn in der Kabine entdecken, er musste also den Fahrstuhl irgendwie verlassen. Er sah sich um. Die Kabine war etwa 3 m breit und 2 m tief. Die Rückwand wurde von einem Spiegel voll bedeckt, an den Seitenwänden waren Bedienungshinweise und der aktuelle Speiseplan der Betriebskantine angebracht. In der 2,20 m hohen Decke gab es eine Klappe für Wartungszwecke, die er aber nur eben mit den Fingerspitzen erreichen konnte.
Er sprang mit ausgestreckten Armen hoch und die Platte gab ein Stückchen nach oben nach, fiel aber wieder in die Halterung zurück. Also brauchte er noch mehr Wucht, deshalb duckte er sich und schnellte mit aller Kraft gegen die Platte, die jetzt ein Stück zur Seite rutschte. Doch dabei verlor er die Balance und stürzte zu Boden. Seine linke Schulter schmerzte, er hatte sie beim Fall geprellt, doch darauf konnte er jetzt nicht achten. Noch einmal sprang er hoch, so dass er die Öffnung mit beiden Händen greifen und sich auf das Dach der Kabine ziehen konnte. Als er sich im Dämmerlicht des Fahrstuhlschachtes umschaute, entdeckte er die Metallsprossen einer Leiter an der Wand, das hatte er nicht zu hoffen gewagt. Damit sein Ausstieg nicht auffiel, schloss er die Klappe, dann stieg er die Leiter hoch, bis er das Fahrstuhlhaus auf dem Dach erreichte. Die Tür war unverschlossen und im Widerschein der Straßenbeleuchtung konnte er ein wenig erkennen.
Doch als er im Treppenhaus nach unten gehen wollte, erlebte er die nächste unangenehme Überraschung: die Tür war mit einem normalen Sicherheitsschloss verschlossen, die Schlüsselkarte war nutzlos. Immerhin fand sein Handy jetzt ein Netz, aber wen sollte er anrufen? Schließlich war er freiberuflicher DV-Berater ohne Mitarbeiter und auch ohne persönlichen Anhang. Und seinen Auftraggeber würde er erst als allerletztes um Hilfe bitten. Zuerst musste er selber versuchen, klar zukommen, schließlich war er zehn Jahre bei der GSG9 für alle Eventualitäten geschult worden. Als er sich umsah, fand er die Kühlaggregate der beiden Klimaanlagen für das Rechenzentrum, von denen dicke Rohre hinab gingen. Als letzte Möglichkeit wäre dieser Weg vielleicht geeignet, das ging aber nicht ohne Zerstörung, und er wollte, wenn irgend möglich, keine Spur hinterlassen.
Er blickte an verschiedenen Stellen über die 1 m hohe Brüstung, bis er ein angekipptes Milchglasfenster sah, das anscheinend zu einer Toilette im darunter liegenden Rechnergeschoss gehörte. Direkt darüber war ein Haltebügel für die Fensterputzer einzementiert. Diese Möglichkeit musste er nutzen, wobei ihm die Gefahr bewusst war, dass er bei der geringsten Ungeschicklichkeit fünfzehn Stockwerke hinab stürzen würde. Er zog das Hemd aus und drehte daraus ein Band, das er mit einem Spezialknoten an dem Bügel befestigte, um zusätzlichen Halt zu haben. Dann kletterte er über die Brüstung und ließ sich mit den Händen an dem Bügel hinab gleiten, bis er auf dem unteren Rahmen des Fensters stand. Sich mit der einen Hand an seinem Hemd zu halten und mit der anderen das angekippte Fenster zu öffnen, war dann kein Problem mehr für ihn. Er kletterte hindurch, entknotete sein Hemd und zog es hinein, dann kippte er das Fenster wieder an.
Er war in einer Damentoilette im Treppenhaus des Rechenzentrums außerhalb der Anlage gelandet. Jetzt wollte er nur noch raus. Als er die 16 Treppen bis zum Keller hinab stieg, sah er, dass der Fahrstuhl noch immer zwischen dem 14.und 13. Stock hing. Entweder war der Pförtner eine Schlafmütze oder hatte keine Meldung bekommen. „Wenn ich nicht aus der Kabine heraus geklettert wäre, würde ich darin verhungern“, dachte er. Fünf Minuten später brauste er mit seinem BMW davon.
Zu Hause trennte Ferdinand einen Rechner von seiner Anlage und wählte sich von diesem über verschiedene ausländische Server zu seinem geheimen Zugang in das Datensystem der Helios AG ein, ohne dass sein Weg nachverfolgt werden konnte. Als erstes löschte er in der Zugangs-Überwachung seinen Ein- und Ausgang in die Rechenanlage. Jetzt konnte niemand mehr feststellen, dass Dr. Otto Luising über Pfingsten die Anlage betreten hatte. Dann löschte er im Logbuch des Bediencomputers alle seine Aktivitäten und im Protokollsystem den Zugriff von außen. Im Router konnte er ihn nicht löschen, weil er noch verbunden war, aber er änderte den Zugriff auf „abgewiesen“. Von seiner mobilen Platte zog er eine Kopie für seinen Auftraggeber und schickte ihm eine Mail, er würde sich Montag gegen 10 Uhr einfinden, um seinen Auftrag abzuschließen. Zufrieden schlief er ein, ohne von Daten oder Kletterei zu träumen.
Am Pfingstmontag früh war in der Helios AG der Teufel los. Der ablösende Pförtner bemerkte, dass der Fahrstuhl zwischen zwei Stockwerken hing. Der Nachtpförtner, ein alter Herr, der in der Fertigung nicht mehr zu gebrauchen war, hatte gemeint, da niemand außer ihm im Gebäude sei, müsste er nichts unternehmen. Der alarmierte Sicherheitschef ließ den Fahrstuhl durch die Wartungsfirma prüfen, eine ausgelöste Stromsicherung war die Ursache. Als er vorsichtshalber die Bänder der Videoüberwachung prüfen wollte, stellte er fest, dass die Anlage stand und das aktuelle Band leer war. Dr. Luising, in dessen Zuständigkeit die Anlage fiel, wurde gerufen und wies nur lakonisch auf ihr Alter hin, er habe schon seit einem Jahr in mehreren Aktenvermerken ihre Erneuerung gefordert. Die vom Sicherheitschef angeordnete Prüfung der Zugangsüberwachung ergab keinen Eintritt ins Gebäude außer der Ankunft des Pförtners und keinen Eintritt ins Rechenzentrum, seit der letzte Programmierer Freitag das Haus verlassen hatte. Vorsichtshalber prüfte Dr. Luising noch einige wichtige Funktionen des Systems, fand aber nichts Auffälliges. Daraufhin fuhr er beruhigt nach Hause zu seiner Frau, die am Samstag von ihrer Reise zurückgekommen war.
Ganz anders sah es an diesem Morgen im russischen Generalkonsulat aus. Als Ferdinand um 10 Uhr erschien, saßen im Konferenzraum neben seinem Auftraggeber, dem Vizekonsul Andropow, auch der Militärattaché und zwei Fachleute von der Botschaft in Berlin, die schon am frühen Morgen eingeflogen waren. Ein Beamer stand bereit, an den Ferdinand seinen Laptop mit der externen Platte nur noch anzuschließen brauchte, um fast eine Stunde lang seine erfolgreiche „Datenverarbeitung“ zu präsentieren, wobei er den geheimen Zugang in das Datensystem der Helios verschwieg. Ausrufe des Erstaunens und der Anerkennung kamen aus den Mündern der Berliner, dann stellte der Vizekonsul Gläser und eine Flasche Wodka auf den Tisch. Mit den Worten: „Herr Wagner, ich gratuliere Ihnen zu Ihrer tadellosen Arbeit, das muss gefeiert werden!“, goss er jedem ein Glas voll.
Ferdinand erhob sich und dankte, doch er hatte auch etwas zu sagen: „Es ist mir wichtig darauf hinzuweisen, dass ich ohne die hervorragende Vorarbeit der Agentin Betsy, die ja bis zum körperlichen Einsatz gegangen ist, nie in das Datensystem der Helios hinein gekommen wäre.“ Dann wies er die Russen darauf hin, dass er in seinem Büro alle Helios-Daten in sämtlichen Speichern unwiederherstellbar löschen werde. Das sei er sich aus Sicherheitsgründen schuldig, falls er irgendwie ins Visier der Behörden geraten sollte. Die Spezialisten sollten also möglichst die Platte, die er ihnen überreichte, gleich noch einmal in ihre Rechner kopieren.
Nachdem die Berliner die Platte kopiert hatten, gab der Vizekonsul bekannt, dass der Konsul die Gesellschaft zu einem Essen eingeladen habe. Also begab man sich in den komfortabel ausgestatteten Speiseraum des Konsulats, wo Ferdinand zu seinem Erstaunen Betsy vorfand und herzlich begrüßte, denn er war ihr durchaus dankbar. „Ja, nachdem Sie die Dame so exquisit gelobt haben, war ich der Meinung, wir sollten sie zu diesem Festessen hinzu laden“, sagte schmunzelnd ein älterer Herr, den ihm der Vizekonsul als Generalkonsul Bachurin vorstellte. Befrackte Diener servierten ein opulentes russisches Menü mit viel Alkohol, bei dem sich Ferdinand aber zurück hielt, weil er mit dem BMW gekommen war.
Auch Betsy trank nur wenig, aber beide mussten natürlich die Toasts beantworten, die auf sie ausgebracht wurden. Immer wieder musterte Ferdinand verstohlen diese attraktive Frau, die ihm an der Tafel gegenüber saß. Sie war etwa Mitte zwanzig, groß und schlank und trug ein tadellos geschnittenes, unauffällig elegantes hellblaues Kostüm. Ihre offen getragenen langen kastanienbraunen Haare waren ebenso bezaubernd wie ihre starken Brauen über den grünen Augen, die griechische, von der Stirn gerade verlaufende Nase und das schön geschwungene Kinn. Die Lippen waren unauffällig rot nachgezogen, die Fingernägel in Perlmutt lackiert. An ihren Ohren hingen goldgefasste blaugrün leuchtende Opalhänger und am rechten Ringfinger trug sie einen goldenen Ring mit einem großen, unregelmäßig geschnittenen ebenso leuchtenden Opal. Insgesamt machte sie einen sehr lebhaften Eindruck, der noch stärker wirkte als ihre Schönheit. Ab und zu fasste sie eine Haarsträhne am Kopf und ließ sie zwischen den Fingern bis zum Ende gleiten, das fand er interessant. Schon bei der ersten Begegnung, bei der sie die Behandlung des Dr. Luising abgesprochen hatten, war Ferdinand von ihr fasziniert gewesen.
Die Frau merkte natürlich genau, wie intensiv ihr Gegenüber sie betrachtete, sie war sich ihres Eindrucks auf Männer durchaus bewusst. Wenn er sich mit dem Vizekonsul unterhielt, betrachtete sie ihn heimlich genauer, denn sie hatte ihn schon bei ihrem ersten Treffen interessant gefunden. Er musste Anfang 40 sein, groß, mit kurzen blonden Haaren und wachen blaugrauen Augen. Seine Nase war ziemlich lang und sein Mund machte einen energischen Eindruck. Vor allem seine Hände beeindruckten sie mit den langen schmalen Fingern. Den kurzen Gedanken, wie diese Hände wohl liebkosen könnten, verwarf sie schnell wieder, das wollte sie überhaupt nicht wissen. Er hatte eine angenehme warme, aber nicht zu tiefe Stimme.
Ferdinand hatte schon früher kleinere DV-Aufträge für das Generalkonsulat erledigt. Vor drei Wochen hatte ihn der Vizekonsul mit der Frage überrascht, ob er in der Lage sei, bei der Helios AG die Konstruktionsdaten der neu entwickelten Kampfdrohne Heliofighter zu entwenden. Da erinnerte er sich, was er über Drohnen in der Schule gelernt hatte: „Eine Drohne ist eine stachellose männliche Biene, Hummel, Wespe oder Hornisse, die auf einem Jungfernflug junge Königinnen begattet.“ Der Begriff „begatten“ war ihm damals fremd gewesen, aber die heutige Bedeutung der Drohne als unbemannte Flugkörper kannte er natürlich.
Neben dem recht hohen Preis von 95.000,- € hatte Ferdinand dem Russen die Voraussetzungen genannt: Er müsse einen offiziellen Auftrag für „Planung und Einrichtung einer neuen DV-Anlage beim Generalkonsulat“ mit Angabe des Preises erhalten, außerdem müsse er die Schlüsselkarte des Leiters der DV-Abteilung kopieren und möglichst an sein Passwort kommen. Vor einer Woche lief der Auftrag bei ihm ein, kurz darauf rief der Vizekonsul ihn an, der DV-Chef heiße Dr. Otto Luising und seine Frau sei bis Pfingsten verreist. Er habe eine Dame aufgefordert, Dr. Luising in einer angemieteten Wohnung ins Bett zu locken, derweil könne er, Ferdinand die Schlüsselkarte kopieren und nach dem Passwort suchen. Am Himmelfahrtstag sollte er sich mit der Dame im Café Glockenspiel treffen, um die Einzelheiten zu besprechen. Ferdinand war schon bei diesem Treffen von ihrer Eleganz und natürlichen Sicherheit außerordentlich beeindruckt gewesen, bisher hatte er keinerlei Erfahrungen mit derartigen Frauen gehabt. Vor allem ihre ziemlich tiefe, aber wohlklingende Stimme mit dem leichten russischen Akzent gefiel ihm sehr.
Er hatte ihr gesagt, sie müsse den Herrn mindestens eine halbe Stunde lang so intensiv beschäftigen, dass er an nichts anderes denken könne, und sie hatte gefragt, wie er sich diese Beschäftigung denn denke. Na, sie könne ja vielleicht ein paar Partien Mensch ärgere dich nicht mit ihm spielen, hatte er grinsend geantwortet, worauf sie, ebenfalls lachend einwarf, sie wisse ja gar nicht, ob er dieses Spiel kenne. Da würde sie doch lieber ein Spiel wählen, das jedem Mann angeboren sei. Dieser Scherz hatte sie noch mehr für ihn eingenommen und er wollte versuchen, nach dem Menü ein wenig mit ihr zu sprechen, vielleicht war sie ja ansprechbar. Nachdem man zwei Stunden getafelt hatte, bekamen Betsy und Ferdinand ihre Schecks und verließen zufrieden das Generalkonsulat.