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Die Kriegsgefangenenlager als Wirtschaftsfaktor

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Die Unterbringung von Offizieren, aber auch der Bewachungsmannschaften außerhalb des Lagerkomplexes war während der Anfangsphase gängige Praxis. Es entwickelte sich darüber hinaus, wie das Beispiel Freistadt zeigt, ein einträgliches Geschäft für die daran beteiligten öffentlichen und privaten Quartiergeber. So bewohnte der Lagerarzt Dr. Pollatschek ein komfortables Privatzimmer in der Linzer Vorstadt, für das von der Heeresverwaltung monatlich 21,60 Kronen zu begleichen waren. Ein weiterer Lagerarzt, Dr. Bachmann, hatte sein Quartier im Gebäude der städtischen Apotheke aufgeschlagen und der Lagerkommandant Oberst Ludwig Longardt residierte in einem Haus am Freistädter Hauptplatz, wofür im Jahre 1916 pro Monat immerhin 44,64 Kronen fällig wurden.

Betrachtet man die Beträge, welche die einzelnen Zimmervermieter im Stadtgebiet von Freistadt für die Einzeleinquartierung des Personals aus dem Kriegsgefangenenlager Freistadt erhielten, so lässt sich die Bedeutung des Lagers als nicht zu unterschätzender Wirtschaftsfaktor eindeutig belegen. Allein im Jänner 1915 wurde für Privatquartiere, darunter befanden sich auch Kanzleiräume, die stattliche Summe von 568,48 Kronen seitens der Heeresverwaltung bezahlt.

Für die Einquartierung des K. K. Landsturmwachbataillons Nr. 10 vom 8. Jänner 1915 bis einschließlich 3. Februar 1915 wurden seitens des Quartiergebers, des Freistädter Marienstifts, für 67 Mann insgesamt 144 Kronen, das waren 8 Heller pro Tag und Mann, verrechnet.

Die Art und Weise, wie diese Beträge zustande kamen, erregte aber bald den Ärger des Lagerkommandos in Freistadt. In einem Schreiben an die Stadtgemeinde wurden die ungerechtfertigte Verrechnung einer Mehrgebühr durch die Stadtgemeinde Freistadt und die Praktiken mancher Zimmervermieter scharf kritisiert. Das Militär sei, wie es ausdrücklich hieß, nur vorübergehend, und zwar bis zur „völligen Herstellung bewohnbarer Verhältnisse im Lager“77, in der Stadt einquartiert. Diese Tatsache aber machten sich scheinbar die Vermieter zunutze, um die Preise willkürlich zu erhöhen und somit dieses vorhandene Zeitfenster zu ihrem wirtschaftlichen Vorteil auszunützen.78

Der Mehrbedarf an Einrichtungsstücken und eine damit allfällige Mehrgebühr waren für den Fall der Unterkunft der Familienmitglieder zulässig. Das traf aber nur für relativ wenige Militärs zu.

In dieser Anfangszeit entwickelte sich für das im Zentrum der Stadt gelegene Hotel Jäger ein reges Geschäftsaufkommen. Besonders im Rahmen der Einquartierung von Offizieren der K. K. Kriegsgefangenenbegleit-Kompanie Nr. 17 in den Monaten September bis November 1916 vermochten die Wirtsleute eine beträchtliche Summe aus den Miet- und Verpflegungskosten zu lukrieren. Im Februar 1915 wurden seitens der Heeresverwaltung für diverse Zimmervermietungen an andere Privatvermieter insgesamt 355,80 Kronen ausbezahlt.

Der obligatorische Einquartierungszettel enthielt den Namen des Quartiergebers, das Quartier samt Adresse und die Anzahl der Personen nebst Angabe der militärischen Charge. Schließlich musste der Empfang der anfallenden Gebühr eingetragen und bestätigt werden. Für die Quartiergeber wiederum existierten genaue Richtlinien für die Beherbergung militärischer Formationen. Für die Mannschaft musste die Gelegenheit bestehen, ihre Uniform und ihre Waffen entsprechend abzulegen. Es musste auch für Beleuchtung und Beheizung gesorgt sein. Bei dauernder Einquartierung hatten die Soldaten Anspruch auf eine passende Liegestätte sowie auf eine gemeinschaftliche Benützung des Kochofens und des Kochgeschirrs.79

Für die teilweise im städtischen Studentenkonvikt in Freistadt untergebrachte I. Kompagnie des K. K. Landsturm-Wachbataillons Nr. 10 wurden im März 1915 seitens der Heeresverwaltung 456,70 Kronen überwiesen. Im Juli 1915 war laut Mitteilung des K. u. K. Militär-Verpflegungsfilialmagazins in Freistadt für die vorübergehende Einquartierung ein Betrag von 262,74 Kronen fällig.

Allerdings geriet die Heeresverwaltung allenthalben bei der Bezahlung der anfallenden Miet- und Verpflegungskosten in argen Rückstand. Aus diesem Grund erhielt die Verpflegungsexpositur des Kriegsgefangenenlagers Freistadt am 28. Oktober 1915 eine umfangreiche Auflistung der Verpflegungskosten, die bislang nicht ausbezahlt worden waren. Dazu zählten die Quartiere im städtischen Konvikt, in der Gymnasial-Turnhalle, der städtischen Turnhalle und verschiedene Unterkünfte, die sich alle in Gemeindebesitz befanden. Auch bei den privaten Quartiergebern und sogar beim Stadtpfarramt waren die Militärs säumig. Die gesamte Forderung belief sich auf eine Summe von 1.340 Kronen. Erst mit gehöriger Verspätung, und zwar Mitte Februar 1916, langten dann die offenen Beträge auf dem Konto der Stadtgemeinde ein.

Unter den vermieteten Räumlichkeiten befanden sich neben reinen Wohnräumen auch die städtischen Turnsäle und jene des Gymnasiums, Magazinräume, Kellerräume, Gastwirtssäle, die Brauereihalle und Werkstättenräume. Die städtische Turnhalle musste allerdings im März 1915 vom Militär geräumt werden, da dort nunmehr die Mehlvorräte der Stadt gelagert wurden.80 Dass sich hinter dieser offensichtlichen Geschäftstüchtigkeit auch manch dunkle Seite verbarg, wurde im Spätherbst 1917 offenkundig.

Ende November 1917 berichtete eine in Linz erscheinende Tageszeitung von verbrecherischen Praktiken, heute würde man durchaus von Wirtschaftskriminalität sprechen, die beim Bau der Kriegsgefangenenlager in Oberösterreich gang und gäbe seien. Den Anlass dafür bot die am 27. und 28. November 1917 vor dem K. u. K. Heeres-Divisionsgericht in Graz abgehaltene Gerichtsverhandlung gegen den Landsturm-Oberleutnant Franz Horsky, Chef der Gebäudeverwaltung im Kriegsgefangenenlager Freistadt. Ihm wurde vorsätzlicher Betrug vorgeworfen.

Im Laufe des Verfahrens wurde eine allgemeine Praxis der militärischen Baubehörden sichtbar, nämlich die Abrechnung der Baukosten mittels gefälschter Lohnlisten zu betreiben.

Umso irritierender war im konkreten Fall die Tatsache, dass die Vorgesetzten nicht nur davon wussten und die Vorgangsweise billigten, sondern dem Verantwortlichen vor Ort Unterweisungen über die Verrechnungsform und die Höhe der solcherart lukrierbaren Summe gegeben wurden. Der Angeklagte beteuerte denn auch sofort, er habe sich bei seinen Vorgesetzten der K. u. K. Militärbaufiliale in Linz erkundigt und von dort nicht nur die Bewilligung, sondern sogar Instruktionen erhalten, wie das richtig zu machen sei. Der in Freistadt entstandene Schaden wurde auf 2.518 Kronen geschätzt.

Diese Summe entstand vor allem dadurch, dass in den Listen viel mehr russische Kriegsgefangene als Arbeiter angegeben waren, als tatsächlich bei den verschiedenen Lagerbauten eingesetzt wurden. Unter anderem war davon auch die Turmeindeckung der Freistädter Schlosskaserne betroffen. Der Kern der ordnungswidrigen Manipulationen, derer man Horsky beschuldigte, bestand wohl darin, dass man mehr Russen verrechnete, um diverse Spesen wieder hereinzubringen. Auf der anderen Seite wurden allerdings teure Zivilarbeiter statt „billige“ Kriegsgefangene angegeben und damit konnte ein erheblicher Gewinn erzielt werden.81

Der Angeklagte wurde in allen Punkten freigesprochen, da ihm, wie es der Gerichtsvorsitzende wortreich formulierte, jedes Schuldmoment fehle, obwohl objektiv die Strafhandlung im Sinne der Anklage erwiesen war.

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77 Vgl. OÖLA, Stadtarchiv Freistadt, Sch. 380.

78 Vgl. ebenda, Sch. 380: Man bezog sich dabei auf das Einquartierungsgesetz vom 11.6.1879, das eine Mehrgebühr ausschloss.

79 Vgl. ebenda, Sch. 380: Schreiben der Verwaltungs- und Kassakommission des KGFL-Freistadt an die Stadtvorstehung Freistadt, E. Nr. 522/9 I V.K., vom 13.1.1915.

80 Vgl. ebenda, Sch. 380: Insgesamt wurde vom Militär eine Fläche von 1494 m² in Anspruch genommen.

81 Tagespost 6.12.1917, 3.



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