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Vorwort

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Treffen sich zwei Freunde. Sagt der eine: »Ich hab’ einen neuen Witz für dich.« – »Neuer Witz?«, entgegnet der andere mit tieftrauriger, gelangweilter Miene. »Ich kenne schon alle Witze, du hast mir doch nie einen neuen erzählt, und wenn, dann hast du ihn nicht verstanden und völlig falsch erzählt.« – »Aber den kennst du sicher noch nicht: Fahren zwei Juden mit der Eisenbahn …«

Der andere unterbricht ihn genervt: »Also jetzt hör schon auf. Immer diese jüdischen Witze. Gibt es keine anderen Länder? Gibt es keine anderen Völker? Gibt es keine anderen Religionen? Gibt es keine anderen Kulturen? Immer, immer wieder Juden, Juden und jüdische Witze! Ich kann es nicht mehr hören!«

Das sieht der andere ein und fährt fort: »Also gut. Fahren zwei Chinesen mit der Eisenbahn, sagt der Blau zum Grün …«

Ich schreibe über Dinge, die mich bewegen, und es ist mir bewusst, dass ich eigentlich immer nur über zwei Themen schreibe. Erstens darüber, was gewisse Nichtjuden den Juden antun. Zweitens darüber, was gewisse Juden den Juden antun. Manchmal denke ich mir, es muss doch noch ein drittes Thema geben. Drittes Thema. Dritter Mann, Dritte Welt, dritte Zähne, drittes Lager, Drittes Reich. Themenwechsel!

Aber welches Thema? Es muss doch irgendetwas geben, das nichts mit Juden zu tun hat! Ja, genau. Weihnachten. Da wird zwar die Geburt eines Juden gefeiert, aber wir wollen ja nicht kleinlich sein. Das berühmte Lied »White Christmas«, die meistverkaufte Single aller Zeiten, hat übrigens Irving Berlin geschrieben, der eigentlich Israel Isidore Beilin hieß.

Also gut, ich gebe auf. Es gibt kein drittes Thema.

Dieses Buch ist eine Liebeserklärung an meine verstorbenen Eltern und ganz besonders an meinen Vater, weil ich dank ihm noch Zeuge der Reste einer heute verlorenen Welt bin. Ich möchte die Erinnerung an die untergegangene Welt der Ostjuden, die ich noch in mir trage, am Leben erhalten. Sie setzt sich in meinem Leben auf meine Weise und im Leben meiner Kinder auf ihre Weise fort.

Was gibt es hier zu lesen? Jüdische Witze? Ja, auch, aber nicht nur. Der jüdische Witz gilt als etwas Besonderes. Die Bibliotheken sind voll mit Erklärungen, warum das so ist. Sogar Sigmund Freud hat über den »Witz und seine Beziehung zum Unbewussten« geschrieben. Der hohe Anteil an Juden unter Komikern ist vermutlich auch kein Zufall.

Für mich sind die essenziellen Elemente, die den jüdischen Witz zu dem machen, was er ist, zunächst einmal seine Kraft als Vehikel des Widerstands gegen Antisemitismus und Verfolgung, aber auch gegen alle anderen widrigen Umstände des Lebens. Gegen übermächtige Gegner und Umstände lässt es sich nur gewitzt kämpfen – das wissen wir schon seit David und Goliath. Typische Facetten dieses Humors sind Selbstironie, aber auch Selbstzweifel, Selbstkritik und kreative Lösungen.

Hier gibt es aber nicht nur Witze zu lesen, sondern auch wahre, vor allem persönliche Geschichten über deren Nährboden. Jüdische Geschichte ist der Hintergrund des jüdischen Witzes, der ohne sie nicht so entstanden und geworden wäre. Deshalb entwickelt er sich auch immer weiter. Dieselben Geschichten, die mir mein Vater erzählt hat, gibt es in Varianten meiner Generation und in wieder neuen Varianten der Generation meiner Kinder und in europäischen, amerikanischen oder israelischen Abwandlungen. Es besteht wenig Gefahr, dass der jüdische Witz aussterben wird. Erst wenn die jüdische Erzähltradition humorlos wird, geht es den Juden vielleicht endgültig und überall gut, dann erst wird der jüdische Witz aussterben. Damit könnte ich gut leben.

Wer soll dieses Buch lesen? Ich stelle mir ganz unterschiedliche Leser vor, die Freude daran haben könnten: Nicht-Juden, die sich für die jüdische Kultur interessieren und wenig Gelegenheit haben, Juden kennenzulernen. Ich gehe auch davon aus, dass Juden sich für dieses Buch interessieren, obwohl ich schon ein mulmiges Gefühl habe, wenn ich an ihre Reaktion denke. Zuerst werden sie behaupten, sie kennen viel bessere Witze, Anekdoten und Typen. Ich höre sie schon: »Den hättest du schreiben sollen!« Dann werden sie mir erklären, was ich alles falsch erzählt habe. Aber was soll’s? Juden sind sowieso schwer zu unterhalten:

Ein Zirkusartist steht auf dem Kopf auf dem Sattel eines Einrads ohne Netz auf dem Hochseil und spielt dabei Geige. Das Publikum ist verzückt und begeistert. Aber nicht alle. Voller Herablassung sagt der Blau zum Grün: »Yehudi Menuhin ist der keiner!«

Im Übrigen ist es das beste Buch, das ich je geschrieben habe, aber Yehudi Menuhin bin ich keiner.

Ich bin ein Zebra

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