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Einführung

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Wer die Gelegenheit hatte, mit Eugen Biser (1918–2014) in den letzten Jahren seines Lebens Gespräche über sein theologisches Denken zu führen, konnte miterleben, wie er in inspirierter Frische überraschend unkonventionelle Wege beschritt. So äußerte er mit zunehmendem Alter immer mehr Anerkennung für einen mittelalterlichen Denker, der in seiner theologischen wie außerkirchlichen Wirkungsgeschichte zahlreichen Kontroversen und Verdächtigungen ausgesetzt war: Joachim von Fiore (1135–1202). Bisers Faszination galt dabei dem Gedanken Joachims, den christlichen Glauben an die göttliche Trinität geschichtsphilosophisch auszulegen: Auf ein Zeitalter des Vaters (Gesetz) folgt dasjenige des Sohnes (Kirche) bis es endgültig vom Reich des Geistes (Freiheit) abgelöst wird. Dass Joachims geisttheologisches Konzept des „Dritten Reiches“ schon in der mittelalterlichen Kirche bekämpft und dann schließlich von der nationalsozialistischen Ideologie in sein schieres Gegenteil pervertiert wurde, wertete Biser als verlustreichen Irrweg, den es wiedergutzumachen gilt.

Am Ende seines Denkweges war es Biser daran gelegen, sein umfangreiches Gesamtwerk in eine Synthese zu bringen, die Zukunft eröffnet. Im Rückblick erscheint es alles andere als ein Zufall zu sein, dass Bisers letztes, zu Lebzeiten nicht mehr veröffentlichtes Buch-Manuspkript die „Geistesgegenwart“ ist. Es ist geplant als der letzte Teil einer „Trilogie“, deren vorausgehende Bände die Titel „Gotteskindschaft“ und „Christomathie“ tragen. Biser hinterließ mit der abschließenden Trilogie eine Art theologische Summe, in der er den klassischerweise in der systematischen Theologie entfalteten Trinitätsgedanken heilsgeschichtlich auslegte. Dabei erscheinen die dem Vater und dem Sohn zugedachten Eigenschaften und Wirkungen nicht primär als innergeschichtliche Vorstufen zu einem Zeitalter des Geistes, sondern vielmehr als dessen immanente Ermöglichungsbedingungen.

In der „Gotteskindschaft“ reflektiert Biser das Verhältnis des (glaubenden) Menschen zum Vatergott als Voraussetzung dafür, dass der Mensch seine ihm als „uneingelöstes Versprechen“ gegebenen Möglichkeiten in Freiheit entfalten kann. Nach Biser ist der Mensch noch weit davon entfernt, all das zu verwirklichen, was ihm von seiner Schöpfung her eröffnet wäre. Als Grund für dieses Zurückbleiben des Menschen hinter seinen Möglichkeiten diagnostiziert Biser blockierende Hemmungen, die ihrerseits aus der Angst des Menschen resultieren, nicht als der angenommen zu werden, der er ist, insbesondere in seinem Scheitern. Erst der Bezug zum Vatergott, der jeden Menschen in bedingungsloser Liebe annimmt, befreit in seiner therapeutischen Wirkung den Menschen zum Ergreifen seiner offenen Zukunft in Freiheit.

Als unwiderrufliche Mitteilung dieser lebenseröffnenden Zusage deutet Biser das göttliche Sohn-Wort Jesus Christus. In seinem Projekt der „Christomathie“ erläutert er den Christusbezug als einen Verstehensprozess, in welchem Gott den Menschen in eine personal-dialogische Gemeinschaft mit sich hineinnimmt. Jesus erscheint so nicht als vergangene historische Gestalt, sondern als der „inwendige Lehrer“, der im Herzen jener, die an ihn als seine Botschaft glauben, fortlebt. Die Christuswirklichkeit erweist sich damit als ein mystisches Geschehen, das als ein lebendiges Interpretament alle dogmatischen Glaubenssätze auf sich hin relativiert.

Weil die in der Liebeszusage des Vaters eröffnete Freiheit in der inneren Begegnung mit dem Sohnwort geschenkt wird, erfüllt sie sich in der „Geistesgegenwart“. Das Fortleben des Auferstandenen besteht in einer geistgewirkten Präsenz, welche allein alle Grenzen von Zeit und Ort überwinden kann. Aus dieser theologisch notwendigen Einsicht zieht Biser nun die Konsequenz, dass die Gegenwart der Liebe des Vaters in Jesus Christus durch den Heiligen Geist weder auf eine konfessionelle Dogmatik noch gar auf die Grenzen einer institutionell verfassten Kirche beschränkt werden kann. Auffällig ist, dass in Bisers Denken ekklesiologische Themen wie Kirchenverfassung, Ämterfrage, Hierarchie, Priestertum, Lehrautorität u.a. keine bemerkenswerte Rolle spielen. Noch auffälliger ist, dass er auch der klassischen Lehre von den Sakramenten kein großes Schwergewicht gibt, selbst der Lehre von der Eucharistie nicht. Dabei war Eugen Biser aus Überzeugung Priester der Katholischen Kirche und hat allsonntäglich in der vollen Münchner Universitätskirche St. Ludwig die Hl. Messe zelebriert. Daraus kann geschlossen werden, dass konkrete institutionell-sakramentale Gestalten für ihn zwar existenziell unverzichtbar waren, aber kein Gegenstand theoretisch-dogmatischer Festlegungen mehr sein sollten. Die Zukunft des Christentums besteht entscheidend in einer Wende zum Pneumatologisch-Mystischen. „Gott“ tritt damit aus den abgegrenzten Räumen und deren oft unverständlichen Sprachspielen heraus in die Freiheitszukunft der Welt.

Mit seinem Ansatz der Geistesgegenwart überwindet die Theologie des katholischen Theologen Biser nicht nur das Trennende zu den evangelisch-reformatorischen Kirchen mit ihrer Distanz zu den Institutionen und zu den orthodoxen Ostkirchen mit ihrer pneumatischen Bildwelt, sondern auch die Dichotomie zwischen Welt- und Heilsgeschichte. Dies erlaubt es Biser, den für Neuzeit und Moderne zentralen Gedanken einer freien Säkularität durchaus theologisch zu legitimieren und christlich zu durchdringen. Auch wo der Bezug zum Christentum nicht explizit sichtbar ist oder genannt wird, kann der Heilige Geist gegenwärtig sein. Aufgrund dieser Einsicht kann Biser den Horizont des Religionsphilosophen nicht nur auf die Werke der säkularen Kultur erweitern, wie er es durch zahlreiche Interpretationen von Werken der Kunst, Literatur und Musik von Beginn seines Forschens an getan hat, bereits zu einer Zeit, als dies alles andere als Mode war. Selbst im Werk erklärter Antichristen wie Friedrich Nietzsche vermochte er so positive Ansätze für die Erneuerung einer christlichen Theologie zu entdecken.

Bisers Theologie der Geistesgegenwart eröffnet auf globaler Ebene auch aus christlichen Wurzeln eine ganz neue Sicht der anderen Weltreligionen. Wenn man die anderen Religionen potenziell auch als Orte der Gegenwart des Heiligen Geistes deuten kann, dann ermöglicht sich damit für die christliche Kultur ein neuer Weg, mit den anderen Weltreligionen in einen fruchtbaren, auf gegenseitige Bereicherung angelegten Dialog zu treten.

In seinem Konzept der Geistesgegenwart formuliert Biser also nichts weniger als eine christliche Antwort auf die modernen Phänomene von Säkularisation und Globalisierung. Damit gibt er zu verstehen, dass Christ-Sein und moderne Welt sich keinesfalls ausschließen, sondern dass auf der Grundlage der traditionell christlichen Lehre vom Heiligen Geist sich ganz neue Gestaltungsmöglichkeiten ergeben.

Wenn die „Geistesgegenwart“ das letzte, erst posthum publizierte Wort eines Theologen ist, öffnet er damit sein zurückliegendes Werk sinngebend einer noch zu erfüllenden Zukunft.

München, im Spätjahr 2018 Prof. Dr. Dr. h.c. Martin ThurnerVorsitzender des Stiftungsratesder Eugen-Biser-Stiftung
Geistesgegenwart

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