Читать книгу Wo ist Püppi? - Eva Andersen - Страница 4

Kapitel 1

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Emily sah nachdenklich aus. Sie drehte eine Haarsträhne ihrer langen blonden Haare um die Finger und kniff die blauen Augen zusammen im starken Sonnenlicht.

Sie trug Shorts und wie immer ein T-Shirt mit der Aufschrift „Pferdebetrieb Borghof“. Schon seit einigen Wochen war schönster Sonnenschein. Emily war groß für ihr Alter und ihre lange Arme und Beine waren braungebrannt. Jetzt gerade malte sie mit ihrem Fuß und den neuen Turnschuhen, die sie zu ihrem 13. Geburtstag bekommen hatte, Kreise ins Gras. Die Augen waren starr auf ein geschecktes Pony gerichtet, das an den Hänger des Pferdehändlers angebunden stand.

Sie hatte schon mehrmals nach dem Pony geschaut.

„So ein blöder Kerl“, dachte Emily. Nicht ein einziges Mal hatte sie gesehen, dass er dem Pony oder den zwei anderen Pferden, die da standen, Wasser angeboten hatte. Und das, obwohl die Sonne den ganzen Tag von einem hellblauen Himmel geschienen hatte.

Oh, sie war wirklich toll, die gescheckte Ponystute. Emily ging erneut hin und streichelte ihren Kopf. Sie wunderte sich. Es war sehr selten, dass ein so schönes Pony auf einem Pferdemarkt zu verkaufen war. Es waren oft eher etwas heruntergekommene und ungepflegte Pferde mit mattem Fell und langen Hufen, die schon länger keinen Schmied gesehen hatten.

Dieses Pony war nicht ungepflegt, obwohl es schon länger nicht richtig durchgeputzt worden war. Die lange braune Mähne war verknotet und obwohl die Eisen schon länger drauf waren, waren sie noch nicht ganz abgelaufen, so wie man es schon einmal sieht bei Pferden, um die sich niemand ordentlich kümmert.

Emily streichelte den Hals mit sanfter Hand. Das Pony stand ganz still, bewegte sich überhaupt nicht.

„Vielleicht ist es ja so eine faule Socke, die sich überhaupt nicht bewegen möchte“, dachte Emily. Nein, das konnte nicht sein. Sie fand, dass es ein unglaublich hübsches Pony war. Und groß genug. Vermutlich 147 bis 148 cm Stockmaß. Ein G-Pony, der größten Pony-Kategorie, die man für den Reitsport nutzen kann.

„Du bist genau richtig für mich“, flüsterte sie dem Pony zu, das gar kein Interesse zeigte. „Zwar habe ich Jack und Molly zuhause, aber es ist eigentlich nur Jack, der im Parcours richtig gut ist. Ich möchte wissen, was du alles kannst!“

Sie stand in ihre eigenen Gedanken versunken, als Meyer sie daraus aufschreckte.

„Na Emily, bist du in deiner eigenen Welt unterwegs?“ Fragte der alte Rentner und Waldarbeiter von Mühlenbach, dem direkten Nachbarn zum Borghof. Auf dem Borghof wohnte Emily mit ihrem Vater Olaf, der Bereiter war und ihrer Mutter Grethe, die die Reitschule führte.

Olaf war Dressurreiter und im Landeskader. Momentan hatte er zwei Dressurpferde die in Grand Prix-Prüfungen vorgestellt wurden. Als Bereiter war er sehr gefragt und für sein gutes Händchen bei jungen Pferden bekannt.

Grethe hatte mal an Turnieren teilgenommen, aber als sie Emily bekommen und den Borghof gekauft hatten, wolle sie sich erstmal um Emily und den Aufbau der Reitschule kümmern. Jetzt ritt sie nur zu ihrem Vergnügen.

Emily war mit Herrn Meyer und seiner Frau Erna auf dem Pferdemarkt. Es war schon fast Tradition geworden. Es war das dritte Jahr, in dem die beiden sie mitgenommen hatten. Meyer liebte es auf dem Markt zu sein. Erna begleitete ihn eher, um ihm Gesellschaft zu leisten.

„Er ist pferdeverrückt“, pflegte sie zu sagen und gleichzeitig den Kopf zu schütteln, wenn Meyer mal wieder zu einem seiner langen Vorträge ansetzte, wie man früher Pferde pflegte, damals als er noch ein Kind war.

Damals hatten normale Leute keine Reitpferde so wie jetzt. Meyer ritt die Arbeitspferde auf dem Weg zur Wiese und einmal jährlich zum Ringreiten bei der Tierschau. Hier trafen sich die jungen Kerle der Region, und vielleicht auch ein paar Mädchen, zum Ringreiten, einem Wettbewerb, bei dem der Reiter einen kleinen Ring im Galopp mit einer kurzen Lanze aufspießen muss. Als Jugendlicher hatte Meyer auf einem großen Gutshof gearbeitet und der Gutsbesitzer und seine Familie besaßen Reitpferde und nahmen an Jagden teil. Es waren tolle Reiter, sagte Meyer, aber sobald die Pferde im Stall waren, war er für sie verantwortlich. Hierher kam sein großes Wissen über Pferde. Pferde, die, wie er sagte, so unterschiedlich wie die Menschen waren.

Es gab von Natur aus brave und ruhige Pferde, es gab aber auch aggressive und temperamentvolle Pferde. Jedes Pferd musste anders behandelt werden. „Geduld, Lob und Konsequenz“ war sein Motto.

„Pferde sind kein Spielzeug“, sagte Meyer und klopfte leicht mit geschlossener Hand auf was auch immer sich gerade in der Nähe befand. Dann wusste Emily, dass Meyer jetzt einen längeren Vortrag über den Umgang mit Pferden anfangen würde. Er neigte den Kopf leicht zur Seite und nickte bestätigend zu einigen seiner eigenen Sätze.

Oftmals war es sehr interessant, fand Emily, aber manchmal war es auch ein wenig anstrengend, wenn er zum wiederholten Male dieselbe Geschichte über sein Leben im Stall und mit den Pferden erzählte. Das eine oder andere Erlebnis kannte sie jetzt schon fast auswendig. Meyer liebte das Erzählen und er hatte Zeit genug. Er arbeitete jeden Tag nur ein paar Stunden im Wald, so viel wie er schaffte, oder genauer gesagt, so viel wie er wollte.

Christian Mühlenbach, der Besitzer vom Wald, hatte Meyer und Erna für das kleine Haus am Waldrand eine lebenslange Wohnerlaubnis erteilt. Meyer hatte viele Jahre für ihn gearbeitet. Letzten Winter war er 74 Jahre alt geworden und Emily war mit ihren Eltern auf dem Geburtstag gewesen.

Emily fand nicht, dass er wie ein alter Mann aussah. Er war immer frisch und fröhlich.

„Er wird mindestens hundert Jahre alt werden“, sagte Olaf immer, „und täusch dich nicht, wenn es um sein Wissen über Pferde geht. Hör genau zu, was er erzählt. Er weiß was über Pferde, dass nur die alten Pferdeleute, die mit den Pferden gelebt und gearbeitet haben, wissen.“ Vater mochte Herrn Meyer sehr.

Olaf hatte großen Respekt für Meyers Pferdewissen, ein Wissen das über Generationen vererbt worden war. Zum Beispiel hatte er durch Meyer die Pflanze Anis kennengelernt, inklusive ihrer Wirkung und Verabreichung.

„Die brauchst du, wenn dein Pferd hustet“, sagte Meyer, „und man kann sich nicht vertun. Es ist eigentlich Unkraut, und du findest die überall. Sie ist grün mit klitzekleinen, weißgrünen, dichten Blütenständen und sie riecht stark aromatisch nach Lakritze.“

Olaf hatte es ausprobiert und es hatte tatsächlich geholfen.

„Über so etwas gibt es viel zu wenige Informationen“, sagte er zu Emily. Sie musste ein bisschen schmunzeln über die neuesten Erkenntnisse ihres Vaters. Er erzählte es jedem, der es hören wollte. Olaf brauchte sie eigentlich nicht zu ermahnen, wenn es um Meyer ging. Emily mochte Erna und ihn sehr. Warum er aber beim Nachnamen genannt wurde, wusste sie nicht. So war es einfach schon immer gewesen.

Meyer besuchte den Borghof oft und schaute beim Training zu und manchmal begleitete er Emily und ihre Ponys auf Turniere. Selbst hatten Erna und Meyer leider nie Kinder bekommen, deswegen freuten sie sich, wenn sie für Emily Ersatzgroßeltern sein konnten.

„Ist es nicht ein tolles Pony?“ Emily schaute Meyer an, der nickte.

„Es ist wirklich ein tolles Tier, sehr edel und perfekt gebaut. Wie ist so ein Pony hier gelandet?“ Meyer hob seine Mütze, um sich im Genick zu kratzen, so wie er es immer tat, wenn er nachdenken musste.

„Was so einer wohl kostet?“ Er ging zu dem Pferdehändler, der in einer Gruppe von schreienden und lachenden Menschen stand.

„Wieviel willst du für das gescheckte Pony?“, fragte Meyer. Der Pferdehändler drehte sich auf dem Absatz um und klopfte mit seiner rechten Hand an die Jackentasche des braunen Kittels.

„1.000 Euro“, sagte er, „dann ist es deins – mit allem Drum und Dran.“ Er lachte laut. Meyer ging zurück zu Emily.

„Das ist ja nicht allzu viel für ein so schönes Pony“, sagte er, „wenn es denn überhaupt was kann.“ Er stand lange da, ohne etwas zu sagen. Er dachte daran, wie oft er sich für Emily ein zweites Pony gewünscht hatte, wenn sie auf Turnieren waren und es mit Jack nicht ganz so wie geplant geklappt hatte, obwohl Emily sich große Mühe gegeben hatte. Viele der anderen Reiter hatten zwei, ja manche sogar drei Ponys in derselben Prüfung, aber er kannte auch die Einstellung von Grethe und Olaf, die Emily nicht verwöhnen wollten.

„Unsinn!“ hatte er mal zu Olaf gesagt. „Wenn die Tochter eines Gestüts- und Reitschulbesitzers nicht die Möglichkeit hat mehrere Ponys zu reiten, wer dann?“ Aber Grethe und Olaf mussten das schließlich allein entscheiden.

„Sie hat auch nicht die Zeit, mehrere Pferde zu pflegen. Sie muss sich schließlich auch um die Schule kümmern“, sagte Olaf

Meyer wusste, dass das nur eine Ausrede war. Die junge Leute, Grethe und Olaf, hatten ihr ganzes Geld in den Borghof investiert, daher war es vermutlich finanziell ein bisschen eng im Moment.

„Schaffst du es, ein Pony mehr zu reiten jeden Tag?“ Meyer schaute Emily an.

„Auf jeden Fall schaffe ich das“, sagte Emily schnell, „aber du weißt, wie Mama und Papa darüber denken.“

„Ja, aber wenn du es nur reiten musst und jemand anderes die Pflege und das Ausmisten übernimmt, dann nimmt es nicht so viel Zeit in Anspruch. Siehst du, ich wollte schon länger ein Pferd, um das ich mich jeden Tag ein bisschen kümmern kann und das ich auf Turniere begleiten kann. Vorausgesetzt ich finde den passenden Jockey…“. Er schaute Emily schelmisch an.

„Meyer, was sagst du da? Willst du das Pony etwa kaufen?“ Sie war für einen kleinen Moment sprachlos. „Ist das wirklich so, Meyer?“

„Das weiß ich noch nicht ganz. Wir müssten wissen, ob es auf dem Borghof einen Platz für das Pony gibt und ob deine Eltern es überhaupt erlauben, dass du noch mehr reitest.“

„Wir fragen sie sofort!“ Emily riss ihr Telefon aus der Jackentasche, hatte aber keinen Empfang.

„Mädchen, Mädchen, so eine Angelegenheit klärt man nicht am Telefon.“ Herr Meyer zwinkerte Emily zu.

Erna kam dazu und hörte wie die zwei diskutierten, wie sie es Grethe und Olaf beibringen sollten.

„Wovon sprecht ihr zwei? Bist du dabei ein Pony zu kaufen, Meyer?“ Erna sah milde und fröhlich aus. Sie mochte die kleinen Pferde ebenfalls gerne und sie wusste, wie sehnlichst sich Meyer eines wünschte. Warum also nicht jetzt?

Meyer hob wieder seine Mütze. Der Schweißriemen drückte. Er kratzte sich am Haaransatz. Der Schweiß machte die Haut warm und nass. Emily konnte nicht stillstehen. Sie klopfte den Hals des Ponys, das kaum reagierte.

„Na, was jetzt, Meyer?“

„Also, dein Vater muss sie auf jeden Fall erst sehen und prüfen. Vielleicht hat sie ja versteckte Mängel. Oder Verletzungen an den Beinen. Aber es scheint auf jeden Fall ein ruhiges Tier zu sein, oder was denkst du, Emily?“

„Ja“, das dachte Emily auch. Die würde nicht mal mit den Ohren wackeln, wenn man sie ansprach.

„Naja, es ist auch anstrengend, den ganzen Tag angebunden und ohne Wasser in der Sonne zu stehen.“

Emily wusste nicht, ob sie es zu glauben wagte. Sollte das gescheckte Pony wirklich ihr gehören? Naja, irgendwie ihr gehören.

Da Meyer die Gelegenheit nicht über das Telefon regeln wollte und es schon später Nachmittag war, beschlossen sie sofort nach Hause zu fahren, um mit Emilys Eltern zu reden.

Wo ist Püppi?

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