Читать книгу Leo - Wismeldas Rache - Eva Haring-Kappel - Страница 13

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4. Kapitel

Wir saßen gemeinsam im Pächterhäuschen von Agnes und Günther, die Leo nach ihrer Verwandlung bei sich aufgenommen hatten. Draußen pfiff ein kalter Herbststurm ums Haus und es begann schon, dämmrig zu werden. Drinnen in der Küche war es gemütlich und warm und ein Feuer knisterte im Ofen. Agnes hatte diese Krisensitzung, wie sie es nannte, einberufen und ich fühlte mich nicht wohl bei dem Gedanken, dass es hier um Leos seltsames Verhalten in letzter Zeit und um ihre Zukunft gehen sollte. Ich sorgte mich um das Ergebnis und wo uns das alles noch hinführen würde.

Agnes hatte eine Schale mit Äpfeln und Nüssen auf den Tisch gestellt und ich griff nach einem Apfel, weil mich das Kauen ein wenig von den trüben Gedanken ablenken sollte. Leo wirkte wie meist in letzter Zeit geistesabwesend und schaute mit großen Augen Richtung Fenster. Ich folgte ihrem Blick, konnte aber nichts Ungewöhnliches entdecken. Einige welke Blätter wehten draußen vorbei, der Wind rüttelte an den Ästen der alten Apfelbäume, sodass man ihr Knarren sogar hier drinnen hören konnte. Für einen Augenblick sah man einen Schatten vorbeihuschen.

„Wahrscheinlich Günther“, dachte ich, „der noch etwas im Stall zu erledigen hat.“

Im nächsten Moment schreckte mich Agnes’ Stimme aus meinen Gedanken auf. „Günther kann heute leider nicht bei uns sein, er musste in die Stadt, um für Herrn Rosenberg eine dringende Besorgung zu machen.“

Sofort schaute ich wieder zum Fenster, Wind, Blätter, Apfelbäume, Dämmerung, nichts Ungewöhnliches.

Da fühlte ich Leos dunklen Blick auf mir ruhen. „Felix, du hast richtig gesehen“, erklang es in meinem Kopf, so als spräche sie in meinen Gedanken.

„Ja, aber was habe ich denn gesehen?“, dachte ich.

„Wir sitzen heute hier“, fuhr Agnes fort, „weil ich das Gefühl habe, meinem lieben Ziehkind, meiner lieben Leo, die mir so sehr ans Herz gewachsen ist wie eine eigene Tochter, geht es in letzter Zeit nicht so gut.“ Leo sah nun zu Agnes und es lag Zuneigung in ihren schönen, großen Augen. „Magst du uns nicht sagen, was dich quält? Ich habe dich ja schon mal danach gefragt, Günther hat ebenfalls versucht, mit dir darüber zu sprechen, und ich denke, deinen Freunden ist es auch aufgefallen. Zumindest Anna hat mir schon von ihren Ängsten um dich berichtet.“ Agnes war aufgestanden und legte nun ihre Hände auf deren Schultern. „Willst du uns was dazu sagen, Anna?“

„Ja, ich weiß nicht, wie ich es sagen soll“, begann Wendels Schwester zaghaft, was sonst nicht ihre Art ist, „ich merke einfach, dass du, Leo, nicht mehr so wie früher bist. Die erste Zeit hier bei uns warst du so fröhlich, so glücklich und jetzt ist es, als würde dich etwas bedrücken, als quälte dich etwas. Aber du redest mit keinem darüber. Auch nicht mit mir, obwohl ich bestimmt deine beste Freundin bin.“ Anna schluckte heftig und ich fürchtete, sie würde gleich weinen.

Alle schauten gespannt zu Leo. In diesem Moment sprangen Prinz Edmund und Bella, die alte Mischlingshündin von Agnes und Günther, die bisher still und scheinbar schlafend unter dem Tisch gelegen hatten, auf und rannten knurrend zum Fenster. Nun war unsere ganze Aufmerksamkeit auf die beiden Hunde und das, was sie verbellten, gerichtet.

Da klopfte es an der Tür.

Als Agnes zögernd öffnete, stand niemand davor. „Das war wohl nur der Wind“, murmelte sie etwas verwirrt, nachdem sie hinausgetreten war und sich nach allen Seiten umgeblickt hatte.

Da begann Leo zu sprechen: „Ihr habt ganz recht, es geht mir nicht so gut in letzter Zeit. Es liegt nicht an euch, das möchte ich zuallererst klarstellen. Natürlich habe ich mir das Leben hier ein wenig anders vorgestellt, die Erwartungen an etwas Neues sind meist größer, als es die Realität zu halten vermag, aber ich finde es wunderschön bei euch. Ihr seid alle so lieb und gut zu mir und es macht Spaß, in die Schule zu gehen, die Lehrer, den Franz und seine Freunde und manchmal auch euch ein wenig zu ärgern.“ Leo zwinkerte uns zu. Agnes schüttelte lächelnd den Kopf. „Aber da ist noch etwas anderes.“ Prinz Edmund war an Leos Seite getrottet, saß nun still neben ihr, hoch aufgerichtet, und spitzte seine Ohren, während sich Bella leise knurrend wieder unter den Tisch verzog. „Es ist etwas geschehen, ich bin, wie ihr wisst, ein Mensch geworden und darum ist es mir leider nicht möglich, genau zu verstehen, was es zu bedeuten hat, aber so viel kann ich sagen: Im Reich meines Vaters passieren schlimme Dinge.“

Wir starrten alle wie gebannt auf unsere Freundin. „Was ist denn los, woher willst du wissen, dass da etwas nicht stimmt bei deinen Eltern?“, platzte Georg schließlich heraus.

„Es gibt Zeichen, die ich auch als Mensch unmissverständlich deuten kann“, erklärte Leo. „Ich bin, wie vielleicht manche schon bemerkt haben, offenbar doch nicht vollkommen verwandelt und machtlos. Ein paar Dinge wurden mir nicht genommen und einige meiner alten Kräfte, das spüre ich, kehren nach und nach zu mir zurück.“

Agnes seufzte laut auf. Ich glaube, sie war ziemlich erschrocken und traurig über diese Nachricht und was sie womöglich zu bedeuten hatte.

„Was genau geschieht gerade im Elfenreich? Irgendetwas musst du bemerkt haben, sonst wärst du nicht so in Sorge. Von welchen Zeichen sprichst du denn?“, fragte Anna.

Nachdenklich sah Leo uns der Reihe nach an, so als müsste sie abwägen, was sie uns erzählen konnte und was nicht. „Ihr werdet es nicht begreifen“, sagte sie vorsichtig.

„Mach bitte nicht so ein Theater!“ Georg war schon wieder auf hundertachtzig. „Lass uns selbst entscheiden, ob wir es verstehen oder nicht.“

„Nun gut. Also, wenn ich durch den Wald gehe, zieht es mich oft zu dem Tor, ihr wisst schon, das Tor, durch das ich in eure Welt kam. Es hat sich verändert. Der Rosenbusch ist verwelkt, die Dornen aber sind gewachsen und mittlerweile so groß, dass sie wie kleine Schwerter starr und spitz in den Himmel ragen.“

Wir blickten uns reihum fragend an, es klang bedrohlich, ja, aber es konnte doch auch nur ein Zufall sein. Womöglich war der Rosenbusch einfach alt und seine ganze übrig gebliebene Kraft schickte er eben nicht mehr in duftende Blüten, sondern in seine Dornen. Außerdem war ohnehin Herbst, da wurden doch alle Büsche welk und kahl, oder?

„Ich habe zudem das Gefühl, dass es Versuche gibt, Kontakt mit mir aufzunehmen. Ihr hörtet alle das Klopfen an der Tür. Aber als Agnes nachschauen wollte, stand niemand draußen. Felix hat ebenso wie ich den Schatten gesehen, der vorhin am Fenster vorbeigehuscht ist, und es gibt viele solcher Zeichen, die ich in letzter Zeit beobachtet habe. Prinz Edmund ist meiner Meinung, irgendetwas stimmt nicht.“

„Was willst du tun?“, fragte Anna besorgt. „Können wir dir helfen?“

Leo schüttelte den Kopf. „Nein, ich weiß nicht, was ich tun kann, ich bin selbst ganz ratlos. Aber meine Kräfte, das spüre ich, werden stärker und vielleicht ermöglichen sie es mir, einen Einblick zu gewinnen. Falls ich eure Hilfe brauche, und das kann durchaus der Fall sein, lasse ich es euch wissen. Vorerst aber will ich abwarten, die Zeit in meiner alten Welt vergeht in einem anderen Tempo als hier, so hoffe ich, es wird noch nicht zu spät sein.“

Das klang gar nicht nach der Leonore, die normalerweise mindestens so ungeduldig wie Georg ist. Einfach nur dasitzen und abwarten? Wollte sie uns in Sicherheit wiegen? Wollte sie uns täuschen, weil sie in Wirklichkeit ganz andere Pläne hatte, von denen wir nichts wissen sollten?

Als ich aufschaute, fing ich Annas Blick auf, sie schüttelte fast unmerklich den Kopf. Also hatte auch sie Zweifel. Die anderen jedenfalls schienen mit dieser Erklärung zufrieden zu sein. Diese Schafe, kannten sie Leo so schlecht? Aber ich war mir sicher, etwas hatte begonnen ...

***

Mühsam und laut schnaufend quälte sich der Dachs hinter seinem Nachbarn durch die engen Gänge. Im Vorübergehen zuzelte er rasch an einem Wurmende, das ahnungslos und unvorsichtig von der Decke baumelte, und saugte letztendlich auf diese Art den ganzen beachtlichen Regenwurm in seinen Mund.

„Soooo“, grummelte er zufrieden, „jetzt habe ich wenigstens etwas im Magen. Über der ganzen Arbeit heute hatte ich völlig vergessen, wie hungrig ich war.“


Leo - Wismeldas Rache

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