Читать книгу Was bleibt ist qualvolle Angst - Eva-Luisa Menderes - Страница 6
Mein Vater und seine Mutter
ОглавлениеMit 6 Jahren trug ich die Zeitung im Dorf aus und war richtig stolz darauf. Auch die Schwester meines Vaters, Tante Doris, deren Haus gegenüberlag und man nur einen Berg hochgehen musste, bekam eine Zeitung. Ich machte die Tür auf, legte die Zeitung in die Küche und wollte wieder gehen. Aber auch die Mutter meines Vaters, ‘Oma Marie‘, war dort, obwohl sie bei uns zu Hause lebte. Diese hielt die Türe zu und sagte zu meinen Cousinen:
„Hier ist der Stock, schlagt sie.“
Die vier Kinder meiner Tante waren in meinem Alter und schlugen nun mit dem Stock auf mich ein. Ich schrie, dass tat so weh, doch dann ließ man mich gehen. Hinterher hatte ich überall blaue Flecken. Mein Vater stand gerade im Hof, als ich weinend nach Hause kam und nahm mich in die Arme. Dann erzählte ich ihm alles und er wurde richtig zornig auf seine Mutter. Er meinte, egal ob es regnet oder schneit, denen sollte ich die Zeitung einfach auf den Berg schmeißen, was ich von da an auch machte.
Als seine Mutter dann zum Schlafen rüberkam, machte mein Vater sie so fertig, dass sie tobte und drohte.
Mein Leben wurde ab meinem 6. Lebensjahr zur
Hölle. Die Mutter meines Vaters hat mich bei jeder
Gelegenheit mit ihrem Gehstock geschlagen. Meine Arme waren dann blau und rot verfärbt und geschwollen. Vier Jahre lang war das so. Ich hatte durch diese Frau eine sehr grausame Kindheit. Eigentlich war sie meine Oma, aber die Frau war so böse und hässlich. Ich habe sie nie Oma genannt, das hatte sie nicht verdient.
Ich musste auch oft mit ansehen wie sehr sie meine Mama quälte. Wenn meine Mama bügelte und die gebügelte Wäsche auf einen Stuhl legte, kam die Alte und setzte sich einfach drauf. Dann pupste sie auf die Wäsche, grinste und stand wieder auf. Meine Mama weinte, nahm die Wäsche und steckte sie voller Scham wieder in die Waschmaschine.
Sie klaute den Hühnern die frisch gelegten Eier, machte ein Loch hinein und trank die sie aus. Das leere Ei legte sie wieder unter die Hühner. Sie hat meine
Mama so oft zum Weinen gebracht. Dabei war meine Mama sehr beliebt im Dorf und jeder mochte sie.
Als mein Patenonkel eines Tages auf dem Friedhof half, den Sarg eines Verstorbenen zu tragen, brach er zusammen und war tot. Da weinte meine Mama sehr.
„Ach Eva, jetzt habe ich außer euch Kindern niemand mehr.“ sagte sie unter Tränen und nahm mich in den Arm.
Die Mutter meines Vaters interessierte das Leid meiner Mama nicht.
Aber nicht nur ihre Schwiegermutter, nein, auch die Geschwister meines Vaters und er selber, waren nicht gut zu ihr.
Ich habe bis heute nicht verstanden, wieso und weshalb sie so leiden musste.
Eines Tages sagte mein Vater zu mir:
„Gehe Deine Oma holen. Die ist im Nachbardorf bei
Bekannten.“
Es war zwar am Nachmittag, aber ich doch erst 10 Jahre alt und musste eine Strecke von 4 Kilometern laufen. Als ich bei ihr ankam bemerkte ich, dass sie Schnaps getrunken hatte und bekam Angst. Dann am Waldrand, wir konnten schon unser Dorf sehen, nahm diese alte Frau, die da schon 94 Jahre alt war, ihren Stock und schlug damit auf meinen Arm ein. Ich schrie und weinte, aber diese widerliche Frau hörte nicht auf. Mein Arm wurde immer dicker und alles wurde blau. Ich wusste mir keinen anderen Rat mehr und schubste sie aus lauter Verzweiflung weg. Die alte Frau fiel von der Landstraße in den Graben. Nun rannte ich weinend los, zu meinem Vater und erzählte es ihm. Der machte von außen ein Schloss an die Haustür und fuhr los, um seine Mutter abzuholen. Als sie zurückkamen, schimpfte sie über mich und sagte:
„Das Kind lügt.“
Mein Vater brachte seine Mutter in ihr Zimmer und schloss von außen ab. Sie hat mich als Kind wirklich sehr viel geschlagen.
Ach, wie sehr hasste ich diese Frau und hasse sie jetzt noch. Wenn ich heute noch darüber nachdenke, kommen schlimme Gedanken bei mir hoch.
Zu Ostern, ich wollte mich gerade waschen, da sah ich meinen Vater mit einem kleinen Körbchen in der Hand, als er unter den Bäumen auf der Wiese etwas versteckte. Da ich viel kleiner war, als alle anderen Kinder in meinem Alter, musste ich mich zum Waschen auf einen Stuhl stellen und konnte so aus dem Fenster heraus alles genau beobachten Als ich mit dem Waschen fertig war, stieg ich wieder runter vom Stuhl und wollte in die Küche gehen, als mir mein Vater entgegenkam und sagte:
„Eva der Osterhase war da, ich glaube er hat dir was gebracht.“
Ich schaute ihn lächelnd an und sagte:
„Ja, ich habe den Osterhasen gesehen, der sah aus wie du.“
Da fing er an zu lachen und meinte:
„Na, das hat sich damit also auch erledigt.“
Später am Tage, stand ich mit anderen Kindern aus dem Dorf an einem kleinen Hügel und wir warfen die Eier runter. Das Kind, wessen Ei heile blieb, konnte alle kaputten Eier aufessen. Ich weinte, weil meine Eier alle kaputtgingen und somit weg waren. Traurig ging ich nach Hause und mein Vater sagte:
„Warte ich mache dir ein Ei fertig, das nicht kaputtgeht.“
Nach 30 Minuten gab er mir das Ei, es war gelb und rot. Schnell lief ich zurück zu den anderen und an den folgenden Tagen habe ich viele Eier essen können, denn meines ging nicht mehr kaputt.
Später gab mein Vater zu, dass es ein Gipsei war.
In der Schule war ich die Beste, bis zur fünften Klasse. Doch plötzlich hatte ich keine Lust mehr, machte auch keine Schulaufgaben und blieb zweimal sitzen. Mein Vater verprügelte mich daraufhin so sehr, dass ich kaum noch sitzen konnte. Nun war ich eine Außenseiterin in diesem kleinen Dorf.
Je älter ich wurde, je schlimmer wurde ich. Mit 10 Jahren fing ich an mit den Nachbarskindern zu rauchen.
Wenn einer rauchte, stand ein anderes Kind an der Ecke
Schmiere, damit wir nicht erwischt wurden. Sogar in der Schule rauchte ich heimlich auf der Toilette. Natürlich wurde ich vom Lehrer erwischt. Der sagte es meinem Vater und dieser hat mich dann so sehr geschlagen, dass ich tagelang nicht sitzen konnte.
Aber ich änderte mich nicht.
Manchmal überlege ich heute noch, warum bin ich bloß so geworden?
Da man damals kein Geld von den Eltern bekam, klaute ich immer einige Eier aus dem Stall, ging zum Geschäft um sie zu verkaufen. Von dem erhaltenen Eiergeld kaufte ich mir Zigaretten und sagte der Frau, der der Laden gehörte, die seien für meinen Papa. Doch Wochen später wollte sich mein Vater Zigaretten kaufen und die Frau, fragte ihn erstaunt:
„Warum rauchst du so viel?“
Dabei kam dann raus, dass ich die Zigaretten für mich und nicht für meinen Papa gekauft hatte. Dafür gab es wieder schlimme Schläge.
Einige Wochen später, stand ich mit anderen Kindern aus dem Dorf in der Scheune meines Vaters und wir alle rauchten. Plötzlich liefen alle Kinder weg und als ich mich umschaute, stand mein Vater hinter mir. Vor Schreck ließ ich die Zigarette fallen, aber mein Bruder trat sie schnell aus. Mein Vater nahm mich daraufhin mit ins Haus und verprügelte mich ordentlich.
Meine Mama rief:
„Bitte höre auf, schlage sie nicht weiter.“
Doch diese böse alte Frau, die Mutter meines Vaters, meine so verhasste, angeblich nette, ‘Oma Marie‘ rief:
„Schlage sie tot, schlage sie tot.“
Geraume Zeit später bat mich meine Mama, die ‘Oma‘ zu wecken. Ich ging bis zur Zimmertür und rief nach ihr, aber sie lag im Bett und rührte sich nicht. Dann ging ich vorsichtig in das Zimmer hinein und schüttelte sie, aber diese alte Frau war kalt. Ich rannte zu meiner Mama und sagte:
„Sie ist kalt. Ich verstehe das nicht.“
Dann ging meine Mama in das Zimmer, berührte sie und sagte:
„Sie ist tot.“
Ich tanzte und rief:
„Ja, nun kann sie mich nie wieder schlagen.“
Selbst bei der Beerdigung weinte ich nicht, ich war einfach nur froh.