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3. Kapitel

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Am nächsten Morgen saßen Stern und Grünbrecht in der Gaststube des Brücklwirts und frühstückten. Während Stern drei Semmeln mit Butter und Marmelade auf seinen Teller lud, pickte Grünbrecht, wie erwartet, ein paar Körner aus einer Müslischüssel. Der Chefinspektor hatte schlecht geschlafen. Ihm hatte der Straßenlärm, der ihn in seiner Wohnung in der Linzer Herrenstraße jede Nacht sanft in den Schlaf lullte, gefehlt. Hier war es in der Nacht mucksmäuschenstill. Kein einziger Laut war zu hören gewesen, außer dem Knistern des Bettzeugs. Nun saß er übelgelaunt am Frühstückstisch, woran auch die zweite Tasse Kaffee nichts ändern konnte, während Grünbrecht heiter an ihrem Kräutertee nippte. In solchen Situationen spürte er, dass der Zahn des Alterns an ihm nagte und er nicht mehr ganz so fit und belastbar war wie früher.

»Wir müssen noch mal mit der Pfarrersköchin reden«, sagte er mit vollem Mund.

»Mit dieser Herta Bachmeier?« Grünbrecht blickte kurz von ihrem Haferflockengemisch auf.

Stern nickte, ließ aber keine weitere Erklärung folgen.

»Wollen Sie jetzt doch wissen, welche Gefühle sie gehabt hat, die sie uns eventuell hätte erzählen wollen«, stichelte Grünbrecht und nahm einen weiteren Schluck von ihrem Tee.

»Die Männer von der Stammtischrunde haben gestern gemeint, dass sie alles wüsste, was es in Liebenau zu wissen gibt«, erklärte Stern seine Absichten, ohne auf die Anspielung von Grünbrecht wegen der Gefühle der Pfarrersköchin einzugehen. »Das impliziert auch Fakten rund um den Tod des Pfarrers.«

»Sie haben sich also mit der hiesigen Stammtischrunde angefreundet«, schlussfolgerte Grünbrecht.

»Angefreundet ist zu viel gesagt, aber man kann ja nie wissen, für was das gut ist, wenn man Kontakte in der Bevölkerung knüpft.« Stern biss in die Semmel, die dick mit Butter und Marmelade bestrichen war, und genoss die Süße des Aufstriches. Das üppige Frühstück entschädigte ihn für den schlechten Schlaf.

»Dann holen wir die Bachmeier halt noch einmal zur Vernehmung her.« Grünbrecht trank den Rest ihres Tees aus und stellte die Tasse zurück auf den Tisch. Dann zog sie ihr Handy aus der Tasche und wählte die Nummer des Revierinspektors.

»Plattlbauer!«, meldete der sich nach dem ersten Läuten.

»Guten Morgen, Herr Kollege, hier ist Mara Grünbrecht. Bitte bringen Sie uns doch die Pfarrersköchin zur Vernehmung ins Pfarramt, sagen wir in zehn Minuten?«

Stern bekam große Augen. Eine Semmel lag noch unberührt auf seinem Teller, und er beabsichtigte, sie auf jeden Fall zu verspeisen. Was wusste er schon, wann er das nächste Mal etwas zu essen bekäme? Aber ob er das in der kurzen Zeit schaffte und dann schon im Pfarramt anwesend war, wenn die Bachmeier eintraf, konnte er nicht sagen.

»Gut, dann bis nachher.« Die Gruppeninspektorin beendete das Telefonat und sah Stern an.

»Was?«, fragte er. Ihm war zwar Grünbrechts durchdringender Blick aufgefallen, dennoch wollte er sein Frühstück nicht halb aufgegessen zurücklassen.

»Wir müssen gehen«, erinnerte Grünbrecht ihn an das eben geführte Telefonat mit dem Revierinspektor.

»Ich bin auch gleich fertig.« Stern schob die letzten Reste der zweiten Semmel in seinen Mund.

»Wir haben keine Zeit mehr, Chef. Plattlbauer bringt die Pfarrersköchin in zehn Minuten ins Pfarramt. Außerdem haben Sie eh schon zwei von denen verdrückt.« Grünbrecht deutete auf das letzte verbliebene Gebäck auf Sterns Teller. In ihrer Stimme lag Tadel. Sie stand vom Tisch auf und blieb daneben stehen. Hastig schnitt Stern die Semmel in der Mitte auf, klatschte Butter und Marmelade hinein, trank nebenbei seinen Kaffee aus und legte dann das Oberteil des Gebäcks auf das Unterteil. Wenn dieser Fall in Liebenau noch länger dauerte und er mit Grünbrecht hier zusammen festsaß, würde er bald ein paar Kilos weniger auf den Rippen haben, dachte er wehmütig, wenngleich das seiner Figur nicht schaden würde. Er griff nach der Semmel und verzehrte sie auf dem Weg ins Pfarrhaus.

Als sie durch Liebenau gingen, fiel ihm die Ruhe auf, die heute herrschte. Der Trubel vom Vortag hatte sich aufgelöst. Ein paar Liebenauer standen am Straßenrand und unterhielten sich, wahrscheinlich über den Mord an dem Pfarrer. Stern hatte nicht den Eindruck, dass sie anschließend gestresst weiterhetzen würden, wie es in der Stadt oftmals der Fall war, da man noch rasch dieses und jenes zu erledigen hatte. Die Menschen hier nahmen sich Zeit, um miteinander zu plaudern, auch wenn sie nur den neuesten Tratsch verbreiteten. Desgleichen rollten die Autos gemächlich durch den Ort, als käme niemand zu spät zur Arbeit. Keiner hupte, keine Reifen quietschten. Alle waren freundlich und grüßten einander. Nicht so wie in der Stadt, wo jeder den Kopf wie eine Galapagos-Schildkröte einzog, um vorzugaukeln, man hätte den jeweils anderen nicht gesehen. Manch einer wechselte sogar die Straßenseite, um sicherzugehen, dass auch der andere einen nicht bemerkte. Nicht aber so in Liebenau. Das hier war ein gemütlicher Ort, und die Liebenauer waren scheinbar gemütliche Leute.

»Kommen Sie nun?«, riss Grünbrecht Stern aus seinen Beobachtungen. Er war stehen geblieben, ohne dass es ihm aufgefallen war. Grünbrecht hingegen legte wie gewohnt die typische Umtriebigkeit eines Kriminalbeamten an den Tag, dachte er und ließ den Rest der Frühstückssemmel in seinem Mund verschwinden. Dann folgte er seiner Kollegin.

»Guten Morgen, Herr Chefinspektor!« Dieser freundliche Gruß wurde ihm von einem ihm unbekannten Mann mit Hut und Trachtenhemd mitten auf der Straße entgegengebracht. Auch das war am Land anders. In der Stadt käme niemand auf die Idee, einen völlig fremden Menschen, der einem auf der Linzer Landstraße, Linz’ größter Einkaufsmeile, zufällig über den Weg lief, zu grüßen.

Stern erwiderte den Gruß, was der Mann zum Anlass nahm, ihm auch noch seine von der Arbeit raue Hand entgegenzustrecken und zu fragen, ob es denn schon etwas Neues im Fall des ermordeten Priesters gäbe. Stern ließ sich seine Überraschung nicht anmerken.

»Nein, aber die Ermittlungen haben ja gerade erst begonnen«, antwortete er zurückhaltend. »Darf ich fragen, wer Sie sind?«

»Natürlich, entschuldigen Sie. Ich bin der Ecklbauer. Mir gehört eine Landwirtschaft in Liebenau, gleich dort hinten.« Der Mann deutete Richtung Süden.

»In welcher Beziehung standen Sie zum Pfarrer?«

»Ich bin in die Kirch g’angen, wenn S’ das meinen.«

»Näher kannten Sie den Pfarrer nicht?«

»Bei der Taufe unserer Kinder – da ist er natürlich auch dabei g’wesen.«

»Wann ist das gewesen?« Stern zog seinen Notizblock heraus, um die Fakten aufzuschreiben, die er erwartete, gleich zu hören.

»Vor zehn und zwölf Jahren.«

Stern starrte den Mann einen Augenblick an. »Ist das alles?«

Der Mann nickte. Stern steckte den Block unbeschrieben weg.

»Nach der Kirche am Sonntag, da hört man so einiges. Da reden die Leut miteinander. Fragen S’ mal den Fleischer! Der kann Ihnen vielleicht weiterhelfen.« Der Mann tippte sich zum Abschied an die Hutkrempe und schlenderte weiter.

»Der Fleischer … hm.« Stern zog seinen Notizblock erneut aus der Tasche und schrieb Fleischer darauf, damit dort zumindest irgendetwas stand. Und Ecklbauer schrieb er auch. Ein übrigens sonderbarer Mann, der ihn angesprochen hatte, um einen anderen Spieler auf dem Brett zu positionieren. Aber wahrscheinlich war auch das, wie das ganze andere Zeug, das die Liebenauer bis jetzt zu Protokoll gegeben hatten, für den Fall bedeutungslos.

Stern blickte dem Ecklbauer hinterher und ging dann weiter zum Pfarramt, wo Grünbrecht vor der Tür auf ihn wartete. Gemeinsam betraten sie den provisorischen Vernehmungsraum, wo Revierinspektor Plattlbauer hinter dem Schreibtisch Platz genommen hatte und aufsprang, als er die Kriminalbeamten eintreten sah. Vor dem Tisch auf einem Stuhl saß die Pfarrersköchin. Sie präsentierte sich heute in einem weiteren schrillen Outfit. Ihre Beine steckten in einer giftgrünen Hose, darüber schlapperte eine mindestens um drei Nummern zu große lilafarbene Weste. Darunter trug sie ein rotes T-Shirt mit einer schwarzen Katze auf der Brust. Die Frau passte so überhaupt nicht in diese ländliche Gegend, dachte Stern, und sie passte auch nicht in sein Bild einer Pfarrersköchin. In der Stadt, da fände sie schon ihresgleichen. Aber hier in Liebenau erregte sie bestimmt mehr Aufsehen, als so manchem lieb sein dürfte.

»Guten Morgen«, sagte der Chefinspektor und nahm auf dem Stuhl Platz, auf dem zuvor der Revierinspektor gesessen hatte. Die Sitzfläche war sogar noch warm, fiel ihm auf, und er warf dem ländlichen Kollegen einen maßregelnden Blick zu. Der stellte sich sogleich neben Grünbrecht, als wollte er salutieren, und verschränkte im Rücken die Hände.

»Frau Bachmeier«, begann Stern mit der Befragung. »Sie sind ja die Pfarrersköchin.«

»Ich war die Pfarrersköchin«, stellte Herta Bachmeier richtig. »Wie es aussieht, bin ich jetzt nur noch Köchin.« Ein gequältes Lächeln umrahmte ihre leuchtend rot geschminkten Lippen.

»Sie haben mir bei unserem ersten Treffen nicht alles gesagt«, kam Stern gleich zur Sache.

»Wahrscheinlich haben Sie mir nicht die richtigen Fragen gestellt«, konterte die Frau. Ihre stark mit schwarzem Kajal umrandeten Augen blickten Stern herausfordernd an. Anscheinend wirkte seine ansonsten bei Otto Normalverbraucher oftmals Angst einflößende Erscheinung bei ihr nicht. Stern nahm sich vor, diese Frau genauer zu durchleuchten. Hatte sie ihn bei ihrem ersten Zusammentreffen noch glauben lassen, dass sie die naive Köchin des Pfarrers wäre, so hatte die Stammtischrunde behauptet, dass sie alles wüsste, was es in Liebenau zu wissen gab. Demnach standen die Chancen gut, dass sie auch die Geheimnisse ihres Chefs kannte. Und unter diesem schrillen Outfit könnte ja durchaus eine Mörderin stecken, fand Stern, dem ohnehin alles von der Norm Abweichende suspekt war.

»Dann stelle ich heute hoffentlich die richtigen Fragen«, sagte er schroff.

»Was wollen S’ denn wissen?«, fragte die Bachmeier kokett. Sie ließ sich nicht aus der Ruhe bringen.

»Alles, was erwähnenswert ist. Aber vor allem, ob Ihnen jemand einfällt, der dem Pfarrer das angetan haben könnte.«

Herta Bachmeier blickte auf ihre knallrot lackierten Fingernägel und schien zu überlegen, was sie den Inspektoren anvertrauen wollte.

»Hören Sie, wir werden hier nicht eher rausgehen, bevor Sie nicht meine Fragen beantwortet haben«, stellte Stern klar. »Hatte der Pfarrer irgendwelche Feinde?«

»Also, wenn Sie mich fragen, sollten Sie im Wirtshaus nach dem Täter suchen.«

»Beim Brücklwirt?« Stern war über diese Antwort überrascht. Ein interessanter Schlagabtausch zwischen der Stammtischrunde und der Pfarrersköchin schien sich anzubahnen.

»Ja, beim Brücklwirt.«

»Warum?«

»Alle Mannsbilder gehen doch ins Wirtshaus, so auch der Pfarrer. Und seit einem halben Jahr ist er sogar mehr, als für ihn gut gewesen ist, dorthin gegangen, mindestens jeden zweiten Tag, manches Mal sogar jeden Tag.« Auf der Stirn der Pfarrersköchin bildeten sich missbilligende Falten.

»Was hat er dort gemacht? Hat er sich mit jemandem getroffen?«

Die Frau überlegte kurz, bevor sie antwortete: »Warum geht man denn in ein Wirtshaus? Natürlich, um sich mit jemandem zu treffen. Sich bloß ansaufen könnte man daheim auch.«

»Ich hab gemeint, ob der Pfarrer sich mit jemand Bestimmtem getroffen hat?«, führte Stern näher aus.

»Das weiß ich doch nicht! Ich hab ihn nicht g’fragt.«

»Aber gefallen hat es Ihnen auch nicht.«

»Ein Pfarrer, der ständig im Wirtshaus sitzt … Wem gefällt so etwas schon? Mir nicht, das können S’ mir glauben.«

»Und wie ist der Pfarrer so als Chef gewesen?«, mischte sich Grünbrecht in die Befragung ein. Sie hatte sich dezent im Hintergrund gehalten, wollte aber auch diese Seite der Pfarrer- und Pfarrersköchin-Beziehung durchleuchten.

»Ganz okay, würde ich meinen.«

»Und mit Ihrem … Erscheinungsbild …«, Stern deutete auf die bunten Klamotten der Frau, »hat er kein Problem gehabt?«

»Nein, das ist ihm egal gewesen. Für die Leute, die anders sind und anders denken, hat er schon immer ein offenes Ohr gehabt.« Die Frau strich eine Falte in ihrer Weste gerade und lächelte. Wahrscheinlich dachte sie an so manche Begebenheiten mit dem Pfarrer in dieser Angelegenheit.

»Sein offenes Ohr für solche Dinge hat ihm doch sicher ein paar Kritiker eingebracht.«

Das Lächeln aus dem Gesicht der Pfarrersköchin verschwand. »Davon weiß ich nichts. Mir gegenüber hat er nie etwas erwähnt, dass irgendjemandem das nicht gepasst hätte.«

»Hat der Pfarrer möglicherweise ein Alkoholproblem gehabt?«, fragte Grünbrecht.

»Ist doch irgendwie naheliegend, oder? Wenn einer plötzlich ständig ins Wirtshaus pilgert.« Die Pfarrersköchin redete nicht weiter, aber es war ihr anzusehen, was sie davon hielt.

In diesem Augenblick läutete Sterns Handy. Normalerweise schaltete er es während einer Vernehmung ab, aber hier in Liebenau hatte er nicht damit gerechnet, dass ihn überhaupt ein Anruf erreichen würde, wegen möglicherweise fehlender Handymasten.

»Entschuldigen Sie bitte«, sagte er und blickte auf das Handy. Dominik Weber, der Gerichtsmediziner. Da musste er rangehen. Er stand auf und wischte gleichzeitig über das Display.

»Grüß dich, Weber. Was gibt’s?« Er stellte sich ein wenig abseits, um ungestört telefonieren zu können.

»Grüß dich, Stern. Recht viel Neues gibt es nicht, aber der Pfarrer ist tatsächlich verblutet, so wie ich es dir schon gesagt habe, und zwar durch die Ruptur seiner Halsschlagader. Ein Einstich mit einem spitzen Gegenstand hat sie perforiert, sodass es eine Weile gedauert hat, bis es zum tödlichen Blutverlust gekommen ist. Die beiden Einstiche liegen circa dreieinhalb Zentimeter auseinander, aber nur einer hat die Schlagader erwischt. Der Mörder hat sein Opfer vorher betäubt und demnach ein leichtes Spiel gehabt. Außerdem hat dadurch das Herz weiterhin geschlagen, und das Blut wurde bis zum Exitus aus der Wunde gepumpt, deshalb auch die ganze Schweinerei am Tatort. Der Verlust von eineinhalb Litern Blut führt zu Durst- und Schwächegefühl, die Atmung beschleunigt sich, der Betroffene verspürt Angst. Ich kann nicht sagen, ob unser Opfer davon etwas mitbekommen hat, wir haben Ketamin in seinem Körper gefunden, und das nicht zu wenig. Mit zwei Litern Blutverlust fühlt man sich dann schon verwirrt, schwindelig und verliert schließlich das Bewusstsein. Wenn zu jener Zeit keine Hilfe kommt, erfolgt der Zusammenbruch des Blutkreislaufes.«

»Und die Tatwaffe?«

»Ein langer, spitzer Gegenstand wie eine dünne Stricknadel, ein Stichel, Schraubenzieher, eine Kanüle, etwas in der Art.«

»Stricknadeln und Schraubenzieher gibt es doch in jedem Haushalt. Das schränkt den Täterkreis nicht besonders ein.«

»Nein, da hast du recht. Aber es könnte auch ein Vampir gewesen sein.« Der Gerichtsmediziner lachte am anderen Ende der Leitung.

Stern verdrehte die Augen. »Danke dir trotzdem, Weber.« Dann legte er auf.

»Ich besitze keinen Schraubenzieher, nur Stricknadeln«, sagte Herta Bachmeier wie beiläufig. Sie hatte jedes Wort mitgehört, obwohl Stern während des Telefonats ein paar Schritte zur Seite getreten war. »Aber ich bin mir sicher, dass irgendwo im Pfarrhaus auch ein Schraubenzieher zu finden sein wird. Vielleicht sogar zwei.«

»Dann können wir Sie als Täterin leider nicht ausschließen«, antwortete Stern und wartete gespannt auf die Reaktion der Pfarrersköchin. Die hielt ihm die Hände entgegen und sagte: »Dann sperren S’ mich halt ein! Und Sie kommen gleich mit, weil S’ das Kreuz gestohlen haben.«

»Welches Kreuz?« Stern war verwirrt und sah zuerst die Bachmeier und dann Grünbrecht an. Die zuckte mit den Schultern. Und Plattlbauer hatte sowieso keine Ahnung, was gerade los war.

»Na, das einmal dort hinten an der Wand gehangen hat!« Herta Bachmeier deutete auf die Mauer hinter den Kripobeamten, wo ein heller Fleck in Form eines Kreuzes zu sehen war. Anscheinend hatte das Kreuz viele Jahre dort gehangen, ohne dass es jemand abgenommen hatte. Zumindest, bis sie hier aufgetaucht waren.

»Warum denken Sie, dass wir das Kreuz gestohlen haben?«, hakte Grünbrecht nach.

»Das hat mir die Hintersteinerin erzählt«, kicherte die Bachmeier. »Und Sie wissen schon, dass das unser Herr Jesus Christus ist, Sie Atheisten, Sie! Den kann man nicht einfach verschwinden lassen, nur weil er nicht mehr an der Wand hinter einem hängt. Der sieht dich überall, ganz egal, wo man selber steckt und wo man das Kruzifix hinlegt. Wissen S’ denn gar nichts? Wie wollen S’ dann bloß diesen schlimmen Mord aufklären?« Ratlos blickte Herta Bachmeier unter ihren stark getuschten Wimpern von Stern zu Grünbrecht. Beinahe sah es aus, als hätte sie Mitleid mit den Kripobeamten, die offenbar glaubten, wenn man das Kreuz von der Wand nahm, verschwände auch Jesus. »Wissen S’ was, ich helfe Ihnen!«

Wieder läutete Sterns Handy.

»Wie es aussieht, schaffen S’ das alleine ja sowieso nicht. Außerdem brauchen S’ eine Sekretärin, sonst bringen S’ außer ständig zu telefonieren und Kreuze abzunehmen gar nix zustande«, meckerte die Bachmeier, bevor Stern das Gespräch annehmen konnte. Er starrte auf den hellen Fleck an der Wand und hoffte, dass, wenn es einen Gott gab, ihn der von dieser Frau, die sich gerade zu einer Nervensäge entwickelte, befreien würde.

»Stern!«, brüllte er in das Handy, als träge der Anrufer die Schuld an seiner schlechten Laune.

»Bormann hier. Warum brüllen Sie denn so, Stern?« Der Dienststellenleiter dachte bestimmt, dass Stern noch immer sauer auf ihn war, weil er ihn ins tiefste Mühlviertel geschickt hatte. Jedoch hatte sich der Ärger des Chefinspektors beim Anblick der Leiche auf dem Altar in Luft aufgelöst, da er erkannt hatte, dass hier tatsächlich seine Anwesenheit vonnöten war. Grünbrecht hätte den Fall allein niemals übernehmen können, dafür war sie noch nicht lange genug beim LKA, und außerdem konnte er sich die Fußballspiele der Weltmeisterschaft auch später in der Mediathek des österreichischen Fernsehens ansehen.

»Ach, Sie sind es, Chef. Was gibt es denn?« Stern wusste nicht, ob er sich über den Anruf des Dienststellenleiters freuen sollte oder nicht. Einerseits musste er sich für ein paar Augenblicke nicht mit der Pfarrersköchin abgeben, das machte jetzt Grünbrecht, andererseits bedeutete es nichts Gutes, wenn Bormann persönlich anrief. Bestimmt erkundigte er sich nicht nach seinem Wohlbefinden. Stern sah erneut Unheil am Horizont heraufziehen.

»Wir haben einen zweiten Mord«, ließ Bormann auch schon die Bombe platzen.

»Einen zweiten Mord?«, wiederholte Stern unwillkürlich. Grünbrecht und Herta Bachmeier verstummten. Beide spitzten die Ohren wie Deutsche Schäferhunde. Der Chefinspektor war sich dessen bewusst und verließ den Pfarrsaal. Grünbrecht eilte ihm hinterher. Auf dem Weg zur Tür fragte er: »Wo?«

»Hier in Linz, genauer gesagt im Bergschlösslpark.«

»Gut, wir kommen!«

»Und Stern!«

»Ja?«

»Der Tote ist ein angesehener Weinhändler aus Linz. Er versorgt viele namhafte Restaurants in der Hauptstadt, und hochgestellte Persönlichkeiten aus der hiesigen High Society kaufen bei ihm ihre Weine.«

Die unterschwellige Botschaft des Dienststellenleiters, den Fall diskret zu behandeln, war bei Stern angekommen. »Okay.«

»Da ist noch etwas.« Bormanns Stimme am anderen Ende der Leitung wurde leiser, kam Stern vor.

»Was?«, hakte er nach.

»Er ist auf ähnliche Weise ermordet worden wie der Pfarrer.«

»Wie der Pfarrer in Liebenau?«, wiederholte Stern ungläubig, da er sich nicht vorstellen konnte, wie ein Mord in der provinziellen Abgeschiedenheit mit einem in der Stadt zusammenhängen konnte.

»Natürlich der Pfarrer in Liebenau, Stern. So viele tote Priester haben wir im Augenblick nicht im Angebot.«

»Gibt es konkrete Hinweise, dass die Morde zusammenhängen?«, hakte Stern nach.

»Sie meinen, außer der Todesart? Noch zu früh, um das zu sagen. Aber möglich wäre es schon.«

»Gut, wir sind unterwegs.« Stern beendete das Telefonat und ging zurück in den Pfarrsaal. Er würde Grünbrecht später instruieren. Jetzt war Eile geboten. Wenn es um eine höhergestellte Persönlichkeit ging, kannte sein Chef kein Pardon. Da musste alles wie am Schnürchen laufen.

»Das mit der Sekretärin hab ich durchaus ernst gemeint, Herr Chefinspektor. Und ich … ich wäre jetzt ja frei. Eine Pfarrersköchin ist ohne einen Pfarrer wohl überflüssig. Und Sie sehen aus, als wenn Sie ein wenig Unterstützung brauchen könnten.« Die Stimme der Bachmeier war plötzlich ganz anders als vorhin, so nett und hilfsbereit, was natürlich Sterns Misstrauen weckte.

»Dann halten Sie die Ohren offen, solange wir weg sind. Wir müssen nämlich nach Linz«, sagte er dennoch.

»Noch eine Leiche. Ich hab ja mitgehört.«

Stern nickte. Zu leugnen hatte ohnedies keinen Sinn.

»Bevor S’ aber gehen, geben S’ mir unseren Herrn Jesus Christus zurück. Als gute Christin kann ich den ja wohl nicht in Ihren Händen lassen. Am Ende wird der auch noch in den Mordfall hineingezogen.« Die Pfarrersköchin zwinkerte Stern und Grünbrecht zu. Plattlbauer stand daneben und grinste.

»Dieser Mord geschah vor 2.000 Jahren. Den müssen wir nicht mehr aufklären«, konterte Stern nun seinerseits geschickt, was die Pfarrersköchin zwar respektvoll nicken, aber keinesfalls verstummen ließ.

»Den Mörder hat man zwar gekannt, aber hinter Gitter hat der nie müssen. So etwas soll uns in Liebenau nicht passieren.« Herta Bachmeier stand auf und raffte die Weste vor ihren Brüsten zusammen.

»Glauben Sie mir. Wir werden unser Bestes tun, damit genau das nicht geschieht. Wo waren Sie eigentlich in der Mordnacht?«, fragte Stern nach dem Alibi der Pfarrersköchin, was die jedoch nicht aus der Fassung brachte. Sie schien die Vernehmung sogar zu genießen, als dass sie dadurch Angst bekäme. Wahrscheinlich lag das daran, dass sonst nicht recht viel los war in Liebenau, und nur für den Pfarrer zu kochen und ihm den Haushalt zu führen war halt auch nicht sonderlich herausfordernd für eine Frau wie die Herta Bachmeier, dachte Stern.

»Ich? Na, wo ich immer bin: zu Hause auf meiner Couch. Alleine, wenn Sie es genau wissen wollen, weil die Liebenauer lauter Schlappschwänze sind. An mich traut sich keiner ran. Ich bräuchte einen feschen Städter, so wie Sie einer sind.« Herta Bachmeier klimperte mit ihren langen Wimpern, wandte sich ab und tänzelte Po wackelnd aus dem Pfarrsaal.

Grünbrecht sah Stern belustigt an. »Die flirtet mit Ihnen, Chef.«

»Ach was«, winkte Stern ab. »Für so etwas habe ich nichts übrig. Ich könnte ihr Vater sein.« Stern deutete zur Tür, durch die Herta Bachmeier eben entschwunden war. Doch das war nicht der wahre Grund, warum Stern nichts davon hören wollte, dass die Pfarrersköchin mit ihm geflirtet haben sollte. Sie erinnerte ihn durch ihren blassen Teint, die grelle Schminke und die bunten Klamotten doch sehr an eine Hexe. Vampire und Hexen in Liebenau! Er schüttelte ob dieses Gedankens amüsiert den Kopf und steckte seinen Notizblock ein, auf dem immer noch nicht viel geschrieben stand. Aber er war gespannt, welche Fabelwesen ihn in Linz erwarteten.

»Plattlbauer! Sie halten hier die Stellung!«

Mühlviertler Blut

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