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Kapitel 2
ОглавлениеKatharina greift zum Telefon, wählt die ihr seit Jahren vertraute Nummer von Jasmin, ihrer wichtigsten Freundin. Nach dreimaligem Klingeln meldet diese sich fröhlich: „Schmid, wer stört so früh am Morgen?“
„Hallo Jasmin, ich bin´s… etwas Schlimmes ist passiert. Meine Chefin ist verunglückt und ich habe keinen Job mehr. Ab sofort!“
Die beiden unterhalten sich eine Weile aufgeregt über den Unfall. Dann sagt Jasmin auf einmal: „Oje, dann bekomme ich ja gar nicht mehr die guten Einkaufs-konditionen in der Boutique!“
Katharina seufzt. „Du hast Probleme. Und was wird aus mir?“
„Ach, du findest schon was Neues. Mensch, du musst heute nicht arbeiten, du hast es gut! Ich muss mich jetzt leider mal richten und dann losdüsen. Das Büro wartet! Wir sprechen uns bald. Tschüssi!“ Und legt auf.
Katharina bleibt zurück, ratlos, gedankenversunken, ein bisschen enttäuscht. Als nächstes schreibt sie eine SMS an Tobias, ihren besten Freund.
Guten Morgen Tob, bitte ruf mich kurz an, ich muss etwas Wichtiges mit dir besprechen. Glg K
Er antwortet nicht. Was jetzt? Sie fühlt sich allein und verlassen. Im letzten halben Jahr hatte sie das Alleinsein sehr genießen können, es war ein freies Gefühl gewesen nach einer Partnerschaft, die sich wie Kaugummi in die Länge gezogen hatte und im Laufe der Zeit zäh und klebrig geworden war, ebenfalls wie Kaugummi. Aber an diesem Tag fehlt ein Vertrauter, ein Verbündeter. Sie spürt die Leere.
Eine viertel Stunde später joggt Katharina durch die kühle herbstliche Morgenluft. Die Feuchtigkeit nach dem nächtlichen Regen erfüllt ihre Lunge und erschwert das Atmen. Sie nimmt die Route durch das Neubaugebiet zu den Feldern in Richtung See. Die Gedanken hämmern in ihrem Kopf. Was tun, was tun, was tun. Seit so vielen Jahren hat sie die Arbeit im Modeladen gemacht, meistens ganz gern, auf jeden Fall ohne das jemals zu hinterfragen. Dass es ein Ende haben könnte, hat sie nie ernsthaft in Erwägung gezogen. Mit Frau Wacker war sie gut ausgekommen, und Frau Wacker war erst Mitte vierzig und hatte nie etwas anderes tun wollen als diesen Laden zu führen. Sie selbst, Katharina, einzige Angestellte, ungefähr 10 Jahre jünger als die Boutique-Besitzerin, hatte nicht an sich zweifeln müssen, denn die Chefin war immer zufrieden gewesen, hatte sogar alle zwei Jahre freiwillig ihr Gehalt um jeweils 3% erhöht.
Inzwischen umrundet Katharina schwitzend den See. Einzelne Hundebesitzer sind unterwegs, ansonsten begegnet sie niemandem. Ohne gedanklich weiterzu-kommen, macht sie sich auf den Heimweg, begleitet vom Geräusch des Auftretens ihrer Laufschuhe auf feuchtem Untergrund, dem Zwitschern eines vereinzelten Vogels und dem Rauschen des Verkehrs der nahen Autobahn. Von weitem sieht sie eine Frau, die sich an der Tuja-Hecke eines Gartens mit einer Heckenschere zu schaffen macht. Als Katharina näher kommt erkennt sie Annika Vogel, eine sympathische Kundin, die regelmäßig in der Boutique vorbeischaut und meistens etwas Kleines kauft, ein Shirt, einen Loop, eine Bluse oder etwas in der Art. Diese ruft „Hallo, das ist aber eine schöne Überraschung, dass ich Sie hier vorbeijoggen sehe!“ Katharina und Frau Vogel hatten sich immer mal wieder unterhalten, ab und zu auch über Themen, die man als ins-Privatleben-reichend bezeichnen könnte. Etwas außer Atem bleibt Katharina stehen. „Dass Sie hier wohnen, wusste ich gar nicht. Ist das Ihr Garten?“ Annika Vogel legt die Heckenschere auf den Rasen, streift die Gartenhandschuhe ab und antwortet fröhlich: „Ja, ich wohne hier. Und verzweifle langsam am Herbstschnitt dieser Hecke. Wie schön, dass Sie mich erlösen, ich habe gar keine Kraft mehr in den Armen. Darf ich Ihnen einen Kaffee anbieten? Ich hätte große Lust auf eine Pause in netter Gesellschaft.“
Da Katharina sowieso nicht weiß, wie es weitergehen soll an diesem Tag, lässt sie sich gern darauf ein. Sie folgt Annika Vogel ins Haus und setzt sich in der Küche auf einen Barhocker an ein kleines Stehtischchen, auf dem ein unordentlicher Stapel Zeitungen liegt. Dort steht auch eine halb abgebrannte Bienenwachskerze in einer Tonschale, eine Vase mit einem blühenden Ast von dem Strauch, den Katharina beim Hereinkommen vor der Haustür wahrgenommen hatte, und in der Mitte liegt ein großer interessant geformter Stein. In ihm steckt ein Kugel-schreiber in einem vermutlich vom Meerwasser ge-schliffenen Loch.
„Oh, dieser Stein sieht sehr interessant aus!“ sagt Katharina. „Auch die Farben, schwarz mit braun und weiß, habe ich so noch nie gesehen.“
Annika lächelt. „Den habe ich von meinem Lieblingsstrand in Yport. Das ist ein kleiner Ort in der Normandie, der es mir angetan hat. Ich hab ihn vor einigen Jahren entdeckt und war seither jedes Jahr dort. Mal im Sommer, mal im Frühjahr, auch schon im Winter. Ich liebe das Licht dort, die Wolken, den Wind, die raue Natur, die Ruhe.“
„Klingt wunderbar. Ich war noch gar nie in Nord-frankreich.“ Scherzhaft fügt Katharina hinzu:
„Nehmen Sie mich mal mit?“
„Abgemacht.“ Annika Vogel lacht und sagt schmunzelnd „ Aber nur, wenn wir Du sagen. Einverstanden?“
„Gern“ antwortete diese, „Ich heiße Katharina.“
Sie trinken Kaffee. Und dann wird Katharina ernst und berichtet, was an diesem Tag Schreckliches passiert ist. Annika ist erschüttert. Sie ist zunächst sprachlos. Längere Zeit unterhalten sich die beiden dann über Frau Wacker und ihr enormes Engagement für die kleine, aber feine Modeboutique. Wie schnell das Leben zu Ende sein kann, durch einen unbesonnenen Moment…
Still sitzen die beiden am Tisch und hängen ihren Gedanken nach. Nach einer Weile sagt Katharina:
„Ich bin so durcheinander. Ich weiß gar nichts, nicht einmal, was ich morgen machen soll. Letztes Jahr hat mich Lars, mein langjähriger Freund, verlassen. Ich bin 34, ohne Kinder, ohne Job, ohne Perspektive…“ Tränen treten ihr in die Augen.