Читать книгу Bis wir uns finden... - Eva Wenzel - Страница 4
Prolog
ОглавлениеUrlaub. Zwanzig. Unklarer Beziehungsstatus.
Ich sitze auf dem geschlossenen Deckel einer Toilette und greife fahrig nach beiden Trennwänden neben mir. In meinem Kopf dreht sich alles ein bisschen. Aber nur ein bisschen. So schlimm ist es noch nicht, und dann mache ich die Augen zu. Der rhythmische Klang einer bekannten Housemelodie im Stockwerk über mir dringt gedämpft zu mir durch. Nach mehreren durchtanzten Stunden im Club ‚Overnight‘ höre ich auch fernab der Tanzfläche noch einen sonoren Piepton in meinen Ohren. Und ich habe, so glaube ich, allmählich den Überblick verloren über die Anzahl meiner Getränke. Waren es nun zwei oder sogar drei Cocktail Beach? Jedenfalls war ich noch in der Lage dazu, aufrecht und ohne übertriebene Schlangenlinien den Weg zur Toilette zu finden. Verdammt! Was tue ich hier schon wieder?
Dann fällt mir ein, dass ich dringend mal muss und ich ziehe mich langsam am Türgriff nach oben. Eigentlich ekeln mich diese öffentlichen Toiletten immer etwas an und ich befehle meinen Beinen daher ausdrücklich den Gehorsam, als ich in halb stehender Position meine Blase entleere.
Der Blick in den Spiegel bei den Waschbecken ist erfreulich und ernüchternd zugleich. Marina, meine Freundin aus der Schulzeit und ich verwendeten heute Abend mindestens eine Stunde für das perfekte Makeup für meinen zwanzigsten Geburtstag. Doch nun, durch das ausgelassene Tanzen der letzten Stunden, ist meine Haut im Gesicht erhitzt und fleckig und mir blicken zwei glasige, helle Augen aus dem Spiegel entgegen. Am liebsten würde ich mir jetzt einen Schwall kaltes Wasser über die erhitzte Haut schütten, doch in Sorge um meinen Eyeliner mache ich nur einige Papiertücher aus dem Spender nass und tupfe mir gezielt die Stirn und das Dekolleté ab. Mir ist nach wie vor leicht schwindelig und ich trinke einige Schlucke Wasser direkt aus dem Hahn. Ich befürchte zwar, dass mein Zeitempfinden ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen wurde, doch ich warte besser noch einen Moment, ehe ich mich wieder im Stande fühle, zurück zu meiner Clique zu gehen.
Meine Clique, das sind derzeit Marina, meine langjährige (und beste) Schulfreundin, sowie Sascha (ihr bester Freund), Torben (unser gemeinsamer Freund) und Markus (eigentlich mein richtiger Freund, derzeit sind wir aber in einer Art Selbstfindungskriese – er ist dennoch zu meiner Feier gekommen). Bis auf Markus, er ist schon 23, sind wir alle gemeinsam in einer Schulklasse gewesen.
Mit jeder Stufe zurück auf den Dancefloor >Houseküche< (es gibt auch noch die >Technohalle< und das >R’n’B-Séparée< ) dringt mehr und mehr der lauten Beats in mein verschwommenes Bewusstsein zurück, ich schelte mich innerlich für meinen überschwänglichen Alkoholkonsum und verordne mir ein striktes Verbot für den restlichen Abend.
Im Moment tanzt ungefähr die Hälfte der sich im Raum befindlichen Menschen auf einer runden Tanzfläche, bunt beleuchtet von einigen bunt flackernden Strahlern, doch ich kann meine Freunde nirgends erblicken. Also gehe ich im Slalom um einzelne Grüppchen anderer Cliquen und Paare Meter für Meter in einem großen Bogen um die Tanzfläche, doch auch in den restlichen Ecken sind sie nicht zu finden. Ich krame mein Handy aus der Gesäßtasche, klappe das Display nach oben und tippe ärgerlich eine SMS an Marina.
Hey. Verdammt wo seid ihr?! Stehe in der Houseküche, aber keiner von euch ist hiergeblieben. Melde dich mal. Pee
Unschlüssig, wo meine Freunde derzeit tanzen, taste ich mich an der Wand entlang um nicht zu stolpern nach rechts in den Gang zum R’n’B-Séparée und falle dabei beinahe einem großen Mann in die Arme, der nahezu unsichtbar im Schatten des spärlichen Lichts an der Wand lehnt und mit seinem Handy beschäftigt ist. Ungeschickt remple ich ihm in die Seite und ihm fällt das Handy aus der Hand
>Verflucht, was zum… < er bückt sich eilig und greift nach dem Handy vor meinen Füßen. Als er mit einer tiefen Falte zwischen seinen Augenbrauen schließlich nach dem Übeltäter Ausschau hält springe ich beinahe einen Hops nach hinten und stammle einige Worte der Entschuldigung in seine Richtung.
>Tut mir leid. Ich habe Sie nicht gesehen in der Dunkelheit. < Ängstlich über weitere Reaktionen auf meine Schusseligkeit abwartend stehe ich vor dem Fremden und verschränke meine Arme zum Schutz vor meiner Brust. Er schüttelt verwundert den Kopf, reibt das Display seines Telefons an seiner Jeans ab und seufzt schließlich, bevor er mir direkt in die Augen blickt und zu meinem Erstaunen keine Wut auf mich zu hegen scheint.
>Laufen Sie immer …..? < ein Lächeln umspielt seine Augen. Doch meine Ohren klingeln und aus allen Richtungen tönt eine Mischung verschiedener Lieder in unsere Richtung, so dass ich nicht den ganzen Satz verstanden habe, ich trete einen Schritt näher an den Mann heran und rufe nun beinahe gegen den Lärm an: > Wie bitte? Hier ist es so laut! Ich laufe nicht immer betrunken herum, nein! <
>Ich meinte! < auch er beugt sich näher an mein Ohr herunter und erhebt die Stimme, > ob Sie immer direkt in jemanden hineinlaufen, anstatt ihn einfach normal anzusprechen! <
Ich brauche einige Sekunden, um den Spaß dahinter auszumachen, doch dann hebe ich schnell den Kopf zu einem Nicken und lache ihm ins Gesicht.
Endlich vibriert meine Hosentasche, ich hebe mein Handy kurz hoch, nicke dem Fremden entschuldigend und drehe mich zur Seite, während ich mein Postfach öffne.
Hey Pee, sind in der Bar und trinken was. Ist Markus bei dir?
Meine Stirn wirft sich in Falten.
Nein. Bin alleine. Warum?
Der ist vorhin abgezischt. War irgendwie sauer. Hattet ihr Streit?
Ja.
Was war?
Ach nichts. Ich will mehr, er will das alles so bleibt. Der übliche Kram halt.
Komisch. Echt. Wäre doch praktisch, sich die Miete seiner Wohnung zu teilen. Ich kapier das auch nicht.
Ganz in Gedanken fliegt mein rechter Daumen bereits wieder über das Tastenfeld, da wird mir unangenehm bewusst, dass mein Opfer nach wie vor neben mir steht und anscheinend zur geduldigen Sorte Mann gehört, denn er blickt nur ungerührt auf mein Handy und schüttelt mit erhobenen Augenbrauen leicht den Kopf.
>Sorry. War meine Freundin. Ich wollte wissen wo alle sind, ich war eigentlich auf der Suche nach ihnen. <
>Und, < dabei verlagert er das Gewicht von einem auf das andere Bein > wo sind denn Ihre Freunde? <
>Oh Gott. Sorry, wenn ich Sie schon über den Haufen renne und so unhöflich bin, < daraufhin schiebe ich mein Handy schnell in die Gesäßtasche zurück und wische mir die schwitzende Hand an meiner Jeans ab bevor ich sie ihm entgegenstrecke > Pia. Aber alle nennen mich Pee. Der Rest ist in der Bar drüben. <
>Konrad. < Lächelnd greifen wir einander an den Händen und drücken kurz zu, bevor wir wieder verstummen.
>Also, Pia… Pee. Wenn wir uns schon in die Arme gelaufen sind, trinken wir noch was zusammen? <
Es stellt sich heraus, dass Konrad ein Jahr älter ist als ich, demnächst als Offiziersanwärter nach München ziehen wird und die besten Voraussetzungen erfüllt um mich a) schnell in eine brisante Dreiecks-Lage zwischen meiner ungeklärten Beziehung und b) in eine akute wo-verdammt-finden-wir-endlich-eine-ruhige-Ecke-Notgeilheit zu versetzen.
Leider gesellen sich bald zu meinen bereits zu viel getrunkenen Cocktail Beach auch noch zwei kleine Flaschen Wodka Limonade (und dabei war ich mir vollkommen sicher gewesen, ich hätte den ersten Schwips bereits ausgestanden).
Anstatt die allgemeine Bar (und somit meine Freunde) aufzusuchen, folge ich Konrad in eine der hinteren Ecken in der R’n’B-Lounge und wir lachen heiter über kleine Anekdoten aus seinem Kasernenalltag (unter anderem eine Detailreiche Rekonstruktion einer Tanzaufführung wenig begabter Rekruten bei einer Geburtstagsfeier zum Lied Y.M.C.A der Village People).
Angelegentlich vibriert mein Handy stumm in meiner Tasche, doch ich bin so in meine neue Bekanntschaft versunken, dass ich mich von der neuen Wendung meines Abends in den Bann ziehen lasse und darauf nicht reagiere. (Soll Markus doch alleine in seiner Bude hocken, mir Scheißegal!)
Allmählich verringern sich die bereits spärlich bemessenen restlichen Zentimeter zwischen Konrad und mir zu wenigen Millimetern und ich gebe nach, als er mich dicht an sich zieht.
Durch sämtliche Ritzen neben dem blickdichten Vorhang glitzert der Morgen in das kleine Zimmer, in dem ich gerade aufwache. Und mein Schädel dröhnt. Umpf! Missmutig greife ich mit einer Hand nach meiner Schläfe und stoße dabei mit dem Ellenbogen gegen den verhüllten Hügel neben mir. Mit einem Schlag bin ich wacher und öffne die Augen vollständig. Okay. Pee, wo bist du gelandet?
Langsam kommt leben in den Hügel und ein verstrubbelter Kopf taucht unter der Decke auf.
>Morgen… < Konny, während der Nacht habe ich einen ungezwungenen Kosenamen für meinen Liebhaber entdeckt, streckt sich genüsslich und dreht sich danach in meine Richtung und wir blicken uns unverwandt aus verschlafenen Augen an.
>Hast du Hunger? Ich könnte gerade sonst was verputzen… < dabei kneift er mir neckend durch die Decke in die Seite und ich kichere wie ein Teenager.
>Ja klar. An was hast du denn genau gedacht? < erwidere ich und stütze meinen Kopf auf einer Hand ab, während ich mein Gegenüber mustere. Eisgraue Augen in einem Gesicht von ebenmäßigen Zügen blicken zurück. Seine Kastanienbraunen Haare sind nach Art des Militärs zwar recht kurz geschnitten, dennoch sind sie vom Schlafen zerzaust und einige Stellen sind plattgedrückt. Ich stelle zufrieden fest, dass er auch bei tagesähnlichem Licht eine angenehme Erscheinung ist und rücke ihm noch ein Stückchen entgegen, bis sich unsere Nasenspitzen berühren und sich ein feiner Schauer in meinem Bauch bemerkbar macht.
Wir verbrachten die folgenden Tage entweder in seinem Bett oder streiften, die warmen Sonnenstrahlen genießend, durch Kölns zahlreiche Gassen auf der Suche nach neuen Abenteuern. Es waren unbeschwerte Tage und als wir uns schließlich zum Abschied am Bahnhof in den Armen lagen kullerten mir heiße Tränen über die Wangen. Widersprüchliche Gefühle spielten mit meinen Gedanken, als wir uns die letzten Bekundungen unserer Zuneigung in die Ohren flüsterten. Als Konny schließlich in seinen Waggon stieg und ich endgültig auf mich alleine gestellt den Heimweg antreten musste tat ich dies nur unter größtem Widerwillen und in dem festen Glauben, dass nun die längste und kälteste Winternacht in meinem Kopf entstehen wird, die ich je gespürt hatte.
Marina, die mich in den letzten Tagen nicht erreichen konnte, passte mich just in dem Moment an meiner Wohnungstüre ab, als ich traurig nach Hause kam und hielt mir eine gehörige Standpauke (Was habe ich mir bloß dabei gedacht einfach so von der Bildfläche zu verschwinden und für mehrere Tage kein Lebenszeichen von mir zu geben). Und so zog ich meine Freundin in meine kleine Junggesellen-Wohnung (Eine 40-Quadratmeter-Ein-Zimmer-Küche-Bad-Wohnung-für-unschlagbar-günstige-400-Euro-Warmmiete im Haus eines alten Ehepaares, welches glücklicherweise mit dem Mietpreis-Wahnsinn der restlichen Stadt nichts anfangen konnte und den Mietspiegel von gefühlt 1980 für angemessen hielt – ich war beiden auf ewig dankbar dafür).
>Und was ist mit Markus? < Wir hockten uns im Schneidersitz auf meiner bequemen, aber kleinen, Bettcouch gegenüber und nippten an unseren Milchkaffees. Bei Marina konnte ich mir sicher sein, dass der Moralapostel zwar stets am Anfang ihrer Inquisition die Oberhand an sich riss, die hohe Tugend aber schnell einer Beste-Freundinnen-Sensationsgier wich und ich schilderte ihr zum gefühlt tausendsten Mal die zahlreichen Wendungen und Verstrickungen der Teenagerliebe zu Markus, die jüngst in der tiefen Erkenntnis gipfeln musste, dass wir einfach nicht für eine gemeinsame Zukunft geschaffen waren. Als dieses Kapitel vorerst abgehakt schien, löcherte sie mich nun über Konny und die letzten Tage.
Eine Woche später erhielt ich einen Brief von Konny und zerriss bereits auf dem Weg in meine Wohnung den Umschlag, so gespannt war ich auf seine Worte.
Hallo Pee (ich hoffe, das ist jetzt richtig geschrieben, oder wäre >Pi< die korrekte Schreibweise?)
Mein Herz klopfte mir wie wild gegen die Brust, als ich eilig Zeile um Zeile verschlang. Er berichtete von kilometerlangen Jogging-Strecken mit Gepäck, davon, wie er sich kurz vor dem Ziel auch noch den Knöchel verstaucht hatte und dennoch bis zum Schluss weiterkämpfte und dabei sogar seinen Rucksack aufbehielt. Es folgten Zeile um Zeile detailreiche Beschreibungen des geregelten Alltags in seiner Grundausbildung und welch hohe Stücke er auf seine Kollegen hielt. Immerhin folgten, ganz zum Schluss, doch noch einige persönliche Worte zum Abschied. Doch nichts deutete darauf hin, dass wir noch vor einigen Tagen unzertrennlich waren und ich ließ den Brief neben meinem Bett auf den Boden segeln. Unsere Begegnung könnte nun sensationsreich unter dem Titel Freundschaft mit gewissen Vorzügen verfilmt werden. Es war nicht das, was ich erwartet hatte. Und es riss mir den Boden unter den Füßen weg.
Danach war es die Badewanne, die bei mir das Fass zum Überlaufen brachte. Genau genommen war es nicht die Badewanne selber, sondern ein Duschgel von Markus, das dort noch herumstand und mich hämisch anzugrinsen schien als ich im heißen Wasser zusammenkauerte und mir die Seele aus dem Leib heulte. Was hatte ich mir nur dabei gedacht, Markus ganz ohne ein Wort bei meiner Feier stehen zu lassen und danach für mehrere Tage mit einem wildfremden Kerl unterzutauchen? Das wacklige Gerüst an Plänen, dass ich noch vor einiger Zeit so dringend zusammenzuzimmern versucht hatte (endlich mit Markus zusammenziehen, den nächste Schritt in ein erwachsenes Leben einleiten) erschien mir mit einem Mal unwirklich und irrwitzig angesichts dessen, was in den Letzten Tagen einfach so passiert ist. Und nun stand ich da vor meinem Scherbenhaufen von Leben und Zukunft und starrte immer noch Ratlos auf die nutzlose Flasche Duschgel auf dem Wannenrand.