Читать книгу Bis wir uns finden... - Eva Wenzel - Страница 7

Drei

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Mein Orientierungssinn lässt zu wünschen übrig. Tamara und Mike, mein Mitbewohner-Pärchen, verursachen in der Küche einen derartigen Lärm, der mich unsanft zurück in das Hier und Jetzt reißt. Wie viel Uhr ist es überhaupt? Meine Augen sind vom Schlaf verklebt und ich blinzle angestrengt gegen das einfallende Sonnenlicht auf der Suche nach meinem Wecker. Fast zwölf. Ich stöhne und robbe unter meiner Decke aus dem Bett. Zerzaust wie ein Urmensch angle ich mit meinen Zehen nach den Hausschuhen und stehe auf. Auf dem Weg ins Bad grunze ich ein guten Morgen in Richtung Küche und verschließe den Riegel der alten Türe hinter mir. Auf dem Klo sitzend stöhne ich meinen Frust in die Stille – ich habe Kopfschmerzen und einen steifen Nacken vom Liegen. Langsam drehe ich mein Genick in alle Richtungen um der Verspannung Herr zu werden.

Ich verzichte auf den obligatorischen Blick in den Spiegel und schütte mir direkt mehrmals mit den Händen kaltes Wasser ins Gesicht. Das trockene Gefühl in meinem Mund ekelt mich an. Eilig drücke ich einen Spritzer Zahncreme auf meine Bürste und schiebe sie mir in den Mund. Während meine Hand im Autopiloten-Modus zu kreisen beginnt betrachte ich kritisch meine rotgeränderten Augen im Spiegel. Ich bin es einfach nicht mehr gewöhnt mir die Nächte um die Ohren zu schlagen. Ich spucke den Schaum ins Waschbecken und spüle Pflichtschuldig die Reste mit Wasser ab. Nach dieser Notfallbehandlung fühle ich mich sofort besser und taste prüfend nach meinem Nacken auf der Suche nach verräterischen Knoten unter der Haut. Die Verspannung beginnt sich Gott sei Dank zu lösen. Ich verlasse das Bad und geselle mich zu meinen Mitbewohnern.

Tamara angelt mir kameradschaftlich eine große Kaffeetasse aus dem Schrank und schiebt mir anschließend die Kanne mit dem frisch aufgebrühten Kaffee entgegen. Stöhnend sinke ich auf das abgewetzte Polster der Sitzecke. Anders als meine Mitbewohner bin ich ganz und gar kein Spätaufsteher. Im Gegenteil – bleibe ich zu lange im Bett bekomme ich einen steifen Nacken und Kopfschmerzen. Meine Lebensgeister kommen allmählich zum Vorschein, als der Duft des heißen Getränks in meine Nase steigt. Jetzt noch ein Löffel Zucker und Milch und ich beuge mich verschlafen über meine Tasse für den ersten großen Schluck. Mike fährt in seiner Unterhaltung fort und ich blicke gedankenverloren aus dem Küchenfenster. Ich bin jetzt ohnehin nicht zum Sprechen aufgelegt und so beachten sie mich nicht weiter. Das ist das einzig Gute an meiner WG. Wir hegen zwar Sympathie füreinander, kommen aber genauso gut auch ohne viele Schnittpunkte aneinander vorbei wenn uns nicht danach ist. Und so schnappe ich mir meine Tasse und verlasse den Tisch in Richtung Wohnzimmer. Unterwegs ziehe ich mein Smartphone aus der Tasche und checke meinen Posteingang. Mehrere Messages bei WhatsApp. Fast alle von gestern – Sarah und Bastian haben mir jeweils eine kurze Nachricht um kurz vor fünf geschickt. Nur eine Nachricht stammt von heute Morgen. Ebenfalls Bastian.

Nachricht von >Basti<, gestern um 16:55

Wann kommst du genau?

Gut, diese Frage hat sich wohl bereits erledigt.

Nachricht von >Sarah<, gestern um 22:14

Wie lange möchtest du mich eigentlich noch auf die Folter spannen?

Nachricht von >Basti<, heute um 10:20

Bitte. Lass uns das nicht alles hinschmeißen. Ich will reden. Melde dich.

Gibt es bei verlassenen Männern eigentlich einen Radar, der ihnen im garantiert besten Moment signalisiert, dass sich Konkurrenz im Anmarsch befindet? Wohl kaum, aber das Timing könnte schlechter kaum sein. Ich runzle entnervt meine Stirn und vertage die Antwort auf einen späteren Zeitpunkt. Ich halte noch immer meinen Kaffee in der anderen Hand und trinke noch schnell einige Schlucke, bevor ich die Tasse auf dem Couchtisch abstelle. Jetzt erst wage ich einige verträumte Gedanken an den Abschied von Alex.

Natürlich hatte er sein Wort gehalten. Gegen die Kälte gab er mir einen dicken Pullover aus seinem Schrank, ehe wir uns gemeinsam auf den Weg zu meinem Parkplatz machten. Wie vorbestimmt hielten wir auf dem ganzen Weg Händchen, doch trotz einem klaren Kopf vom Fußmarsch war ich immer noch nicht zu einem Gespräch in der Lage. Ihm schien es ähnlich zu gehen. Auch er schwieg beharrlich, doch die Stille zwischen uns fühlte sich wie kurz zuvor nicht nach Sprachlosigkeit an. Es war komisch, sich so vertraut zu fühlen ohne ein Wort zu wechseln.

Das kannte ich von Bastian nicht. Unsere Beziehung bestand von Anfang an aus stundenlangem Gequatsche und wir konnten wirklich aus jedem Thema eine Diskussion entstehen lassen. Wenn wir schwiegen, empfand ich die entstandenen Pausen eher als Bedrückend. Dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Was hätten wir auch in zweieinhalb Jahren des Telefonierens auch anderes mit uns anfangen sollen? Natürlich liebten wir uns innig. Zahllose Wochenenden beendeten wir mit Tränen am Bahnsteig und unsere Gefühle waren stets aufrichtig. Doch etwas hatte sich verändert zwischen uns.

Zum ersten Mal konnte ich vor meinem inneren Auge Revue passieren lassen, dass wir zwar immer über alles miteinander sprechen konnten – doch stets jeden Streit gemieden hatten in all den Jahren. Und jetzt, nach meinem Umzug in die fremde Stadt, was naturgemäß zu zig Konflikten geführt hatte – erschraken wir beide bis ins Mark als uns diese Wendung in unserer Beziehung bewusstwurde.

Kurz vor unserem Abschied übermannte uns die Lust aufeinander ein weiteres Mal. Alex lehnte mit dem Rücken an meinem Auto, während ich mich tief in seine geöffnete Jacke kuschelte und wir mit unseren Zungen auf die nächste Suche nach unausgesprochenen Antworten gingen.

Bei dem Gedanken an seine weiche Haut und den guten Duft seines Parfums auf dem Grübchen unter seinem Kinn übermannt mich ein wohliger Schauer. Er ist so ganz anders als Bastian.

Basti....er ist vom Typ her eher für Anzüge und den seriösen Auftritt bestimmt. Nur wenig größer als ich, aber von feiner Körperstatur und einem grauen Schimmer an seinen Schläfen in den ansonsten kastanienbraunen Haaren. Wortgewandt und intelligent. Braune Augen mit grünen Sprenkeln. Ich erinnere mich noch genau an seine Mail mit dem ersten Foto von sich. Viele weitere sollten folgen, ehe wir uns zum ersten Mal besuchten. Damals konnte ich absolut nicht verstehen, was so ein toller Mann an mir grauer Maus finden würde.

Ich war ein echter Spätzünder und mit 27 auf der Suche nach ‚dem Richtigen‘ - wenn ich geflissentlich über meine verkorkste erste Beziehung und einige kopflose Abenteuer hinwegsehe. Doch dann fasste ich mir endlich ein Herz und meldete mich einfach bei der erstbesten Dating-Plattform an und erhielt prompt zahlreiche Mails.

Schnell bekam ich ein Gefühl dafür, welchen Mitteilungen ich meine Aufmerksamkeit besser nicht schenken sollte und weckte mein Talent fürs Flirten wieder auf. Zu Hause fühlte ich mich sicher. Es folgten wenig ernst gemeinte Treffen mit beliebigen Usern zum Kaffee, wenn sie aus derselben Gegend stammten wie ich. Doch von Anfang an konnte ich die tiefgreifenden und lustigsten Mails mit Bastian austauschen. Er schmeichelte mir, als ich ihm mein erstes Selfie mailte und mein Schneckenhaus begann langsam zu zerbröckeln. Ein gutes Vierteljahr nach unserer ersten Mail war es dann endlich soweit.

Es war einer dieser nasskalten Tage im November vor drei Jahren, als ich Sebastian zum ersten Mal begegnete.

Die Temperatur lag knapp um den Gefrierpunkt und der Regen konnte sich nicht entscheiden, ob er nun Schnee werden will oder doch lieber weiter von schräg vorne in mein Gesicht prasseln soll. Mir war schon wenige Sekunden, nachdem ich den Zug verlassen hatte, sterbenskalt und erschrocken stellte ich fest, dass der Bahnsteig an meinem Zielbahnhof von allen Menschen verlassen war. >Verdammt!< murmelte ich leise in meinen dicken Schal, den ich um meinen Hals gewickelt hatte und der nun bis über meine Nase mein Gesicht vor dem Wetter schützte. Ich stopfte die eine behandschuhte Hand in meine Jackentasche und zog mit der anderen meinen Rollkoffer hinter mir her in Richtung Bahngebäude. Auf welche blöde Idee musste ich schonwieder kommen? Ich blickte auf die Uhr am Bahngleis und stellte fest, dass ich – inklusive der üblichen Bahnverspätung – seit fünfzehn Minuten mit Sebastian verabredet war, von ihm aber jede Spur fehlte. Ganz der Optimist, beschloss ich zunächst im wärmeren Gebäude still zu warten anstatt gleich – wie ein Stalker – seine Nummer zu wählen und ihn auszuquetschen wo er denn bleibt. Als ich nach weiteren zehn Minuten aber immer noch kein Lebenszeichen von ihm bemerkte zog ich mein Handy hervor und wählte zittrig seine Nummer. Hinter mir setzte ein Klingelton ein und ich erschrak zu Tode. Sekunden später ergriff er mit seiner Hand meine Schulter und ich drehte mich um. Da stand er also, und ich war einfach nur hin und weg. Mit zittrigen Knien stand ich auf und blickte direkt in bekannte, aber unvertraute braune Augen. Er lächelte mich schüchtern an und drückte mir schnell einen Kuss auf meine unterkühlte Wange. >Hi< brachten wir gleichzeitig hervor und lachten kurz. Es war für uns beide eine Premiere. Bislang kannten wir uns nur aus – gefühlt – tausenden von Emails und kaum weniger Telefonaten. Durch uns wurde die Telekom quasi zum Weltkonzern, könnte man sagen. Nun standen wir mitten in einer Wartehalle schüchtern voreinander und drucksten wie zwei Teenager herum. Keiner konnte mehr sagen als dieses schüchterne 'Hi'. Um mit der Situation zu brechen ergriff Sebastian schließlich den Griff von meinem Koffer und erklärte mir schließlich, was ohnehin geplant war. Ich hatte Urlaub, er hatte Urlaub. Ich besuche ihn damit wir endlich Klarheit bekommen über unsere E-mail- und Telefonromanze. In diesem Augenblick rutschte mir bereits das Herz in den Bauch und wummerte dort vom ersten Moment an zusammen mit zig Millionen Schmetterlingen um die Wette. Wie konnte so etwas gehen? Ich hatte zuvor noch keinen richtigen Freund außer Markus – der genaugenommen mehr eine On-und-Off-Beziehung unter Teenagern war und folglich auch keinen wirklichen Vergleich für derlei Gefühle. Mein Bauch krampfte sich zusammen, doch es entstanden keine Magenkrämpfe. Es rumorte und blubberte und irgendwie fanden wenig später auch unsere Hände zusammen, als er mit mir zusammen zu seinem Auto marschierte. Die Fahrt nach Hause verbrachten wir schweigend.

Wir saßen uns mit zwei Tassen Tee an seinem Küchentisch gegenüber und grübelten wohl jeder für sich nach den passenden Worten, als ich eine weiche Berührung an meinem Schenkel spürte. Die kleine schwarz-weiße Katze strich mir buckelnd an der Wade entlang und machte einige leise Brummgeräusche. Automatisch tastete ich nach dem weichen Pelz der Katze und begann ihr den Kopf zu kraulen. Sebastian beobachtete mich währenddessen lächelnd über den Rand seiner Tasse hinweg und freute sich über die gegenseitige Sympathie zwischen seinem Haustier und mir. Ich begann mich zu entspannen und wenig später fanden wir uns doch zurück in einer angeregten Unterhaltung über meine weite Fahrt von Köln nach Balingen in Baden-Württemberg.

Nachdem Sebastian mir kurz sein Haus gezeigt hatte welches er alleine bewohnt – seine Eltern leben beide leider nicht mehr – beendete er schließlich seine kleine Runde vor der Badezimmertüre und knipste mir das Licht an. Es ist geschmackvoll in hellen Tönen eingerichtet. Er hatte das Haus erst vor wenigen Jahren renovieren lassen und ich fühlte mich sofort wohl in dem angenehm beheizten Raum. Schnell holte ich meinen Kulturbeutel und nahm dankend einen kleinen Stapel verschiedener Handtücher in Empfang, bevor er hinter mir die Badezimmertüre zuzog und mich in dem mittelgroßen Raum alleine mit mir und meinen Gedanken ließ.

Unter der Dusche blätterte nach und nach der lange Tag von meinem Herzen ab und ich konnte mich besser auf die fremde Umgebung einlassen. Alles war fremd. Nein. Nicht alles. Sebastian kannte ich schon einige Monate. Und dennoch...kam ich mir vor, als wäre ich fremd gestrandet ohne zu wissen wo ich bin. Mir fehlte der Fixpunkt. Da klopfte es vorsichtig an der Türe und ich erschrak. >Ja?< ich musste die Brause abdrehen und erschauderte von einem kühlen Lufthauch auf meiner Haut. Keine Antwort. Plötzlich öffnete sich meine Duschkabinentüre einen Spalt weit, ich quiekte erschrocken und drehte mich um. Er hatte die Türe nicht komplett geöffnet. Gott sei Dank! Doch ich erkannte durch den Spalt, dass er nur mit einem Bademantel bekleidet war. Mich fröstelte. Natürlich hatten wir über derlei Dinge schon ausführlich gesprochen in unseren Telefonaten. Was wäre wenn... und so weiter. Und der was-wäre-wenn-Moment schien nun eingetroffen zu sein. Mir stellten sich plötzlich alle Härchen auf der Haut auf als ich das realisierte. Dennoch musste ich etwas sagen. Blöd nur, dass ich gleichsam kein Wort herausbrachte. Also drückte ich ihm nur die Türe entgegen und bat ihn herein. >Komm. Mir wird kalt. Ich will wieder die Brause aufdrehen. < Flink schälte er sich aus seinem Mantel und stieg zu mir unter die Dusche. Als erneut warmes Wasser über meine Haut perlte und nach und nach auch Sebastian klatschnass wurde ergriff ich beherzt die Initiative und tastete nach der Tube mit seinem Duschgel, die ich vorhin schon entdeckt hatte, und gab einen Klecks auf meine Handfläche. >Soll ich? < zwischen nassen Wimpern und unter einem heißen Strahl mit Wasser entging mir zwar sein exakter Gesichtsausdruck, aber gewisse andere Regungen blieben mir nicht verborgen. Schweigend mussten wir diesen neuen Status unserer Beziehung erst verdauen, daher verbrachten wir eine gefühlte Ewigkeit nur damit uns gegenseitig die Haut mit Duschgel ein zu schäumen. Flüchtige Berührungen unserer Wangen aneinander ließen uns zusammenzucken. Ich bemerkte, dass ich immer noch eine Gänsehaut hatte, auch wenn das Wasser nach wie vor heiß auf uns beide herab prasselte. Ich leckte mir verstohlen über die Lippen und zog die untere zwischen meine Zähne. Jetzt griff Sebastian nach meinen Händen und verschränkte seine Finger mit meinen. Er trat näher an mich heran und lehnte seine Stirn an meine. Braune Augen blickten mich zwischen nassen Wimpern an. Ich blinzelte und senkte den Blick auf seinen Körper. Nasse, dunkle Brusthaare auf einem schlanken Oberkörper. Wir waren ungefähr gleich groß, mit einem leichten Bonus für ihn. Und darunter ein straffer Bauch. Sportlich schlank, aber kein Krafttraining hatte er mir erzählt, und es stimmte. Ich löste meine Finger aus seinen Händen und legte sie vorsichtig auf seiner Brust ab. Alles fühlte sich neu an. Wieder eine Gänsehaut. Danach wagte ich endlich einen Blick auf seinen Penis. Ganz ohne mein Zutun ragte er zur Hälfte empor. Ich schaute schnell wieder nach oben und blickte erneut in seine Augen. Diesmal erkannte ich die kleinen Lachfältchen in seinen Augenwinkeln und errötete, weil ich mich ertappt fühlte. Ja, er war deutlich älter als ich. Aber das war mir irgendwie von Anfang an egal. Im Gegenteil, ich war verwundert, als er mir damals sein Alter gestanden hatte. Dreizehn Jahre. Phu. Und dennoch waren sie mir weder bei unseren ersten Gesprächen, aber auch jetzt nicht, bewusst. Wir schwiegen weiterhin, und dennoch sprachen wir miteinander. Unsere Hände wanderten langsam über des Anderen Haut. Seine Augen suchten ein ums andere Mal meinen Blickkontakt und nach und nach wusch das heiße Wasser die letzten Zweifel von uns ab. Als wir schließlich aufgeweicht und dampfend aus der Dusche stolperten kicherten wir wie zwei Teenager, als uns sein Bad als Dampfgrotte bewusstwurde, doch er drehte nur die Heizkörper ab, stellte ein Fenster auf Kipp und zog mich – keine Widerrede duldend – hinter sich her in sein Schlafzimmer.

Bis wir uns finden...

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