Читать книгу Bis wir uns finden... - Eva Wenzel - Страница 6
Zwei
ОглавлениеKurz vor fünf Uhr. Angespannt verlasse ich mein Auto in Richtung seiner Haustüre. Tief einatmen. Sei stark! Mein Selbstwertgefühl nach dem gestrigen Streit liegt zwar noch immer in einem desolaten Zustand in einer Ecke meines Bewusstseins, doch ich lasse mir nichts anmerken und klopfe leise an seiner Haustüre. Wie erwartet öffnet sich sofort die Türe und Sebastian steht, nur mit seinem Hausanzug bekleidet, vor mir.
>Komm rein< er weicht einen Schritt zur Seite und ich schiebe mich an ihm vorbei, sorgfältig darauf achtend, ihn nicht zu berühren. Ich bemerke die Gläser und Getränke auf dem Esstisch und warte nicht auf seine Einladung, sondern schlendere gelassen zur Küchenbank und nehme ungefragt Platz. Er will reden? Gut. Hier bin ich. Mein kämpferisches ich bezieht Stellung im Schützengraben.
>Du hast mich um ein Gespräch gebeten. Was willst du mir sagen?< um einen unnahbaren Ausdruck aus meinen graugrünen Augen bemüht suche ich seinen Blick und schweige eisig. Bastian ergreift wortlos eine der Flaschen und mischt mir ungefragt mein übliches Lieblingsgetränk – eine trübe Apfelschorle – in mein Glas. Er wirkt bedrückt, schweigt aber weiterhin. Schließlich schiebt er mir das Glas entgegen und schenkt sich selber Sprudel ein. Was wohl in seinem Kopf vor geht? Ich kann sein Verhalten nicht so recht einordnen und beschließe, ihm weiterhin die kalte Schulter zu präsentieren.
>Pia. Es tut mir leid. Ehrlich< er verzieht den Mund zu einem schiefen Lächeln. Das hast du heute Morgen schon gesagt. Sebastian! Ich lehne mich zurück und betrachte ihn eingehend, dabei drehe ich mechanisch mein Glas auf der Filzunterlage im Kreis.
>Ich denke, dass glaube ich dir sogar, Bastian. Nur ändert das wohl kaum unser zentrales Problem. Oder irre ich mich etwa?< wenn es nach mir geht, sind unsere Fronten klar positioniert und die Schützengräben auf beiden Seiten derzeit derart hoch, dass ich ihn noch nicht einmal erklimmen könnte wenn ich auf eine Leiter steige.
>Also...< ich halte theatralisch die Luft an, ehe ich fortfahre >es ist nicht direkt so, dass ich dich als Freund nicht mehr möchte, aber so kann und will ich nicht mehr weitermachen. Dann bleibe ich lieber alleine. Und das ist mein Ernst< wie ich ihn so vor mir sitzen sehe, den Tisch als unüberwindbares Hindernis zwischen uns, bildet sich ein dicker Kloß in meinem Hals. Dieses Gespräch wird wahrscheinlich unser Ende bedeuten, auch wenn mir sekündlich mehr und mehr bewusstwird, dass ich doch noch Gefühle für ihn habe. Ich schlucke trocken und mein Hals fühlt sich immer noch an, als wäre er zugeschnürt. Doch mit Liebe alleine komme ich hier nicht weiter, jetzt muss auch mal die Vernunft entscheiden. Sechs Monate abwarten, hoffen und reden liegen hinter mir. Nun sitzen wir in seiner Küche und starren uns unverwandt in die Augen. Ich bemerke, dass er seine Kiefer aufeinanderpresst, während er mir direkt in die Augen blickt. Er überlegt. Der Teil in mir, der noch liebt, schreit stumm bei diesem Anblick. Es ist schwer, ihn so vor mir zu sehen, doch meine Amazone metzelt jeden Impuls nachzugeben gnadenlos nieder. Auch in ihm tobt ein Kampf. Das sehe ich in seinen Augen. Dass ihn lange vor meiner Zeit genau dieser Wunsch nach einer gemeinsamen Zukunft fast jeden Nerv gekostet hatte – soviel weiß ich von Anfang an. Doch ich bin nicht seine kontrollsüchtige Ex, und nach nunmehr drei Jahren des mühsamen Aufbaus einer Zukunft mit diesem Mann und der Hoffnung darauf, dass er endlich mal seinen verdammten Ballast abwerfen wird für mich...
>Pia...< er wirft mir einen verzweifelten Blick aus seinen braunen Augen zu. Seine freie Hand ballt sich zur Faust.
>Du kennst meine Bedenken in dieser Sache...Das ist nicht leicht für mich.<
Ich schnaube verärgert. Noch während ich an einer schlagkräftigen Antwort feile ergreift er erneut das Wort und entspannt seine geballte Faust. Er sucht den Weg zu meinen Händen, die gegenwärtig das Glas umfassen, doch ich weiche zurück vor ihm.
>Ich weiß, was du auf dich genommen hast für eine gemeinsame Zukunft. Der Umzug, der Jobwechsel, das alles war viel für dich...Aber ich brauche noch Zeit. Ich habe Angst davor meine Freiheit hier aufzugeben und wieder im Alltag zu versumpfen. <
Genervt verdrehe ich die Augen bei seinen Worten und mir entfährt ein leises Stöhnen. Was ist nur aus dem sensiblen Mann geworden, der in – gefühlt – tausenden von E-Mails und stundenlangen Gesprächen am Telefon so viel Seele zeigen konnte. Mir ist, als spreche ich mit einem anderen Menschen! Das hier ist nicht der Sebastian, der mich noch vor drei Jahren durch feinfühlige und humorvolle Gespräche langsam aus meinem Schneckenhaus gezogen hat und mich schließlich alle Vorurteile über Bord werfen ließ – nur um für immer bei ihm zu bleiben. Es ist, als fehlt ihm für das wahre Leben da draußen der entscheidende Funke, der den Scheiterhaufen seiner tollen Ideen und Träume mit mir entzünden kann. Auf dieses Leuchtfeuer warte ich jetzt seit einem halben Jahr. Und ich weiß mir ehrlich gesagt keinen anderen Rat mehr als verzweifelt das Weite zu suchen. Sonst fürchte ich, selber wieder in meinem persönlichen Schneckenhaus zu enden. Ich fühle jeden Tag ein bisschen mehr, dass ich ein anderes Leben brauche.
>Sebastian...< ich ringe um passende Worte. >Zu viel war dieser Umzug schon lange nicht mehr für mich. Ich wäre auch auf einen fremden Kontinent für dich gezogen. Das weißt du< ich verleihe meiner Stimme mehr Nachdruck und fixiere ihn mit einem stechenden Blick. Graugrüne Augen starren in braune Augen.
>Nur wohne ich jetzt nicht mehr zu Hause. Ich hause in einem Zimmer neben Mitbewohnern, die mir emotional nichts bedeuten – auch wenn sie nett sind. Ich sehne mich nach einem echten Zuhause. Mittlerweile bin ich sogar soweit, dass ich mir wieder eine eigene Wohnung suchen würde nur um endlich wieder meine Privatsphäre zurück zu bekommen. Nur was dann? Dann wohne ich wieder einmal nur wenige Kilometer von dir getrennt, habe dann bereits zwei in meinen Augen sinnfreie Umzüge hinter mich gebracht und bin immer noch keinen Schritt weiter. Bastian, ich will eine Zukunft! Verdammt< ich muss meine Stimme zügeln obwohl in mir die Wut hochkocht. Er senkt getroffen den Blick vor mir. Doch ich komme jetzt endlich in Fahrt. Nach und nach brechen die Dämme ein und mein lang zurück gehaltener Frust bahnt sich seinen Weg aus mir.
>Wir sehen uns mehrfach die Woche. Super! Hast du denn kein Gespür dafür, wie es sich anfühlt nach einem schönen DVD Abend auf der Couch meine paar Habseligkeiten zusammen zu packen und gehen zu müssen? < ich trinke einen Schluck. Meine Kehle ist plötzlich staubtrocken.
>Du bist ja dann zu Hause. Aber ich habe mir die WG nur als Kompromiss ausgesucht damit ich für die vermeidliche Übergangszeit keinen ganzen Hausstand zusammensuchen muss! Du nimmst mich mit auf Ausflüge. Cabriolet fahren. Ganz große Klasse!< ich atme tief ein. >Anstatt, wie vermutlich die ganzen anderen Paare in meinem Umfeld, eine gemeinsame Wohnung zu zahlen und sich die Kosten zu teilen damit wir beide etwas davon haben....< und wieder aus. >Pustekuchen! Wir zahlen gerade doppelt. Und wenn der Herr dann seinen schönen Lebensstandard vorführen konnte gehe ich wie so oft...genau! In mein WG Zimmer zurück.<
Jetzt bin ich wirklich in Rage. Mein Puls erhöht sich derart, bis ich meine, jeden einzelnen Herzschlag in meinem Hals zu spüren. Sebastian bricht das angespannte Schweigen als Erster.
>Pia. Davon war vor deinem Umzug hierher nicht die Rede. Das weißt du selber ganz genau! Und jetzt willst du mich seit deinem Umzug permanent in diese Rolle zwängen, zu der ich noch nicht hundertprozentig Ja sagen kann. Ich habe meine Gründe. Das weißt du ebenfalls. Du kannst mich nicht erpressen indem du mir mit der Trennung drohst. <
>Ich habe mich bereits von dir getrennt. Gestern. Falls du das schon vergessen hast< mein Puls rast und meine Stimme erklimmt die nächste Oktave der Leiter.
>Ich glaube langsam wirklich, dass du mich nur immer weiter hinhalten wirst mit deiner Leier nach mehr Zeit. Weißt du was du bist. Du enttäuschst mich maßlos. Aber so zeigst du mir wenigstens einmal dein wahres Gesicht. Bloß scheiße für mich, dass ich dafür erst in deine gottverdammte Provinzstadt ziehen musste< nach diesen Worten stemme ich energisch meine Hände gegen das Holz und schiebe den Tisch einige Zentimeter näher an seinen Bauch. Er ergreift reflexartig die Platte und verhindert im letzten Moment, dass ich ihm den Tisch an den Bauch drücke. Zornschnaubend richte ich mich zu meiner vollen Größe vor ihm auf.
>Ich denke ich suche besser meine Sachen zusammen und gehe dann mal.<
Sebastian nickt knapp, bleibt aber sitzen. >Du weißt ja, wo alles liegt.<
Ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen gehe ich zielstrebig in sein Bad und krame fahrig meine Kosmetika und meine Zahnputzutensilien in den Kulturbeutel, der tatsächlich immer noch in der untersten Schublade seines Badezimmerschrankes liegt, wo ich ihn vor sechs Monaten zunächst liegengelassen und später vergessen hatte.
Das ist doch typisch Mann! Ich schnaube wütend. Erst von einer gemeinsamen Zukunft schwärmen und sich insgeheim doch nur darüber freuen, dass man sich nach Gusto auch täglich sehen kann.
Ich blicke mich in dem geschmackvoll eingerichteten Bad um und denke an die vielen schönen Stunden unter der Dusche zusammen, seit ich Sebastian damals, vor drei Jahren, zum ersten Mal besucht hatte. Mir wird flau im Magen und ich verdränge die Erinnerungen. Sie bringen mich jetzt nicht mehr weiter. Die Entscheidung ist gefallen. Jetzt zu kapitulieren bedeutet doch nur, seine Bedingungen des Vertrages zu unterzeichnen. Dass mich das nicht glücklich machen kann auf Dauer – nun – dann würde ich jetzt nicht hier stehen und nach meinen letzten persönlichen Gegenständen suchen.
Im Bad habe ich alle Rückstände von mir entfernt und drücke entschlossen die nächste Türe, im Flur gegenüber, auf. Er hat das Bett frisch bezogen. Ich kenne die weich-flauschige Feinbiber Bettwäsche genau. Ich ignoriere das Brennen hinter meinen Augen und atme tief durch. Danach werfe ich nacheinander je einen kurzen Blick in alle Ecken und Schubladen des Schlafzimmers, wo ich noch persönliche Dinge von mir vermute. Doch außer einem alten Haargummi unter dem Bett tauchen keine weiteren Besitztümer auf. Es wird Zeit zu gehen. Ich werfe einen Blick auf die Uhr und stelle erstaunt fest, dass es erst kurz vor sechs Uhr ist. Unser Schlagabtausch nahm weniger Zeit in Anspruch als ich gedacht hätte.
Ich halte mein kleines Bündel fest mit beiden Händen an den Bauch gedrückt, als ich mich zum Gehen wende. Sebastian steht im Türrahmen und beobachtet mich unverwandt. Ich stoppe in meiner Bewegung und verkrampfe die Hände um den Kulturbeutel.
>Hast du alles gefunden?< sein Tonfall ist neutral und ich nicke nur steif in seine Richtung, vermeide aber jeden weiteren Blickkontakt mit ihm. Lange werde ich meine selbstbewusste Fassade nicht mehr aufrecht halten können. Ich beeile mich dabei, diesen Raum voller Erinnerungen und den Mann im Türrahmen hinter mir zu lassen und verlasse ohne einen speziellen Gruß sein Haus.
Unachtsam werfe ich meine Tasche und den Kulturbeutel auf die Rückbank und nestle ungeschickt an meinem Autoradio. RadioTon, wie stets eingeschaltet, sendet passenderweise Bye Bye Bye von *Nsync.
Belastet durch immens brennende Augen fahre ich blind auf die Straße und nehme unterwegs fast eine Katze mit, die eilig die Straßenseite vor meinem Auto überquert. Erschrocken mache ich eine Vollbremsung und atme erleichtert auf, als die Katze mit hastigen, aber gesunden, Sprüngen vor meinem Auto das Weite sucht. So kann ich unmöglich Auto fahren. Die Vernunft gewinnt die Überhand und anstatt den weiteren Weg in Richtung meiner Wohnung einzuschlagen, fahre ich – nun deutlich aufmerksamer – in die entgegen gesetzte Richtung und nehme Kurs auf das Stadtzentrum.
Jetzt, um kurz nach sechs Uhr, ist die Fußgängerzone noch ein belebter Ort und ich bin froh über die Anonymität einer Stadt, als ich mit leerem Blick und ohne ein bestimmtes Ziel über die Fußgängerzone spaziere. In einiger Entfernung erkenne ich das stattliche Gebäude unserer Praxis. Ein hübscher und moderner Neubau, das Lebenswerk meines Chefs – wie es oft mit einem sympathischen Humor im Team genannt wird. Jetzt im Herbst beginnt es langsam zu dämmern und nahezu alle Fenster sind hell erleuchtet. Zum Glück habe ich wenigstens einen sicheren und gut bezahlten Job gefunden. In losen Fetzen jagen ziellos die Gedanken durch meinen Kopf. Auf der einen Seite der zerplatzte Traum, hier mit Sebastian ein neues Leben zu beginnen. Doch andererseits das gute Gefühl, wenigstens für meinen Lebensunterhalt selber sorgen zu können und sogar schon einige Freundschaften auf der Arbeit geknüpft zu haben. Ich wende gerade den nächsten sperrigen Gedanken – meine Wohnungssituation und ob ich nicht doch der WG treu bleiben soll – prüfend von sämtlichen Seiten, als mich eine mir vertraute Stimme aus meinen Überlegungen reißt. Beinahe erschrecke ich, als Alexander Sommer gut gelaunt – und alleine – unmittelbar vor mir zum Stehen kommt und mich freundlich begrüßt.
>Guten Abend. Dich hätte ich jetzt wirklich nicht mehr in der Stadt erwartet. Wohin des Wegs? <
Ich erinnere mich an die peinliche Situation des Vormittags und zucke mit meinen Schultern.
>Ich schätze wohl, ich muss einen klaren Kopf bekommen< ich bemühe mich um ein ehrliches Lächeln für meinen Vorgesetzten und tatsächlich gelingt es mir, wenn auch nicht mit voller Herzlichkeit. Dabei fällt mir auf, dass ich ihm noch nie in zivil begegnet bin in den letzten Monaten. Er ist bestimmt einen guten Kopf größer als ich und schlank, außerdem trägt er eine modische Bluejeans und dazu einen schlichten Kapuzenpullover in Hellgrau. Jetzt, nach Feierabend, sind seine mittelkurzen, hellbraunen Haare leger verstrubbelt und trotz meiner gedrückten Stimmung stoße ich innerlich einen anerkennenden Pfiff aus. Kein Wunder, dass ihn sämtliche Patientinnen anhimmeln. Spätestens nach einem Blick in seine grauen Augen würden sich viele Damen sämtliche Zähne von ihm verbohren lassen, nur um einen Grund für einen neuen Termin in seiner Sprechstunde zu finden. Mir wird bewusst, dass ich ihn ohne ein weiteres Wort unverhohlen betrachte. Peinlich! Ich schelte mich innerlich und suche nach einem Weg, das Gespräch wieder zu entfachen. Doch Alex ist schneller.
>Hängt dir dein Problem von heute Morgen immer noch im Kopf herum? Und das an deinem Geburtstag? < fassungslos schüttelt er den Kopf. Erst jetzt wird mir bewusst, dass er absolut Recht hat. Die Trennung und die vielen Streits mit Bastian waren stets allgegenwärtig in meinem Kopf und anstatt mich zu freuen und den Tag zu genießen wandle ich hier wie ein Geist durch die Straßen.
>Ich war gerade auf dem Weg in einen Laden, aber das kann ich vertagen. Komm doch mit mir etwas trinken. Da tut mir ja regelrecht das Gemüt weh, dich so verloren hier zu sehen. <
Ich zögere. Immerhin ist er mein Chef. Mein Ich ergreift Partei: Nein, er ist genau genommen kein Chef. Er ist genau wie ich bloß angestellt bei unserem Chef, Pia! Was soll schon sein, denke ich mir noch und willige schließlich ein.
>Und wohin sollen wir gehen? < erschrocken stelle ich fest, dass ich ernüchternd wenige Lokale in meiner neuen Stadt kenne. Kein Wunder, wenn ich – mal von Sarah abgesehen – entweder traurig zu Hause oder nur mit Sebastian unterwegs war. Alex überlegt einen Moment und zählt schließlich mehrere Alternativen auf, die mir sämtlich unbekannt sind. Also überlasse ich ihm die Entscheidung und er deutet mit einer Hand in die Richtung, aus der ich gekommen bin.
Dass ich in meinem Zustand eine brechend gefüllte Szenekneipe direkt auf meinem Fußweg übersehen konnte zeigt eindrucksvoll, wie sehr ich neben der Spur stehe. Trotz rauchender Menschen in meinem gesamten Umfeld – ich bin Nichtraucher – gefällt mir die rockige Musik ausnehmend gut und wir bahnen uns den Weg zum letzten freien Bartisch in der Ecke. Die Hocker müssen regelrecht erklommen werden und ich lasse meinen Blick durch das winzige Lokal wandern. Das Leo's zeigt deutlich, dass wahre Größe im Detail liegt, denn es ist winzig. Wohlwollend überschlagen, vielleicht doppelt so groß wie mein Büroraum – und dennoch geht wiederum fast die Hälfte des knappen Platzes für die große Bar aus massivem Holz drauf. Um uns drängeln sich unverschämt viele Menschen, ich kann noch nicht mal die theoretischen Sitzplätze zählen, und viele stehen mit ihren Biergläsern im lockeren Verbund beieinander und unterhalten sich gut gelaunt. Nach wenigen Minuten dröhnen meine Ohren. Endlich entdeckt uns die Bedienung und bahnt sich scherzend und schlängelnd einen Weg in unsere Richtung.
Alex bestellt sich ein Cola Weizen. Ich denke an meinen Heimweg mit dem Auto und bestelle ein Spezi. Verlegen werde ich mir der komischen Situation bewusst, immerhin ist Alex mein direkter Vorgesetzter. Doch ihn scheint es nicht zu kümmern. Alex scheint den aktuellen Titel eines Liedes zu erkennen, und nickt gutgelaunt mit dem Kopf im Takt zu den rhythmischen Gitarrenklängen, die direkt über unseren Köpfen aus den Lautsprechern dröhnen - Ich glaube, es ist von Journey.
Genaugenommen ist es hier so laut, dass ich fast schreien muss und mich deswegen immer näher zu seinem Ohr beuge, bis wir uns fast berühren und ich die Wärme seiner Haut spüren kann und seinen Duft rieche: >Das ist eine coole Kneipe. Eigentlich mag ich keine Raucherlokale, aber hier kann ich gerne eine Ausnahme machen. Die Musik ist super! <
Rock – im Besonderen – hat eine magische Wirkung auf Menschen. So auch auf mich. Es fühlt sich an, als ob die Musik meine gesamten, aufgestauten Gefühle übernimmt und ein Anderer schreit sie dann für mich heraus während ich mich entspannen kann. So bewusst wird mir das erst hier und heute. Und so bemerke ich für einen Moment nicht, dass Alex spricht. Zumindest bewegt er seine Lippen. Ich blicke ihn fragend an, worauf hin er seinen Mund unmittelbar an meine Ohren legt und mir laut genug antwortet, dass er ebenfalls Nichtraucher, sehr wohl aber Rock-Liebhaber ist. Ich würde lügen, wenn ich behaupte, dass mich das kalt lässt. Genaugenommen breitet sich ein enormes Kribbeln von dort aus, wo ich die Vibration seiner angenehmen Stimme spüre. Dennoch weiche ich eilig zurück und blicke ihn fragend an. Alex lächelt breit und entblößt dabei seine Zähne. Ein Flirt? Ich denke an seine intern bekannte Wirkung auf unseren weiblichen Kundenstamm, von dem mir schon zu Ohren gekommen ist. Und ich ertappe mich dabei, wie sich nun eifersüchtige Gefühle auf fremde Frauen in mir breitmachen, während ich seine Aufmerksamkeit genieße. Ich fühle, dass die unmittelbare Nähe zu einer groß dimensionierten Box in Verbindung mit guter Musik zwar unsere Entspannung fördert, für jedes weitere Wort aber ein schier unüberwindbares Hindernis darstellt. Zwar schweigen wir beide, aber mir fällt auf, dass er während dem Nippen an seinem Bierglas immer wieder einen längeren Blick auf mich wirft. Also versuche ich, mir nichts anmerken zu lassen und nicke im Takt mit der Musik und trinke langsam mein Getränk aus. Anders als bei Bastian empfinde ich unser Schweigen nicht als störend. Mir entfällt in seinem Beisein das Gefühl, etwas sagen zu müssen. Es fühlt sich vielmehr so an, als braucht es nicht immer Worte um dennoch genau zu wissen, was der Andere meint und fühlt. Es ist ein tröstlicher Gedanke den ich tief in meiner verwundeten Seele verstaue und ich bin Alex dankbar dafür, dass er mich aus meinem Tief gezogen hat ohne viele Fragen zu stellen. Als die Bedienung unseren Blick kreuzt winke ich ihr und wir zahlen unsere Getränke.
Draußen ist es bereits dunkel, als wir taub, aber zufrieden die Kneipe verlassen. Ich wage einen Blick auf meine Armbanduhr. Zehn Uhr. Die Zeit verging wie im Flug. Irgendwie fühle ich mich in seiner Gegenwart aufgekratzt und würde gerne mehr über ihn erfahren, denn wirklich viel haben wir nicht miteinander gesprochen. Mich fröstelt, die Temperatur ist vom ungewöhnlich milden Herbsttag längst auf das Niveau einer kühlen Nacht abgesunken und ich schlinge meine Arme um den Oberkörper. Meine Jacke liegt auf dem Rücksitz meines Autos. Na klasse!
>Tja. Es ist schon etwas kalt zum hier herumstehen. Findest du nicht auch?< Alex ergreift als Erster das Wort und spricht scheinbar meine Gedanken aus. >Ja, ich friere< und wie, um meine Worte zu bestätigen, klappern meine Zähne aufeinander.
Irgendwie finde ich den Gedanken unschön, den Abend jetzt schon zu beenden, aber wir zögern und stammeln beide, während wir unschlüssig voreinander stehen. Schließlich ergreift Alex das Wort und greift mich bei der Hand: >Ich wohne hier um die Ecke. Du kannst dich bei mir aufwärmen. <
Sein Vorschlag klingt verlockend. Dennoch zögere ich kurz. Dann meldet sich die kampferprobte Amazone in mir zu Wort – keine Ahnung aus welcher Deckung sie sich befreien konnte – und positioniert sich hinter mir um mich weiter in Richtung von Alex zu schieben, während ich noch zögere. Also stimme ich zu und wir marschieren eilig – denn ich friere bitterlich – zu seiner Straße wenige Häuserecken weiter. Dabei lässt er meine Hand nicht los und mein Herz macht einen Sprung.
>Wo hast du eigentlich dein Auto geparkt. Pia?<
Ich überlege kurz. >Im Parkhaus beim Arbeitsamt, nicht weit von hier.< Alex nickt zufrieden.
>Nicht, dass du nachher eine halbe Weltreise zurück legen musst bevor du wieder bei deinem Auto bist.<
Ich schüttle den Kopf. >Nein.< dann schweige ich, während er seine Hausschlüssel hervorkramt und prüfend in das Licht der Straßenlaterne hält. Als er den richtigen gefunden hat öffnet er die Tür zum Treppenhaus und macht mir einen gespielten Diener. Ich betrete, an ihm vorbei, das Treppenhaus und begebe mich auf den Weg nach oben. Auf der ersten halben Etage warte ich auf Alex. Ich wüsste ohnehin nicht, wo ich hinsoll. Er überholt mich mit flinken Schritten und öffnet bald darauf eine der hinteren Türen auf der ersten Etage. Wieder lässt er mir den Vortritt, greift aber flink an meiner Hüfte vorbei nach einem Lichtschalter und zwei Lampen an der Decke aus schönem Milchglas tauchen den Flur in warmes Licht. Mein Blick fällt auf echten Eichenparkett und eilig streife ich meine Sneakers von den Füßen und stelle sie ungefragt neben seine Schuhe auf eine Schuhmatte. Alex zieht sich ebenfalls seine Schuhe aus. Diesmal geht er an mir vorbei und knipst das Licht im Wohnzimmer an. Ich folge ihm und bleibe erfreut in der Türe stehen. Derselbe Eichenparkett aus dem Flur wurde auch im Wohnzimmer verlegt. Ein großes schwarzes Ledersofa nimmt den gesamten hinteren Teil des Zimmers in Anspruch und ist mit einigen Kissen dekoriert, mehrere Decken liegen bereit. Ein flauschiger Teppich direkt vor dem Sofa bildet den zweiten Eyecatcher in seinem Wohnzimmer. Geschmackvolle Möbel, weiß mit Akzenten aus Nussbaum, runden das Bild ab. Ich frage mich, ob Alex selber diese Möbel ausgewählt hat oder ob ihm...jemand...geholfen hat. Wieder schäme ich mich dafür, schon jetzt an weibliche Kundinnen und eine vermutliche Freundin zu denken, während ich doch nur die ersten Stunden in privater Atmosphäre mit diesem Mann verbringe. Und außerdem, ich schelte mich innerlich, ist die Trennung von Bastian keine vierundzwanzig Stunden her. Schüchtern bleibe ich mitten in dem schönen Raum stehen. Alex scheint nichts von meinem inneren Zwiespalt zu bemerken, denn er schlendert in seine Küche und kommt wenig später mir zwei kleinen Gläsern und einer Flasche Bailey's unter dem Arm zu mir zurück und weist mir einladend den Weg zu seinem Sofa.
>Setz dich doch, bitte< aufmunternd lächelt er mich an und platziert die Gläser auf dem Holztischchen vor meinen Füßen.
>Du musst zwar noch fahren, aber ein- oder zwei von diesen kleinen Gläschen müssten gehen< dabei wartet er meine Antwort nicht ab, sondern gießt uns das milchige Getränk in die Gläser. Mich überkommt ein merkwürdiges Deja-vu, als ich daran denke, dass dies nicht das erste Mal für heute ist. Mir jagt ein Schauer über den Rücken, als Alex mir ein Glas in die Hand drückt und sich dabei unsere Finger flüchtig berühren. Er erhebt sein Glas und spricht mir einen Toast aus:
>Alles Gute zum Geburtstag, Pia. Und möge der heutige Tag besser für dich ausgehen, als er angefangen hat.< dabei schenkt er mir ein ansteckendes Lächeln, dass mich tiefer berührt, als ich mir im ersten Moment eingestehen möchte. Seine Geburtstagswünsche an meine Person – instinktiv wittere ich die Zweideutigkeit dahinter – lassen mich erschaudern. Nun trifft sein Blick meine Augen und ich verschlucke mich fast an meinem Liqueur. Zum Glück gelingt es mir, nichts auf den schönen Teppich zu verschütten. Sicherheitshalber trinke ich den Rest aus meinem Glas in einem großen Schluck und kneife für einen Moment meine Augen zusammen, als mir der Alkohol in der Kehle brennt. Ich biete bestimmt einen interessanten Anblick für Alex, denn er grinst verschmitzt und nippt gedehnt an seinem Bailey's.
>Vielen Dank, Alex< ich klopfe mir theatralisch mit der Faust auf die Brust und räuspere mich verhalten. >Ich trinke nicht so oft Alkohol< erkläre ich meine komische Vorstellung und winke ab, als er die Flasche ergreift und zum Nachschenken ansetzt.
>Aber ich hätte gerne ein Glas stilles Wasser, wenn das geht.< Mist. Jetzt klinge ich bestimmt unhöflich! Doch er lässt sich nichts anmerken und steht umgehend auf um aus der Küche ein Getränk für mich zu organisieren. Eigentlich war es nicht meine Absicht, diesen Moment zu torpedieren. Doch beim Anblick seiner Augen, und als ich ein leichtes Straucheln meines Herzens spürte...suchte ich nach dem schnellstmöglichen Ausweg aus dem Flirt Versuch und stellte blitzschnell eine winzige Sicherheitsbarriere vor mir ab. Heute erschien mir der Tag nicht geeignet dafür. Ich werde aus meinen abschweifenden Gedanken gerissen und ergreife dankend das bis zum Rand gefüllte Wasserglas aus seinen Händen. Eilig trinke ich einen Schluck und bemerke erleichtert, dass sich die Wogen auf meinem Gefühlsozean zu glätten beginnen. Ich fühle mich bereit für einen neuen Anlauf.
>Danke...< meine Lippen umspielt ein schüchternes Lächeln und ich rücke ein Stück auf der Couch zur Seite und mache Alex Platz bei seinem Weg an mir vorbei.
>Oh. Ich habe ganz die Musik vergessen< mit diesen Worten dreht sich Alex auf seinem Platz suchend von der einen zur anderen Seite und entdeckt schließlich sein Smartphone zwischen zwei der Kissen. Als ich seinem Blick folge stelle ich schockiert fest, dass besagte Kissen neben mir und auf der falschen Seite liegen. Doch da beugt er sich bereits vertraut über meinen Schoß, bis sich unsere Oberkörper berühren, und angelt nach seinem Telefon. Während ich noch vollauf damit beschäftigt bin, meinen Herzschlag mit Hilfe meiner Gedanken zur Raison zu rufen, tippt und wischt er flink mit seinem Daumen auf dem Touch Display herum, bis die mir bestens bekannte Melodie von 'Can't help falling in love' , jedoch in einer akustischen Version, aus einem unsichtbaren Lautsprecher direkt hinter dem Sofa zu hören ist. Während ich noch innerlich mit meinem Gewissen ringe welcher Umstand – körperliche Anziehungskraft oder mangelnde Fähigkeit ein vernünftiges Gespräch zu führen – unser erstes Zusammentreffen in seiner Wohnung wohl besser beschreibt, spüre ich seine Hand locker auf meinem Oberarm. Okay, Pia. Du hast nur noch wenige Sekunden Zeit, um hier und jetzt ein Statement zu setzen. Willst du das wirklich? Er ist ein Arbeitskollege und spätestens am Montag habt ihr beide ein riesiges Problem, wenn das hier schiefläuft!
Der rationelle Teil meiner Gedanken bemüht sich um Sachlichkeit. Sein Gesicht kommt meinem zusehends näher und seine Augen scannen abwechselnd meinen Blick und meine Mimik. Fragend. Die Amazone in mir beginnt derweil seelenruhig damit, Stein für Stein von meiner als Provisorium enttarnten Barriere mit ihrem Fuß zur Seite zu treten und stimmt ein fröhliches Lied im Takt meines Herzens an. Verräterin! Als Endorphine und Adrenalin durch meine Adern pulsieren schwindet nach und nach mein ohnehin schwach ausgeprägter Widerstand gegenüber diesem Mann. Ohne weiteres Zutun meiner Gedanken schalten meine Augen ebenfalls in einen scannenden Modus und als sich unsere Blicke begegnen, sinke ich nachgebend nach hinten. Alex folgt meiner Bewegung, als wären wir zwei Magneten. Unsere Lippen berühren sich, und es fühlt sich gut an. Bereit, ab jetzt nur noch meinem Gefühl zu folgen, schließe ich die Augen und öffne sie bereits wenige Augenblicke später erstaunt, als seine Lippen meinen Mund verlassen. Sein Blick verrät mir, dass er mich nicht überrumpeln möchte mit seinen Avancen. Doch die aktuelle Hormonkonzentration in meinem Blut hat ohnehin einen kritischen Level erreicht und meine Amazone betätigt grinsend den Hahn für die nächste Dosis Endorphine. Es folgen keine weiteren Einwände seitens meines Gewissens. Jetzt mutiger, taste ich nach seinem Shirt über mir und bedeute ihm mit einem leichten Ziehen am Stoff, dass er mir wieder näherkommen darf. Zentimeterweise verlagert er sein Gewicht in eine bequemere Ausgangsposition und endlich berühren sich unsere Lippen erneut. Diesmal begeben wir uns gemeinsam auf Erkundungstour. Ich werde mir meines Zungenpiercings bewusst und positioniere die obere Kugel in erreichbarer Nähe. Seine Reaktion darauf lässt nicht lange auf sich warten. Als er sie entdeckt spüre ich sein breites Lächeln an meinem Mund. Meine Amazone macht einen begeisterten Hüpfer, zückt ein Holzkugelbrett und schiebt die erste Kugel zur anderen Seite. Wer erlaubt diesem berechnenden Wesen eigentlich, dass sie mich alle Register ziehen lässt? Ich entziehe ihm meine Kugel und setze meine Zungenspitze nun ebenfalls auf seinen Mund an. Kaum ertaste ich seine Unterlippe, beiße ich vorsichtig und spielerisch auf die empfindliche Stelle. Er zieht scharf den Atem ein. Gedämpft ertönt ein sinnliches Lied und ich erkenne die Stimme von Amy Winehouse. Valerie …. Amy legt all ihr Gefühl in die Silbe….make a Fool out of me..... und schluchzt in ihr Mikrofon. Alexander zieht meine Aufmerksamkeit schlagartig auf sich, als seine noch kalten Finger meinen nackten Bauch unter meinem Shirt berühren und Anstalten machen, eine Tour auf meiner Haut zu beginnen. Dabei verlagert er sein Gewicht geringfügig mehr auf mich. Lose Fetzen meiner rationellen Gedanken treiben verloren vor meiner triumphierenden Amazone vorbei und sie bemüht sich um eine rasche Entsorgung. Er ist schwer. Meine Nackenmuskulatur verspannt sich hinter meiner rechten Schulter. Ich verlagere mein Gewicht. Alex liegt nun bäuchlings auf mir und erreicht meinen noch verpackten Busen. Ich schnaube warnend. Alex besinnt sich und führt seine Suche auf einer weniger gefährlichen Route fort. Bislang lagen meine Hände locker über seiner Schulter, doch auch mich ergreift die Lust auf eine Expedition und ich taste, beginnend an seinem kratzigen Hals, seine empfindlichen Stellen unterhalb des Kinns mit feinen Fingerspitzen ab. Als ich meinen Oberkörper unter seinem Gewicht erneut verlagere, rutscht sein Knie zwischen meine Oberschenkel. Natürlich werde ich feucht. Doch an unserem ersten Abend verbiete ich mir derlei Aktionen und versuche so gut es geht, das Kribbeln zwischen meinen Beinen zu ignorieren. Stattdessen schiebe ich nun ebenfalls seinen Pullover nach oben und fühle bewundernd seine weiche Haut an seiner Taille. Neugierig geworden, ob er viele Haare auf dem Bauch hat, greife ich vor mich und taste lediglich einen feinen Flaum unter seinem Bauchnabel. Sein Penis drückt von innen gegen die Hose. Schleunigst entferne ich meinen Unterarm aus der Gefahrenzone und pfeife meine hyperventilierende Amazone zur Raison.
Wie zur Warnung erkenne ich nun die Stimme von von Sia und ihr intensiver Gesang überflutet meine widersprüchlichen Gefühle: I'm gonna swing from the chandelier…. Alex bemerkt mein Stocken und hält für einen Moment inne. Ich bekräftige nochmals meine innere Einstellung zu diesem Abend – Fummeln OK – SEX No Go – und fahre wie zur Bestätigung, dass bei mir alles in Ordnung ist, mit meiner Hand an seiner Seite entlang. Mhhhm, seine Haut ist so weich und dennoch spüre ich angespannte Muskeln. Er ist sportlich. Und wie zur Bestätigung, dass auch ich eine gute Figur habe bedeute ich ihm mit sanftem Druck auf den Bauch, dass ich mich anders Positionieren möchte.
>Können wir das Licht hier dimmen?< erstaunt stelle ich fest, dass ich meine Sprache in seiner Gegenwart nicht gänzlich verloren habe. Noch auf mir liegend, tastet er unter dem Sofa nach einem Schalter und dreht den Regler nach links. Ich erkenne nur noch Schemenhaft seine Umrisse, doch als er sich aufrichten will nutze ich die Gelegenheit und drücke ihn nun ebenfalls auf den Rücken.
>Ist es so genehm, Madame?< nuschelt er an meinen Hals, als ich rittlings auf seinem Schoß Platz nehme. Ich brumme zur Bestätigung und mein Kopf folgt der Schwerkraft nach hinten, während er meinen Hals mit kleinen Küssen bearbeitet. Hätte mir gestern jemand zu erklären versucht, dass ausschließlich nonverbale Kommunikation als ein erstes Date gewertet werden darf. Ich hätte ihm einen Vogel gezeigt.
Mit vorsichtigen Bewegungen umschmeicheln seine Hände meine Taille. Er entdeckt eine kitzlige Stelle und schnaubt amüsiert, als ich umgehend alle Muskeln an dieser Stelle verkrampfe und kichere.
Nonverbale Kommunikation? Meine Amazone liegt schnurrend auf einer bequemen Couch und räkelt sich wohlig bei dem Gedanken daran, dass Worte gänzlich überflüssig sind auf dieser Erde. Erklärt nicht zuletzt Cesar Millan zigtausenden Zuschauern stets, wie wichtig die Energie für die Kommunikation ist...
Unerwartet löst sich mein BH-Verschluss und mir entfährt ein Quieken. Triumphierend brummt Alex. Mistkerl! Meine Amazone schnurrt wie ein frisch geölter Dieselmotor. Verräterin! Wenn ich nicht erneut Stellung beziehe driftet dieses Kennenlernen in die exakt falsche Richtung ab. Ich muss mich entscheiden.
Wenig hilfreich für mich, hierbei geht die volle Punktzahl für den Soundtrack an Alexander Sommer, summt Kygo sein Firestones in das Wohnzimmer: I'm a flame your'e a fire… Unter Aufbietung all meiner Willenskraft löse ich seine forschenden Finger sanft von meinem Rücken und bemühe mich um wenige Zentimeter Abstand zwischen unseren aufgeheizten Körpern. Nonverbale Kommunikation....Er hält in seiner Bewegung inne. Wartet auf mein nächstes Zeichen. Doch ich besinne mich auf meine Prinzipien für unser erstes Date und nehme seinen Kopf zwischen meine Hände. Einen sinnlichen Kuss später fasse ich mir ein Herz und spreche meine Gedanken aus:
>Alex. Ich kann heute nicht. Das ist nicht richtig. < Seine Antwort lässt quälend lange auf sich warten und ich befürchte schon eine herbe Schlappe, doch er wirkt aufrichtig, als er ein Nicken andeutet und leise spricht: >Möchtest du nach Hause? <
Mein aufgelöstes Ich und meine zur Raison gerufene Amazone zicken sich derweil gegenseitig an.
>Ja, ich denke, dass wäre das Beste. Alex...< Ich suche nach passenden Worten für meine Gefühle. >Du kannst es nicht wissen aber ich habe gerade erst meine Beziehung beendet. Ich bin eigentlich ziemlich neben der Spur. < Wieder nickt er verständnisvoll, doch ein trauriger Ausdruck spielt um seine Augen. Eilig fahre ich fort in meinem Stammeln und wünsche mir mein patentes Ich zurück:
>Damit hätte ich echt nicht gerechnet. Also, dass heute so etwas passieren wird...Ich hab dich gern gewonnen. < Mir fällt keine bessere Erklärung ein für den heutigen Abend. Bestimmt dachte er die ganze Zeit durch mein offenes Verhalten ihm gegenüber mit keinem Gedanken daran, dass ich noch nicht frei für einen Flirt sein könnte. Ich ärgere mich maßlos über mich selber, doch selbst wenn Alex die gleichen Gedanken gehabt hätte wie ich mir einbilde, er lässt sich keine negative Regung anmerken und ergreift meine Hand. >Ich will dich zu nichts drängen. Das ist OK. Und ehrlich gesagt ist es mir lieber du ziehst rechtzeitig die Notbremse, wenn du dich noch nicht wohl fühlst und wir vertagen das hier...< dabei grinst er frech, >auf später. <
Erleichtert drücke ich seine Hand und ziehe sie an meine Brust zurück. Um die neue Stille zwischen uns zu übergehen bitte ich ihn schließlich darum, meinen BH wieder zu schließen für mich. Alex gewinnt schnell sein sympathisches Lächeln zurück und er kommt meiner Bitte nach, als ich mich von ihm abwende.
>Hast du eine Uhr? < Ich spreche mit der Wand gegenüber dem Sofa.
>Fast zwei Uhr. Warum? < Ich sehe förmlich sein Grinsen vor mir. Draußen herrschen bestimmt Temperaturen um die zehn Grad. Bei dem Gedanken daran, ohne eine Jacke bis zu meinem Auto zu laufen...
Alex kann Gedanken lesen. >OH. Stimmt. Deine Jacke ist ja gar nicht hier...< Gedehnt übergibt er die mir bereits bekannte Information an mich.
>Aber wenn du mich ganz lieb darum bittest, bringe ich dich zu deinem Wagen und sorge dafür, dass dir nicht kalt wird dabei. <