Читать книгу Kinder des Mondes - Evadeen Brickwood - Страница 11
Kapitel 3 Was, Zeitreisen?
Оглавление“Es muss jetzt einfach klappen, es muss einfach!” Katherine hätte sich die Haare ausraufen mögen. Werkzeuge, Plastik- und Metallteile lagen in wildem Durcheinander auf dem Arbeitstisch verstreut herum.
“Was mach’ ich bloß falsch?”
Sie arbeitete an einer endlosen Energiequelle - nach dem Prinzip der Quantenmechanik. Professor Helbert hatte alles so toll in seinem Buch beschrieben und Quantenmechanik war sowieso ihr Lieblingsfach. Die Formel selbst war nicht das Problem, aber sobald sie versuchte die Differentialen einzustellen, ging überhaupt nichts mehr. Sie nahm einen winzigen Schraubenzieher von ihrem Notizblock und rechnete die Formel nochmal durch.
“Oh!!!” Sie warf den Schraubenzieher auf den Tisch zurück. Der prallte ab und fiel klirrend zu Boden. Katherine rollte die Augen und bückte sich, um ihn aufzuheben.
Christopher Higgins schlich ängstlich an ihrem Labortisch vorbei. Er war ein kleiner Bursche mit vorstehenden Zähnen und ziemlich brillant für sein Alter. Als Katherine plötzlich wieder hinter dem Labortisch auftauchte, ließ er vor lauter Schreck seine Hefte fallen und starrte sie an.
“Christopher!”
Der Viertklässler beeilte sich, seine Papiere aufzuheben. “Sorry,” stieß er hervor und eilte zum anderen Ende des Labors. Katherine seufzte. Jetzt hatte sie bestimmt den Ruf weg, gemein zu sein. Auch das noch.
Sie setzte sich und stützte ihr Kinn mit der Hand auf. Alles stand ihr hier zur Verfügung, aber diese dämliche Vakuum-Batterie ließ sich einfach nicht zum Funktionieren bringen.
Das naturwissenschaftliche Labor der Schule war Dr. Broadbents ganzer Stolz. Dank der großzügigen Spende eines ehemaligen Schülers, hatte die Schule das Labor ultramodern ausgestattet. Cecil Whitby hinterließ der Pemberton Akademie vor fünf Jahren die Hälfte seines Vermögens. Wegen der guten Erinnerungen, die er an seine Schulzeit in den sechziger Jahren hatte. Nach gründlichen Renovierungsarbeiten wurde das Labor feierlich in den ‘'Whitby Flügel’ umbenannt. Das Ganze konnte es jetzt bestimmt mit einem NASA Labor aufnehmen.
Katherine sah durch die halbgeöffneten Jalousien zu, wie Walt den beiden Gärtnern das korrekte Schneiden von Hecken erklärte. Sie fand die Hecken noch ganz gut beschnitten. Nichts verkehrt damit. Mit ihrem Projekt dagegen war alles verkehrt.
“Na, brauchst du Hilfe?” Katherine flog herum und sah Trevor ins Gesicht, der auf einmal neben ihr stand.
“Tut mir leid, wollte dich nicht erschrecken. Ich dachte du brauchst vielleicht... Hilfe.” Er bereute seine Bemerkung sofort.
“Meine Güte, Trevor, willst du vielleicht, dass ich ‘nen Herzanfall kriege?” ging die frustrierte Katherine auf ihn los. “Und wieso brauche ich Hilfe?”
“Na...natürlich nicht. Ich wollte nur fragen, ob ich dir mit was helfen kann. Aber anscheinend kommst du gut allein klar.” Er wusste, dass sie sich nicht so leicht aus der Ruhe bringen ließ. Also musste es was ernsthaftes sein. Er wartete.
“Sorry, das hat nichts mit dir zu tun.” Katherine fuhr sich mit der Hand durch die offenen Haare und steckte sie gleich wieder hinter die Ohren. “Ich begreife nur nicht was mit dem blöden Ding verkehrt ist!”
Sie zeigte auf das halbfertige Gerät und Trevor begriff sofort. “Professor Helberts Vakuum-Batterie. Die endlose Energiequelle! Hm, gutes Projekt. Ziemlich ehrgeizig. Ich kenne keinen, der es richtig hingekriegt hat.”
“Du kannst mich gleich dazuzählen.” Katherine warf einen strafenden Blick auf ihre widerspenstige Kreation. “Am liebsten würde ich alles auf den Boden werfen und es zu einem Pfannkuchen trampeln!”
“Autsch, Chryséis färbt wohl langsam auf dich ab, was?”
“Hmm,” brummte Katherine.
Laut Professor Gaylord Helberts Theorie, basierte die Vakuum-Batterie darauf, dass sich zwei Pole innerhalb eines Vakuums berührten und dabei endlos viel Energie erzeugten. Im Prinzip. Die Formel war dazu da, die dabei erzeugten elektromagnetischen Wellen auf eine Reihe unterschiedliche Schwingungsstufen einzustellen. Dann konnte man die Batterie für eine Menge nützlicher Dinge aktivieren. Theoretisch jedenfalls.
“Zu dumm, dass Chryséis ein anderes Projekt hat. Eine Theorie über das Zeitkontinuum. Dabei geht’s um schwarze Löcher im Weltall. Aber alleine schaffe ich das nicht.” Da bitte - sie hatte es zugegeben.
Mittlerweile fand Katherine schwarze Löcher im Weltall auch attraktiver. “ OK, lass mal sehen was man da machen kann. Hast du das Vakuum nachkontrolliert? Wo sind die Zahlenwerte…?”
Es war ihr gar nicht eingefallen, Trevor zu fragen. Normalerweise tat er sich bei Projekten immer mit anderen Jungs zusammen. “Bist du sicher?” fragte sie zögernd.
“Ja doch.” Er liebte es Probleme zu lösen.
“Na gut. Hier sind die Ausdrucke von der ‘Q-Mechanics’ Webseite. Da macht alles noch Sinn. Die beiden Pole machen Kontakt und das Einstellen der harmonischen Schwingungen sollte eigentlich ein Kinderspiel sein—”
Sie arbeiteten den ganzen Nachmittag gemeinsam an der Lösung und waren stolz auf ihre Fortschritte. Als die Schulglocke zum Abendessen rief, hatte die Batterie immerhin schon eine Reihe von Tests überlebt.
Katherine war jetzt um einiges besser gelaunt.
“Wir sollten uns den Anschluss nochmal genauer ansehen. Ein Adapter wäre ganz gut,” sagte Trevor.
“Wenn du keine anderen Pläne hast, können wir das Projekt ja jetzt zusammen machen,” wagte sich Katherine vor. Trevor war begeistert.
“Eigentlich hatte ich vor mit Dan Atkins zu arbeiten, aber wir konnten uns einfach nicht auf ein Thema einigen. Er macht jetzt was mit Ben Harper, glaube ich. OK, dann sind wir also Projektpartner.” Sie schüttelten sich spontan die Hand.
“Klasse. Jetzt brauchen wir nur noch ‘ne Anwendung, um die Batterie der Klasse vorzuführen.”
“Eins nach’m andern. Erst muss die Batterie einwandfrei funktionieren.”
“Ja, ich weiß. Auf der Q-Mechanik Webseite war nicht viel zu dem Thema, aber wir können uns ja mal Gedanken darüber machen.”
“Hmm, OK. Aber jetzt hab’ ich erstmal Hunger.”
Christopher Higgins war schon dabei seinen Arbeitstisch aufzuräumen und Sophie Baxter, eine Karatemeisterin aus der zehnten Klasse, war noch im Chemielabor. Sie goss schnell noch irgendeine rote Flüssigkeit in ein Reagenzglas und wartete auf die Reaktion. Sie würde auch bald zusammenpacken. Es war Zeit zu gehen.
“Vielleicht sollten wir morgen in der Bibliothek vorbeischauen. Ich glaube da stand was in dem einen Kapitel - in ‘Anwendungsgebiete des Elektromagnetismus in der Modernen Wissenschaft’.”
“Klar, können wir machen.” Katherine verstaute ihre Werkzeuge ordentlich in der Schublade. Sie schloss ab und stopfte die Notizen in ihre Schultasche.
“Das geht ja besser als ich dachte. Wie wäre es mit einem Geschichtsprojekt wenn wir hiermit fertig sind? Frühe chinesische Dynastien...” begann Trevor.
“Ne, Trevor. So einfach war’s nun auch wieder nicht! Wir haben noch ‘ne Menge zu tun. Chinesische Geschichte kann erstmal warten.”
Am nächsten Tag trafen sie sich wie vereinbart vor der Bibliothek. Im Vorraum wurde lautstark geschimpft und verschreckte Schüler versuchten sich am massiven Schreibtisch vorbei zu schleichen.
“Mr. Booth!” Die verärgerte Stimme der Bibliothekarin durchschnitt die sonst übliche Stille. “Wir sprechen hier von Verantwortungsbewusstsein!” Sie sprach jede Silbe betont aus. “Zwei Bücher in zwei Wochen!”
Miss Epplestein, von allen nur ‘Apfel’ genannt, machte eine effektive Pause bevor sie weiterschimpfte. “Und Sie sagen, die Bücher sind einfach verschwunden? Ich werde das melden müssen. Wenn Sie denken, dass das Eigentum der Schule unwichtig ist—”
‘Apfel’ hatte den Spitznamen Dank ihrer rundlichen Formen und roten Wangen geerntet. Aber wie jetzt konnte sie sich schon mal von einer sanften, hilfsbereiten Bibliothekarin in eine zornige Buchgöttin verwandeln, wenn ihre geliebten Bücher ‘verschwanden’. Dann ging man ihr besser aus dem Weg.
Samuel Booth, ein dünnes Kerlchen von einem Sechstklässler, mit ebenso flammend-roten Ohren wie Haaren, stand kleinlaut vor ihr. Die Szene war ihm ungeheuer peinlich. Er konnte fühlen wie die Augen der anderen Schüler ihn durchbohrten. Aber ‘Apfel’ hatte natürlich recht. Sam hatte die dumme Angewohnheit seine Schmöker überall herumliegen zu lassen.
‘Apfel’ war noch nicht fertig mit ihm. “Haben sie überhaupt eine Ahnung, Mr. Booth, wieviel ihre Schule jedes Jahr für diese Bücher ausgibt?“
Katherine und Trevor schlichen sich mit ein paar anderen Schülern an dem großen Schreibtisch vorbei. Trevor wollte nicht erkannt werden. Das gleiche war ihm nämlich auch schon mal passiert!
In der ‘Physik’ Abteilung suchten sie nach einem ziemlich großen Buch. Laut Bücherverzeichnis sollte es hier auf dem Regal unter dem Buchstaben ‘B’ stehen.
“Schau dir das an.” Katherine zeigte auf einen dünnen Band. ”Hast du schon mal was von ‘Die Außerirdische Intelligenz’ von Meredith Baker-Maitland gehört? Ich frage mich was das wohl sein soll...”
“Ein Buch von Nicola Tesla steht auch am verkehrten Platz!” Sie hatte sämtliche Bücher über den berühmten Physiker aus dem 19. Jahrhundert gelesen, der seiner Zeit weit voraus gewesen war. Er hatte es zum Beispiel fertiggebracht, eine Glühbirne so zu konstruieren, dass sie ohne Stromanschluss leuchtete.
Dummerweise hatte damals niemand seine ungeheuren Erfindungen so richtig ernst genommen und sein Wissen ging verloren. Kein Wissenschaftler war seitdem imstande gewesen, das Geheimnis von Nicola Teslas Glühbirne zu lüften.
Man hatte nur eine ungefähre Ahnung, dass die dazu notwendige Energie sich ‘drum herum’ befunden hatte.
“Ah, ich hab’s,” sagte Trevor. “Hier bitte: die ‘Anwendungsgebiete des Elektromagnetismus in der Modernen Wissenschaft’ von Professor Thomas Barber, 1989, Pillory Press. Jemand hat das Buch blöderweise unter ‘D’ statt ‘B’ gestellt.” Der Wälzer plumpste auf den niedrigen Tisch neben dem Regal.
Sie setzten sich und studierten das Inhaltsverzeichnis. In der Bibliothek wurde stiller. Miss Epplesteins Ärger schien verraucht zu sein.
“Das wurde auch Zeit,” seufzte Katherine. “Wahrscheinlich kann man Sam mittlerweile vom Boden auflesen. Ich hoffe ich werde nie so ein teures Buch verlieren wie dieser Schussel.”
Trevor hörte kaum zu. Er war dabei die richtige Stelle zu finden.
“OK wo stand das noch...? ‘Gravitationswellen’, ‘Elektromagnetische Wellen’,” murmelte er vor sich hin. ”…reguläre Variationen von einem beliebigen Punkt im Raum breiten sich zu anderen Punkten mit der Geschwindigkeit c aus. Mit Hilfe von Modulationen können Informationen auf die Trägerwelle übertragen werden. Na gut, das wissen wir ja schon...”
“Ich glaube das hier könnte was sein: ‘Harmonien im Elektromagnetismus’, Kapitel dreizehn,” sagte Katherine.
Sie lasen den Abschnitt genau durch.
“Schau dir das an, Katie!” Trevors Zeigefinger stach auf einen komplexen Paragraphen im dreizehnten Kapitel ein. Er las den Text vor.
“…In einem geeigneten Gelände, falls möglich ohne Störung durch größere elektromagnetische Felder und mithilfe einer ausreichenden Energiequelle, kann ein Zugang zum Raum-Zeit Kontinuum hergestellt werden. Vorausgesetzt, dass besagte Energiequelle auf gleichmäßig hohem Niveau gehalten werden kann, …siehe Illustration 11a…, besteht die Möglichkeit, dass sich ein Zeitportal öffnet. Eine sichtbare Verzerrung im Raum-Zeit Kontinuum präsentiert sich im allgemeinen als Vortex (!), die eine rotierende Überlappung von Zeitperioden darstellt, und diese unter bestimmten Umständen zu überbrücken vermag. Die Faktoren Zeit und Geschwindigkeit können durch die Anwendung folgender Formeln stabilisiert werden…“
“Mensch, das bedeutet ja, dass Zeitreisen zumindest möglich ist,” sagte Katherine verwundert. “Willst du das mit der Batterie anstellen?”
“Klar, wenn’s möglich ist... warum nicht?” meinte Trevor.
“Als ob du das schon immer gewusst hast, Einstein!”
“Oh, schon ‘ne ganze Weile.”
“Wirklich - aber da gibt’s natürlich einen Haken. Die Energiequelle muss kontinuierlich sein und ausreichend. Und so wie ich das verstehe, autsch…!”
Das schwere Buch glitt vom Tisch und eine Ecke bohrte sich in Katherines Bein. Sie rieb sich die schmerzende Stelle am Oberschenkel und hievte es auf den Tisch zurück, aber Trevor war zu vertieft, um sich darum zu kümmern.
“Das stimmt natürlich... ausreichend... es muss ausreichend sein, aber das ist relativ. Wir müssen einfach nur die Kapazität der Vakuum-Batterie verbessern und stabilisieren.”
“Genau darum geht’s doch, Kinder,” Katherine imitierte grinsend eine beliebte Redeart von Dr. Wilkins. “Traut euch was zu!” Für einen langen Augenblick sagten sie nichts, dann sank die Idee ein. “Was genau meinst du eigentlich Trevor... mit Zeitreisen?”
“Wir können versuchen ins Raum-Zeit-Kontinuum einzusteigen,” sagte er langsam. “Solange wir eine unendliche Energiequelle haben sind wir ja schon halbwegs soweit, oder?”
“Naja, so ungefähr jedenfalls.”
“Warum eigentlich nicht?”
“Oh, lass mal sehen — wir haben kaum Zeit das vorzubereiten! In drei Wochen ist der Vortrag fällig. Und dann - geht’s ja auch nur um Zeitreisen! Verrückte Idee. Wir brauchen ‘ne Menge Maßtabellen und Informationen über existierende Geräte - und dann...”
“Ich weiß aber, dass wir das können! Wir müssen die Vakuum-Batterie nur irgendwie mit dem Zeitportalsucher kombinieren, den ich mir letztes Jahr schon ausgedacht habe.” Er blätterte wieder im Buch herum.
“Was hast du dir ausgedacht?” Katherine war ganz überrascht.
Und so erzählte ihr Trevor, wie er mit neun Jahren einen Vortrag gehört hatte. Ein Student von Professor Barber hatte im vollbesetzten Auditorium der Universität über verschiedene Aspekte des Raum-Zeit Kontinuums gesprochen. Trevor war zwei Stunden lang zwischen den Physikstudenten gesessen und hatte konzentriert zugehört. Danach hatte er sich weitere Informationen geholt und dann einen Zeitportalsucher gebaut.
“Was, und das sagst du mir erst jetzt?”
“Naja, ich dachte ihr lacht mich aus. Ich hab’s auch nur einmal ausprobiert,” sagte Trevor. “Um ehrlich zu sein, hatte ich Angst vor der flimmernden Vortex. Ich war ja erst neun.”
“Aber sowas ist doch wichtig - eine flimmernde Vortex? Echt?”
“Hab’ das nie jemandem gezeigt. Das Projekt über Pyramiden auf der ganzen Welt war sicherer. Wusstest du, dass es welche in der Wüste Gobi geben soll, die unter Tonnen von Sand begraben sind? Ich glaube aber nicht so recht an die 150 Meter hohe Pyramide in der Sargasso See.”
Katherine konnte sich noch vage an sein Geschichtsprojekt erinnern. “Trevor, du schweifst vom Thema zu ab.”
“Komm’, wir machen ‘ne Kopie davon.” Er hob das schwere Buch auf und trug es zur Kopiermaschine.
Der bloße Gedanke, sich ins Raum-Zeit Kontinuum zu begeben und vielleicht nie wieder aufzutauchen, jagte Katherine einen kalten Schauer über den Rücken. Der Gedanke an Zeitreisen war zwar aufregend – aber gleichzeitig auch der helle Wahnsinn.
Trevor war schon erstaunlich. Er hatte doch tatsächlich eine Zeitmaschine erfunden! Was war eigentlich ein Zeitportalsucher genau? Ihr schwirrte der Kopf.
Zeitreisen - war sowas denn wirklich möglich?