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Kapitel 2

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Tony hatte angeboten, mich am Flughafen in Gaborone abzuholen, aber würden wir uns verstehen?

Wir kannten uns nicht besonders gut und Claire war unser einziger Kontakt gewesen. Ich grübelte darüber nach, als wir vom Jan Smuts Airport Richtung Botswana starteten.

Das kleine Passagierflugzeug musste sich durch Turbulenzen kämpfen als wir den endlosen Busch unter uns überflogen und ich hörte dazu auf meinem Walkman einen Simon and Garfunkel Soundtrack.

Das ständige ‘rauf und ‘runter katapultierte meinen Magen jedesmal in eine andere Dimension, aber zum Glück gab es als Snacks nur gesalzene Erdnüsse und Biltong. Dieses Trockenfleisch war eine Buschmann-Spezialität, erklärte die Stewardess. Angeblich nichts was Übelkeit auslöst. Trotzdem behielt ich zur Sicherheit die im Netz vor mir verstaute Papiertüte im Auge. Mein Magen ließ mich nicht im Stich und die Maschine landete sicher auf einem hellen Streifen mitten in der Savanne. Alle klatschten erleichtert Beifall. Der Geruch von Wildnis und eine Welle heißer Luft schlugen mir entgegen als ich die kurze Distanz übers Rollfeld zum winzigen Flughafengebäude ging. Die Luft glühte über dem Asphalt unter einer unbarmherzigen Sonne. Es gab so viel blauen Himmel und so viel Savanne.

Das war’s also. Das war Afrika, wo Claire unbedingt hatte leben wollen.

Wie anders sich alles anfühlte. Ich hatte England mit seinen verregneten Herbstfarben verlassen und war in den afrikanischen Frühling eingetaucht: hell und heiß und schmutzig grün. In Botswana war es jetzt im September - Vorfrühling also. Ich hatte fast vergessen, dass die Jahreszeiten auf der südlichen Halbkugel ja genau umgekehrt waren!

Ich atmete die erdige Luft ein und ging weiter.

Es dauerte nicht lange mein Gepäck vom Karussell abzuholen und mein Pass war auch bald kontrolliert. Die Zeit reichte gerade, um die moderne Ausstattung des Flughafengebäudes zu bewundern. Vielleicht bildete ich es mir nur ein, aber die Angestellten auf dem Flughafen sahen hier viel freundlicher drein als ihre Londoner Kollegen. Ihre Bewegungen waren gelassener und in Heathrow hatte niemand gelächelt.

Die Schlange bewegte sich an einer der Putzfrauen vorbei, die gerade, gegen einen Container mit tropischen Pflanzen gelehnt, eine Ruhepause einlegte. Sie grüßte mich mit einem breiten Lächeln und die nächste Putzfrau, die den gekachelten Boden um uns herum wischte, auch.

Als ich bei der Passkontrolle an die Reihe kam, meinte der afrikanische Beamte: “Willkommen in Botswana, Miss Reinhold. Genießen Sie Ihren Aufenthalt,” als er mir mein Reisedokument zurückgab.

Das war so ganz anders als die öligen Typen in schlecht sitzenden Uniformen, die in so manchem Klischeefilm unbedarfte Reisende schon mal ins Gefängnis steckten, weil sie verkehrt geschaut hatten.

“Danke sehr,” lächelte ich zurück und ging federnden Schrittes auf die Gepäckwagen zu. Ich lüpfte meine Taschen auf einen der Wagen und marschierte Richtung Ausgang weiter. Gutgekleidete Geschäftsleute waren direkt vor mir und eine indische Dame mit Doppelkinn, im grell-grünem Sari und mit Glitzerschmuck behängt, bugsierte ihre vier Kinder energisch den gläsernen Schiebetüren entgegen. Die aufgeregte Familie wartete schon und nahm ihr sofort Gepäck und Kinder ab.

Draußen kam ein junger Mann auf das Flughafengebäude zugesprintet. Es war Tony. Groß und attraktiv in ausgewaschenen Jeans und Freizeithemd. Die widerspenstigen, dunklen Locken waren jetzt länger. Seine hellen Augen standen im starken Kontrast zum sonnengebräunten Gesicht und die gold-gerahmte Brille verlieh ihm trotz der Bartstoppeln einen gelehrten Ausdruck.

Es machte mich auf einmal traurig ihn zu sehen. Claire war erst vor sieben Wochen verschwunden und Tony war die einzige lebende Verbindung zwischen uns. Wir klammerten uns für einen kurzen Augenblick aneinander. Irgendwie war es auf einmal in Ordnung, ihn wie einen alten Freund zu begrüßen, mit ihm zu sprechen als stünden wir uns richtig nahe. War alles halb so schlimm.

“Hallo Schwesterchen,” sagte er mit belegter Stimme und hüstelte ein wenig. Er drückte mich weiter an sich.

“Hi Tony,” schnüffelte ich und schälte mich aus der Umarmung.

Tony wandte sich praktischen Dingen zu. “Komm’ lass mich das schieben. Wie war der Flug?”

“Lang,“ meinte ich. „Wir waren zum Tanken ein paar Stunden in Kinshasa. Gottseidank hatte ich meinen Walkman dabei.” Ich versuchte mit normaler Stimme zu sprechen.

“Ja, Musik kann auf einer langen Reise schon ein Lebensretter sein. Das Auto steht da drüben.” Ich trottete Tony und dem klappernden Gepäckwagen über den fast leeren Parkplatz hinterher.

“Ich habe noch nie so viele Swimmingpools gesehen wie im Anflug auf Südafrika.“ Ich öffnete den prallgefüllten Rucksack und drückte meinen getreuen Walkman hinein. Zum ersten Mal seit wir London verlassen hatten, trennte ich mich von meinem Reisebegleiter. Aber jetzt konnte ich ja mit Tony reden. “Wir mussten in Johannesburg über eine Stunde im Transit warten. Das war vielleicht langweilig.”

“Tja, das ist halt ein anderer Lebensstil hier,” sagte er, blieb hinter einem schmutzig-blauen Toyota Corolla stehen und suchte nach seinem Schlüssel.

“Du meinst, die Leute in Botswana haben auch Swimmingpools im Garten?” fragte ich naiv.

“Ja sicher. Nicht in so einem Kaff wie Palapye, aber es gibt davon ‘ne Menge in Gaborone und Francistown.”

Ich war beeindruckt. Stell’ dir vor du hast deinen eigenen Swimmingpool! Tony hievte meine Taschen in den Kofferraum und stieß den Gepäckwagen zur Seite. Er machte mir die Autotüre auf und ich ließ mich dankbar auf den Beifahrersitz plumpsen.

Wir folgten den Schildern zum Ausgang und bretterten bald auf einer langen Teerstraße durch die Savanne. Die Erde war auffällig rot und mit dumpf-grünen Büschen bewachsen. Ich merkte wie müde ich war, aber an Schlafen war jetzt nicht zu denken. Dafür war alles viel zu aufregend.

“Hier ist alles so staubig. Und die Erde ist so rot,” sagte ich.

“Das liegt an dem ganzen Eisenoxyd im Boden. Außerdem hat es eine Weile nicht geregnet. Es regnet nämlich nicht im Winter,” erklärte Tony. “Angeblich explodiert die Natur im Spätfrühling, wenn die Regenfälle anfangen.”

Komisch, in England regnete es andauernd. Vor allem im Winter.

“Und ich dachte, die Natur wäre schon explodiert,” sagte ich.

“Ha, abwarten und Tee trinken. Mach’ dein Fenster zu sonst springt die Klimaanlage nicht richtig an,” meinte Tony.

Ich kurbelte das Fenster hoch. “Fahren wir jetzt durch Gaborone?”

“Neh, Bridget, erstmal geht’s direkt nach Palapye.” Tony lenkte das Auto auf eine Art Hauptstraße. Wenn man nach den drei Autos gehen konnte, die an uns vorbei sausten. Dann fuhren wir Richtung Osten weiter.

“Oh, und warum nicht?” Ich hatte unbedingt Gaborone sehen wollen, wo Claire all die Wochen von mir getrennt verbracht hatte.

“Wir müssen vor Anbruch der Dunkelheit in Palapye sein. Ich nehm’ dich bald mal nach Gabs mit. Vielleicht am Wochenende, mal sehen,” sagte Tony.

Palapye. Das war das Dorf wo Tony jetzt an einem Berufszentrum arbeitete - nahe beim Tuli Block und in der Nähe von Claire. Zumindest auf der Landkarte. Der Tuli Block war ein von der Hauptstraße weit entferntes Naturreservat, an das Simbabwe und Südafrika und Botswana grenzten.

Claire hatte unbedingt die Elefanten dort sehen wollen.

Es musste ganz schön schwierig für Tony gewesen sein, ohne sie in Gaborone zu leben. Und dann die ganzen Fragen. Er konnte die Fragen nicht beantworten. Noch nicht.

Da die Fahrt ein paar Stunden dauern würde, hatte Tony einen Imbiss besorgt. Ich öffnete die braune Papiertüte mit den Coladosen und Sandwiches.

“Willst du dem Verkehr aus dem Weg gehen?” fragte ich und trank von der schäumenden Coladose ab.

“Nein, so groß ist Gabs auch wieder nicht. Um diese Zeit gibt es bestimmt keine Staus.”

“Und warum dürfen wir dann nicht nach Einbruch der Dunkelheit fahren?” fragte ich ohne wirkliches Interesse. Ich biss hungrig in ein Sandwich mit Käse und Schinken und fühlte mich plötzlich sehr müde.

“Wegen der Kühe und Ziegen. Die laufen nachts schon mal auf die Straße und legen sich auf dem warmen Teer schlafen. Nachts kann es hier kühl werden.”

“Wirklich, Kühe und Ziegen?” murmelte ich.

“Ja, und das kann nachts gefährlich werden, wenn man schneller als 5 Meilen pro Stunde fährt,” erklärte Tony geduldig.

Ich dachte über diese erstaunliche Tatsache einen Augenblick lang nach. “Es ist doch erst früher Nachmittag. Braucht man denn so lange bis nach Palapye?”

“Nein, nur ungefähr zwei Stunden, aber es wird früh dunkel. Wir sind hier ja näher am Äquator dran.” Ach wirklich?!

“Hmm, was ist denn eigentlich mit den Löwen und Zebras? Laufen die hier etwa auch auf der Straße herum?”

Tony lachte. “Nein nicht hier in der Gegend. Wilde Tiere sind mehr oben im Norden im Okavango Delta, im Tuli Block und so. Hier gibt es eigentlich fast nur Farmtiere.”

“Ach so.” Ich nahm einen Schluck aus der Coladose, um die Krümel herunterzuspülen. Der Okavango war oben im Norden? Soviel konnte ich mir an meinem ersten afrikanischen Tag sowieso nicht merken.

Tony musste bremsen, um einer Gruppe Frauen mit massiven Bündeln auf dem Kopf auszuweichen. Sie waren in Decken gehüllt, die sich am Rücken wölbten.

Ich verschüttete Cola auf meinen Jeans. Tony gab mir ein Taschentuch und ich trocknete mich damit notdürftig ab, während ich mir die Landschaft ansah, solange das Tageslicht anhielt. Aber da gab es nicht viel zu sehen. Lauter roter Sand, Büsche und grauer Schotter auf beiden Seiten der Teerstraße. Ab und zu ein halbverfallenes, strohgedecktes Haus.

Die Hügel, die sich in der Ferne aufstülpten, sahen einladender aus. Irgendwie verträumt.

Ich war noch nicht daran gewöhnt, Afrika richtig wahrzunehmen, sonst hätte ich die Dörfer, die Tiere und Haufen von Shake-Shake Kartons an der Seite der Straße gesehen. Shake-Shake war das beliebteste Getränk in Botswana: dickflüssiges, saures Hirsebier und mehr Brei als Getränk.

Nach einer Weile sah ich immerhin schon Holzpfähle mit elektrischen Leitungen vorbei sausen. Und Zäune.

“Warum gibt es denn so lange Zäune an der Straße?” fragte ich und gähnte.

“Viehzäune. Um die Tiere von der Straße fernzuhalten,” sagte Tony. Das verwirrte mich.

“Hattest du nicht gesagt, die laufen sowieso auf die Straße?”

“Die Hirtenjungen lassen oft die Tore offenstehen. Man muss deshalb trotzdem aufpassen,” erklärte er. “Ein Freund von mir bekam vor zwei Wochen Ärger damit. Er fuhr eine Kuh tot und musste eine Menge Geld für sie bezahlen. Sein Auto war auch Schrott, aber zum Glück hatte er nur einen Kratzer an der Stirn.”

“Oh, das ist ja schrecklich.”

“Ja, ist es auch,” pflichtete mir Tony bei und fuhr um ein Schlagloch herum. Ich fragte mich, wie so ein Unfall in Cambridge wohl Schlagzeilen gemacht hätte: ‘Junger Lehrer fährt mit seinem Golf GTI Kuh auf der Straße an. Kuh und Auto verblichen. Farmer verlangt sofortigen Schadensersatz von Fahrer’ - oder so ähnlich.

“Wir fahren gerade durch Motschudi. Dort drüben bei dem Hügel ist ein kleines Krankenhaus. Ein deutscher Arzt leitet es, er heißt Dr. Ritter.”

Motschudi. Ich zuckte zusammen. Hier war Claires Auto gefunden worden, auf einem Feld. Wollte Tony etwa anhalten und mir die Stelle zeigen? Anscheinend hatte er nicht die Absicht.

Wir fuhren weiter Richtung Osten und Tony zeigte auf ein weißes Gebäude rechts der Straße. Die Klinik. Dr. Ritter war anscheinend schon über zehn Jahre im Lande, mit seiner Frau und fünf Kindern. Laut Tony war die gut ausgestattete Klinik besser als die größeren Krankenhäuser in der Stadt.

“Du hast dort sicher nach Claire gesucht,” meinte ich und kannte die Antwort.

“Natürlich. Es wurden alle Krankenhäuser abgesucht.” Tonys Blick war auf die Straße fixiert. Aus gutem Grund, wenn man an all die Kühe und Ziegen dachte.

Ich nahm Claires ersten Brief aus dem kleinen Rucksack. Ich hatte ihn schon hundertmal gelesen, den Brief. Fotos steckten in dem abgegriffenen Luftpostumschlag: eines zeigte meine Schwester in Peru, wie sie sich an eine Ruine lehnte und eines war in unserer Küche Zuhause aufgenommen worden. Auf dem dritten Foto war ich auch drauf, mit Mom und Dad. Ich hatte meinen Arm um Claire gelegt.

Der Anblick meiner Eltern gab mir einen Stich. Ich fühlte mich schuldig. Die drückende Schuld vermischte sich mit Heimweh. War es richtig gewesen, so einfach wegzugehen? Jetzt mussten die beiden sich auch noch Sorgen um mich machen.

Aber es gab kein Zurück mehr. Ich war jetzt in Afrika und so war das eben. Ich quetschte den Rucksack vor den Sitz und streckte meine nackten Füße auf dem staubigen Armaturenbrett aus. Hoffentlich störte es Tony nicht. Es störte ihn offenbar nicht, also las ich den Brief zum hundert und einsten Mal:

‘Gaborone, 11. Juni 1988

Hallo Fumpy,

Gerade in Gabs angekommen. So nennen die Leute hier die Hauptstadt. Die ist aber so klein, sogar noch kleiner als unser gutes altes Cambridge. Bisher habe ich nur zwei Ampeln gesehen… Es is ziemlich kalt nachts, weil – unglaublich – es hier Winter ist.

Erst bin ich noch im warmen Juniwetter in England und jetzt bin im Winter gelandet. Aber nur nachts. Tagsüber ist es heiß und trocken. Wer hätte gedacht, dass es so ein Klima gibt?

Letzte Nacht war mir dermassen kalt, dass ich in meinen Schlafsack gekrochen bin. Muss morgen erstmal ein richtig dickes Federbett und Decken dazu kaufen, wenn ich einen Laden finden kann. Tony hat’s gut. Ihm wird nicht so schnell kalt wie mir. Er ist auch schon fast einen Monat hier und sollte eigentlich die Geschäfte in Gaborone kennen.

Stell dir vor, ich hab’ heute früh Pfützen mit Eis drauf gesehen. Ohne Quatsch. Der Gärtner, der sich um den Garten beim Firmenwohnhaus kümmert (das übrigens enorm groß ist) hat gestern den Rasen gewässert und… ‘

Im Brief standen noch Beschreibungen von Haus und Garten und wie nett Tony gewesen war. Er hatte Claire mit einem Blumenstrauß vom Flugplatz abgeholt. Sie hatten ihr Gepäck im Firmenhaus abgeladen und waren zum Büro gefahren, um sich erstmal bei Claires neuen Kollegen vorzustellen. Einmalige Charaktere, anscheinend.

Ich musste lachen als ich weiterlas. Da war zum Beispiel dieser aufdringliche Bauzeichner aus Chicago, der immer so verführerisch in Claires Richtung zwinkerte.

‘…Vielleicht ist es nur ein nervöses Zucken…’ schrieb Claire, aber ich wusste schon von ihren anderen Briefen, dass das nicht stimmte.

Er glaubte vielmehr auf Frauen unwiderstehlich zu wirken. Chad Sullivan hielt sich für einen ausgemachten Frauenhelden. Nur dass Frauen sich eher aus dem Staub machten, wenn er mit seinen Aufreissersprüchen anfing.

‘…Dann gibt’s da noch Liesl, die langweilige, blonde Freundin von Desmond Kahl, einem jungen Ingenieur. Sie sitzt den ganzen Tag im Büro ihres Freundes herum und muss Löcher in die Luft starren, weil sie nicht zu arbeiten scheint. Wolfgang Klein, der Chef des Design-Teams und mein direkter Chef, ist ruppig aber fair. Er ist ungefähr Mitte Fünfzig, groß, sieht gut aus und recht intelligent.

Das Design-Team besteht aus Wolfgangs rechter Hand, einem hässlichen Ingenieur namens Werner Pfeiffer, der Sekretärin Emily van Heerden (sie ist nicht auf den Mund gefallen), Kgomotso Min (die Tswana-Buchhalterin, deren Stiefvater ein chinesischer Bankier ist) und Thomas Taylor, ein erfahrener Ingenieur, der mit seinem flammend-roten Bart wie ein wilder Schotte aussieht. Da gibt's noch ein paar andere Leute, die sind aber nicht sehr interessant...’

Claire verstand sich immer gut mit anderen Menschen, aber den korpulenten Bürochef, Herrn Feindlich, den mochte sie ganz und gar nicht. Ich wusste, was sein Name auf Deutsch bedeutete. Vielsagend.

‘…Hr. Feindlich lud mich gestern zum Mittagessen in ein französisches (!) Restaurant, The Bougainvillea, ein und klärte mich erstmal über meine Kollegen auf. Der Mann hatte nichts gutes über Emily zu sagen. Er denkt sie ist eine Hure – stell’ dir das vor. Wie kann ein Manager so vulgär sein? Ich habe außerdem überhaupt nicht den Eindruck. Im Gegenteil, ich mag Emily und Kgomotso. Mochte sie gleich von Anfang an. Du weißt ja, dass ich lieber auf meine Intuition höre.’ (wusste ich) ‘Denkt der Knabe etwa ich kann mir keine eigene Meinung bilden oder was?...’

Ich seufzte. Würde ich diesen Leuten jemals über den Weg laufen?

‘…Herr Feindlich mag anscheinend Desmond und seine Dorfpflanze von Freundin am liebsten. Er scheint mit Liesl verwandt zu sein. Sie ist jung und üppig, sieht aber viel älter aus’ auf so eine knuddelige, konventionelle Art. Ich bin sicher sie zieht sich genau wie ihre Mutter an. Feindlich wollte mich gleich mit ihr zum Shoppen schicken. Kommt gar nicht in die Tüte! Hab’ eine lahme Ausrede aus dem Ärmel geschüttelt. Er wird’s mir nie verzeihen, wenn er rausfindet, dass ich mit Emily und Kgomotso shoppen war...’

Vielleicht war da was dran. Hatte dieser Herr Feindlich Claire nicht verziehen? Lies doch nicht in alles Anhaltspunkte rein, schalt ich mich. Ich hatte die Briefe immer wieder gelesen, aber ehrlich gesagt konnte ich nicht den kleinsten Anhaltspunkt entdecken. Die Briefe hatten mehr einen sentimentalen Wert in meiner Mission Claire zu finden.

‘…Emily ist intelligent und eigensinnig, 23 und ziemlich hübsch, mit hellbraunen Haaren. Sie kommt aus Südafrika, aus Johannesburg, und fährt wenigstens einmal im Monat übers Wochenende zu ihrer Familie. Kgomotso ist Emilys beste Freundin. Die beiden sehen total unterschiedlich aus, aber beide bewegen sich so lässig und haben was richtig nettes an sich.

Sie luden mich gleich in das kleine Firmenwohnhaus in Tsholofelo ein, das sie sich mit zwei anderen Angestellten teilen. Tsholofelo ist ein netter Stadtteil. Emily liebt Sonnenbrillen und hat wenigstens fünf verschiedene. Ich glaube sie bemerkt nicht, dass Männer sie ziemlich anziehend finden. Herr Feindlich bemerkt es und...’

Claire hatte in ihrem ersten Brief noch nicht viel über Kgomotso geschrieben, aber ich wusste, dass die drei feste Freunde geworden waren. Ich versuchte mir ein Firmenwohnhaus vorzustellen, mit Claire...

“Hey, Bridget!”

“Hmm, ja?” Ich musste für eine Weile eingeschlafen sein. Auf einem Straßenschild stand ’Mahalapye ’.

“Wach’ auf,” sagte Tony eindringlich.

Da waren Soldaten auf der Straße. Wir wurden an einer Straßensperre angehalten.

“Was ist das denn los, Tony? Stimmt was nicht?” fragte ich alarmiert. Bomben, Straßengefechte…

“Nein sorry, alles in Ordnung. Ich hatte ganz vergessen dir davon zu erzählen. Soldaten durchsuchen hier öfter mal Autos nach Waffen und allem was nach Militär aussieht. Überlass’ es mir mit denen zu reden. Du lächelst einfach nur.” Ich rieb mir die Augen. Tony musste seinen Kofferraum öffnen und ich lächelte was das Zeug hielt.

Die Soldaten waren jung und sehr nervös. Maschinengewehre hingen leger über mageren Schultern. Waren sie schießfreudig? Der barsche Ton und die Gewehre machten mich ganz kribbelig. Ich hatte noch nie eine richtige Waffe aus der Nähe gesehen. Wir mussten noch unsere Pässe vorzeigen und wurden dann weiter gewunken. Der ganze Spuk dauerte nur ein paar Minuten.

“Au weia,” stöhnte ich und fing wieder an normal zu atmen, als wir uns von dem Road-Block entfernten.

“Gewöhne dich besser dran. In den Städten gibt es auch Straßensperren.”

“Was machen die denn, wenn sie was finden?”

“Ach, das passiert nur selten. Ein englischer Vertreter war mal mit einer alten Bomberjacke aus seiner Army-Zeit erwischt worden. Den haben sie stundenlang verhört. Der arme Kerl war noch ganz durcheinander als er uns das ganze im Botsalo Hotel erzählte.”

Botsalo Hotel. Da hatte ich Tony doch vor zwei Wochen angerufen.

“Das ist ja sehr beruhigend,” murmelte ich. Wie konnte man sich an so was gewöhnen?

“Nimm’ nie was army-grünes mit und sei immer freundlich. Dann kriegst du keine Probleme,” sagte Tony. Ok, nichts army-grünes und sei immer freundlich, dachte ich schläfrig.

Die Sonne sank schon auf die Hügelspitzen, dabei war es noch früher Nachmittag. Ein hauch von Nebel lag über den Feldern. Ich aß noch ein Sandwich und gab Tony das mit Salami. Er biss einmal hinein und starrte dann wieder auf die Straße. Erwartete er etwa, dass jeden Moment eine Kuh hinter einer Hütte vorgeprescht kam?

“Tony, erzähl’ mir was über Palapye.” Wir waren gerade an einem Straßenschild mit dem Ortsnamen vorbeigefahren und gleich darüber stand ‘Francistown’.

Tony atmete tief durch, als hätte ich ihn aus einem Traum geweckt.

“Da gibt’s nicht viel zu erzählen... aber wundere dich nicht, wenn du am Anfang keine Häuser siehst.”

Er biss wieder in das Sandwich, das er auf das Armaturenbrett gelegt hatte. “Die meisten Kraals sind hinter Motsetsi Hecken und getrockneten Ästen versteckt.”

“Was sind denn Motsis?” Wovon redete er?

“Motsetsi sind hohe, immergrüne Pflanzen. du wirst schon sehen. Dann gibt’s da noch die neue Teerstraße, die bis nach oben ins Berufszentrum führt. Das ist die einzige Straße im Dorf, aber alle nehmen tagsüber die Abkürzung durch den tiefen Sand, an den Kraals vorbei. Ich habe ein Haus im neuen Wohnkomplex beim Berufszentrum. Dann gibt es da noch eine Highschool. Und natürlich das Botsalo Hotel.”

Tony aß den letzten Sandwichhappen. Er kaute bedächtig und wischte sich die Hand an einem Taschentuch ab.

“Der Komplex ist hinter dem Berufszentrum. Alles befindet sich hinter Zäunen. Ziemlich monoton, wie eine Gartenkolonie im Sand,” meinte er.

“Ich kann dir helfen einen Garten anzupflanzen,” bot ich spontan an. Etwas Grün ums Haus konnte nichts schaden. Wie unser Garten in Cambridge.

“Mhm,” sagte Tony.

“Diese Hecken scheinen eine gute Idee zu sein,” sagte ich, aber die Diskussion war schon beendet.

Wir fuhren weiter und bald zeigte ein staubiges grünes Schild, auf dem deutlich ‘Palapye’ stand, nach rechts. Tony bog zwischen einer antiken Tankstelle und einem Souvenirladen ein. Die sinkende Nachmittagssonne verlieh der Umgebung einen goldenen Schimmer.

“Und das ist Palapye,” verkündete Tony.

Das sollte ein Dorf sein? Tony hatte recht gehabt, ich konnte keine Häuser entdecken. Nur Bäume, Hecken und trockenes Holz links der schwarz-glänzenden Teerstraße.

“Sehr beeindruckend!” log ich und wir lachten beide.

Hier gab es eindeutig einen Haufen an Nichts. Es sah nicht im geringsten dem lebendigen afrikanischen Dorf ähnlich, das ich mir in England vorgestellt hatte.

Meine Sichtweise war noch auf die dicht aneinander stehenden, hohen Häuser in London, die geschäftigen Einkaufsstrassen, die Ampeln, die schreienden Plakate, Busse und Züge und auf viele Menschen eingestellt.

Zuhause war Natur in ordentlich gepflegte Parks und Felder außerhalb der Stadt verpackt gewesen.

“Wir sind gleich da. Das hier ist übrigens das örtliche Einkaufszentrum.” Tony zeigte auf eine kurze Zeile ziemlich schmutziger, einstöckiger Häuser mit einem breiten Gehsteig davor.

Er wich ein paar Ziegen und einer Gruppe fröhlicher Kinder in zerlumpten Shorts aus. Sie schoben Spielzeugautos vor sich her, die sie mit langen Steuerrädern aus Draht lenkten.

Sie liefen wieder auf die Straße und winkten uns zu. Tony hupte und ich winkte zurück. Die Kinder lachten und schnitten Grimassen. Der Toyota ließ das Dorf hinter sich und schnurrte die lange Teerstraße zum Berufszentrum hinauf.

Ich musste daran denken, dass Claire das alles noch gar nicht gesehen hatte, was ich jetzt zu sehen bekam. Es fühlte sich irgendwie komisch an. Ausgerechnet ich wollte ja nie nach Afrika!

Bald darauf fuhren wir beim Berufszentrum durch die Schranke und hatten noch immer kein einziges Wort über Claire gesprochen.

Singende Eidechsen

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