Читать книгу Psychische Störungen in Kindheit und Jugend - Evelyn Heinemann - Страница 44

Interpretation Psychodynamik

Оглавление

Susi hatte bereits Autonomie erworben und die Wiederannäherungsphase nahezu bewältigt. Sie hatte ein gutes mütterliches Objekt integriert und eine relativ stabile Objektkonstanz erreicht. Wir können bei Susi von einer primären stabilen sicheren Bindung ausgehen. Dann kam es zu der unfallbedingten Krankenhausbehandlung, die – so wie sie abgelaufen war – traumatisierend gewirkt hatte. Die Eltern haben Susi in ihrer Angst und in ihrem Schmerz alleingelassen und Susi hatte Angst, verloren zu gehen. Große Angst überwältigte das Mädchen, Susi fürchtete zudem, bestraft und vor allem von den Eltern verlassen zu werden. Dies führte zu einer schweren Erschütterung der Bindungssicherheit des Mädchens. Eine ambivalent-unsichere Bindungsstörung wurde manifest: Susi konnte nicht mehr allein sein und klammerte an der Mutter.

Gleichzeitig wurden die autonomen Strebungen des Mädchens von nun an schuldhaft erlebt und unterblieben. Aufkommende Aggressivität durfte Susi nicht auf die Mutter richten, sie wandte sie von nun an gegen das eigene Selbst. Susi reagierte wieder mit anklammerndem Verhalten, mit Kontrolle und bekam Angst, den Stuhl loszulassen, das innere Objekt herzugeben. Susi bemerkte natürlich auch Angst und Unsicherheit bei den Eltern, so wurde der Stuhlgang zum Mittelpunkt aller trotzig-aggressiven Kämpfe um Autonomie und Loslösung, aber gleichzeitig auch zum Vehikel, die Eltern zu beherrschen.

Hergeben des Kots hieß mittlerweile für Susi Unterwerfung. Auf eine Frage von mir, ob sie denn Aa gemacht habe, meinte sie einmal in einer späteren Stunde: »Nein! Erst Einlauf kriegen!« Susi arrangierte somit auch die traumatische Situation, in welcher sie einst den Ärzten ohnmächtig ausgeliefert war. Mittlerweile suchte sie die Eltern ohnmächtig zu machen, um sie kontrollieren zu können. Die Verabreichung des Klistiers bedeutete somit auch die ständig reinszenierte Wiederholung des Traumas »Operation«, jetzt allerdings mit den Eltern, die im steten Wechsel Opfer und Täter wurden. Die Eltern waren sich dabei rundum einig und bildeten somit ein eher symbiotisches Paar. So konnte der Vater auch nicht als hilfreicher, entwicklungsfördernder Dritter zur Verfügung stehen, war er doch anscheinend mit der Mutter verschmolzen und hatte mit ihr einen Pakt gegen Susi geschlossen. Ich, als Therapeut, stand jedoch außerhalb dieses sadomasochistischen Zirkels und konnte Susi als mögliches triangulierendes Objekt helfen, den mütterlichen Einflussbereich wieder zu verlassen sowie wieder zu besserem symbolischen Denken zurückzufinden. Die Internalisierung neuer Beziehungsmodelle sollte die stagnierende Entwicklung wieder in Gang setzen.

Wir haben es diagnostisch mit einer Bindung zu tun, die durch ein externes Ereignis bedroht wurde. Hätte es sich um eine Bindungsstörung gehandelt, die durch den Bindungsstil der Eltern, z. B. ambivalent oder unsicher-vermeidend, erzeugt worden wäre, wäre die psychosomatische Affektabwehr stärker und so vermutlich nur durch eine tiefenpsychologisch fundierte Therapie und nicht durch eine Kurzzeittherapie behandelbar gewesen.

Psychische Störungen in Kindheit und Jugend

Подняться наверх