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Kapitel 5

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Die grellen Blitze zuckten wild am düsteren Sommerhimmel und die Blätter der Bäume rauschten laut im Wind. Äste und Gräser schwankten in einem tobenden Rhythmus. In dicken Tropfen prasselte der Regen dröhnend auf unser Auto hinab. Schlammige Pfützen bildeten sich auf dem Kiesweg, der zu dem Gutshaus führte, in dem Maries Eltern wohnten.

„Na, super Wetter hab ich mir ausgesucht.“

Durch das Autofenster sah ich dem strömenden Regen zu. Marie parkte den Wagen neben einer großen Limousine im Hof. Wir hatten noch ein gutes Stück durch das Gewitter zum Hauseingang zu laufen, weshalb wir mit dem Aussteigen zögerten.

Marie atmete tief durch. „Also am besten raus und dann nur noch rennen, okay?“

„Okay“, antwortete ich kleinlaut und machte mich für den Sprint bereit.

Die Wagentür wurde mir durch den orkanartigen Sturm aus der Hand gerissen und ich hatte einiges zu tun, um sie wieder zu verschließen. So schnell wie ich in meinen sommerlichen Stofflatschen rennen konnte, jagte ich nahezu blind (wegen meiner nassen Brillengläser) zur Haustür. Allerdings trat ich dabei mehrmals in knöcheltiefe Regenlachen, die meine Schlappen bis zum Rand voll Wasser laufen ließen, was an einem heißen Sommertag bestimmt herrlich erfrischend gewesen wäre.

Mit quietschenden Gummisohlen kam ich neben Marie unter dem Vordach zum Stehen. Wir sahen einander an und nach Maries geschocktem Blick zu urteilen, musste ich genauso aussehen wie sie.

Die Mascara und der Kajalstrich liefen in langen schwarzen Bächen über ihre Wangen. Ich vermutete, dass wir beide gleich aussahen - wie diese abartigen Wasserleichen aus den Horrorfilmen. Lange, nasse Haarsträhnen klebten an unseren Köpfen und die riesigen dunklen Augenringe verliehen uns eine Totenblässe. Von meiner roten Haarfarbe und Maries Locken war nichts mehr zu erkennen. Wir trieften bloß einfach vor Nässe. Die gesamten Kleider hingen an uns herunter. Meine luftige, helle Tunika war nunmehr ein nasser Sack. Maries zuvor wunderschön schwingendes Sommerkleid tröpfelte nur noch traurig wie ein alter Putzlappen vor sich hin.

„Mein Gott, Mädchen, schnell, kommt rein! Ihr seid ja eingeweicht bis auf die Knochen.“ Die Tür hatte sich von uns unbemerkt geöffnet und plötzlich fanden wir uns Maries Mutter gegenüber. Kurzerhand zog sie uns ins Haus.

Da stand ich nun nässer als nass neben Marie und entdeckte voller Unbehagen, dass nicht bloß ihre Mutter uns in dem großräumigen Flur erwartete. Ein älterer Herr, der nur Maries Vater sein konnte, und zwei jüngere Männer zählten zu dem unerwarteten Empfangskomitee. Den einen davon machte ich sofort als Maries Bruder Jeff aus, der tatsächlich Thomas May, mein Schwarm aus vergangenen Zeiten war. Der andere war ein blonder Kerl, den ich nicht einordnen konnte. Er hielt gerade sein Handy am Ohr und telefonierte.

Während sich auf dem Gesicht von Maries Vater Sorge widerspiegelte, ließ der Unbekannte fast sein Handy fallen, als er uns ansichtig wurde. Er stöhnte ein gedehntes „Oh-mein-Gott“, wandte sich daraufhin von uns ab und lief davon. Es wirkte, als suche er das Weite, um sich das Elend nicht länger anschauen zu müssen.

Im Gegensatz dazu verfiel Maries Bruder in eine regelrechte Schockstarre, als könnte er, so schrecklich es auch war, nicht wegschauen.

Du weißt schon, wie bei einem Unfall. Man will es eigentlich nicht sehen, aber man kann nicht anders.

Ich schaute an mir herunter und wunderte mich nicht mehr über die Reaktionen der Anwesenden. Zu meinem Entsetzen war meine zuvor weiße Hose mit dicken Schlammspritzern übersät und meine beigen Leinenschlappen waren auf einmal kackbraun. Zum krönenden Abschluss unserer aparten Erscheinung bildete sich um Marie und mich allmählich eine bräunlich-gelbe Pfütze. Es sah aus, als hätten wir in der Diele einen Wettstreit im Hosen-Pinkeln veranstaltet.

“Ihr ruiniert den Parkettboden“, blaffte Jeff, der wohl gerade aus seiner Starre erwacht war.

Wenigsten hatte er ruiniert und nicht uriniert gesagt, schoss es mir durch den Kopf.

Vorwurfsvoll und alles andere als freundlich musterte er uns. Seine gleichmäßigen Augenbrauen bildeten dabei einen wütenden Strich und um seinen Mund lag ein bitterer Zug.

Gott, der Kerl sah wirklich so gut aus wie auf den Postern. Etwas älter, ja, aber zugegebenermaßen sogar noch besser als zu meiner Teenie-Zeit. Jeff war damals sechzehn Jahre alt gewesen und hatte dort schon blendend ausgesehen, zwar wie ein Milchbubi, aber extrem süß. Jetzt musste er achtundzwanzig sein und verdammte Scheiße … er sah absolut sexy aus, denn nun war er ein richtiger Mann. Ich roch förmlich, wie aus jeder seiner Poren männliche Pheromone krochen.

Meine Wangen färbten sich rosa von der Hitze, die allein sein Anblick in mir auslöste. Der Kerl war das beste Beispiel für die Redensart, dass Männer im Alter interessanter und Frauen nur älter werden. Allein deswegen gehörte ihm schon eine verpasst, mal ganz abgesehen von seiner unfreundlichen Art.

Maries Vater versuchte, die Situation zu entschärfen. „Das spielt jetzt keine Rolle. Marie, gehe mit Karen hoch, in dein altes Zimmer. Jane, bring ihnen ein paar trockene Kleider und Schuhe.“

„Ja, natürlich. Sonst werdet ihr noch krank. Die Begrüßung holen wir im Salon nach“, sagte Jane und machte sich auf den Weg.

Mit einem komischen Gefühl im Magen folgte ich Marie in ihr altes Kinderzimmer. Nachdem Jane uns Kleider und Schuhe gebracht hatte, verließ sie uns gleich wieder, damit wir uns ungestört umziehen konnten. Marie fand in dem Stapel ein schwarzes Kleid, das ihr wie angegossen passte. Aufgrund meiner Körpergröße waren mir die Kleider jedoch entweder zu kurz oder zu eng. Außer einem beigen, langen Faltenrock und einer braun gemusterten Bluse, die sogar für mich viel zu weit war. Ich fand mich in einer Kombination wieder, über die nicht mal meine Großmutter entzückt gewesen wäre.

Um das Desaster meiner Haare einzudämmen, machte ich mir einen Knoten im Nacken. Anschließend putzte ich meine Brillengläser, damit ich deutlich sehen konnte, was vor sich ging, was ich aber besser hätte lassen sollen. Denn als ich meine Ersatzschuhe sah, packte mich das Grauen: Gästepantoffeln aus pinkem Plüsch. Um den Alt-Oma-Look zu perfektionieren hätte mir nur noch das Brillenkettchen gefehlt.

In dem beigen Faltenrock, gemusterter Bluse, rosa Puschen, Brille und Dutt ging ich mit Marie wieder herunter zum Salon.

In diesem Aufzug sollte ich Thomas May gegenübertreten? Das konnte nur ein bizarrer Albtraum sein. Heimlich zwickte ich mich. Nein, es geschah leider wirklich.

„Wer ist eigentlich der andere Typ?“, fragte ich Marie leise auf Deutsch, damit uns keiner verstand, falls uns jemand hören sollte.

„Das ist Jeffs Manager und Berater Frank. Ein Vollpfosten wie er im Buche steht. Weiß gar nicht, warum der mit ihm hier rumhängt.“

Als wir den Raum betraten, sprach Jeff gerade mit Jane. Sie standen vor einem Tisch, der zur Tea Time eingedeckt war.

„Mom, du weißt, wir können nicht lange bleiben. Ich hab noch einen Termin.“

„Für einen Tee wird die Zeit bestimmt noch reichen. Ah, da seid ihr ja!“ Erfreut kam Jane auf uns zu.

Ich versuchte, mich hinter Marie zu verbergen, die in ihrem schwarzen Kleid überhaupt nicht omamäßig aussah. Natürlich war das ein sinnloses Unterfangen, weil Marie viel kleiner als ich war und ich der Mittelpunkt dieses Nachmittagstees sein sollte. Außerdem zog sie mich an ihre Seite und sabotierte damit meine Absicht, nicht aufzufallen.

„Also, Karen, dann stelle ich dir mal meine Familie vor. Diese schöne Lady, …“, sagte Marie und machte eine dramaturgische Pause, in der sie sich kokett die Haare über die Schulter warf. “… der ich verdammt ähnlich sehe, ist meine Mutter, Jane Thomas.“

Ja, unverkennbar war diese Frau Maries Mutter. Die gleichen Mandelaugen und dieselbe Stupsnase entdeckte ich in Janes nettem Gesicht. Nur hatte ihr Haar weder diese Locken noch die Farbe von Maries, sondern war glatt und braun. Jane legte grinsend einen Arm um Marie.

„Du bist unmöglich, Kind.“ Mit einem strahlenden Lächeln wandte sie sich zu mir und nahm meine Hände in ihre.

„Hallo, Karen, ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr ich mich immer wieder darüber freue, dass Marie dich damals zur Brieffreundin bekommen hat. Es ist höchste Zeit, dass du uns besuchst. Herzlich willkommen, Liebes.“

Als sie ihre Arme um mich legte, traten mir Tränen vor Rührung in die Augen. Nicht mal von meiner Mutter wurde ich nach längerer Abwesenheit so liebevoll begrüßt. Ich konnte mich gerade noch zusammenraufen, um nicht laut loszuheulen.

„Danke, Mrs. Thomas, das ist sehr freundlich von Ihnen. Vielen herzlichen Dank.“

Krampfhaft lächelte ich und rückte unnötigerweise meine Brille gerade, die eigentlich perfekt auf meiner Nase saß.

„Nenn mich bitte Jane“, forderte Maries Mutter mich auf.

Marie nahm mich an der Hand und zog mich weiter zu ihrem Vater. „Und dieser junge Mann ist mein Dad, Derek Thomas.“

Derek lachte in einem tiefen, vollen Ton. Er überragte mich um Haupteslänge, was mit selten bei einem Gegenüber passierte. Sein brauner Haarschopf war von unzähligen grauen Strähnen durchzogen. Trotz seines fortgeschrittenen Alters sah Derek noch überaus attraktiv aus.

„Danke, Marie, so charmant bin ich schon sehr lange nicht mehr vorgestellt worden.“

Wir gaben uns die Hand. „Es ist schön, Sie endlich kennenzulernen, Mr. Thomas.“

„Ganz meinerseits, Karen. Mr. Thomas ist übrigens nicht hier, ich bin Derek.“

Ich lachte erfreut über die nette Geste.

Marie war in der Zwischenzeit zu ihrem Bruder gegangen und hatte ihm den Arm auf den Rücken gelegt. Es hatte den Anschein, als wollte sie ihn auf mich zu schieben. „Und das ist mein Bruderherz, Jeff Thomas, besser bekannt als …“

„Thomas May“, beendete ich Maries Satz. Ich streckte Jeff meine Hand entgegen, die er nach einem kurzen Zögern annahm. Im Geiste war ich dankbar, dass ich tags zuvor noch meine Nägel frisch lackiert hatte und schenkte ihm mit neu gewonnener Selbstsicherheit mein schönstes Lächeln.

Jeff, der annähernd so groß wie sein Vater war, trug ein figurnah geschnittenes Hemd, das breite Schultern und eine muskulöse Brust erahnen ließ. Seine Augen erinnerten mich an das hellgrüne Moos, das im Frühjahr an den Steinen wuchs. Goldene Funken tanzten um seine Pupillen und verliehen seinen Iriden ein unheimliches Glimmen. Sein makelloser Teint wirkte wie Bronze. Die Nase war schmal und lang, sein Kiefer markant ausgeprägt mit einem atemberaubenden Männermund. Diese Lippen - voll und weich - waren wundervoll geschwungen. Eine zum Himmel schreiende Ungerechtigkeit vom lieben Gott, die einem Mann zu schenken.

Ernst schaute er mir in die Augen und zeitgleich spürte ich, ein kleines Feuerwerk in meinem Magen toben.

„Hi, wie gesagt, ich bin Jeff“, meinte er, hob kurz seine mächtigen Schultern an, als könne er nichts dafür und beendete so schnell wie möglich unseren Augen- und Händekontakt, was in mir ein Verlustgefühl auslöste.

„Und das …“, fuhr Marie fort, wobei ihre Stimme unverkennbar widerwillig klang. „… ist Frank. Er ist nicht mit uns verwandt.“

Frank war einen Kopf kleiner als ich, hatte blonde Wellen, wässrig blaue Augen und eine spitze Nase. Das Lächeln auf seinen schmalen Lippen passte nicht zum Rest seines finster dreinschauenden Gesichts. Im Grunde war er ein gutaussehender Mann, doch seine arrogante Ausstrahlung machte es mir schwer, ihn sympathisch zu finden.

„Hi, Frank“, begrüßte ich ihn freundlich, worauf Frank zwar meine Hand schüttelte, mich aber schier keines Blickes würdigte, sondern auf seine Uhr sah und dabei ein gelangweiltes „Hi“ nuschelte.

Eine solche Unhöflichkeit war schwer zu schlucken, vor allem weil Maries Familienmitglieder als Zuschauer fungierten. Mir erlosch das Grinsen in Zeitlupe.

„Jeff, die Zeit drängt“, trieb Frank indessen seinen Schützling ungeduldig an.

„Eine Tasse Tee wird nicht den Weltuntergang einläuten, Frank“, murrte Jane ungehalten und begann, den Tee einzuschenken. Wir alle nahmen am Tisch Platz.

„Seid ihr gut durch den Verkehr gekommen?“, fragte Derek, der an Kopfende der Tafel saß.

Marie bestrich sich einen Scone mit Clotted Cream und antwortete ihrem Vater: “Ja, kein Problem. Der Flieger war sogar pünktlich.“

Jeff saß mir gegenüber und schaute ziemlich unzufrieden aus der Wäsche. Neben ihm klimperte Frank lautstark und entnervt in seiner Teetasse herum.

Jane, die am anderen Tischende ihren Stuhl hatte, bemühte sich ebenfalls, eine ungezwungene Konversation ins Laufen zu bringen.

„Und, Karen, wie hat die das Stückchen Britannien gefallen, das du bisher gesehen hast?“

Dankbar lächelte ich Maries Mutter an. „Oh, sehr gut. Schade nur, dass das Wetter nicht mitspielt.“

Frank grunzte schadenfroh in seine Teetasse: „Tja, manche Dinge sehen auch im nassen Zustand noch besser aus als andere. Leider ist das nicht mit allem so.“

Janes Lächeln erstarb und ich vermutete, dass sie Franks Äußerung genauso wie ich als versteckte Beleidigung mir gegenüber verstand. Sie bedachte Frank mit einem Blick, der zeigte, dass sie ihn genauso entzückend empfand wie Fußpilz.

Was sollte ich darauf sagen? Ich beschloss, Franks Beleidigung, falls es eine war, zu ignorieren. Denn ich wollte nicht gleich am ersten Tag als Gast einen eskalierenden Streit anzetteln. Um wenigstens irgendetwas mit Jeff zu reden, sagte ich:

„Marie hat dir bestimmt erzählt, dass ich alle deine CDs habe. Ich liebe deine Musik.“

Wahrscheinlich warteten sie sowieso schon darauf, dass ich hysterisch kreischend über Jeff herfallen würde. Und da mein erster Auftritt eh sprichwörtlich ins Wasser gefallen war, konnte ich sie in dieser Beziehung doch nicht auch noch enttäuschen. Doch als ich Jeffs abfällige Miene bemerkte, wusste ich, warum ich es besser nicht getan hätte.

In sarkastischem Ton hörte ich ihn sagen: „Ah, ein Fan. Nett. Gottlob muss ich nicht mit jedem an einen Tisch sitzen. Aber manchmal bleibt einem nichts erspart.“

Ich saß da, wie vom Blitz getroffen. Hatte ich ihn richtig verstanden? Enttäuschung machte sich in mir breit. Jeder gemeine Satz von Jeff traf mich wie ein ätzender Stachel.

Frank lachte voller Hohn: „Oh ja, das wäre wirklich entsetzlich, wenn jeder deiner Fans mit dir einen Tee trinken wollte.“

Dann fiel Marie über die beiden her. „Aber sonst geht es euch noch gut, oder? Karen trinkt einen Tee mit mir, ihrer besten Freundin, und ist nicht wegen dir hier.“

Derek schüttelte mit einem verärgerten Grummeln den Kopf, während Jane die Hände vors Gesicht schlug und leise aufstöhnte.

Was hatte ich angestellt? Nur, weil ich Jeff schmeicheln wollte. Mann, was für eine blöde Idee!

„Ach ja? Marie, sei doch nicht immer so naiv“, fuhr er seine Schwester an und warf mir dann einen verächtlichen Blick zu. „Vielleicht will Karen ja noch ein paar Fotos von mir machen? Die kann sie dann ins Internet stellen, vielleicht sogar Geld damit verdienen. Ist ja nicht so, als hätten wir das nicht schon gehabt, oder?“ Jeffs Augen schossen böse Blitze auf Marie und mich ab.

Hatte ich wirklich Zeitungsausschnitte von diesem eingebildeten Trottel gehortet?

„Äh – nein, danke. Ich möchte kein Foto von dir“, sagte ich ruhig und stinkfreundlich, obwohl mir eher nach Schreien zumute war. Ich schob meinen Stuhl zurück und fragte Marie leise auf Deutsch: „Wo ist euer Bad? Ich muss hier raus.“

Tröstend drückte sie meine Hand und in ihren Augen stand unendliche Traurigkeit. „Im Flur gegenüber.“

Mit wackeligen Knien verließ ich den Salon. Der Spiegel in der Toilette zeigte mir ein müdes Gesicht, glasige Augen, fiebrig-rote Wangen und Lippen. Wieder war mir heiß, aber diesmal nicht von irgendwelchen romantischen Gefühlen, sondern von dieser Erniedrigung und diesen Unterstellungen, die mir eben widerfahren waren. Vom Regen in die Traufe, dachte ich. Wie viel konnte ich noch an Herabwürdigung ertragen? Ich wollte nicht weinen, nicht schon wieder, und so zwang ich mich zur Wut.

Ja, zwei solche aufgeblasenen Windbeutel hatte ich schon lange nicht mehr vor die Nase bekommen.

Zornig wusch ich mir das Gesicht, ordnete meine Haare und richtete meine hässlichen Klamotten, was sie nicht besser machte. Ungern, aber tapfer, kehrte ich in den Flur zurück und blieb vor der Zimmertür zum Salon stehen. Sie war einen Spalt breit geöffnet. Noch einmal tief durchschnaufend wollte ich in den Raum zurückkehren, doch dann hörte ich die Stimme von Jeff.

Ich weiß nicht, ob du schon mal in solch einer Situation warst, aber das ist eine, die man keinem wünscht. Du stehst da und bist dir im Klaren darüber, dass die anderen nichts von deiner Anwesenheit ahnen. Jedes einzelne Wort, das sie sprechen, kannst du wunderbar hören - auch deinen Namen, der fällt. Dein Herzklopfen dröhnt bis in deine Ohren und jeder deiner Atemzüge kommt dir höllisch laut vor. Die kleinste Bewegung könnte dich verraten, was natürlich unendlich peinlich wäre. Deshalb traust du dich weder einen Schritt vor noch zurück, obwohl dir bewusst ist, dass das, was du jetzt gleich hören wirst, nicht unbedingt ein Loblied auf dich sein wird.

„Ich wollte diese Karen nicht kennenlernen, aber ihr habt ja darauf bestanden. Mann, Marie! Was ist das wieder für eine Ziege, die du da angeschleppt hast?“

Ich glaubte, mich verhört zu haben, aber das Brennen, das meinen Hals hinunter in den Magen floss, belehrte mich eines Besseren.

„Und wie sie aussieht! Kein Wunder, dass der Bräutigam sie sitzen gelassen hat“, pöbelte Frank gehässig.

„Aber wirklich wahr!“, pflichtete Jeff ihm bei und trieb mir damit einen weiteren Dorn in die Brust, wo schon unzählige von ihren vorigen Gemeinheiten steckten.

Dazwischen hörte ich Marie wütend aufschreien. Doch es war Dereks tiefe Stimme, die erklang.

„Ihr zwei solltet euch schämen. Karen ist seit über zehn Jahren mit Marie befreundet und sie ist ein willkommener Gast in unserem Haus.“

„Ruhig jetzt und ihr zwei - benehmt euch! Alle! Karen wird jeden Augenblick zurückkommen“, beendete Jane aufgebracht die Diskussion, was für mich das Zeichen war, den Salon wieder zu betreten.

Meine Füße setzten sich langsam in Bewegung, obwohl ich lieber dort stehen geblieben wäre. Dicke Tränen brannten bereits in meinen Augen, aber ich straffte die Schultern, und als ich das Zimmer betrat, mied ich jeglichen Blickkontakt. Überall sah ich hin, nur nicht in die Gesichter der Anwesenden.

Mit steifem Rücken und emotionsloser Miene setzte ich mich an den Tisch, was mich meine ganze Kraft kostete. Ohne Hast trank ich meinen Tee und versuchte, ab und an Marie glücklich anzugrinsen, was mir fast eine Gesichtszerrung einbrachte.

Allerdings kannte Marie mich einfach zu gut, als dass ich ihr etwas vorspielen konnte. Auf Deutsch fragte sie: „Du hast alles mitangehört, nicht wahr?“

„Fast alles. Können wir bitte gehen? Mir geht es nicht besonders gut“, gestand ich ihr.

Mitfühlend nickte Marie und wandte sich an ihre Eltern. „Mom, Dad. Karen ist total erledigt. Wir gehen jetzt wohl besser, damit sie sich ausruhen kann.“

„Oh, selbstverständlich. Geht nur!“, sprach Derek und erhob sich.

Ich stand ebenfalls vom Tisch auf und ging auf das ältere Ehepaar zu. „Vielen Dank für den Tee. Jane, Derek … es war - sehr schön, Sie kennenzulernen.“

Für mein aufgesetztes Grinsen hätte ich den Oscar verdient, denn die letzten Worte wollten mir fast nicht über die Lippen kommen. Was Jeffs und Franks Verdienst war, die so gemein über mich hergezogen hatten, obwohl sie mich nicht mal kannten. Es schüttelte mich regelrecht vor unterdrückter Wut.

Fürsorglich runzelte Jane ihre hohe Stirn. „Mein Gott, Karen, du hast ja schon Schüttelfrost und siehst ganz fiebrig aus. Du gehörst in ein Bett, meine Liebe.“

„Wir treffen uns ein andermal, wenn es Karen besser geht“, meinte Derek.

Selbst, wenn es unhöflich war, so brachte ich es nicht über mich, in Jeffs oder Franks Richtung zu schauen, sondern verließ ohne Abschiedsgruß den Raum.

Was sollte ich auch zu jemandem sagen, für den ich sowieso nur eine unappetitliche Zumutung war?

Unsere nassen Sachen hatte Jane in eine Tüte gepackt, die sie Marie an der Haustür überreichte. Wir verabschiedeten uns von Maries Eltern und gingen zu ihrem Wagen.

Das Gewitter war vorüber, eine kühle Brise wehte uns ins Gesicht und die ersten Sonnenstrahlen bahnten sich einen Weg durch die Wolken.

Der typisch süßlich-modrige Duft eines Sommerregens lag in der Luft. Was mich seltsam tief im Herzen berührte. Vielleicht, weil er mich an längst vergangene Sommer erinnerte, in denen es noch keinen Peter, Jeff oder Frank gegeben hatte, die einem so verdammt wehtun konnten.

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