Читать книгу Die Suche des Magus Quaerendus - Fabian Möller - Страница 6
Kapitel 3
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lick. Das hörte sich gut an. Eins noch. Sie drehte am Rädchen. Von einem Symbol zum nächsten. Das mussten Zwergenrunen sein. Es handelte sich um keine sonderlich große Truhe. Eigentlich könnte sie ja auch einfach ... Sie setzte die Fingernägel unter den Truhendeckel und hob sie vorsichtig an, bis sie Widerstand spürte. Dann drehte sie das letzte Rädchen, bis der Widerstand verschwand. Sie hob den Truhendeckel mit beiden Händen. Fingerbreite um Fingerbreite. Immerhin hatte sie schon eine Falle entschärfen müssen. Nun ja, die war nachlässig angebracht gewesen: ein feiner Bindfaden am Rand des Truhendeckels befestigt und durch eine Öse am Truhenkörper seitlich an der Truhe entlang bis zur Wand geführt. Hob man den Deckel der Truhe zog, man am Bindfaden, der die Falle auslöste. Wie offensichtlich! Li'eyla hatte den Bindfaden mit ihrem Jagdmesser durchtrennt. Über ihr in der Decke des Raumes waren zwei schräg gestellte, kreisrunde Löcher. Was immer da herauskäme, würde sich in zwei Fuß Höhe direkt vor der Truhe kreuzen. Sie hatte kurz an den Löchern geschnuppert. Nichts. Also wahrscheinlich keine Feuerfalle. Speere vermutlich, aber das musste sie nicht unbedingt herausfinden.
Die Elfe tastete flink den Streifen Wand nach Druckschaltern ab, an dem der Deckel aufliegen würde. Dann klappte sie ihn vollends zurück. Li'eyla zögerte einen Moment. In letzter Zeit hatte ihr schlechtes Gewissen mehr und mehr an ihr genagt. Elfen waren keine Diebe. Erreichten auch nur Gerüchte ihrer Taten je den Gezeitenwald, brauchte sie sich niemals wieder dort blicken lassen. Zu Hause. Immer öfter dachte sie wehmütig an ihr Volk zurück. An die Eintracht und den Frieden. An die Geborgenheit und die Ehrlichkeit. An das Zusammengehörigkeitsgefühl. Auch ihre Familie vermisste sie.
Zwei Jahre schon nannte sie die Mitglieder der örtlichen Diebesgilde ihre Brüder und Schwestern. Yldras, die Narbe, hatte sie damals halbtot in der Gasse gefunden und zur Gilde mitgenommen, wo die alte Salvea sie zusammengeflickt hatte. Dort hatte man sie akzeptiert. Dort hatte sie Anschluss gefunden. Und dort – behauptete ihr Pflichtgefühl – hatte sie eine Schuld zu begleichen. Doch wie viel war ein Leben wert?
››Kss, Mandelauge. Bist du soweit?‹‹ Das war Kolk, der sich selbst Der Rabe nannte. Sein Flüstern war kaum mehr als ein Ausatmen. Er hatte sich schnell an ihr gutes Gehör gewöhnt.
››Kss‹‹, zischte sie zurück. Eigentlich interessierte sie sich sehr dafür, was die Menschen so in ihren Verstecken aufbewahrten, hatte doch ihre Neugier sie in die Menschenstadt Sturzwasser geführt, wie es bei den Elfen des Gezeitenwaldes regelmäßig vorkam. Sie waren ein aufgeschlossenes, anpassungsfähiges und neugieriges Volk. Doch jetzt sah sie sich den Inhalt der Truhe gar nicht lange an, sondern fischte geschwind alles heraus und legte jedes Beutestück einzeln in ihren Beutel, der fast nur aus gepolsterten Taschen bestand. Mit viel Fingerspitzengefühl füllte sie ihn, damit nichts schepperte oder klimperte. Kurz erhaschte sie einen Blick auf einen goldenen Ring, einen silbernen Armreifen und auch drei schwere goldene Dukaten spürte sie zwischen den Fingern und ließ jeden einzelnen in eine eigene Tasche gleiten.
Dann schwang Li'eyla den Riemen ihres Beutels über die Schulter und huschte aus dem Raum mit dem massiven Eichentisch, den dicken Wandteppichen und dem kleinen quadratischen Fenster. Die Elfe konnte im Dunkeln sehr gut sehen, zumindest im Vergleich zu Menschen, und so fand sie problemlos ihren Weg zu dem Balkon, über den sie und Kolk eingestiegen waren. Hinter sich hörte sie einen dumpfen Fluch von Kolk, kurz darauf zerbrach scheppernd – und laut wie der Donner – eine Vase auf den Dielen.
››Ratte und Rettich!‹‹, entfuhr es ihr reflexartig. Ein Fluch der Diebe. Sie wusste nicht einmal, was damit gemeint war, hatte ihn sich aber dennoch angewöhnt. ››Komm schon, Kolk!‹‹, zischte sie hinterher. Im Haus ging das erste Licht an.
››Schnauze und ab mit dir!‹‹, raunzte Der Rabe sie an. Li'eyla schwang sich über das Balkongeländer und einen in der Wand verankerten gusseisernen Fackelhalter aufs Dach und rollte sich auf den Bauch, um Kolk ihre Hand entgegen zu strecken. Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Das war ihr in den ganzen zwei Jahren nicht passiert. Kolk, du Tollpatsch, dachte sie.
Der sprang aufs Geländer, als ein Schatten hinter ihm auftauchte. Die Elfe erkannte einen Mann in derben Wollhosen mit nackter Brust und einem Knüppel in der Hand. Sie beschloss, dass es sich um einen Diener handeln musste. Sie winkte Kolk, sich zu beeilen. Der sprang direkt vom Geländer auf den Mann zu, zog im Flug seinen Dolch und rammte ihm die Klinge bis ans Heft in den Bauch. Der Getroffene keuchte schmerzerfüllt. Als Erstes fiel der Knüppel. Dann der Mann, nachdem er noch einen wankenden Schritt getan hatte. Li'eyla nahm das alles wie in Zeitlupe wahr. Wie in Trance. Sie hatte auch schon getötet. Doch das hier war falsch. Schrecklich falsch. Sie hatte Räuber und Kobolde getötet, die ihr ans Leder wollten. Die waren selbst schuld gewesen. Jetzt war sie es. Auch wenn nicht ihre Hand den Dolch geführt hatte.
Plötzlich packte jemand ihren Arm. Sie erschrak. Als sie Kolk erkannte, atmete sie erleichtert aus. Wer sonst hätte es sein sollen?! Er steckte den Dolch zurück unter seinen Gürtel, zog sich hoch und warf sich neben sie aufs Dach. Die Elfe hörte den Sterbenden schwach wimmern und sah noch wie Fackelschein den Balkon flutete. Dann erhob sie sich und rannte, was die Lunge hergab, über die Dächer der Stadt davon.
Kilian Frei warf den abgenagten Hühnerschenkel auf den Teller zu den anderen. Er schluckte den letzten Bissen hinunter, spülte mit einem Schluck Rotwein aus einem topasbesetzten Goldpokal nach und hob gelangweilt den Blick.
››War das alles?‹‹ Es gelang ihm, eben soviel Desinteresse in seine Stimme zu legen wie in diesen Blick. Mit der Linken zog der Meisterdieb an seinem fein gezwirbelten Schnurrbart, dann lehnte er sich in seinem hölzernen Thron zurück, der mit verschlungenen Schnitzereien übersät war. Kilian legte viel Wert auf sein Äußeres und steckte auch heute wieder in feinem Zwirn. Protzige Ringe an den Fingern beider Hände ergänzten das Bild. Sein Haar wallte in hellbraunen Wogen bis auf seine Schultern.
››Ein Mann ist tot!‹‹, Li'eylas Tonfall war eindringlich. ››Wahrscheinlich‹‹, ergänzte sie etwas zurückhaltender. Sie bemerkte, wie Kolk sie mit einem milden Lächeln von der Seite ansah.
Kilian zuckte nur mit den Schultern. ››Umso besser‹‹, antwortete er. ››Falls er eure Gesichter gesehen hat, nimmt er die Erinnerung daran mit ins Grab. Keine Zeugen, keine Gefahr.‹‹ Die rechte Hand wedelte die beiden in Richtung Ausgang. Offensichtlich wollte er sie loswerden.
››Ich bin nicht mal ein richtiger Dieb. Und ganz bestimmt bin ich kein Mörder‹‹, erwiderte die Elfe.
Der Anführer der Diebesgilde lachte amüsiert auf.
››Du bist ein Dieb wie er‹‹, Kilian zeigte auf Kolk, ››und ich. Aber du hast recht. In diesem Fall ist Kolk der Mörder und nicht du. Sei doch froh. Wenn es dich so stört.‹‹
Li'eyla tat sich schwer, Worte zu finden.
››Aber ... aber ... ich wusste nicht ... Seid ihr alle ...? Habt ihr alle schon mal jemanden …? Der Mann war unschuldig!‹‹
››Kinder lernen spätestens mit vier Sommern zu lügen. Niemand über vier ist unschuldig‹‹, Kilian lächelte süffisant. ››Und jetzt raus. Noch einmal sage ich das nicht‹‹, knurrte er leise hinterher.
Li'eyla und Kolk zogen sich zurück. Wie hatte sie nur so naiv sein können!? War sie zwei Jahre lang mit geschlossenen Augen durch die Welt gelaufen? Aber sicher hatten nicht alle ihre Brüder und Schwestern ein Menschenleben auf dem Gewissen – oder was für ein Leben auch immer. Was war mit dem gutmütigen Yldras, der sie von der Straße aufgelesen hatte. Oder die alte Salvea? Sie pflegt uns doch gesund, dachte Li'eyla. Vor ihrem inneren Auge sah sie Salvea vor sich, wie sie mit Mörser und Stößel Kräuter zerkleinerte. Hatte sie da nicht auch Fliegenpilz und Tollkirsche liegen sehen? Die Erkenntnis traf sie wie der Pfeil den Rücken – überraschend und schmerzhaft. Sie wusste es doch selbst. Die Natur hielt sowohl Heilmittel wie auch Gifte bereit. Wie blind war sie gewesen! Oh Erdmutter, dachte Li'eyla, wo bin ich da nur hineingeraten! Ihre Gedanken drehten sich im Kreis. Was sollte sie nur tun? Abhauen? Sie konnte doch ihre Gefährten nicht einfach im Stich lassen. Yldras und Salvea hatten ihr geholfen. Mit Finn Siebenstoß hatte sie gescherzt, die Elster in den Arm genommen. Und Lili Lautende lachte den einen halben Tag und sang den anderen halben. Das waren doch gute Seelen!
Wieder lief Li'eyla davon. Doch diesmal vor ihren Emotionen und nicht vor der Wache. Was um ein Vielfaches schwieriger war. Sie verließ das Hauptquartier der Gilde durch einen Seitenausgang, schlüpfte in die Morgendämmerung hinaus und atmete die frische Luft. Sie musste sich erstmal die Beine vertreten. Danach würde sie viel klarer sehen.
Kolk machte sich Sorgen um sein Mandeläuglein. Ernsthaft Sorgen. Diese Anwandlung von Mitgefühl hatte er nicht erwartet. Obwohl er wusste, dass die Kleine ein gutes Herz hatte. Und er musste sich eingestehen, dass er sie mochte. Das war vor zwei Jahren noch ganz anders gewesen. Yldras, genannt Die Narbe, war mit dem zerschundenen Körper der Elfe in Salveas Hütte geplatzt, wo er selbst sich gerade ein Fläschen Bittertod besorgen wollte. Gift für seine diversen Klingen.
››Das hier ist kein Friedhof‹‹, hatte er Yldras angeblafft. ››Kannst deine Leichen woanders entsorgen.‹‹ Mürrisch hatte er Helfer und Opfer gemustert. Er war eh schon spät dran gewesen.
››Die lebt noch‹‹, hatte Yldras gebrummt und sie mit seinen kräftigen Armen einfach auf dem Tisch abgelegt.
››Ratte und Rettich!‹‹, hatte Kolk gebrüllt, ››Ich werd' den Müden Josef verpassen. Wieder 'ne Woche warten. Nur weil du 'n Mädel gefunden hast, das genauso kaputt ist wie du!‹‹
Die Narbe hieß nicht ohne Grund so. Der Folterknecht des Grafen hatte ihn ganz schön zugerichtet, bevor sie ihn für tot gehalten und in den Fluss geschmissen hatten. Die vernarbten Andenken aufzuzählen, würde ganze Seiten füllen, aber namensgebend war die lange Narbe, die sich quer durch sein gesamtes Gesicht zog. Wie gemalt. Sie begann an der linken Schläfe, zog sich nach unten und schwenkte unter dem Auge in die Mitte. Das Messer war scharf gewesen und hatte Knorpel und Knochen der Nase so glatt durchtrennt, dass sie wieder halbwegs ansehnlich zusammengewachsen war. Nur die untere Hälfte des rechten Nasenflügels fehlte, wo der Foltermeister die Klinge nach unten zum Mund gezogen und die Oberlippe durchtrennt hatte. Angesetzt hatte er dann wieder am Mundwinkel, wo die Narbe sich seitlich am Kinn vorbei bis zum Hals zog. Manchmal nannten sie Yldras auch einfach Kinderschreck. Im flackernden Fackellicht hielt sogar Kolk dieses Gesicht für gruselig. Nur dank seines monströsen Körperbaus hatte Die Narbe überlebt. Er hatte einen Nacken wie ein Stier, Arme wie Baumstämme und einen Brustkorb wie ein Fass. Als Dieb taugte er soviel wie ein Fisch an Land. Kilian setzte ihn meist als Türsteher oder Leibwache ein. Zum Glück reichte allein Yldras' Erscheinung, um jeden potenziellen Stänkerer zur Räson zu bringen, denn lustigerweise war Die Narbe mehr als gutmütig und wurde nur ungern gewalttätig.
››Drauf geschissen. Die Elfe braucht Hilfe. Sofort‹‹, hatte es aus dem Fass von Brustkorb gedröhnt.
Salvea hatte Mühe gehabt, unter all dem Blut die Wunden zu finden. Und er, Kolk, hatte Wasser im Kessel erhitzen müssen. Li'eylas Lebenslicht war schwach gewesen und hatte nur zögerlich nach dem rettenden Strohhalm gegriffen. Auch die Elfe hatte am Ende Narben davon getragen, doch keine so unschönen wie Yldras.
Nicht genug, dass die Diebesgilde, und damit auch er, ein Maul zu stopfen hatten, das keinen Beitrag leistete. Es handelte sich auch noch um eine Elfe. Dabei wusste doch jeder, dass Elfen einen feuchten Fliegenschiss auf Menschen gaben. Sich für was Besseres hielten. Ihre Nase in den Wolken trugen. Das kann ja heiter werden, hatte er damals gedacht. Die soll mir nur einmal blöd kommen.
Seine Befürchtungen hatten sich in der Hinsicht zwar nicht bewahrheitet, dafür war es an anderer Stelle viel schlimmer gekommen als gedacht. Wie ein kleines Kind hatte die Elfe sich angestellt.
››Wozu ist das Loch im Boden, aus dem es so schrecklich stinkt? Frisch ist das Gemüse aber nicht. Wie könnt ihr nur schlafen, ohne die Sterne über euch zu sehen! Was sagt denn der Kaufmann dazu, wenn ihr ihm sein Gold wegnehmt?‹‹ So eine Entengrütze hatte er sich anhören müssen.
››Viel Spaß damit!‹‹, hatte er auf ihre letzte Frage geantwortet.
››Das ist aber selbstlos von ihm‹‹, kam es unschuldig zurück. Die Eingewöhnung war unglaublich nervtötend gewesen, auch wenn ihm irgendwann aufgegangen war, dass ihre Welt einfach eine andere war. Allerdings hatte ihre völlige Unkenntnis von wunderbaren Werkzeugen wie Ironie und Sarkasmus den Lernprozess ausgiebig verzögert. Bis schlagartig die Erleuchtung gekommen war.
Die dürre Henna war in den Raum gestürzt und hatte die versammelte Runde mit piepsiger Stimme informiert: ››Sie haben York und Piet. Morgen bei Sonnenaufgang sollen sie gehenkt werden.‹‹
In die düstere Stille hinein hatte Li'eyla ein trockenes Hurra! gekräht. Als das Gelächter ausblieb, hatte sie unsicher zu Kolk geblickt, der neben ihr saß. ››Wieder falsch?‹‹
Das war jetzt ein Jahr her und auch heute noch war Verbesserungspotenzial vorhanden.
Ein unbeteiligter Beobachter hätte vermutet, sie habe das Kopfsteinpflaster festtreten wollen, so wütend war die Elfe durch die Gassen gestürmt. Nachdem Li'eyla genug frische Luft geschnappt hatte, war sie in einer Schenke gelandet, hatte dumpf brütend in einer Ecke gesessen und ein paar Eier mit Speck hinunter geschlungen. Mit dem Wein in ihrem Becher hatte sie zuerst ihre Lippen benetzt und diese vorsichtig abgeleckt. Ein Trick, den sie von Kolk übernommen hatte und der vor vergifteten Getränken schützte. Die meisten Gifte, ob Pulver oder flüssig wurden in die Getränke gemischt. Das war einfacher und sicherer als Speisen zu vergiften. Der eine mochte keinen Kohl, der andere kein Fleisch und manche Gifte verloren ihre Wirkung, wenn sie gekocht wurden. Sie wusste selbst nicht, warum sie sich das angewöhnt hatte, denn wer sollte sie schon vergiften wollen. Aber damals hatte sie Kolks Rat nicht in Frage gestellt und inzwischen tat sie es, ohne nachzudenken. Zur Mittagszeit war sie wieder in ihren Unterschlupf zurückgekehrt. Emotional und körperlich ausgelaugt war sie in einen tiefen traumlosen Schlaf gefallen. Der junge Hellmut hatte Geduld gebraucht, um sie zu wecken.
››Der Freie will dich sehen.‹‹ Kilian Frei hatte seinen Zunamen daher, dass man ihn schon ein Dutzend Mal im Kerker der Stadt versenkt hatte, die Mauern ihn jedoch nie lange gefangen hielten.
Murrend blinzelte Li'eyla den Schlaf aus ihren grünen Mandelaugen und erhob sich. ››Ich ihn aber nicht.‹‹ Trotzdem ging sie mit. Hellmut war noch ein Knabe und dennoch größer als sie. Obwohl sie mit fünf Fuß und vier Zoll hoch gewachsen war für eine Elfe.
Essen stand diesmal keins vor ihm, doch wieder saß er auf seinem hölzernen Thron. Li'eyla fragte sich, ob Kilian vom vielen Sitzen Schwielen am Hintern hatte. Die Ellenbogen stützte er auf den Tisch, schräg hinter ihm stand Yldras und nickte ihr freundlich zu. Der Anführer der Diebe maß die Elfe mit seinem Blick von oben bis unten. In den Augen der Menschen war sie zierlich. Goldbraune Locken rankten sich träge um ihre Ohren und fielen in Wellen bis auf ihre Schultern. Ihre grünen Augen funkelten leicht im Fackelschein, standen leicht geneigt in ihrem herzförmigen Gesicht und ihre Form erinnerte tatsächlich an Mandeln. Spitznamen erhält man nicht ohne Grund. Helle, zarte Haut war zu sehen, wo die Kleidung ihren Körper nicht bedeckte. Sie hatte sich ihrer Umgebung angepasst, denn was ein Dieb am wenigsten wollte, war auffallen. Sie trug ein ärmelloses Hemd und schmucklose Hosen aus grob gewebter Wolle sowie einen schlichten Ledergürtel. Die Füße steckten in mausgrauen Stiefeln bis knapp unters Knie. Ihr Armreif aus Korallenholz war der einzige typische Elfenschmuck, den sie sich zugestand. Als Elfe erkannte man sie so oder so. Von hinten am geschmeidigen Gang. Von vorne am schönen Elfengesicht und ihren Augen. Von der Seite an ihren spitzen Ohren. Von oben vermutlich auch. Nur von unten wäre es schwierig. Aber so oder so würde man dann schon wissen, mit wem man es zu tun hatte. Ob nun im Kampf oder im Bett.
››Wie lange bist du bei uns?‹‹, fragte Frei sie.
››An die zwei Jahre.‹‹
››Du hast dich ordentlich geschlagen. Nichts anderes würde ich von einer Elfe erwarten. Eure Rasse eignet sich perfekt als Dieb. Klein, schmal, leise, geschickt wie kaum ein anderer hier.‹‹ Er breitete die Arme aus und meinte damit die Gilde.
››Hab auch nie Beschwerden über dich gehört.‹‹
Li'eyla wusste nicht, was sie sagen sollte, also sagte sie nichts. Das unterschied sie positiv von vielen anderen auf der Welt.
Kilian machte so lange Pause, dass sie gerade Luft holte, um ihn zu fragen, was er wollte.
››Vor Kurzem habe ich eine Karte der Grafschaft erstanden.‹‹ Das hieß, jemand hatte sie gestohlen und pflichtbewusst abgeliefert.
››Darauf sind Ruinen verzeichnet. Verlassene Burgen und zerfallene Türme, die zum Teil nicht vom Volk der Ristai stammen, also schon vor unserer Ankunft in den Küstenlanden bestanden. Alte Gewölbe, die antike Schätze bergen mögen oder auch nicht. Du nimmst dir die drei Ruinen im Süden vor. Bring alles her, was von Wert ist. Du bekommst die üblichen fünfzehn Prozent.‹‹ Das klang alles wie netter Plauderton. Li'eyla hatte inzwischen genug gelernt, um nach dem Haken zu suchen. Hatte das mit ihrem Aufbegehren in der Nacht zu tun? Der Freie gehörte bestimmt nicht zu den Wohltätern dieser Welt, das hatte sie mittlerweile begriffen.
››Kann ich mich auf dich verlassen?‹‹
››Das kannst du, Kilian‹‹, hörte sie sich sagen und staunte, wie selbstverständlich ihr das über die Lippen ging.
Damnir Schmetterschild fing sie ab, als sie auf dem Weg zu der Truhe mit ihrer Habe war. Der Zwerg trug einen rostbraunen Vollbart, dessen untere Hälfte zu mehreren Zöpfen geflochten auf seiner Brust ruhte. Das gleichfarbige Haar hing zottelig unter einem massiven Topfhelm heraus, der seinen Sturkopf so gut wie immer zierte. Damnir sah aus, als wolle er direkt in die Schlacht ziehen. Über seinem Wams trug er eine Plattenrüstung, die wollene Hose versteckte sich hinter metallenem Beinschutz und verschwand in dazu passenden Stiefeln. Ein Axtschaft ragte über seine Schulter, eine kleinere Axt hing an seinem Gürtel.
››Na, Spitzohr, schickt er dich auch weg?‹‹, brummte er.
››Dich auch?‹‹, Li'eyla konnte ihr Erstaunen nicht verbergen.
››Und noch ein paar andere. Selbst einige Menschen schickt er fort.‹‹
››Schickt er fort? Ist doch ein Auftrag wie die anderen auch. Wertsachen einsammeln und abliefern. Nur der Weg ist etwas weiter.‹‹
››Ach Mädchen, denk mal drüber nach. Wieso schickt er uns alle gleichzeitig? Ich sage, da steckt ganz was anderes dahinter.‹‹
››Hast du etwa Schiss? Läufst du deshalb als Blechdose herum?‹‹ Sie wollte den Zwerg eigentlich gar nicht provozieren, aber irgendetwas trieb sie dennoch dazu. Dabei waren Zwerge für ihr Temperament berüchtigt. Doch diesmal lachte Damnir nur erheitert.
››Ach Kind, da musst du schon mehr auffahren. Das hier ist doch nur leichte Rüstung! Reiseklamotten sozusagen.‹‹
››Ich bin kein Kind!‹‹, fauchte sie und ärgerte sich zugleich, dass sie sich derart reizen ließ.
››Hast du etwa keine Eltern? Bist wohl aus 'ner feuchten Baumspalte rausgerutscht, was?‹‹, Damnirs Kichern klang eher wie ein trockener Husten. Auf jeden Fall amüsierte er sich. Die Elfe riss eine Fackel aus einem nahen Halter an der Wand und schwenkte sie vor sich hin und her.
››Ich fackel dir den Bart ab, du stinkender Maulwurf!‹‹
Doch was ihre Bärte anging, kannten Zwerge keinen Spaß. Es wusste wohl jeder, dass der Bart des Zwergen ganzer Stolz war. Nun, fast jeder.
››Lebst du gern?‹‹, knurrte Damnir und legte die Hand an den Griff seiner kleinen Axt. ››Dann steck die Fackel zurück!‹‹ Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: ››Weib, Spitzohr und wahrscheinlich auch noch rote Woche. Schon eins davon reicht für 'ne Einweisung ins Tollhaus!‹‹ Die Sekunden verstrichen während beide ihren Kampf mit Blicken ausfochten. Langsam, und den Zwerg nicht aus den Augen lassend, steckte Li'eyla die Fackel zurück in die Halterung.
››Hast Glück, dass ich dich lieber studiere als umbringe.‹‹ Ihre Stimme schwankte leicht und sie nahm sich die vorgespielte Selbstsicherheit selber nicht ab. Die Klügere gibt nach, tröstete sie sich.
››Besonders in der Körpermitte kannst du mich gerne mal studieren.‹‹ Und schon hatte der Zwerg wieder ein schmutziges Grinsen im Gesicht.
››Fang nicht schon wieder an.‹‹
Damnir winkte ab. ››Wohin schickt er dich?‹‹, nahm er den Faden wieder auf.
››Drei Ruinen im Süden. Ich frage mich, was das für Ruinen sind. Unsere Ältesten müssten das wissen.‹‹
››Wir sind früher nie so weit in den Westen gekommen. Erst als die Ristai hier angelandet sind haben wir den Handel mit ihnen gesucht.‹‹
Der Zwerg ist gar nicht so einfältig, dachte Li'eyla. Zumindest kennt er die Geschichte seines Volkes.
Nach einem Augenblick fügte Damnir hinzu: ››Ich gehe nach Norden. Über den Blauquell. Leider gibt es keine Brücke. Wird höchste Zeit, dass der Graf eine bauen lässt. Ich hasse Boote. Oder Gondeln.‹‹ Und genau das drückte sein Gesicht aus. Abscheu.
››Wird schon schief gehen‹‹, meinte Li'eyla und wunderte sich erneut, dass ihre Zunge sich heute dauernd verselbständigte. Jetzt redete sie schon dem Kurzen gut zu. Belohnt wurde sie ganz unerwartet mit einem ehrlichen Lächeln.
››Ein Schmetterschild hat schon Schlimmeres durchgestanden. Bin mal gespannt, was sich für Abenteuer auftun. Vielleicht gibt es ein paar Ungeheuerköpfe von Hälsen zu trennen. Ruhm und Ehre für den Clan!‹‹
Und wie er das so sagte und sein ehrliches Lächeln sich in ein furchterregendes wandelte, war Li'eyla ganz froh, nicht die Konfrontation gesucht zu haben. Sie verabschiedeten sich höflich und irgendwie ausgesöhnt und Li'eyla setzte ihren Weg fort. Zu ihrer Truhe, wo ihre Elfenkleider auf sie warteten, die sie für die Reise durch die Wildnis anlegen würde. Ganz unvermittelt spürte sie Freude in sich aufsteigen. So viel lieber waren ihr die wilden Tiere der Natur als die der Stadt. Erstere wollten dir zwar ans Leder, das war sicher. Aber auch berechenbar. Was Letztere wollten, wusstest du nie.