Читать книгу Die Suche des Magus Quaerendus - Fabian Möller - Страница 7
Kapitel 4
Оглавление›› |
Blutiger Dämonenarsch!‹‹ Aldred fluchte laut. Die soeben gewürfelte Vier hatte ihm einen dicken Strich durch die Rechnung gemacht. Jeder Magus Quaerendus hatte von der Akademie vor Abreise ein paar Münzen bekommen. Die Suche konnte Monate dauern und er schlief gern in einem warmen Bett. Und spülte lieber Fleischpasteten in Blätterteig mit dunklem Bier herunter als mühevoll gesammelte Beeren mit klarem Quellwasser. Das er zuerst würde finden müssen. Mit genügend Geld könnte er sich sogar ein Maultier fürs Gepäck leisten.
Da war ihm die glorreiche Idee gekommen, die Barschaft in der nächsten Taverne zu vervielfachen. Aldred hatte eine Schwäche für das Würfelspiel, obwohl er selten gute Erfahrungen machte. Bei jedem gewonnen Spiel war er sich sicher, dass nun seine Glückssträhne begänne. Das hatte sie aber erst ein einziges Mal getan, doch von diesem Erfolg zehrte er noch heute und erzählte noch viel lieber davon. Leider war es so gut wie unmöglich, mit Hilfe von Magie verlässlich zu betrügen. Dazu müsste er die Würfel während des gesamten Wurfes magisch kontrollieren und das war zu auffällig. Die meisten Tavernen in Samarant – insbesondere die, in denen dem Glücksspiel gefrönt wurde – beschäftigten ehemalige Akademiemitglieder, die an der ein oder anderen Prüfung gescheitert waren, und nun ihre geringen Fähigkeiten dazu nutzten, Betrug mittels Magie zu entlarven. Schon ein kleiner Schubs mit Luftmagie bei auf der Kante stehenden Würfeln war riskant. Um es kurz zu machen: Weg war das Reisegeld. Einen lausigen Kreuzer hatte er von den ursprünglichen drei Mark als eiserne Reserve übrig. Und es juckte ihn in den Fingern, diesen Kreuzer zu setzen.
Eine halbe Minute später ließ er genau diesen einen Kreuzer tief in seinem Beutel verschwinden und setzte den Fuß auf die Straße. Ich bin ja nicht total verblödet, dachte Aldred und zeigte sich selbst einen Vogel. Ein mickriger Sieg.
››Frechheit!‹‹, rief ihm die Dame zu, an der er gerade mit langen Schritten vorbeieilte. Zum Glück hatte er ein Gasthaus im Stadtzentrum von Samarant gewählt. Im Hafenviertel hätte ihn diese unbedachte Geste glatt den Finger kosten können. Na gut, nur bei Dunkelheit. Und derzeit stand die Sonne hoch am Himmel. Hier im Süden brachte sie schon beachtliche Temperaturen mit sich, welche die Einwohner von Samarant nach dem frischen Frühling sichtlich genossen. Die Röcke vieler junger Mädchen und Frauen endeten über dem Knie und selbst die Männer trugen mitunter kurze Hosen. Aldreds Heimat war der Norden, das kleine Dorf Dael, das zur Grafschaft Trutzlande gehörte und der Stadt Traeburg die Treue schuldete. Er war gewöhnt an schlichte, praktische Kleidung in den Farben der Natur. Im Herzogtum Südstrom und insbesondere dessen Hauptstadt Samarant galt eine gänzlich andere Kleiderordnung, über die Aldred noch heute staunen konnte. Farbenprächtig und aufwendig. Gepuffte Ärmel, Pluderhosen bis zum Knöchel, aber auch halblang bis zum Knie, Seidenmäntel und kurze Umhänge, silberne Stirnbänder, abstruse Hüte, die niemals so aufrecht stehen dürften, wie sie es taten. Es gab Elfen aus dem Gezeitenwald geschmückt mit verschlungenen Kronen, aus feinsten Korallenholzzweigen geflochtenen Arm- und Beinschienen, mit immergrünen Blättern im Haar und feinsten Langbögen auf dem Rücken. Die edlen Elfen aus dem Silberwald waren größtenteils in Wildleder gekleidet, verziert jedoch mit Silbereiche, die hart wie Stahl war. Edelsteine in allen Regenbogenfarben blitzten auf, wenn das Sonnenlicht sie traf.
Zwerge trieben Handel und wanderten durch die Straßen. Selbst einige Zwergenschmiede, die sich vor Aufträgen kaum retten konnten, gab es in der Stadt. An ihnen glänzte Zwergenstahl und Mondstein, goldene Spangen hielten ihre Umhänge und in ihren Bärten fanden sich Kupferplättchen und bronzenes Zierwerk.
Das kleine Händlervolk der Gonden war auf dem Markt im Überfluss vertreten. Sie reisten in kompletten Familien von einem Ort zum nächsten, handelten mit allem und waren stets freundlich. Sie liebten funkelndes, glitzerndes Geschmeide, trugen am liebsten Samt und Seide und stets eine Zipfelmütze auf dem Kopf. Ohne Rechenschieber waren sie kaum anzutreffen, jederzeit bereit, einen Handel zu tätigen. Und wurde man von einem Gonden übers Ohr gehauen, so konnte man ihm einfach nicht böse sein. Die meisten fielen sogleich verbal auf die Knie und waren dabei so putzig anzuschauen, dass man ihnen verzeihen musste. An seinem ersten Tag in Samarant hatte Aldred für eine Wegstunde glatte vier gebraucht, war an jeder Ecke stehen geblieben, um die Eindrücke in sich aufzunehmen und hatte vor Staunen den Mund nicht zu bekommen. Sicher war das nun sieben Jahre her, doch immer noch gab es Neues zu entdecken.
Besagtes Hafenviertel, das man bei Dunkelheit besser mied, steuerte Aldred jetzt an. Er hatte sich bei Aleena entschuldigt und sie hatten beschlossen, gemeinsam eine Schiffspassage nach Sturzwasser zu nehmen. Aldred würde von dort nach Süden aufbrechen, um einen neuen Scolaren für die Akademie zu finden, Aleena würde ihren Vater aufsuchen und sich dann nach Norden begeben. Es gehörte zur Suche dazu, diese allein zu bewältigen. Aldred hatte ebenfalls überlegt, seine Familie zu besuchen, die in Dael lebte, doch war der Weg dorthin lang und beschwerlich. Das Reisen durch die Sphäre hatte er gelernt, allein es fehlten ihm die nötigen Runensteine, die man sich nur für viel Geld kaufen konnte. Danach galt es an den Zielort zu reisen und diese Runensteine an den jeweiligen Ort zu binden. Erst dann taugten sie für die schnelle Reise durch die Sphäre. Jeder Magier stellte über Jahre hinweg eine eigene Sammlung an Runensteinen zusammen. Aldreds bestand derzeit aus keinem einzigen.
Sturzwasser war sicher nicht das nächstliegende Ziel, aber er wollte etwas von der Welt sehen. Zudem würde er, indem er südlich von Sturzwasser auf die Suche ging, noch ein paar Tage mit Aleena verbringen können. Sie hatten sich kurz vor ihrer Aufnahme an der Akademie auf abenteuerliche Weise kennen gelernt. Seit dieser gemeinsamen Erfahrung teilten die beiden eine tiefe Verbundenheit, die mit der Zeit zu wahrer Freundschaft gewachsen war. Aleena war über die Jahre nicht nur zu einer Frau und einer Maga, sondern auch zu einer Schönheit gereift, was Aldred manchmal darüber nachsinnen ließ, wie es wohl wäre, ihren Atem auf seiner Haut zu spüren und ihre Lippen auf den seinen zu schmecken. Es irritierte ihn ungemein, derartige Gedanken zu haben, dauerte ihre Freundschaft doch schon viele Jahre. Sie darauf anzusprechen, traute er sich nicht, zudem hätte es wohl keinen Sinn gemacht. Er wusste ja selbst nicht, ob er sie küssen wollte oder nicht.
Erfahrungen mit Frauen hatte er während seiner diversen Ausflüge in die Gasthäuser Samarants genug gesammelt. Aldred ging als attraktiv durch. Klassisch schön war er nicht, hatte aber markante Gesichtszüge und Augen, die auf einen starken Willen und Selbstbewusstsein hindeuteten. Er pflegte sich und sein Äußeres. Nur unterschieden sich die Gefühle, die diese nächtlichen Vergnügungen bei ihm ausgelöst hatten, grundsätzlich von denen, die ihn derzeit beschäftigten. Liebe konnte es auch nicht sein. Aldred war mit sechzehn in eine seiner Eroberungen verliebt gewesen und hatte ihr diese Liebe gestanden. Sie hatte ihn nicht nur verlacht, sondern ihm auch verboten, je wieder in ihr Bett zu kommen.
Für den Moment war Aleena eine gute Freundin und er genoss ihre Gesellschaft. Fertig. Warum großartig darüber nachdenken, wenn einen das eh nicht weiter brachte.
Sie winkte ihm von Weitem zu. Der Wind spielte in ihrem Haar und ihr strahlendes Lächeln sprang sofort auf sein Gesicht über.
››Beeil dich! Der Käpt'n wartet nur noch auf dich!‹‹, rief sie ihm entgegen.
Sein Bündel über der Schulter nahm Aldred die Planke zum Deck mit vier federnden Schritten und gesellte sich zu Aleena an die Reeling.
››Du hattest doch gesagt zur Mittagsstunde‹‹, antwortete Aldred.
››Sie sind wohl mit dem Beladen schneller fertig geworden.‹‹ Aleena zuckte mit den Schultern.
Die Planke wurde eingeholt, während die beiden frischgebackenen Magi die Flussschiffer beim Lösen der Leinen beobachteten. Im Hintergrund konnte man den Tempel der Xallia sehen, der wie die meisten Gebäude der Stadt aus warmgelbem Sandstein errichtet war. Zwei Diener der Göttin reinigten gerade die Wasserspiele, die aus einer Vielzahl von Springbrunnen, Wasserfällen und kleinen steinernen Kanälen bestanden. In trauter Eintracht standen sie nebeneinander und schwiegen. So nahe an der Flussmündung konnten sie das Salz in der Luft riechen, die Möwen schrien als ginge es um ihr Leben und das bunte Treiben am Hafen entfernte sich, als der auflandige Wind in die Segel griff und das Schiff in die Flussmitte trieb. Eine ganze Weile schauten sie Samarant dabei zu, wie es immer kleiner wurde, bis Aldred das Schweigen brach.
››Maga Dunwen. Wie klingt das?‹‹
››Nenn mich lieber Aleena.‹‹
››Du weißt, was ich meine.‹‹
››Klar‹‹, lachte sie, wurde aber umgehend wieder ernst. ››Genau da wollten wir immer hin. Weißt du noch, wie unglaublich weit entfernt uns damals dieser Augenblick schien?‹‹
››Ja‹‹, gab er schlicht zurück. Nur um sofort hinzuzufügen: ››Dieser Augenblick liegt aber auch sieben Jahre zurück. Was meinst du, wie anders unsere Welt in weiteren sieben Jahren aussieht.‹‹
Sie lächelte milde und ihre Gedanken blieben ihr Geheimnis.
››Da hast du recht.‹‹
Beide schwiegen sie wieder, diesmal nicht für lang.
››Ich mach mir Sorgen um die Akademie. Dieser Zwist mit der Krone artet aus‹‹, begann Aleena. ››All diese Gruppierungen und Bündnisse entzweien die Magierschaft. Wo soll das noch hinführen?‹‹
››Keine Ahnung. Ich halt mich da raus. Hauptsache, ich kann weiter das Lied studieren.‹‹ Aldred schien das kaum zu belasten und Aleena beneidete ihn darum.
››Aber wie lange kannst du das noch, wenn der Konflikt eskaliert? Sollte sich die Lage an der Akademie weiter zuspitzen, könnte das tatsächlich ein schlimmes Ende nehmen.‹‹
Aldred sah sie einen Moment von der Seite an, als würde er ihre Züge studieren.
››Du bist dafür, einen Kompromiss auszuhandeln, oder?‹‹, folgerte Aldred. ››Deine Familie gehört ja auch zur herrschenden Klasse.‹‹ Er stellte lediglich fest und warf ihr das nicht vor.
››Lieber Kompromiss als Krieg. Wir sind nun mal Untertanen des Königs, da hat er schließlich recht‹‹, gab sie zurück.
››Aber einer Gruppe hast du dich nicht angeschlossen.‹‹
››Nein. Das alles stiftet nur Unfrieden und letztendlich muss der Rat entscheiden. Ich hoffe nur, er entscheidet richtig.‹‹ Nachdem Aleena geendet hatte, hingen beide einen Augenblick ihren düsteren Gedanken nach. Anscheinend gab es jedoch noch mehr, was die junge Maga belastete.
››Der Brief meines Vaters frisst an mir. Er wird Pläne haben und ich bezweifle, dass sie mir gefallen.‹‹ Aleena klang so betrübt wie sie aussah. ››Er hat seine Kinder immer nur als Mittel zum Zweck gesehen. Gorn genauso wie mich. Die geplatzte Hochzeit von damals wird er mir nie verzeihen, selbst wenn er genau das sagt.‹‹
››Jeder, der das Talent eines Liedwirkers besitzt, muss auch darin geschult werden. Und wer der Akademie gehört, ist für den Heiratsmarkt verloren. Das ist nicht deine Schuld und das weiß dein Vater.‹‹ Aldred gab sein Bestes, obwohl sie das schon Dutzende Male durchgekaut hatten.
››Er gibt mir trotzdem die Schuld – genauso wie dir, das weißt du genauso gut wie ich. Eine Verbindung mit dem Königshaus war schon immer sein Traum.‹‹
››Meinst du, er will dich jetzt verheiraten? Als Maga wäre es dir erlaubt, die Akademie zu verlassen. Nur könntest du nie mehr zurück.‹‹ Aldred hoffte auf die Antwort, die er bekam.
››Er kann mich nicht zwingen. Nicht mehr. Und warum sollte ich für irgendeinen Schnösel, den ich gar nicht kenne, mein Leben aufgeben?! Die Kutsche ist abgefahren.‹‹
››Wie du selbst gesagt hast, er wird Pläne mit dir haben. Und er ist sowohl dein Vater als auch Graf der Feuermoore. Er ist Gehorsam gewohnt.‹‹
Aleena funkelte ihn böse an. ››Und deshalb soll ich mich fügen? Denkst du das?‹‹
Aldred seufzte ergeben. ››Natürlich nicht. Du weißt, dass ich hinter dir stehe. Egal, was du vorhast.‹‹
Aleena kniff die Lippen zusammen und blickte in die Ferne. Aldred wartete einen Moment ab, bevor er erneut die Stimme hob.
››Das wird schon. Wenn du willst, begleite ich dich zur Stromburg ...‹‹
››Keine gute Idee. Nein. Mein Vater ...‹‹
››… kann mich nicht leiden.‹‹ Aldred verstand. ››Dabei kennt er mich nicht mal.‹‹
››Nun, er ist halt der Ansicht, ohne dich wäre ich nie in der Akademie gelandet. Als hättest du mich mit dem Lied angesteckt.‹‹
››Er glaubt eben nur, was ihm in den Kram passt. Jetzt weiß ich, woher du deine Sturheit hast.‹‹ Mit neckenden Worten versuchte Aldred seine Freundin aufzumuntern, doch wo Aleena ihm normalerweise eine deftige Retourkutsche geliefert hätte, lächelte sie nur trübsinnig, fast widerwillig.
››Danke nochmal für dein Angebot, Aldred. Aber ich muss das alleine durchstehen.‹‹
››Versteh ich gut‹‹, antwortete dieser schmunzelnd. ››Manchmal bin ich tatsächlich dankbar für meine unterentwickelte Sippe.‹‹
Sie stieß ihm den Ellenbogen in die Seite und auf sein empörtes Aua! hin, musste sie letztendlich doch lachen.
Die Tage auf dem Fluss vergingen. Gegen den Strom zu fahren konnte eine Qual sein. Das Glück war ihnen jedoch hold und der Wind stand meist günstig, so dass nur selten gerudert werden musste. Am dritten Tag lud der Kapitän sie zum Abendessen in seine Kajüte. Retslaw Remo war früher ein berüchtigter Seefahrer gewesen, hatte alle Meere befahren, die man in den Küstenlanden kannte, und noch mehr. Wie bei jedem echten Haudegen fehlte ihm die Hälfte des rechten Beins. Ein Holzbein ersetzte das fehlende Glied. Er trug einen mächtigen Dreispitz auf dem Kopf, von dessen linker Seite fünf winzige Totenschädel baumelten. Eine papageienbunte Feder linste über den Hutrand. Sein Oberkörper wurde von einem weiten schwarzen Wollhemd und einer roten Samtweste verhüllt. An jedem Finger steckte ein Goldring und auf seinen Hals waren fremdländische Hieroglyphen tätowiert.
››Wie seid Ihr überhaupt zur Flussschifffahrt gekommen, wenn die Frage erlaubt ist, Käpt'n?‹‹, begann Aldred neugierig, wie es in seiner Natur lag, nachdem sie erste Höflichkeiten ausgetauscht hatten.
››Lasst mich Euch eine Geschichte erzählen‹‹, kam prompt die Antwort. Käpt'n Remo war berühmt für sein Seemannsgarn. Die beiden Magier hatten allerdings nicht so zügig mit einer seiner fantastischen Geschichten gerechnet. Obwohl Aldred im Nachhinein zugeben musste, dass seine Frage das geradezu herausgefordert hatte.
››Vor vielen, vielen Jahren kreuzte ich mit der Schaumkrone über die Unheilige See, weit, weit im Süden der Küstenlande.‹‹ Die rauchige Stimme des Käpt'ns verriet neben seiner Vorliebe für Tabak auch die für hochprozentige Getränke und machte es den Zuhörern leicht, sich in das Abenteuer hineinziehen zu lassen.
››Ich und meine Jungs hatten Hacke-Piet, dem Blaublut unter den Freibeutern, einige Wochen zuvor eine Schatzkarte abgenommen. Habt Ihr von Piet gehört?‹‹ Bejahendes Nicken war die Antwort. ››Manche nennen ihn auch Lieber Abstand. Der hat sich mal auf irgendso'ner Insel das Juckfieber eingefangen. Jedes Mal, wenn sein Blut in Wallung kommt, verliert er die Kontrolle über seinen Säbel. Hat schon den ein oder anderen seiner Mannschaft in Stücke gehaun. Potz, Donner und Klabautermann, das is'n Irrer!
Ich geb's ungern zu, aber fast war ich froh, wieder runter von seinem Kahn zu sein. Ich war nur auf die Karte aus. Der größte Schatz aller Weltmeere sollte drauf verzeichnet sein.‹‹ Um seinen Worten Gewicht zu verleihen, legte Retslaw Remo öfter mal eine Pause ein, wie auch jetzt. Weder Aldred noch Aleena wagten es, ihn zu unterbrechen, was er sichtlich genoss.
››Wie gesagt, wir kreuzten schon 'ne Weile auf der Suche nach dieser verfluchten Insel. Schließlich fanden wir sie. Die sagenumwobene Insel war 'n karger Fels, kaum größer als meine Schaumkrone. Dutzende Schiffswracks ragten drum herum aus dem Wasser, was uns hätte Warnung genug sein sollen. Aber verdammt, ich wollte diesen Schatz! Genau in der Mitte stand 'n alter steinerner Turm ohne Eingang. Nur ganz oben, wo die Möwen fliegen, war ein kleines Fenster. Keine Tür, kein Loch, nichtmal 'ne Maus wär da rein gekommen. Ich lass 'ne Enterdregge ins Fenster werfen und schick Äffchen hoch. Der beste Mann in den Wanten. Flink wie Xallia im Wasser. Kommt der doch glatt wieder runter mit so 'ner Alten huckepack. Wir glotzen wie die Kugelfische.‹‹ Der Käpt'n goss sich Rum nach und nahm einen ordentlichen Schluck.
››Erzählt die alte Schreckschraube mir, sie sei 'ne Prinzessin der Wellenreiter. Das Volk, das auf dem Meer lebt. Der größte Schatz aller Weltmeere, ja, so hätte man sie früher genannt. Haha! Musste aber fünf Jahrzehnte her sein. Die hatte Falten im Gesicht, tiefer als das Meer selber. 'N Seedrache hätte sie entführt und in den Turm gesetzt. Heiliges Höllenfeuer, war ich wütend. Wollt die alte Schachtel grade über Bord schmeißen, da fängt das Meer zu kochen an. Ihr vermaledeiter Seedrachen und zwar ein riesiges Biest, wie ich es nie zuvor gesehen hab. Alle auf ihn mit Gebrüll, mit Harpunen, Speeren, Säbeln und Messern. Hat den nicht die Bohne gekratzt. Schuppen hart wie Zwergenstahl hatte der. Feuer hat ihn dann beeindruckt. Der elende Wurm hat mir die halbe Mannschaft abgemurkst und fast das Schiff zerlegt. Wir dachten grade, wir hätten ihn vertrieben, da taucht er wieder auf, fliegt auf mich zu und stürzt sich auf mich. Wollt mich wohl im Ganzen runterschlingen. Der hatte mich schon im Maul, da hab ich ihm den hässlichen Schädel von seinem Hals gehaun. Hat mich das halbe Bein gekostet.‹‹ Gewichtige Pause. ››Nur dank der ruhigen See und ständigem Eimerschleppen sind wir bis zum nächsten Hafen gekommen.
Um es kurz zu machen. Der Verlust meines Beins hat mich vernünftiger werden lassen. Und meine Frau.‹‹ Der Käpt'n lachte amüsiert los. ››Die war verdammt wütend, dass ich wegen der alten Meerschlampe so'n Aufriss gemacht hab. Als hätt ich's geahnt. Berge von Gold wollt ich!‹‹ Die letzten Worte brüllte der alte Seebär. ››Na, und meine Schaumkrone war hinüber. Den Drachenschädel konnt ich verscherbeln. Hat grade für so 'ne Nussschale wie die hier gereicht.‹‹ Remo breitete die Arme aus. Langsam beruhigte er sich wieder und schloss seine Geschichte mit den Worten: ››Wie meist im Leben kamen mehrere Gründe zusammen. Und seitdem fahr ich nur noch binnen.‹‹ Aleena und Aldred staunten nicht schlecht. Aber eine Frage hatte der Magus dann doch noch: ››Wenn der Seedrache tatsächlich so harte Schuppen hatte, wie habt Ihr ihm dann den Kopf abschlagen können?‹‹
Aldred erschrak, als der Käpt'n scharrend seinen Säbel zog und in den schweren Eichentisch vor sich rammte.
››Erkennt Ihr das, Junge?‹‹ Der Säbel funkelte, als hätte er das Sternenlicht eingefangen.
››Ich bin mir nicht sicher‹‹, musste der Magier zögernd eingestehen.
››Bester Mondstein. Der Schatz der Zwerge. Mit dieser Klinge schneide ich jedes Schwert der Stadtwache in der Mitte durch. Genau wie diese Drachenschuppen.‹‹
››Ihr versteht es wirklich, eine Dame zu beeindrucken, Kapitän‹‹, schaltete sich Aleena in das Gespräch ein.
››Das will ich meinen, meine Liebe. Aber was soll ich machen? Ich bin, wer ich bin!
Und jetzt aufgetischt, ich hab Hunger!‹‹, brüllte Käpt'n Remo.
Den Rest der Reise verbrachten Aldred und Aleena ohne nennenswerte Ereignisse. Sie schauten dem Ufer zu, wie es an ihnen vorbeiglitt. Sie übten den ein oder anderen Zauber miteinander und scherzten mit der Mannschaft. Aleena war für Aldreds Geschmack etwas zu freundlich zu den Schiffern. Er verbarg diesen Eindruck jedoch so gut er konnte, denn Aleena konnte jede unbeschwerte Stunde gebrauchen. Auch die ein oder andere Geschichte von Käpt'n Remo durften sie noch genießen. Wie er Käpt'n Morgan um mehrere Fässer Rum erleichterte. Oder wie er Käpt'n Nemos Schiff kaperte und in die Tiefen des Meeres beförderte.
Schließlich standen die beiden Magi mit ihren Bündeln auf dem Rücken mitten auf einer zentralen Kreuzung Sturzwassers und umarmten sich. Aldred war noch nie hier gewesen und als Erstes fiel ihm auf, dass in Sturzwasser nicht mit gelbem Sandstein gebaut wurde. Die Häuser wirkten im Vergleich zu Samarant grau und trist, doch erinnerten sie ihn ein wenig an zu Hause. Ihm gefielen diese dezenten Farbtupfer viel besser als das schreiende Farbspektakel der Herzogsstadt. Eine gute Wahl, um seine Suche zu beginnen.
››Ich drück dir die Daumen! Und wenn's total in die Hose geht, findest du mich im Süden durch die Dörfer tingelnd.‹‹ Aldred hatte das Gefühl, als hätte er Aleena einen Augenblick länger als üblich im Arm gehalten. Sie dagegen schien das gar nicht bemerkt zu haben.
››Danke. Ich schaff das schon. Dir alles Gute und wir sehen uns in der Akademie wieder.‹‹ Aleena setzte ein tapferes Lächeln auf und wählte den östlichen Weg, der zur Burg führte. Die Stromburg war in den Berg hinein gebaut und überblickte die Stadt, die zu ihren Füßen herangewachsen war. Mächtige Mauern und starke Türme erweckten den Eindruck, als könnte ihr nichts und niemand etwas anhaben. Aleena hatte ihm erzählt, dass die Burg bedrohlich und düster wirkte, wenn man direkt unter ihr stand.
Aldred schaute Aleena nach und winkte ihr zu, als sie sich nochmal umdrehte. Da ging sie hin. Und auch er sollte seinen Weg gehen. Zehn Tage hatte ihre Reise den Blauquell hinauf gedauert und es wurde Zeit, dass er mit der Suche begann. Seinen Proviant hatten sie gemeinsam auf dem Marktplatz aufgefrischt, Aleena hatte ihm das Geld ausgelegt. Genauso wie das für die Schiffspassage. Ihre Schimpftirade hatte er in Kauf nehmen müssen, denn er hatte sie verdient. Er hoffte, er würde seine Schulden in nicht allzu ferner Zukunft begleichen können.
Glücklicherweise waren sie früh am Morgen in Sturzwasser angekommen, so dass Aldred vor Einbruch der Nacht noch einiges an Strecke schaffen konnte. Die Sonne schien hell und warm auf sein Gesicht, während er der Straße folgte. Ab und an blieb er einfach stehen und schloss die Augen, um sich ganz auf das angenehme Kribbeln und die warmen Strahlen der Sonne einlassen zu können. Schon bald wurde das Straßenpflaster spärlicher und zartes Grün machte den Steinen den Platz auf dem Weg streitig. Die großzügig verteilten Weiler direkt vor den Mauern der Stadt hatte er noch ignoriert, doch nach knappen zwei Stunden tauchte das erste Dorf vor ihm auf. Neugierige Blicke folgten dem Fremden ins Gasthaus. Dort zog er sich um und als er wenige Augenblicke später in seiner nagelneuen sattblauen Robe wieder vor die Tür trat, standen schon drei naseweise Kinder vor ihm.
››Warum trägst du ein Kleid?‹‹, fragte der Erste, ein Junge von vielleicht neun Sommern.
››Stört das nicht, wenn die Ärmel so weit runterhängen?‹‹, fragte die Zweite, Aldred schätzte sie auf elf, auch wenn das unter dem ganzen Schmutz nicht so einfach auszumachen war.
››Was ist das für eine Farbe?‹‹ fragte die Dritte und zeigte mit dreckigen Fingern auf die blendend weißen Streifen seiner Magierrobe. Schmunzelnd musterte Aldred einen nach dem anderen.
››Aus welchem Fuchsbau seid ihr denn gekrochen?‹‹
Die drei schauten sich verwirrt an, die Elfjährige kicherte aus unerfindlichem Grund und dann stoben sie davon, als seien sie auf der Flucht. Hinter Aldred trat der Sohn des Gastwirts aus der Schenke, nickte Aldred zu und machte sich – wie verlangt – auf die Suche nach dem Dorfvorsteher, der kaum zehn Minuten später um die Ecke bog. Im Tageslicht würde seine Robe mehr Eindruck schinden als im Halbdunklen der Taverne, hoffte der junge Magus.
››Ich grüße Euch, Vorsteher.‹‹ Aldred ging ihm ein Stück entgegen.
››Mmh, mhh. Grüße‹‹, sprach sein Gegenüber. Der Mann war weit über fünfzig, schätzte Aldred. Er hatte eine wilde graue Mähne und wettergegerbte Haut. Er machte einen kräftigen Eindruck, hatte Pranken wie ein Düsterwolf und sein Blick verriet ein gesundes Maß an Misstrauen. Seine Kleider waren einfach, aber ordentlich und halbwegs sauber, wie auch der Rest des Mannes.
››Was willst du?‹‹
››Ich komme von der Magierakademie zu Kyrell in Samarant‹‹, begann Aldred. Der Mann würde doch wissen, was Magie ist, oder?, dachte er bei sich. ››Gibt es in Eurem Dorf Kinder, die ungewöhnliche Begabungen haben? Die können, was anderen unerklärlich scheint?‹‹
Der Dorfvorsteher hustete in die hohle Hand und blickte Aldred schief an.
››Der Junge von Hembart hat einen Strahl wie kein anderer. Der kann gegen den Wind pissen, ohne dass er nasse Füße kriegt.‹‹
››Haha. Sehr lustig‹‹, nörgelte Aldred mit saurer Miene.‹‹ Ich meinte irgendwas, was Euch vielleicht Angst macht!‹‹
››Kolja, mein Sohn, der frisst so viel....‹‹
››Ja, schon gut‹‹, unterbrach Aldred ihn. Er konnte beim besten Willen nicht feststellen, ob der Mann sich über ihn lustig machte oder einfach nur dämlich war.
››Tut mir doch den Gefallen und führt mir Eure Burschen und Mädchen mal vor. Alle ab zehn Sommern würd ich sagen.‹‹ Kein Scolar war bisher jünger als zwölf gewesen. Lieber übergründlich als einen übersehen.
››Und was willst du mit denen?‹‹, hakte der Grauhaarige nach.
››Ich werde sie prüfen und auf alle, die die Prüfung bestehen, warten Ruhm und Reichtum.‹‹ Das konnte schließlich wahr werden und war nicht wirklich gelogen. Aldred glaubte nicht, dass er hier weiterkommen würde, wenn er versuchte, zu erklären, was die Akademie suchte und warum.
››Mmh. Die meisten Kinder sind auf den Feldern. Da müsst Ihr schon bis zum Abend warten.‹‹
Das war nicht die Antwort, die Aldred gefiel, aber immerhin hatte der Vorsteher zur höflichen Form der Anrede gewechselt. Offenbar hatte er den Köder mit dem Reichtum geschluckt.
››Ich warte im Gasthaus. Schickt sie zu mir, sobald das möglich ist.‹‹ Aldred wollte sich schon abwenden, da fiel dem Vorsteher noch etwas ein.
››Wie heißt Ihr überhaupt?‹‹
››Magus Ravenor nennt man mich‹‹, erwiderte Aldred und sah den anderen Mann grübeln.
››Ach, n Magus, was?! Sagt das doch gleich. Mich nennt man jedenfalls ... mmh, Vorsteher Klote.‹‹
Als wär das hier 'n Schwanzvergleich, dachte sich Aldred.
Trotz der strahlenden Sonne war es im Wirtshaus bestenfalls schummrig.
››Ganz schön schattig bei Euch‹‹, rief Aldred den Wirt an.
››Ist doch das beste bei so 'nem Wetterchen. Wer die Sonne auf'm Bauch will, geht raus. Wer's kühl mag, kehrt bei mir ein. Naja, eher treibt die Kühle für die Kehle das Volk zu mir. Aber so soll's sein, nicht wahr?!‹‹, plapperte der Wirt drauf los. Die saubere Robe sah wohl nach Geld aus. Womöglich sogar nach Gold. Bin mal auf sein Gesicht gespannt, dachte Magus Ravenor, bevor er fragte: ››Kann ich zwei Mahlzeiten, zwei Krug Bier und ein sauberes Bett bei Euch abarbeiten?‹‹
Tatsächlich fiel dem beleibten Wirt die Kinnlade ein Stück herunter. Dann fand er die Sprache wieder, maß aber den Magier mit kritischem Blick. Schnieke Kleider, schmale Hände.
››Was schwebt Euch da denn vor?‹‹
››Vielleicht ein buntes Feuerwerk? Oder eine unterhaltsame Geschichte?‹‹, schlug Aldred vor und fügte mit schelmischem Grinsen hinzu: ››Weinverkostung?‹‹
Die Mundwinkel des Wirtes sackten immer weiter nach unten. Dann war er an der Reihe.
››Wasser holen, Feuer machen, Beet pflügen, Holz hacken, Stube fegen, Staub wischen.‹‹
Aldred brummte in seinen säuberlich getrimmten Bart und zupfte sich verlegen am Ohrläppchen. Bei Xallia, er war froh, dass ihn niemand dabei sehen würde. Die meisten Arbeiten konnte er mit Hilfe des Liedes bewältigen, aber die hohen Künste derart zu missbrauchen, tat ihm fast körperlich weh und würde ihm Hohn und Spott einbringen, wenn jemals jemand davon erführe. Rotz und Wasser! Verfluchte Würfel!
Die kleine Willony, elf Sommer alt, ihr sandfarbenes Haar zu zwei abstehenden Zöpfen geflochten, schob knarrend die Tür zur Gaststube auf. Da saß der Mann von heute Morgen am Tisch und schob sich ein dickes Stück von Rommedahls Räucherschinken zwischen die Zähne. Er trug noch immer das seltsame Kleid mit den weiten Ärmeln, über das sie so gestaunt hatten. Hatte sie erst lediglich um die Ecke gelugt, schlüpfte sie nun ganz hinein und ließ die Tür hinter sich zufallen. Der Fremde war vertieft in sein Abendessen und so schien er sie nicht zu bemerken, was ihr noch ein paar Minuten Zeit gab, um ihn sich anzuschauen. Das schulterlange Haar hatte er mit einer einfachen Lederschnur zu einem kurzen Zopf zusammengebunden und im Gesicht stand ihm ein Rund-um-den-Mund-Bart. So einen wie Onkel Bram trug. Willony fand, dass der Fremde erschöpft aussah. Seine Züge wirkten kantig auf sie, aber gepflegt und sauber. Ihre Mutter sagte immer, wer sich sauber hielt, konnte kein schlechter Mensch sein. Deshalb hatte Willony sich auch nach der Arbeit noch kurz im Fluss den Dreck abgespült. Sie wollte einen guten Eindruck machen.
Der Vorsteher hatte einen Namen genannt, sie konnte sich nur beim besten Willen nicht daran erinnern. Sie trat die letzten paar Schritte an ihn heran und knickste unbeholfen, wie sie es bei den Frauen aus der Stadt gesehen hatte.
››Ihr habt gerufen, Herr.‹‹
Der Fremde wandte ihr das Gesicht zu und wischte sich mit einem Tuch über den Mund. Dann nickte er ihr freundlich zu und erhob sich. Bei Ilwen, war der groß. Als sie von unten zu ihm hoch sah, wirkte er fast doppelt so groß wie sie.
››Schön, dass du mich aufsuchst‹‹, begann er. ››Ich bin ein Magus der Akademie zu Kyrell in Samarant. Hast du von Samarant gehört?‹‹
Willony schüttelte den Kopf und kam sich noch kleiner vor.
››Das ist nicht schlimm. Hast du schon von Elluvia und ihrem ewigen Lied gehört?‹‹
››Elluvia sitzt in der Mitte der Welt und hält alles zusammen. Das weiß doch jeder!‹‹, krähte Willony, stolz, dass sie die Antwort wusste. Und schon reckte sie die Brust vor und wuchs wieder ein Stück. Der Fremde schenkte ihr ein zufriedenes Lächeln.
››Ihr Lied durchdringt die ganze Welt, jeden Halm und jede Wurzel, jeden See und jeden Berg. Hast du es schon mal gehört?‹‹
Verwirrt legt sie den Kopf schief und sah ihn aus großen Kinderaugen an. Dann steckte sie verlegen ihren Zeigefinger zwischen die Zähne und besah sich ihre Schuhe.
››Hast du schon mal etwas Wundersames vollbracht und konntest dir nicht erklären wie? Hast du dabei vielleicht ein paar leise Töne vernommen oder eine flüchtige Melodie?‹‹
Die Kleine bekam feuchte Augen. Was wollte der nur von ihr?! Der Magier kniete sich vor sie hin und wirkte selbst ein wenig erschrocken. Kurz schien er nachzudenken, dann reckte er ihr die flache Hand entgegen und aus einem Wirbel von Funken und Sternen schälte sich ein kleines hübsches Mädchen mit spitzen Ohren, hauchzarten Flügeln auf dem Rücken und silbernen Löckchen, die ihr bis zu den Füßen fielen. Ein durchscheinendes, schimmerndes Kleid verhüllte ihren zierlichen Körper. Sie lachte glockenhell und drehte sich tanzend im Kreis zu einer Melodie, die nur sie zu hören vermochte.
Im Nu waren Verwirrung und Angst aus Willonys Kopf verschwunden, es blieb nur noch Staunen und Freude. Lachend klatschte sie in die Hände und verfolgte jede Bewegung der zierlichen Fee mit fasziniertem Blick. Wie in Trance bemerkte sie, wie der große Mann ihr die andere Hand auf den Scheitel legte und hätte sie darauf geachtet, wäre ihr aufgefallen, dass die Welt um sie herum für einen Moment viel intensiver in ihr Bewusstsein drang.
››Hörst Du die Musik?‹‹, kam eine weitere Frage. Doch außer dem Lachen der Fee hörte sie nichts und schüttelte den Kopf. Der Fremde seufzte und nahm die Hand von ihrem Schopf. Kurze Zeit später begann die Fee sich wieder schneller zu drehen, bis sie sich in einem Funkenregen aus Silber und Gold auflöste. Ihr fröhliches Glöckchenlachen verhallte in der Weitläufigkeit des Schankraumes.
Wär ja auch zu schön gewesen, wenn er gleich im ersten Dorf Erfolg gehabt hätte. Eines nach dem anderen waren die Kinder des Dorfes bei ihm angetanzt. Die meisten hatten mit seinen Fragen nicht viel anfangen können, aber wie sollte man der Milch erklären, was eine Kuh ist? Also hatte Aldred letztendlich jedem Kind die Hand aufgelegt, hatte deren Verbindungen zum Lied verstärkt und gehofft, dass eines von ihnen die Magie spürte. Vergebens.
Es war spät geworden und manche der Geprüften würden morgen mit dem Aufstehen zu kämpfen haben. Schließlich war auch der Magier die Treppen hinauf und ins Bett gekrochen, hatte am nächsten Morgen sein Frühstück herunter geschlungen und sich wieder auf den Weg gemacht. Die folgende Nacht hatte er im Wetterschutz eines Jägers verbracht und war mit der Sonne aufgestanden. So um die Mittagszeit erst hatte er das nächste Dorf erreicht.
Was für ein Unterschied. Womöglich lag es an der Ferne zur Stadt, dass die Menschen freundlich auf ihn zukamen und nichts von einer Bezahlung für ein Mahl wissen wollten. Der Dorfvorsteher rief zügig alle Kinder zusammen, die sich nebeneinander auf der Straße aufstellten. Aldred hielt seine Befragungen kurz und knapp. Nach seiner ersten Erfahrung verließ er sich lieber auf das Hand auflegen. Erfolg hatte er auch hier nicht, doch als er alle Einladungen ausschlug und darauf bestand, sofort weiter zu reisen, füllten ihm die Mütter, Schwestern und Töchter sein Bündel mit frischem Gemüse, einem Laib Käse und getrocknetem Speck, während die Männer das gleiche mit seinem Schlauch und kräftigem Bier taten. Es war in der Tat derart stark, dass Aldred schon eine Stunde nach Aufbruch mit brummendem Schädel beschloss, jeden getrunkenen Schluck sobald wie möglich durch Wasser zu ersetzen, um den Rest zu strecken.
Wieder verbrachte Aldred, entgegen seiner Neigung und voller Verdruss, eine Nacht im Freien. Gegen Mittag begrüßte ihn das Dorf Alrode schon von Weitem mit gemütlich rauchenden Schornsteinen. Auf einer alten Erle vor dem Dorf saß ein Habicht – das Symbol des Gottes Aldor. Das sah vielversprechend aus. Wie sich herausstellte, trog die Idylle, denn als der junge Magus nach den Kindern fragte, erntete er ernste Blicke. Ein Mädchen, kaum zwölf Sommer alt, wurde vermisst. Seit zwei Tagen hatte niemand sie mehr gesehen und keine Spur war von ihr gefunden worden. So wurden seine Prüfungen kein fröhliches Spektakel wie im letzten Dorf, nicht mal eine willkommene Ablenkung, sondern vielmehr eine beklemmende Zeremonie, die er selbst fast noch dringlicher als die Dorfbewohner hinter sich lassen wollte. Noch am selben Tag zog es ihn aus dem Dorf, obwohl der Abend nahte und ihm vor einer weiteren Nacht im Freien graute. Doch schien ihm das immer noch das kleinere Übel im Vergleich zu der Grabesstimmung in Alrode.
Der Weg war inzwischen mehr Trampelpfad als Straße, gerade breit genug für ein Fuhrwerk und die Natur schien mit Macht zurück zu wollen, was der Mensch ihr abgerungen hatte. Aldred fragte sich, ob er vor Anbruch der Nacht einen geeigneten Rastplatz finden würde. Denn des Nachts einen unbekannten Wald zu durchqueren, konnte gefährlich werden. Er befand sich am östlichen Rand des Reiches, dicht an der Wildnis, von der man sagte, dass schon so mancher Siedler von ihr verschlungen worden war. Hier lauerten nicht nur Bären, Wölfe und andere Raubtiere, sondern auch blutrünstige Koboldstämme, die die Ausbreitung der Menschen auf dem Kontinent in Richtung Südosten abrupt gebremst hatten. Vielleicht sollte er sich einen Schlafplatz hoch in einem Baum suchen, oder sein Nachtlager mit einem Tarnzauber belegen?
››So spät noch unterwegs?‹‹, riss ihn eine Stimme aus seinen Gedanken. Eine raue, derbe Stimme, die ihm so gar nicht gefallen wollte.
››Ist doch gefährlich im Wald‹‹, fuhr der Mann vor ihm fort. ››Besonders zu dieser Stunde.‹‹ Es folgte erneut eine bedeutungsschwangere Pause. Er setzte sich gekonnt in Szene, das musste man dem Fremden lassen.
››Und ganz ... allein.‹‹ Diesmal erklang ein kehliges Lachen, in das einer seiner Kumpanen krächzend einfiel.
Aldred hatte derweil die Zeit genutzt, um seine Gegenüber ausgiebig zu betrachten und die Situation einzuschätzen. Drei dunkel gewandete Gestalten standen ihm gegenüber. Ihre Kleidung wirkte nicht abgerissen, aber etwas mitgenommen. Alle drei hatten sich mehrere Tage nicht rasiert und obwohl ihn noch drei Schritt von den Männern trennten, wehte ein übler Geruch zu ihm herüber. Wie hatte er diesen Stinktieren nur in die Falle gehen können?! Im Westen war die Sonne vor einigen Augenblicken versunken, doch es drang noch genug Licht durch die Bäume, dass er zumindest an zweien von ihnen das Zeichen erkennen konnte. Neben dem linken Auge trugen die Schurken ein Mal aus drei schwarzen Punkten, die, würde man sie durch Linien verbinden, ein gleichseitiges Dreieck bildeten. Mehr Zeit blieb dem reisenden Magier nicht, als das Gesindel scharrend schartige Waffen zog. Der in der Mitte, der gesprochen hatte und scheinbar der Anführer der drei war, zischte seinen Begleitern etwas zu, was für Aldred klang wie: ››Bluten darf er. Sterben nicht. Für Bulwey!‹‹
››Blutiger Dämonenarsch!‹‹, fluchte Aldred. Er hatte nicht mal einen Stab dabei. Immerhin hatte er den Kontakt zum Lied gesucht, sobald er die Bedrohung gespürt hatte, die von den Halunken ausging. Dennoch kam die Panik mit großen Schritten auf ihn zu. Übungskämpfe hatte er in der Akademie absolviert, allerdings eins gegen eins und Magier gegen Magier. Gegen Klingen hatte er lediglich mit dem Stab gekämpft und erinnerte sich gut daran, wie er das Lied beugen musste, um diesen wie ein Mühlrad im Wasserfall rotieren zu lassen. Sehr effektiv in der Defensive. Aber ohne Stab eher schwierig.
Die zwielichtigen Gestalten nährten sich ihm vorsichtig, obwohl er augenscheinlich unbewaffnet war. Eine Tatsache, die ihm trotz der akuten Notlage auffiel. Darüber nachdenken konnte er allerdings nicht. Er schätzte die Entfernung zu seinen Kontrahenten ab und verschaffte sich etwas mehr Zeit mit einem laut gebrüllten ››HA!‹‹ Seine Hände schnellten dabei vor und seine Feinde zuckten zurück, bevor sie erst einen unsicheren Blick tauschten, dann einen siegesgewissen, als feststand, dass rein gar nichts passiert war. Sie näherten sich und waren fast in Schlagdistanz. Aldred sah sich gehetzt um.
Plötzlich krachte es laut im Wald, als würde trockenes Holz bersten. Ein furchterregendes Brüllen erhob sich und etwas Schweres schien sich seinen Weg durch das Unterholz am Wegesrand zu bahnen. Zwischen Aldred und seinen drei Gegnern brach ein riesiger schwarzer Bär aus dem Wald. Mit nur einem Ohr, zwei bösen gelben Augen und unzähligen Narben auf der Schnauze sah er zum Fürchten aus. Sein Knurren klang wie fernes Donnergrollen und die Schatten des Waldes ließen seine Züge verschwimmen und stachelten die Fantasie jedes einzelnen zusätzlich an. Die Bestie schien geradewegs der Hölle entsprungen sein. Sie hatte die Zähne gefletscht und machte einen Satz auf die Bösewichte zu. Sie erhob sich auf die Hinterbeine, brüllte wutentbrannt, zeigte dabei zwei Reihen scharfer Reißzähne und schlug mit tellergroßen Pranken durch die Luft.
Aldreds Angreifer wichen verängstigt zurück, flohen aber nicht. Verdammt!, dachte Aldred. Auf den Bären war er stolz, denn er hatte viel Zeit investiert, um die Illusion derart perfekt und bedrohlich hinzubekommen. Normalerweise löste der Bär Panik aus. Aber die hier waren keine Stadtmenschen. Aldred wirkte einen weiteren Zauber. Eine Handvoll Erde hob sich in die Luft und flog in die weit aufgerissenen Augen des Anführers, der aufschrie, seine Waffe fallen ließ, die Hände vors Gesicht schlug und sich krümmte. Seine beiden Gefährten hörten den Schrei und nahmen die Beine in die Hand. Wie die Hasen rannten sie, ohne sich umzusehen. Den Göttern sei Dank! Der Magier klaubte einen Stein vom Wegesrand, ging zwei Schritt näher an seinen verbliebenen Widersacher heran, holte aus und warf ihm den Stein mit voller Wucht zwischen die Augen. Dieser sackte im selben Moment zusammen, als der fürchterlichste Bär, der je in der Gegend sein Unwesen getrieben hatte, sich in wabernden Nebel auflöste und vom Wind verweht wurde.
Aldred nahm seine neue Waffe an sich. Ein schartiges Kurzschwert samt abgewetzter Scheide. Er plünderte den Geldbeutel seines Opfers, fand aber nur einige Kreuzer darin. Zu guter Letzt zog er den Bewusstlosen nackt aus und schnürte dessen stinkende Kleider zu einem Bündel.
Das ist noch viel zu gut für dich, Bastard!, dachte Aldred grimmig. Aber ohne Not töten wollte er nicht. Die zwei Zauber waren nicht übermäßig anstrengend gewesen, dennoch fühlte er sich erschöpft und ausgelaugt, was wohl eher auf das emotionale Chaos zurückzuführen war, das der Überfall in ihm ausgelöst hatte. Er nahm seinen Weg wieder auf. Als er einen kleinen Bachlauf erreichte, warf er die alten Lumpen des Räubers hinein und ging noch eine Stunde weiter, bis es stockduster war. Zuletzt tat er fünfzig Schritte in den Wald hinein und legte sich unter einen Busch, wo er in einen tiefen, traumlosen Schlaf sank.