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IV

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Ich schlief nicht in dieser Nacht. Mir fehlte dein Lächeln, deine Stimme, die es stets verstand, alles Leid zu lindern, die Schmerzen zu stillen und die Traurigkeit in Mut zu verwandeln – und ich bin sicher, dass es allen so ging, die allabendlich deinen Worten gelauscht hatten.

Ich habe nachgedacht, Julie, unsere drei Tage Revue passieren lassen. Und festgestellt, dass ich nichts Wirkliches über dich erfahren habe, während du alles über mich wusstest, selbst die Dinge, die ich dir nie erzählt hatte, weil ich sie selbst nicht mehr gewusst habe.

Der Trick mit dem Orangenbäumchen.

Ja, ich kenne ihn, kann ihn vorführen, ich tat es sogar noch in dieser Nacht, Zuschauer allein mein Spiegelbild. Doch woher kannte ich ihn? Von meiner Familie? Auch sie waren Magier. Von jemand anderem?

Und was hat dein Bäumchen damit zu tun? Dein Bäumchen, das dir so viel bedeutete, soviel für dich war.

Heute glaube ich, dass es dein Herz war, Julie. Habe ich Recht? Habe ich dein Herz gebrochen, als ich dich, mein Glück, festhalten wollte?

Und wenn – warum hast du es zugelassen?

Ach Julie, auch darauf meine ich heute die Antwort zu wissen. Auch du warst nichts als eine Verfluchte, so wie wir alle in gewisser Weise einen Fluch auf uns tragen. Ich kann der Winter sein.

Ich war es in dem Moment, als ich dein Bäumchen erfrieren ließ.

Hattest du nicht noch kurz davor den Sommer in meinen Augen gesehen? Den Herbst haben wir beide nicht erkannt, so wie man ihn manchmal nicht zu sehen vermag, wenn die Tage zu sehr dem Sommer gleichen. Oder hast du ihn nur verschwiegen?

Als der Morgen anbrach, war ich bereits wieder in deiner Wohnung. Das Eis hatte sich auf alles gelegt – nur die drei Orangen lagen immer noch strahlend wie drei kleine Sonnen im Wintermeer auf den Scherben. Ich habe sie vorsichtig beiseite gelegt, dann habe ich den Topf mit den Baumscherben genommen und mich an deinen Tisch gesetzt. Stück für Stück, Splitter für Splitter habe ich genommen und wie ein dreidimensionales Puzzle zusammengefügt, gefrorene Scherben, nicht mehr als die Erinnerung an das, was sie einst waren – dein Leben. Deine Freude. Dein Glück.

Ich dachte, wenn ich es wieder zusammensetze, wäre alles wieder gut. Aber so einfach lässt sich nichts reparieren, was zerbrochen ist. Es bleiben immer Risse. Und manchmal hält man das wichtigste Stück in den Händen, ohne es zu sehen.

Ich konnte dein Bäumchen nicht zusammensetzen. Immer, wenn ich es fast hatte, fehlte ein Stück. Ich habe die ganze Wohnung danach abgesucht und nichts gefunden. Wirklich Julie, ich habe überall gesucht. Nur an einer Stelle nicht – bei mir.

Denn das Stück, das fehlte, war das gleiche, was auch meine Magie vermisst hatte. Ein Traum, ein Wunsch. Der richtige Traum, der richtige Wunsch.

Ich habe mir gewünscht, dass mein Glück zurückkehrt, Julie, jede Sekunde, die ich die eisigen Scherben zusammensetzte.

Ich hätte mir wünschen sollen, dass du zurückkommst. Um deiner selbst Willen. Aber ich tat es nicht.

Und so kam ein Windstoß, wie die Erinnerung an Falterflügelflattern, ließ es wieder in sich zusammenfallen. Wieder und wieder, bis ich aufgab, mit fast erfrorenen Fingern und blauen Lippen. Deine Wohnung war ein Eispalast – wie die Welt auch ohne dich ein Stück kälter geworden war.

Als ich meine Hände aneinander rieb, fiel mein Blick auf die drei Orangen, einzig nicht erfroren. Ich entsann mich, was drei Dinge bedeuten konnten.

Drei Wünsche einer Fee.

Drei Haselnüsse voller Wunder.

Drei Orangen.

Drei Chancen.

Es war der zweite Abend, an dem das Radio schwieg. Die Welt hätte ebenfalls schweigen sollen. Aber sie drehte sich weiter. Wie das Kaleidoskop.

Das zerbrochene Mädchen

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