Читать книгу Das bittersüße Traumkonzert - Fae Clarke - Страница 10
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ie wird kreidebleich, als sie die Location betritt. Stimmengewirr, Gitarrensound und Gelächter dringen zu ihr vor. Selbst hier im Backstage Bereich ist die Luft angespannt und zum Schneiden dick. Die beiden folgen dem Mann, der weiter in Richtung Tribüne läuft.
Der Gang endet in einer Art Halle, die hinter der Bühne liegt. So etwas hätte sie sich niemals träumen lassen. Gerade macht sich die Vorband für ihren Auftritt bereit. Hüpfend und auflockernd schlendern sie zu dem langen schwarzen Vorhang. Als sie sich umblickt, bleibt Lilith mit einem Mal wie erstarrt stehen.
»So, bis hierher und keinen Schritt weiter! Ich weiß nicht, was ich sagen soll!«, meint sie leise. Sonja schaut sie fragend an. »Ich kann das nicht. Ich weiß nicht, was ich zu ihm sagen soll, außer vielleicht einem Danke.«
»Ach, das wird schon. Er ist doch so erfahren, dass er schon weiß, wie er dir ein paar Worte entlocken kann. Und er wird sich dabei bestimmt auch etwas gedacht haben, uns hierher einzuladen«, erwidert die Freundin und steuert hernach zielstrebig auf den Gitarristen zu.
Lilith blickt hilflos in die Runde. Der Manager lächelt ihr noch einmal zu. »Viel Spaß euch beiden«, sagt dieser und verschwindet durch eine Tür.
›Na toll!‹
Sie sieht ein paar Jungs, die sich lautstark unterhalten und an ihren Gitarren zupfen. Das ist wohl die zweite Vorgruppe. Einer der Jungs bemerkt ihre Blicke und nickt ihr zu. Schief lächelnd erwidert sie sein Nicken und überlegt. Wer tritt heute noch einmal alles auf? Da kommt auch schon Sonja auf sie zugeeilt und nun ist sie diejenige, die aufgeregt ist. Was völlig untypisch für sie ist.
»Darf ich dich für die nächste Zeit mal allein lassen? Ich bleibe auch hier in der Nähe!«, bettelt diese.
Augenblicklich weiß sie wieder Bescheid - die zweite Vorband. Ihr fällt siedeheiß ein, wer diese Band ist. Als sie zustimmend nickt, strahlt die Freundin sie an. Diese geht bereits auf die Bandmitglieder zu, als sie plötzlich wieder kehrtmacht und nochmals auf sie zukommt.
»Sei bitte, bitte nicht nervös! Er ist es nämlich auch.« Und schon dreht sie sich wieder grinsend um und lässt Lilith verdutzt zurück.
Sonja begrüßt die einzelnen Jungs der Band und schon lacht und schnattert sie drauf los. Hach, könnte sie das auch einmal. Einfach jeden ansprechen, herumschäkern und immer zu wissen, was sie zu wem sagen muss, um rasch ins Gespräch zu kommen. Solch eine Leichtigkeit fehlt ihr leider allzu oft.
Wenige Meter vor sich entdeckt sie einen Bistrotisch an einer Säule, auf dem Gläser und Getränkeflaschen stehen. Langsam steuert sie darauf zu und schaut hilfesuchend in die Runde. Darf sie sich einfach so bedienen oder macht das jemand für sie? Der Drummer bemerkt sie und kommt auf sie zu.
›Bleib ruhig!‹, ermahnt sie sich.
»Hallo, ich bin Joe und du musst Lilith sein.« Mit einem breiten Lächeln reicht er ihr die Hand. Zögerlich streckt sie ihm die Ihre entgegen und bestätigt seine Vermutung. Die Frage, woher er das wisse, bekommt sie nicht über die Lippen.
»Du kannst dich gern bedienen und Essen gibt es dort hinten.« Damit deutet er auf einen Platz am anderen Ende des Raumes.
Dort entdeckt sie auch den Sänger, der neben einem langen, mit Speisen überfüllten Tisch steht und sich mit einer Frau unterhält. Sie wird knallrot und ein leiser Aufschrei entfleucht ungewollt ihrem Mund. Joe schaut sie verwundert an und bemerkt grinsend ihren hochroten Kopf.
»Er beißt nicht und ist eigentlich ganz nett«, neckt er sie und entschuldigt sich, um daraufhin in dessen Richtung zu verschwinden.
›Oh nein! Was mache ich jetzt?!‹ Noch hat er sie nicht bemerkt. Jetzt könnte sie unauffällig den Raum verlassen, um sich eine Strategie zurechtzulegen oder komplett zu verschwinden. Nach einem Ausweg suchend blickt sie sich um und entdeckt eine Tür mit der Aufschrift WC. Dumm nur, dass der Sänger einen unauffälligen Zugang unmöglich macht, da er direkt danebensteht.
»Ich habe aber auch ein Glück heute«, murmelt sie verzweifelt vor sich hin.
Aufseufzend und resigniert will sie sich ein Glas einschenken; vielleicht hilft ja etwas Alkohol aus dieser prekären Situation. Aus den Augenwinkeln bemerkt sie, dass Joe angeregt mit dem Sänger spricht und dieser gleichzeitig in ihre Richtung schaut. Abrupt hält sie in ihrer Bewegung inne, als sich ihre Blicke treffen.
›Nicht das Glas kaputtmachen!‹ Vorsichtig stellt sie es wieder ab, um es nicht tatsächlich fallen zu lassen. Dabei lächelt sie ihn angestrengt an und heftet anschließend ihre Augen auf das Wasser vor sich. Alkohol ist jetzt mit Sicherheit keine Lösung, der würde alles nur verkomplizieren.
›Nimm dir die Flasche, öffne sie und schenke dir etwas in das Glas, das du dir gerade zurechtgestellt hast‹, weist sie sich selbst in Gedanken an. Ihre Hände zittern wie Espenlaub und sie ist sich sicher, dass dies jeder im Raum bemerken würde. Schnell greift sie zu der Wasserflasche, um den Verschluss abzuschrauben. Dann hält sie das Glas und die Flasche unter den Tisch und versucht krampfhaft das Getränk einzuschenken, ohne es zu verschütten.
›Geschafft!‹, jubiliert sie innerlich und muss dabei offensichtlich schmunzeln, denn sie registriert, wie er sie grinsend fixiert. ›Verdammt!‹
Joe kommt erneut auf sie zu, als sie gerade ansetzt, um endlich den quälenden Durst zu löschen. »Alles klar bei dir?«, fragt er sie.
»Ja«, antwortet sie und leert das Glas in einem Zug, bevor sie es auf dem Tisch abstellt.
»Du bist nicht gerade gesprächig, was?«
»Doch eigentlich schon, aber ich weiß nicht so recht, was ich sagen soll«, entgegnet sie.
Daraufhin beginnt er sie ganz leicht in ein Gespräch zu verwickeln, was sie etwas von ihrer Nervosität ablenkt. Dennoch behält sie den Sänger unauffällig im Blick und beobachtet nach einer Weile, dass dieser durch eine weitere Tür verschwindet. Sie sollte sich endlich ein Herz fassen, um ihm wenigstens zu danken. Nicht dass er noch denkt, dass sie seine Geste abweisen würde und sich nicht über seine Einladung freuen würde.
Dem Drummer fällt sofort ihr Stimmungsumschwung auf. Er blickt sich um und bemerkt recht schnell, dass der Frontmann nicht mehr im Raum ist. Überraschend fragt er: »Soll ich dich mit Chris bekannt machen?«
Mit großen, glänzenden Augen schaut sie ihn an und nickt zögerlich. »Ich sollte mich endlich bedanken«, flüstert sie regelrecht.
»Na, dann komm mit. Er beißt auch wirklich nicht. Im Gegenteil, er ist ein ganz Netter.« Augenzwinkernd reicht er ihr seinen Arm und sie hakt sich zögerlich bei ihm ein.
›Ich gehe gerade sehr vertraut mit einem Bandmitglied zum Leadsänger!‹, schießt es ihr durch den Kopf. Eine leichte Röte steigt in ihre Wangen.
Ihr Begleiter lächelt sie von der Seite herab an und meint: »Verstehen kann ich dich ja. Muss ein eigenartiges Gefühl sein, oder?»
Zustimmend nickt sie und murmelt: »Ja, das ist es wirklich. Das erlebt man schließlich nicht alle Tage.«
Gemeinsam gehen sie durch die Tür, durch die Chris zuvor verschwunden ist, und sie betreten einen weißen Gang mit vielen Türen. Im Vorbeigehen liest sie die Schilder. Es sind anscheinend alles Garderoben der Künstler oder Bands, je nachdem wer hier auftritt. Dann stehen sie auch schon vor einer halb geöffneten Tür. Kurzzeitig kann sie den Sänger sprechen hören. Joe geht voran und zieht sie einfach hinter sich her. Das ist auch gut so, da sie sonst stehen geblieben oder gar wieder umgekehrt wäre.
Als sie den Raum betreten, sitzt dieser mit einem Blatt Papier in der Hand auf einem Stuhl vor einem riesigen Spiegel. Die anderen Bandmitglieder stehen mitten in der Garderobe und diskutieren miteinander. Kaum bemerken die beiden sie, gehen sie auf sie zu und reichen ihr die Hand, als wäre es das Normalste der Welt. So viel Aufmerksamkeit hätte sie nie im Leben erwartet. Ein paar Allüren hätte sie ihnen definitiv eingeräumt.
»Hi Lilith«, begrüßt Andy, der Bassist, sie.
Chris sitzt noch immer gedankenversunken in seinem Stuhl und bemerkt das Eintreffen der beiden gar nicht. Bei der Erwähnung ihres Namens jedoch blickt er neugierig auf. Über den Spiegel hinweg sieht er, dass die geheimnisvolle Schöne tatsächlich hinter ihm steht. Diese grünen Augen hauen ihn erneut um oder ziehen ihn eher magisch in ihren Bann. Ihre Schüchternheit, ihre Natürlichkeit faszinieren ihn abermals. Langsam legt er den Zettel verdeckt auf das Bord vor sich.
Als sie den beiden die Hand reicht und begrüßt, steht der Sänger auf und dreht sich zu ihr herum. Joe ergreift sofort die Initiative: »Lilith, das ist Chris, aber das weißt du ja bereits.« Grinsend wendet er sich an Chris: »Das ist Lilith. Du weißt …«
»Ja, ich weiß«, unterbricht dieser ihn, ohne sie auch nur einmal aus den Augen zu lassen.
Wohlige Schauer durchströmen sie. Seine Stimme! So angenehm und tief, obwohl er ziemlich hoch singt. Der Frontmann kommt auf sie zu und streckt seine Hand aus, um sie zu begrüßen. Zaghaft reicht sie ihm die ihre und kann ihm dabei kaum in die Augen sehen, so nervös ist sie.
»Hi. Schön dich mal nicht umringt von Fans zu sehen«, scherzt er.
Aufgrund seiner Lockerheit gewinnt sie an Selbstvertrauen und lächelt ihn sogar an. Ein Stein, nein, ein ganzer Felsbrocken fällt ihr vom Herzen. »Ja, das war tatsächlich etwas anstrengend. Vielen Dank für die Einladung und für die Tickets. Leider …«
»Gern und ich weiß, dass die Karten innerhalb von Minuten weg waren«, setzt er fort. »Du brauchst dich nicht zu erklären. Und irgendwie habt ihr mir leidgetan zwischen all den kreischenden Mädels, die wirklich nicht zimperlich waren.«
Sie schaut ihm direkt in seine blauen Augen und möchte etwas erwidern, doch er hebt die Hand und meint: »Das war nicht böse gemeint, im Gegenteil. Außerdem …« Kurz hält er inne und blickt sie schweigend an.
Währenddessen verlassen die anderen Bandmitglieder beinahe unbemerkt hinter ihr den Raum. Nun ist sie allein mit ihm, allein mit dem Sänger, für den sie seit so vielen Jahren schwärmt, den sie ungemein sympathisch findet und der gegenwärtig all ihre Vorstellungen bei Weitem übertrifft. Er ist ihr gegenüber nett und charmant, das hätte sie niemals erwartet. Immerhin umgibt er sich stets mit schönen und berühmten Frauen.
»… hat mich deine Erscheinung neugierig gemacht«, erklärt er unerwartet weiter.
Kurz schaut sie ihn verdutzt an. Ach so! »Oh, okay. Und was an mir macht dich so neugierig?«, fragt sie ihn und ist über ihre eigene Selbstsicherheit erstaunt.
»Du passt so gar nicht in dieses Schema. Bitte versteh mich nicht falsch. Aber wenn man sieht, welche Mädchen und Frauen uns tagtäglich auf Tour begegnen, dann bist du oder seid ihr schon außergewöhnliche Erscheinungen.«
Sie blickt an sich herab und zupft an ihrem ausgestellten Rock. Nun legt er seinen Kopf schräg, um in ihre Augen sehen zu können.
»Das war wirklich ein Kompliment«, meint er und strahlt sie an, als sie zu ihm aufblickt.
Herzklopfen und ein Kloß in ihrem Hals machen sich bemerkbar. Auf einmal realisiert sie, mit wem sie hier eigentlich spricht, allein mit ihm in einem Raum! Ihre Nervosität kommt wieder hoch und ihr Selbstbewusstsein schwindet dahin.
Auf Kommando steckt Joe den Kopf durch die Tür und meint: »Chris? Kommst du mal?« Die Rettung in der Not!
»Ja, sofort.«
Er schaut sie an. »Ich muss mal kurz gehen, aber ich komme gleich wieder. Versprochen! Dann bekommst du noch ein Autogramm, nur für dich allein, okay?«
Sein Lächeln lässt sie schwindlig werden. »Das wäre klasse.« Ein leichtes Krächzen schwingt in ihrer Stimme mit.
Damit geht er an ihr vorbei und verschwindet zur Tür hinaus. Allerdings macht er kehrt und schaut erneut herein. »Nicht weglaufen!«
Kaum ist er endgültig verschwunden, geben ihre Knie nach und sie muss sich setzen. Tief durchatmend sinkt sie auf den Stuhl, auf dem er vorhin saß, bis er sie erblickte. Bislang kann sie es nicht fassen, dass sie ihm gerade eben noch gegenüberstand. Seine Augen, sein Lächeln! Verträumt schließt sie die Lider und genießt die momentane Ruhe. Lässt das Geschehene Revue passieren. Sie hier allein mit ihm! Und er nimmt sich auch noch die Zeit, um mit ihr zu sprechen. Mit ihr! Einer absolut unbedeutenden Person.
Durch jähes Türenschlagen und eilige Schritte wird sie aus ihren Gedanken gerissen. Hastig kramt sie in ihrer Tasche, um das Ticket für ein Autogramm hervorzuholen. Noch bevor sie sich erheben kann, steht er bereits hinter ihr.
»Na? Bequem?«, neckt er sie.
»Ähm, ja … äh, nein«, stockt sie und will schnell aufstehen. Doch er legt seine Hand auf ihre Schulter und drückt sie wieder auf den Sitz zurück. Kurz genießt sie diesen Moment und versucht sich diese sanfte Berührung einzuprägen, das wird ihr niemals jemand glauben!
»Das war ein Spaß. Du hast wahrscheinlich da draußen ewig gestanden, oder?«
Dankbar lächelt sie ihn an und nickt zustimmend. Er entdeckt das Ticket in ihrer Hand und nimmt es ihr ab. Der Sänger greift nach einem Stift, der vor dem Spiegel liegt, und beugt sich neben ihr nach vorn, um die Eintrittskarte zu signieren. Dabei nimmt sie seinen Duft wahr und schließt die Augen, um diesen intensiver einzuatmen. ›Er riecht so verdammt gut‹, schießt es ihr durch den Kopf.
»Hey, Träumerin«, raunt er ihr zu.
Erschrocken richtet sie ihren Blick wieder auf ihn und sein Gesicht ist dem Ihren sehr nah, zu nah. ›Wie verführerisch‹, denkt sie sich und plötzlich wird ihr klar, woran sie gerade gedacht hat und wohin ihre Gedanken abzuschweifen drohen. Schnell senkt sie ihren Blick und beginnt mit ihrem Silberring zu spielen. Diese Nervosität ist selbst für ihn nicht zu übersehen. Beruhigend legt er seine Hand auf die ihre und bemerkt dabei anscheinend die Zigarettenschachtel, die vorhin in der Eile aus der Tasche gerutscht zu sein scheint.
»Oh. Du rauchst?«, fragt er sie erstaunt.
»Ja? Ich hoffe, das stört dich nicht?«, entgegnet sie angespannt, was aber unsinnig ist, da sie sich eh gleich voneinander verabschieden werden.
»Nein, das ist in Ordnung. Ich verrate dir ein Geheimnis, ich rauche auch gelegentlich. Aber das darf kein Außenstehender erfahren, es ist eine so dumme Angewohnheit. Ich würde gern aufhören, aber der Stress erschwert diesen Wunsch.«
Lächelnd meint sie: »Das kann ich vollkommen verstehen.«
Nickend reicht er ihr das Ticket zurück.
›Für meine dunkle, geheimnisvolle Schöne, Lilith – von Chris‹
Sie wird knallrot und ihr wird warm, als sie den Kopf hebt, um sich zu bedanken, doch aus ihrem Mund kommt kein Laut. Diese Lippen sind viel zu verführerisch für sie. Nur einmal … Nein! Niemals!
»Was hältst du davon, wenn wir zwei kurz vor die Tür gehen und unserer Sucht frönen?«, lenkt er ein, als würde er ihren inneren Zwist erahnen.
Dankbar schiebt sie das Ticket zurück in die Tasche. Er steht auf und reicht ihr seine Hand, um ihr aufzuhelfen. Sehr nah zieht er sie zu sich hoch. Beinahe geben ihre Knie wieder nach, doch er hält sie fest. Charmant reicht er ihr seinen Arm, unter dem sie sich einhaken kann, und gemeinsam verlassen sie das Zimmer, um dem kleinen Notausgang entgegenzulaufen. Seine Nähe lässt sie leicht erzittern, doch sie versucht sich nichts anmerken zu lassen. Was ihr auch recht gut zu gelingen scheint.
Als sie den Ausgang erreichen, öffnet er ihr aufmerksam die Tür. Sie tritt hinaus und atmet erst einmal tief durch. Während sie sich ihm zuwendet und ihn anblickt, bemerkt sie, dass er sich das Schmunzeln nicht verbeißen kann. Er macht sie leicht nervös, aber wer kann es ihr auch verdenken! Schließlich steht sie hier mit einem der schönsten Männer der Welt! Zumindest ist er genau das für sie.
Beinahe verzweifelt sucht sie ihr Feuerzeug, bis er ihr sein Feuer reicht und sie damit von der Kramerei erlöst. In diesem Moment öffnet sich die Tür hinter ihm und Norman steht mit einer Zigarette zwischen den Lippen da.
»Wir sind schon ein Haufen, was?«, meint der Sänger daraufhin lachend.
»Ach, jeder hat so seine Laster«, erwidert sie prompt.
Der Gitarrist lacht auf und hebt den Daumen. »Der war gut.«
Lilith zwinkert ihm zu.
Chris boxt ihm zwischen die Rippen und meint: »Hey, das war mein Spruch.«
Ein gemeinsames Gelächter ertönt. Norman flüstert dem Sänger etwas ins Ohr und schaut dabei immer wieder zu ihr. Da sie nicht weiß, ob das Gespräch privater Natur ist, wendet sie sich etwas ab. Dieser kleine grüne Fleck ist umgeben von hohen Hecken, sodass keiner von außen hier hereinschauen kann. Zufällig blickt sie auf ihre Uhr und erschrickt. Ist es wirklich schon so spät? In etlichen Minuten beginnt das Konzert. Sonja wird sie bestimmt bereits suchen. Das laute Klappen der Tür hinter ihr lässt sie zusammenzucken.
Übereilt dreht sie sich um und Chris steht sehr dicht vor ihr. Lilith spürt seinen Atem auf ihrer Haut und erschauert sichtlich. Verlegen tritt er einen Schritt zurück. »Sorry.«
»Kein Problem«, wispert sie.
Er öffnet ihr die Tür mit den Worten: »Es tut mir leid. Ich wollte dir gerade mitteilen, dass wir gleich beginnen. Norman meinte außerdem, dass deine Freundin Backstage auf dich wartet.«
»Danke. Ich bin nur etwas erschrocken, also keine Sorge. Vielen Dank für die Einladung und die Tickets. Und … für das schöne Kennenlernen.« Lächelnd schaut sie ihn an. Die Erleichterung ist ihm anzumerken.
An der Garderobentür bleibt er stehen und schaut sie beinahe wehmütig an. Zum Abschied reicht sie ihm die Hand, er nimmt sie und streicht leicht darüber. Als sie ihn anblickt, bemerkt sie, dass auch er nicht weiß, was er nun tun soll. Sie muss sich zusammenreißen und entzieht ihm langsam ihre Hand. »Danke für alles. Viel Erfolg oder toi, toi, toi.«
»Ich wünsche dir viel Spaß auf unserem Konzert«, sagt er leise und verschwindet durch die Garderobentür, die sich hinter ihm schließt.
Erst einmal tief durchatmen und dann muss sie sich allerdings sputen. Kaum betritt sie die Halle hinter der Bühne, stürmt Sonja auf sie zu und fällt ihr um den Hals. Während beide zum Seiteneingang eilen und ins Freie treten, um weiter zum Haupteingang zu hasten, hört Lilith die Geschichten, die die Freundin ihr erzählt. Auch sie hatte wohl einiges erlebt und viel Spaß in der kurzen Zeit.
Allerdings hört sie nur mit einem Ohr zu, denn sie ist mit ihren Gedanken noch immer bei ihm und dem wirklich unfassbaren Geschehen. Gern würde sie von ihm schwärmen, doch Sonja holt während ihres Redeschwalls kaum Luft. Das ist wahrscheinlich auch besser so, sie muss erst einmal selbst realisieren, was da eigentlich zwischen ihnen und vor allem mit ihr passiert ist.
Chris ist sehr berühmt, ein fantastischer Sänger und ein charismatischer, heiß begehrter Mann. Seine Frau, eine wunderschöne Künstlerin, lässt sich derzeit von ihm scheiden und Lilith möchte keinesfalls den Tröster oder gar das Betthäschen spielen, auch wenn sie versucht wäre. Rasch schüttelt sie die aufkommenden Bilder von sich ab. Schließlich ist sie nicht so wagemutig, auch wenn sie ihn überaus anziehend und verdammt verführerisch findet. Erneut muss sie die heraufziehenden Gedanken verbannen. Was geschieht hier nur mit ihr?
Erleichtert stellt sie fest, dass sie bereits den Eingang erreicht haben und sie somit keine Zeit mehr hat, darüber nachzudenken, ob sie etwas Unmögliches in Erwägung ziehen oder ihren Prinzipien treu bleiben würde. Gleich wird sie ihn in seinem Element sehen und mitfiebern.
Außer ihnen ist keine Menschenseele vor der Halle zu entdecken. In Windeseile zeigen sie ihre Karten vor und hasten in die erste Etage zu ihren Plätzen. Von hier aus vernimmt sie bereits das Ende des Intros. Als dieses verklingt, ertönt seine angenehme Stimme; er begrüßt die Massen. Wird er einmal nach oben schauen? Was wird er wohl denken? Wird er überhaupt einen weiteren Gedanken an sie verschwenden?
Kaum öffnet sie die Tür, erklingt die Melodie kraftvoll in ihren Ohren.