Читать книгу Kein Mann für eine Nacht - Fae Clarke - Страница 6
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ieder warte ich sprichwörtlich Stunde um Stunde; mir reißt bald der Geduldsfaden. Wieso hält er mich fortwährend so hin? Warum gibt es jedes Mal solch ein Theater? Es ist Samstagabend und wie immer, wenn es daran geht, in den Club zu fahren, lässt er sich Zeit, stellt meine Geduld auf die Probe. Es macht mich wahnsinnig, lässt mich regelrecht unruhig werden. Einmal, wenn wir nach drei Monaten wieder weggehen, stellt er sich wie ein kleines, bockiges Kind an. Seit einer halben Stunde befinde ich mich nun fertig angezogen in der Küche und tigere auf und ab. Der Herr bewegt sich keinen Millimeter von der Couch.
»Nur noch diese eine Folge!«, meinte er vorhin noch schnippisch, bevor ich ins Badezimmer hinaufgegangen war, um mich fertigzumachen. Ich schaue auf die Uhr - das war vor über einer Stunde. Das ist aber eine merkwürdige Serie. Vorsichtig schleiche ich mich hinüber und linse ins Wohnzimmer.
»Gleich!«, bekomme ich prompt zu hören.
»Ich dachte … «, beginne ich und werde auf der Stelle von einem schweren, theatralischen Seufzer unterbrochen.
»Dann schau ich es eben nicht mehr an!«, mault er mich an und schaltet demonstrativ den Fernseher aus, um danach die Fernbedienung lautstark auf den Tisch zu werfen.
Verunsichert schaue ich ihn an. »Du meintest doch vorhin, dass du ›nur noch diese eine Folge‹ anschaust.«
»Ja, da wusste ich aber noch nicht, dass drei Folgen hintereinanderkommen. Aber nun habe ich ihn ja ausgemacht. Zufrieden?« Sein eiskalter Blick macht mir von Mal zu Mal mehr Angst. Wortlos ziehe ich mich in die Küche zurück.
Was will er eigentlich noch von mir? Warum ist er noch mit mir zusammen, wenn er sich doch ständig über mich beschwert und nichts mehr mit mir unternehmen will, sogar nur auf sein Recht pocht? Diese Fragen schwirren mir bereits seit Monaten durch den Kopf.
Tagtäglich behauptet er, dass er mich liebt, doch davon merke ich nichts. Außer Grapschen und feuchten Küssen gibt es nichts Liebevolles mehr in unserer Beziehung. In letzter Zeit komme ich immer öfter zu dem Schluss, dass das Ganze ein Ende haben muss, nur weiß ich noch nicht wie ich das anstellen soll. Die Angst vor einem kompletten Neuanfang hält mich nach wie vor bei ihm.
»Bist du nun zufrieden?«, blafft er mich an, als er mir in die Küche folgt.
Wenn ich jetzt nicht irgendetwas erwidere, bricht gleich wieder ein großes Donnerwetter über mich herein. »Dann schau weiter.« Wieso sage ich das, spinne ich jetzt vollkommen? Nun hat er mich doch wieder in der Hand?
»Ich mach mich jetzt fertig, obwohl ich wirklich keine Lust habe«, hält er mir buchstäblich vor und trottet ins Badezimmer hinauf. Das wird nun wieder eine Stunde dauern, wie immer. Verdammt! Und wieder werden es bloß zwei Stunden im Club werden. Aufseufzend zünde ich mir eine Zigarette an; ich rauche mittlerweile viel zu viel.
Vor acht Jahren hatten wir uns in ebendiesen Club kennengelernt. Wir hatten uns unterhalten und uns bereits nach wenigen Sätzen sympathisch gefunden, aber anscheinend nicht anziehend genug, um uns zu verabreden. Bei einem zweiten zufälligen Aufeinandertreffen einige Wochen später, hatte er mir Komplimente über meinen Tanzstil, meine Kleidung, meine fröhliche Art gemacht. Damals hatte ich eine enganliegende kurze Hose und eine Korsage getragen, das weiß ich noch bis heute. Genauso wie ich mich daran erinnern kann, dass er mit einer dunkelblauen Jeans und einem schwarzen Shirt bekleidet war. Insbesondere waren mir seine außergewöhnlichen Chucks aufgefallen, woraufhin ich ihn auch ansprach.
Auf meine Frage, ob er überhaupt etwas mit der Szene anfangen könne, da er so schlicht gekleidet war, hatte er gemeint: »Ja klar, sonst wäre ich ja nicht hier, oder?«
Schon bald stellte sich heraus, dass dies eine Lüge war, denn er hatte nur vorgegeben, diese Art Musik zu mögen. Nach kurzer Zeit hatte ich den Eindruck, dass er das nur gesagt hatte, um auf diese perfide Weise an eine Frau heranzukommen, dabei war ihm anscheinend egal, wen er da anbaggerte. Wieso er sich überhaupt in dieser Szene aufgehalten hatte, kann er mir bis heute nicht beantworten.
Bei dem dritten Treffen und dem tatsächlich ersten Date, nach über drei Monaten, waren wir zusammengekommen, obwohl ich mich dabei nicht wirklich wohlgefühlt hatte. Irgendetwas in meinem Inneren hatte mir damals gesagt, dass ich es bleiben lassen sollte, doch ich tat dieses Gefühl als trügerisch ab, ignorierte meine Intuition und verrannte mich prompt in eine für mich beinahe ausweglose Situation.
Die ersten Wochen waren romantisch, zu romantisch, wenn ich genau darüber nachdachte. Dieses Level konnte er auf Dauer nicht halten. Oft hatte er mir irgendwelche Kleinigkeiten geschenkt, meist alte oder gebrauchte Dinge von sich, was mich eigentlich stutzig hätte machen sollen. Stattdessen hatte ich mich über diese kleinen Gaben gefreut, wenngleich es schon merkwürdig war, dass er mir CDs und Filme aus seiner Sammlung geschenkt hatte. Nach Monaten stellte sich dann auch heraus, dass er damit nichts mehr anfangen konnte. Diese wären ihm zu düster, wie er meinte. Demzufolge gab er diese Dinge einfach an mich weiter und beschenkte mich damit nicht, wie ich anfangs annahm.
Zu Beginn hatte er mir unmissverständlich erklärt, dass er nicht mit mir zusammenziehen wolle, da er seinen Individualismus beibehalten und sein eigenes Leben weiterführen möchte. Das wäre ja an und für sich in Ordnung gewesen, wenn er sich nicht nach nur vier Wochen klammheimlich bei mir eingerichtet hätte. Wieso kam ich damals nicht auf den Gedanken, dass nicht alles mit rechten Dingen zuging? Denn er bestand nach wie vor darauf, offiziell nicht bei mir zu wohnen. Immer mehr meiner Dinge wurden verdrängt, da er seine eigenen Sachen platzieren wollte. Was ich damals nicht merkwürdig fand, sondern toll. Wie dumm, wie blauäugig von mir!
Nach einem halben Jahr gab er seine Einzimmerwohnung endgültig auf. Ab diesem Zeitpunkt änderte sich einfach alles. Er mäkelte an meinem Kleidungsstil herum, wollte nicht, dass ich so gekleidet in den Club ging. Warum? Immerhin hatte er mich doch genauso kennengelernt. Auf meine Fragen hatte er keine für mich befriedigenden Antworten. Dennoch, ich unternahm schlichtweg nichts! Wieso hatte ich ihn nicht spätestens in diesem Moment meiner Wohnung verwiesen?
Nach und nach schränkte er mich ein, ich durfte mich nicht mehr allein mit Freunden treffen, was ich auch noch okay fand, da er mich immer und überallhin begleitete. Meine Freunde erklärten mich für verrückt, ich empfand es als normal. Dieser Eindruck änderte sich, sobald er nicht mehr mit mir weggehen wollte und mir dementsprechend nicht mehr erlaubte, weiterhin meine Bekannten zu besuchen oder allein in den Club zu gehen. Damit verlor ich nach und nach alle, die mir lieb waren und war plötzlich allein. Zumindest fast, denn meine beste Freundin Alice blieb an meiner Seite, bis heute.
Was ich an ihm von Anfang an mochte, war, dass er sich pflegte. Jeden Tag rasierte er sich, duftete fantastisch und seine glatte Brust lud dazu ein, diese berühren zu wollen. Bis der Zeitpunkt kam, als er sich zu vernachlässigen begann. Plötzlich sprießten Bart- und Brustbehaarung. Grundsätzlich habe ich nichts gegen Haare auf der Brust, solange es gut aussieht, aber das ist bei ihm eben nicht der Fall. Sein Bart ist zudem äußerst kratzig und ungepflegt, und er ist irrsinnigerweise stolz darauf.
Am schlimmsten war aber der Geruch. So etwas Grauenvolles hatte ich noch nie zuvor wahrgenommen. Zum ersten Mal fiel es mir beim Sex auf. Ab diesem Zeitpunkt wusste ich auch, warum er immer so viel Deodorant und Eau de Toilette verwendete. Gut, er kann nichts dafür, das sah ich ein, aber die Körperpflege vernachlässigte er schließlich ebenfalls. Er duschte sich nicht mehr regelmäßig und wo sich vorher seine Duschgels stapelten, gähnte auf einmal Leere.
Nach gut zwei Jahren begann die für mich schlimmste Zeit, die bis heute andauert. Er fing an, mich zu bedrängen, immer und überall Sex zu wollen. Am liebsten hätte er täglich gewollt, doch das konnte ich nicht, weil sich in mir alles blockierte. Durch meine Zurückweisungen wurde er aggressiv und enthüllte sein wahres Ich, welches er so lange vor mir versteckt hielt. Deshalb lasse ich ihn bis heute zuweilen über mich rutschen, damit ich für die nachfolgenden Tage meine Ruhe habe.
Obwohl ich es nicht mag, befummelt er mich in der Öffentlichkeit. Er verstand mein Nein nicht, im Gegenteil, er deklarierte es sogar als Spiel, als ob ich ihn damit anheizen wolle. Manchmal packte er mich auch am Arm und tat mir weh, wenn ich ihm sagte, dass ich keine Lust habe. Seine laute Stimmlage machte mir immer öfter Angst, ebenso wie seine Wutausbrüche. Vermehrt zog ich mich deshalb zurück, wollte von mir aus nicht mehr weggehen.
Selbst wenn wir uns mit seinen Freunden trafen, zog er mich vor ihnen durch den Kakao, verkaufte sich als starken Macker. Ich war nur sein lästiges Anhängsel, das er fertigmachen konnte, wann und wo er wollte. Nach einer Weile ertrug ich das nicht mehr und stellte ihn nach etlichen Malen zur Rede. Das war ein großer Fehler, denn nun muss ich mir beinahe täglich anhören, dass ich mich nicht anstellen soll. Schließlich habe ich gewusst, worauf ich mich einlasse. Was aber schlichtweg gelogen war, denn so gab er anfangs überhaupt nicht.
Vermehrt lud er all seinen Frust auf mir ab, seine Ausbrüche eskalierten immer mehr. Die Arbeit ist Scheiße, alle Mitmenschen sind dämlich und das Leben ist eh sinnlos und stinklangweilig, es gab andauernd etwas auszusetzen. Sobald sich der Unmut in meiner Mimik widerspiegelte, weil ich seine Tiraden einfach nicht mehr ertrug, donnerte er los, warum ich solch ein Gesicht ziehe, ich habe schließlich keinerlei Probleme. Die habe doch nur er. Bis heute tut er so, als ob das ganze Leid der Welt auf seinen Schultern laste.
In all diesen Jahren waren wir nie gemeinsam im Urlaub, wobei ich sagen muss, dass das wohl auch besser ist, denn ich möchte nicht wissen, wie er sich gibt, wenn ich ihn zwei Wochen am Stück um mich habe. Nichtsdestotrotz vermisse ich es sehr, mich an den Strand zu setzen, um abschalten zu können. Oder Städtereisen zu unternehmen. England hat so viel zu bieten, es muss ja kein Auslandsaufenthalt sein.
Verträumt blicke ich auf die Postkarten meiner ehemaligen Freunde, die sich über die Jahre bei mir angehäuft haben und mit Magneten an dem großen Kühlschrank heften. Madeira, Toskana, Alpen, sogar eine aus Florida ist dabei. Aber am schönsten finde ich die aus der Provence und den Highlands. Sacht streiche ich über die farbenprächtigen Karten und verliere mich in meinen verflixten Gedanken.
Als wir vor drei Jahren in dieses Haus zogen, hätte ich das nicht tun sollen, ich hätte stattdessen die Flucht ergreifen müssen. Warum tat ich es nur nicht? Ob es daran gelegen hatte, dass er all meine Sachen zuvor entsorgte? Ich hatte zu dem Zeitpunkt kaum mehr etwas besessen, was rein mir gehörte. Als er vor dem Umzug meine Bücher auszusortieren begonnen hatte, bin ich das erste Mal ausgetickt. Niemand darf sich an meiner heiß geliebten Bibliothek vergreifen! Nicht einmal mein cholerischer Freund.
Das hatte er sich natürlich nicht gefallen lassen. Er hatte mich damals gegen das Regal gestoßen, sodass ich mir eine Prellung zuzogen hatte. Ab diesem Moment hatte er anscheinend Blut geleckt, denn die harten Klapse auf mein Hinterteil empfindet er bis heute als lustig, sogar anregend, genauso wie seine Kniffe in meine Brust oder den Bauch. Ich konnte es ihm hundert Mal erklären, dass ich das nicht mag und er mir damit wehtut, es interessierte ihn nicht.
Schlussendlich hatte er begonnen, mich wegen meiner Figur aufzuziehen. Ich hatte zugenommen, das ist richtig, doch so, wie er mich vorzugsweise vor anderen beschrieb und darstellte, war es dann doch nicht. Allerdings fühlte ich mich seitdem fett. Wenn ich ihn hingegen auf seinen schwabbeligen Bauch ansprach, war er sofort beleidigt und zog noch mehr über mich her, um sogleich von sich abzulenken. Seine Hartherzigkeit zehrte nach und nach an mir.
Bis zum heutigen Tag zieht er über die Menschen und die Musik der Szene her, da er nichts mit ihnen anfangen kann. Dabei sind die meisten intelligente Leute, die genauso ihren Spaß haben wie andere auch. Er behauptet allerdings immer wieder, dass sie alle selbstmordgefährdet und viel zu düster wären. Man könne keine normalen Gespräche führen und die Musik, die sie alle hören, ist krank und öde.
Ja, warum war er damals überhaupt in diesem Club und weshalb lief ihm damit über den Weg? Wieso komme ich verdammt noch mal nicht aus dieser verflixten Beziehung raus? Weswegen lasse ich es zu, dass er mich so behandelt? Immer wieder frage ich mich das - seit Jahren. Die Vermutung liegt nahe, dass ich mich mittlerweile mit all dem abgefunden habe. Zudem bin ich auch nicht mehr die Jüngste, um mich so mir nichts, dir nichts auf Partnersuche zu begeben. Kann ich das überhaupt noch – flirten? Hm, zu gern würde ich wissen, wie sich diese berühmten Schmetterlinge im Bauch anfühlen. Ich weiß es nämlich nicht mehr, denn selbst als ich mit Pete zusammenkam, hatte ich dieses Gefühl nicht verspürt. Leider … oder doch nicht?
Warum denke ich eigentlich über dieses verfluchte Gefühl der Verliebtheit nach, anstatt erst einmal mit meinem Leben zu Recht zu kommen? Verdammt! Das kann doch nicht sein? Denn falls ich mich endlich dazu aufraffen kann, mich zu trennen, sollte ich erst einmal das Alleinsein genießen, die Ruhe. Niemandem Rechenschaft ablegen zu müssen, das wäre ein Traum! Aber wahrscheinlich kann ich gar nicht allein sein, zumindest vermute ich das.
Obwohl … Ich wäre nie ganz allein, da Alice immer für mich da wäre, auch wenn ich sie in den letzten Jahren sehr vernachlässigt hatte. Aber eine beste Freundin ist kein Partner, der mich vielleicht einmal glücklich machen könnte, woran ich allerdings nicht mehr so recht glaube. Und wieder schweifen meine Gedanken ab. Nein, Stopp, rüge ich mich selbst und schüttle energisch den Kopf.
Langsam ziehe ich mir die kniehohen Stiefel an. Vor Langeweile wische ich noch einmal über das schwarze Leder. Die Zeit rast davon, es ist mittlerweile nach 23 Uhr, wir werden erst kurz vor Mitternacht im Club sein. Mit einem enttäuschten Gefühl krame ich in meiner Handtasche, hole einen Geldschein heraus. Heute muss ich alles bezahlen, damit er überhaupt mitfährt.
Niedergeschlagen setze ich mich auf einen Küchenstuhl, rutsche nervös hin und her. Das Nichtstun lässt mich immer wieder grübeln. Ich empfinde schon lange nichts mehr für Pete und er tut so, als ob er das nicht wüsste. Wie dumm oder blind muss man sein? Der Sex ist stinklangweilig, Einheitsbrei und er merkt nicht einmal, dass ich währenddessen keine Gefühlsregung zeige. Hinterher tue ich so, als ob ich erschöpft wäre, um ihn schnell wieder loszuwerden. Er schwitzt und stinkt dabei. Oh Gott! Was habe ich nur für abscheuliche Gedanken?
Schnell schüttele ich mich, um nicht erneut in einen Strudel aus Hass und Ekel zu fallen. Rücksichtsvoll sollte ich schon noch bleiben. Aber warum eigentlich? Er beschimpft mich aufs Übelste, zieht bei Freunden und hinter meinem Rücken über mich her und denkt, dass ich davon nichts mitbekomme. Nun bin ich auch noch den Tränen nahe! Klasse ganz toll gemacht, Abby! Ich sollte mir abgewöhnen nachzudenken.
Erstaunt höre ich ihn schwerfällig die Treppe heruntertappen. Schnell wische ich mir über die Augen, fächle mir Luft zu, damit er nichts bemerkt.
»Na? War ich schnell, oder was?«, tönt er auch bereits hinter mir.
Der Blick auf die Uhr zeigt mir allerdings, dass mittlerweile vierzig Minuten vergangen sind, von wegen. »Ja, ich bin baff«, sage ich und hoffe inständig, dass ich damit überzeugend klinge.
»Siehst du, so geht das! Ich zieh mich an und schau noch was nach, dann können wir meinetwegen los«, lässt er beinahe stolz verlauten und brummelt etwas, als er denkt, dass ich ihn nicht mehr hören kann. Er meckert wieder herum, dass er keine Lust auf den ganzen Mist hat.
Zorn kocht in mir hoch, ich muss jetzt wahrscheinlich weitere zwanzig Minuten warten. Frustriert rauche ich die nächste Zigarette. Wie oft hatte ich mir schon vorgenommen, einfach jemanden zu kontaktieren, der mich mitnimmt. Immer wieder bot Alice mir an, mich abzuholen. Was will er schon machen, außer toben und das tut er so oder so bereits. Warum habe ich es bloß noch nie gemacht? Weil ich einfach dumm bin, antworte ich mir selbst. Etwas anderes kann es schlichtweg nicht sein.
Hach, wäre es nicht einmal schön, ohne größeren Ärger im Vorfeld in den Club zu fahren und einfach den Abend zu genießen? Die Musik, die Gespräche, das Tanzen. Aber Nein, ich dumme Pute muss mich ja immer runterziehen lassen, sodass ich die Zeit, die eh schon so knapp bemessen und vor allem so selten ist, kaum mehr genießen kann.
Grinsend muss ich plötzlich daran denken, dass mich die letzten Male etliche Männer angestarrt haben und ich bis heute nicht weiß, warum. Abgesehen davon war eh keiner darunter, der mir auch nur ansatzweise gefallen hätte. Ja, ich weiß, ich bin oberflächlich, doch seit Monaten habe ich das unergründliche Verlangen, nur einmal einen Mann küssen zu wollen, der ein ansprechendes Äußeres hat. Nur ein einziges Mal, sodass ich mich nur seufzend und schwerlich von ihm lösen kann.
Wieso hege ich solch einen quälenden Gedanken überhaupt? Schließlich weiß ich, dass es nie dazu kommen wird. Klar, ein attraktiver Kerl küsst mich einfach so, ohne Hintergedanken. So was Dummes, schelte ich mich selbst und richte mich auf. Ich gehe in den Vorraum, ziehe meine Jacke über und stelle mich dabei vor den großen Spiegel, um mein Make-up noch einmal zu überprüfen. Das bekommt Pete natürlich im Vorbeigehen mit, fasst es sofort als Druck auf und murrt erneut herum. Mit den Händen in der Jackentasche versuche ich unsichtbar zu wirken, was ihn aber anscheinend noch wütender macht.
»Dadurch gehts auch nicht schneller!« Nicht dass er noch herummault, weil ich atme oder existiere! »Geh doch schon raus, wenn du es nicht erwarten kannst.«
Pete öffnet die Haustür und schmeißt mich tatsächlich hinaus. Es sind Minusgrade, ziemlich kalt in dem gerade einmal knielangen Rock. Zitternd gehe ich zum Zaun und warte frierend weitere fünf Minuten, bis er endlich herauskommt. Aufgebracht knallt er die Tür zu, schließt nicht ab, wie immer. Mittlerweile weise ich ihn nicht mehr darauf hin, da er mich doch nur anfährt. Sollen sie eben bei uns einbrechen, dann hat er wieder etwas zum Meckern, wenn die Versicherung nichts zahlt, da nicht abgeschlossen wurde. Soll mir nur recht sein, gebe ich resigniert auf.
Mit schnellen Schritten rauscht er an mir vorbei und lässt mich links liegen. Wie ein begossener Pudel trotte ich ihm zum Auto hinterher. Auf dem Beifahrersitz liegen wie immer CDs, Kopfhörer, Essensreste. Und wieder muss ich warten, nimmt das heute denn gar kein Ende? Kaum sitze ich endlich im Auto, fährt er auch schon los, ohne dass ich mich anschnallen konnte. Hastig greife ich nach dem Gurt, um ihn zu fixieren.
Fluchend, worüber weiß er wohl selbst nicht, rast er die schmale Gasse entlang. Auf dem Weg in den Club herrscht eisiges Schweigen, ich starre aus dem Seitenfenster und tue so, als ob es etwas Interessantes in der Dunkelheit zu sehen gäbe. Besser diese bedrückende Stille ertragen als eine dieser endlos nervigen Diskussionen.
»Was ist los?«, fragt er mich plötzlich allen Ernstes. Zu früh gefreut.
»Nichts«, antworte ich ihm tonlos. Augenverdrehend wende ich mich wieder dem Fenster zu und starre hinaus. Wie sehr ich diese Fragerei satthabe. Was soll schon los sein?
Anfangs habe ich zu Genüge den Fehler begangen und ihm ehrlich darauf geantwortet. Das Ergebnis war meist, dass wir uns stritten, über nichts. Nie wieder werde ich auf diese Frage wahrheitsgemäß Auskunft geben, zumal er weiß, was los ist. Und erst recht nicht jetzt, wo wir doch bald da sind.
Endlich wieder tanzen, mich mit den wenigen Freunden und Bekannten, die mir noch geblieben sind, unterhalten und mit denen ich Spaß haben kann. Er wird wiederum dumm rumstehen und sich deplatziert vorkommen. Über die Musik und die Leute nörgeln, nur ab und an frustriert nach draußen gehen, um zu rauchen. Die restliche Zeit wird er mich genau beobachten, jeden Mann um mich herum mustern, um sich aufregen zu können. Jeder Typ will schließlich etwas von mir.
Nun muss ich doch schmunzeln, er sieht es glücklicherweise nicht. Es ist Jahre her, dass es einer gewagt hatte mich anzusprechen. Sofort stand Pete wutschnaubend neben mir und tötete den Mann mit Blicken. Seitdem versuche ich lieber eine eiskalte Miene aufzusetzen, damit ja keiner auf die Idee kommt mich anzusprechen, obwohl dies gar nicht meiner Natur entspricht. Ich würde mich nämlich sehr gern unterhalten, neue Freundschaften schließen, aber das kann ich mir abschminken. Jeden, den wir bisher zusammen kennengelernt haben, hat er auf seine Seite gezogen, für sich vereinnahmt und ich wurde außen vorgelassen. Allerdings sind das auch nie Leute aus dem Club gewesen. Tom war der Letzte, mit dem ich mich frei unterhalten konnte, bevor Petes Eifersucht zu groß wurde. Beinahe heimlich haben wir uns angefreundet. Ob er heute ebenfalls da ist?
Auf dem Parkplatz hinter dem Club hält Pete an, doch er denkt nicht daran auszusteigen. Er werkelt hier und da herum, tut so, als ob er etwas suchen würde, wie immer eben. Dann schaut er mich gelangweilt an. »Na? Noch immer keinen Kuss?«, fragt er.
Eigentlich ist das keine Frage, sondern eine Aufforderung. Ich weiß, wenn ich ihn jetzt nicht küsse, werde ich wieder vor allen anderen ein Drama erleben. Also beuge ich mich hinüber und spüre seine feuchten, aufgestülpten Lippen auf meinem Mund und Kinn. Rasch muss ich mich innerlich schütteln. Küssen konnte er wirklich noch nie, es ist nur ekelhaft nass. Tief einatmend steige ich nun doch aus, mir ist es plötzlich egal, ob er folgt oder nicht, ich muss auf der Stelle aus diesem Auto raus. Fort von dieser Enge, diesem Gefühl des Ausgeliefertseins und weg von ihm.
Nun kann so einiges nachkommen, allerdings ist er heute erstaunlich gelassen und schlingt nur seinen Arm um mich. Die übliche Demonstration, dass ich ihm gehöre. So betreten wir auch den Club, jedoch muss er sich gezwungenermaßen von mir lösen, damit ich den Eintritt zahlen kann. Max, der Türsteher, zwinkert mir klammheimlich zu, als ich das Geld hinblättere.
In der Garderobe im Eingangsbereich hilft Pete mir wie immer nicht aus der Jacke, sondern stöhnt erst einmal lautstark über die Menschenmassen und wie wenige Kleiderbügel es doch gäbe. Früher hatte er mir galant geholfen, aber auch nur, wenn er wollte, das macht er allerdings schon lange nicht mehr. Somit knülle ich meine Jacke zusammen und lege sie weit hinten in eine Ecke auf den Boden. Was soll ich groß herummachen? Mich über den Mangel an Aufbewahrungsmöglichkeiten ärgern?
Bei dem ersten Schritt in den Barbereich erkenne ich einige bekannte Gesichter, umgehend werde ich kopfnickend gegrüßt. Nur Alice kann ich nirgends entdecken, wahrscheinlich steht sie wie üblich auf der Tanzfläche. Als Erstes besorge ich mir eine Cola und für Pete ein Bier. Kaum stehen die Getränke auf dem Tresen, schnappt er sich seine Flasche und geht seines Weges. Darüber bin ich sehr dankbar, denn nun kann ich mich um die Bekannten kümmern. Nach nur wenigen Minuten bin ich auch schon in ein Gespräch verwickelt und wippe dabei zur Musik, die dumpf aus dem Tanzbereich herüberschallt.
Tom, der sich rasch zu mir gesellt hat, sieht mich nach einer Weile mit einem verschmitzten Grinsen an und meint: »Na los, gehen wir tanzen!« Noch einmal linse ich zu Pete hinüber, der mich aber schon vergessen zu haben scheint, da er einen alten Freund getroffen hat. Heute könnte ich Glück haben und die Zeit genießen, ohne mir ständig sein Gezeter anzuhören, wie Scheiße doch alles wäre. Ist das fies? Nein, es ist nur die Wahrheit!
Aufgeregt folge ich dem Freund in den Tanzbereich hinüber. Sein hellblondes Haar fällt in der Menge ziemlich auf. Er nimmt mir die Flasche aus der Hand und stellt sie mit seiner auf den Tisch neben dem Eingang. Ich kann mich weder umsehen noch nach Alice suchen, denn er zieht mich augenblicklich mit sich auf die Tanzfläche und ich bin sofort in meinem Element.
Diese Musik macht mich glücklich, lässt alle Sorgen von mir abfallen; ich werde augenblicklich zu dem Menschen, der ich eigentlich bin. Rhythmisch bewege ich meinen Körper im Takt, ich weiß selbst, dass das nicht uninteressant wirkt, doch keiner würde es wagen mich anzusprechen, ebenso wenig wie eine der anderen Frauen im Club. Hier wahren die Männer respektvoll Abstand. Die Jungs um mich herum nicken mir nur wiedererkennend zu. Ich bin bekannt, auch wenn ich in den letzten Jahren so selten anwesend war, kenne die meisten, zumindest vom Sehen oder vom Namen her. Früher war ich schließlich Stammgast und immer hier, wenn der Club geöffnet hatte, ließ kaum eine Veranstaltung aus, im Gegensatz zu heute.
Als die Musik umschwenkt, kehre ich zu dem kleinen Tisch zurück. Heute sind ungewöhnlich viele neue Leute zugegen, fällt mir auf, während ich neugierig in die mir unbekannten Gesichter blicke. Aber was weiß ich schon, ich bin nicht mehr allzu oft hier und kann darüber gar nicht urteilen. Wahrscheinlich werde ich bereits als Neuling eingestuft, denke ich schmunzelnd.
Ich greife zu der Flasche und lasse trinkend meinen Blick schweifen, nicke denen, die ich flüchtig kenne, leicht zu. In dem Moment, als ich mich herumdrehe, halte ich abrupt inne, sodass ich mich beinahe an der Cola verschlucke, und schaue ungläubig zurück.
Ein äußerst attraktiver Mann, den ich noch nie hier gesehen habe, blickt mir direkt in die Augen. Er lehnt mit verschränkten Armen nur einige Meter von mir entfernt an der Wand gegenüber und mustert mich ebenfalls neugierig. Trotz der schummrigen Beleuchtung kann ich sein leichtes Schmunzeln, das seine Mundwinkel umspielt, erkennen. Verlegen schaue ich schnell weg, viel zu schnell. Auffälliger konnte ich das Ganze nicht gestalten!
»Hey Süße!«, ertönt es neben mir und werde von der zuckersüßen Alice umarmt. »Bist du auch mal wieder da? Wie gehts dir? Wo ist Pete?«
»Draußen an der Bar«, lasse ich recht abfällig verlauten, nachdem ich mich kurz gesammelt habe.
»Na Gott sei Dank!«, ruft sie. Und schon schnattert die quirlige, schwarzhaarige Schönheit los. Verstohlen blicke ich wieder zu dem dunkelhaarigen Typ hinüber und bemerke, dass er mich unverhohlen von oben bis unten betrachtet. Fahrig streiche ich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht und versuche die plötzlich aufkommende Nervosität unter Kontrolle zu bekommen. Meine Hände zittern, als ich die Flasche auf den Tisch stelle. Was ist denn nur los mit mir? Ich muss mich auf der Stelle ablenken!
»Entschuldige, ich geh tanzen«, unterbreche ich hastig den nicht enden wollenden Redeschwall der Freundin und flüchte regelrecht auf die Tanzfläche. Normalerweise lasse ich niemanden einfach so stehen, aber dieses Mal muss ich es tun. Alice wird das sicherlich verstehen, wenn ich es ihr in einer ruhigen Minute erkläre.
Mal sehen, ob der alte Trick noch funktioniert, um herauszufinden, ob ich mir das nur einbilde oder er tatsächlich Interesse an mir zeigt. Ich positioniere mich so, dass er sich etwas vorbeugen muss, um mich beobachten zu können. Doch selbst nach einigen Minuten kann ich ihn nicht entdecken. Was solls, dann genieße ich eben seine Blicke, wenn ich wieder am Tisch stehe. Schulterzuckend drehe ich mich herum und tanze zu einem langsamen Lied.
Jemand tippt mir nach einer Weile auf die Schulter und ich mache kehrt, um die Person böse anzufunkeln; ich mag es nämlich gar nicht, wenn man mich beim Tanzen stört. Nur sehr wenige dürfen das und einer derjenigen steht vor mir. Ich muss meinen Kopf in den Nacken legen, um dem Hünen Adam in die Augen sehen zu können. Dieser nimmt mich lächelnd in den Arm und hebt mich hoch. Laut aufquiekend schlinge ich meine Arme um seinen Hals und knuddle ihn.
Adam ist mit seinen 48 Jahren einer der Ältesten unter den Stammgästen und ein langjähriger Bekannter, den ich bloß hier antreffe. Seitdem ich mit Pete zusammen bin, sehe ich ihn deshalb nur noch selten. Es ist immer spaßig, seinen Geschichten zu lauschen, die stets lustiger werden, je später der Abend wird und desto mehr Guinness er intus hat. Aber er ist selbst nach Stunden noch so klar, dass er beim nächsten Treffen weiß, was er wem erzählt hat.
»Hey Abby, schön dich mal wieder zu sehen!«, sagt er freudig und stellt mich wieder auf den Boden zurück. »Lass dich nicht aufhalten. Ich wollte dich nur begrüßen.«
Damit zieht er sich zurück und während ich wieder zu tanzen beginne, bemerke ich zufällig, dass der Schönling mich nun doch anschaut. Wie erwartet, muss er sich etwas zur Seite lehnen, um mich zu beobachten. Triumphierend senke ich den Kopf. Ja, ich habe mir das also doch nicht eingebildet!
Aber was mache ich nun mit der Tatsache, dass er anscheinend Interesse an mir zeigt oder ich zumindest seine Neugier geweckt habe? Ich kann ihn ja schließlich kaum anquatschen. Pete würde vor Wut rasen und mich unter Dauerbeobachtung stellen, mich keine Sekunde mehr aus den Augen lassen. Das wäre mehr als peinlich und der Abend wäre somit gelaufen. Verzweifelt überlege ich hin und her, komme zu keinem Schluss.
Kurz schaue ich auf und unsere Blicke begegnen sich erneut. Sein Gesicht zeigt keinerlei Regung, ich kann plötzlich nicht mehr sagen, ob er angetan ist oder ob es doch nur meine Einbildung ist. Vielleicht ist es Zufall und es steckt nichts dahinter. Das kenne ich von mir selbst, bloß keine Emotionen zeigen, um nichts zu provozieren. Mir ist es eigentlich auch egal, aus welchem Grund er mich gerade ansieht, seine Blicke tun mir einfach gut.
Auf einmal wendet er sich ab. Aus Gewissensgründen? Aus Desinteresse? Wie jung mag er wohl sein? Er wirkt wie Anfang dreißig, aber es ist dunkel und er ist zu weit weg, da kann man so etwas schwerlich einschätzen. Stopp! Was mache ich denn nur? Wieso frage ich mich, was er denkt und wie alt er ist? Bin ich nun vollkommen durchgeknallt?
Verloren drehe ich mich wieder herum, um ihn nicht weiter anzustarren. Doch nur weil ich ihn nicht mehr betrachte, heißt das nicht, dass ich nicht mehr an ihn denken muss, er nicht mehr vor meinem geistigen Auge auftaucht. Wie kann es sein, dass ein Wildfremder, den ich noch nie zuvor gesehen habe, mich innerhalb von Minuten so sehr in ein Gedankenchaos versetzen kann?
Okay, Abby. Ruhig bleiben! Ich plustere meine Wangen auf und presse die Luft stoßartig aus meinen Lungen. Vielleicht ist er ja auch mit seiner Freundin hier, die nur gerade anderweitig beschäftigt ist, womöglich sogar mit mir auf der Tanzfläche steht. Oder er ist ein Idiot, mit dem ich niemals etwas zu tun haben möchte. Eventuell ist er auch ein Macho, der reihenweise Frauen flachlegt und nur in einem neuen Revier wildert, um ein neues Opfer zu suchen, was ich total abtörnend finden würde. Mein Hirn rattert, arbeitet auf Hochtouren, Hauptsache, ich finde einen absurden Grund, warum ich ihn überhaupt nicht leiden kann. Was ist, wenn er ein toller Küsser ist?
Ah! Ich muss hier raus an die frische Luft. Sofort! Noch bevor das Lied zu Ende ist, quetsche ich mich an wogenden Körpern vorbei. Manch einer würde mich wahrscheinlich am liebsten töten, mir aber völlig einerlei. Da ich Alice auf die Schnelle nicht entdecken kann, gehe ich weiter. Als ich an ihm vorbeieile, bemerke ich aus dem Augenwinkel, dass er mich verwundert anstarrt und somit doch eine Reaktion zeigt. Verdammt, was soll ich nur tun? Immerhin bin ich gebunden, ich kann nicht mit einem anderen Mann flirten! Das verbietet mir meine momentane Moral, selbst mit den Augen ist dies ein Tabu. Obwohl ich so etwas sehr gerne tat, vor Pete. Hastig gehe ich zur Garderobe, um meine Jacke aufzulesen und mir überzustreifen.
»Hey! Ohne mich?«, vernehme ich plötzlich Petes Stimme hinter mir. Instinktiv verdrehe ich die Augen, warum muss er mir immer und überallhin folgen? Kann ich nicht einmal den Raum ohne ihn verlassen? Ich brauche gerade Ruhe und nicht sein nerviges Getue. Nicht jetzt!
»Ich wollte euer Gespräch nicht unterbrechen«, rechtfertige ich mich leise. Gut, dass ich ihn tatsächlich vor wenigen Sekunden mit jemandem unterhalten gesehen habe.
»Nerv ich dich etwa?«, erwidert er sofort gereizt.
Was soll das nun wieder? Wieso kann ich jetzt nicht einfach hinausgehen, um eine zu rauchen? »Nein, ich wollte dich nur nicht stören«, wiederhole ich schwach.
»Ich komme mit.« Doch damit ist es nicht getan, er muss sich erst anziehen, sehr langsam, und ich sollte den Club jetzt nicht ohne ihn verlassen, ein Krach wäre sonst vorprogrammiert. Eigentlich will ich nicht auf ihn warten, ich wollte doch nur an die frische Luft. Pete richtet sorgfältig seine Kapuze, zupft hier und da an sich herum, schaut immer wieder zu mir, um in meinem Gesicht eine Reaktion ablesen zu können. Bilde ich mir das ein oder sucht er nach einem Grund, um meckern zu können? Unvermittelt fällt mir wieder der süße Typ ein und eine leichte Röte steigt in mein Gesicht.
»So warm da drüben?«, fragt er mich belanglos.
Aufseufzend drücke ich die Tür auf und gehe voraus, ich kann nicht mehr warten, ich muss hier raus.
»Hey! Warum antwortest du mir nicht?«, fragt er mich erzürnt, als er mir hinterhereilt.
Am liebsten würde ich losrennen, ihn einfach stehen lassen. »Na klar ist es drinnen warm«, antworte ich, obwohl ich ihn vorzugsweise anschreien möchte. Aber ich hasse öffentliche Szenen, im Gegensatz zu ihm. Er liebt die Aufmerksamkeit, die er damit erregen kann.
Mit zitternden Fingern zünde ich mir eine Zigarette an, ignoriere dabei sein hingehaltenes Feuerzeug. »Dann eben nicht, Emanze«, fährt er mich an. Wenn er das sagt …
Zum Glück gesellt sich Tom einige Augenblicke später zu uns und lenkt Petes Aufmerksamkeit auf sich. Bibbernd hüpfe ich von einem Bein aufs andere. Normalerweise würde er mich jetzt ungefragt an sich drücken, doch da er nun Unterhaltung hat, interessiert er sich momentan nicht für mich. Das soll mir auch ganz recht sein. Nach zehn Minuten verkünde ich, dass ich wieder hineingehe, da es mir zu kalt wäre. Was ja stimmt, doch im Grunde genommen, möchte ich den Fremden wiedersehen. Desinteressiert nickt Pete, klatscht mir beiläufig einen Kuss auf die Lippen. Wie ich das hasse!
Ich drehe mich zur mittlerweile geöffneten Tür um und sehe den Typ mit einem desillusionierten Gesichtsausdruck darin stehen. Verdammt! Er hat den Kuss gesehen, das war’s dann wohl.
Beschämt senke ich den Blick und murmle: »Danke«, und husche schneller als gewollt in den Club. Im Vorbeigehen komme ich ihm sehr nahe und bemerke einen fantastischen Duft. In diesen Millisekunden schließe ich unwillkürlich die Lider, als ob ich diesen Geruch abspeichern könnte. Drinnen drehe ich mich noch einmal nach ihm um und bemerke, dass er grün-braune Augen hat, die mich unvermittelt anlächeln. Sein Haar ist dunkelbraun, fast schwarz und sein schöner Mund …
Aufseufzend löse ich meinen Blick von ihm und gehe zur Garderobe, um meine Jacke abzulegen. Als ich auf dem Weg zur Bar wieder am Eingang vorbeigehe, ist er verschwunden. Aus unerfindlichen Gründen hoffe ich, dass er noch nicht gegangen ist. Wieso klammere ich mich auf einmal an einen mir völlig unbekannten Kerl? Bin ich wirklich schon so verzweifelt? Zumal wir uns wahrscheinlich niemals unterhalten werden. Hm, aber er soll mich doch einfach nur weiter anschauen.
So ein Unsinn, schelte ich mich selbst und gehe wieder in die Halle, in der die Bässe hämmern. Nach meiner Flasche greifend blicke ich mich um. Alice tänzelt ausgelassen auf mich zu. »Boah, ist das heute voll!«, ruft sie mir zu, um die laute Musik zu übertönen.
Da hat sie allerdings recht, es ist wirklich ungewöhnlich voll. Dann tanzen wir eben hier auf der Stelle, diesbezüglich kennen wir nichts, die Stammgäste sind das auch bereits von uns gewohnt. Ausgelassen bewegen wir uns neben dem Tisch, wobei ich mich immer wieder umblicke, ob ich ihn nicht irgendwo entdecke, doch er bleibt verschwunden. Mit keinem Wort erwähne ich Alice gegenüber diesen Typen, sie fragt aber auch nicht, was vorhin los war. Es war sicherlich eh alles nur Einbildung, er war einfach bloß nett und hat mich angelächelt.
Nach und nach leert sich der Club etwas und wir haben wieder mehr Platz für uns. Es ist mittlerweile kurz vor zwei. Bald wird Pete mit einem langen Gesicht hinter mir stehen und immer wieder entnervt auf die Uhr blicken. Dieser wortlose, immense Druck lässt meine Laune jedes Mal ins Bodenlose sinken. Unverhofft zieht Alice mich auf die noch immer gut gefüllte Tanzfläche.
Ob dieser Typ ebenfalls tanzt? Und wenn ja, wie würde das wohl wirken? Wie oft musste ich belustigt feststellen, dass ein Mann, der einigermaßen gut aussah, sich überhaupt nicht im Takt bewegen konnte oder so sehr herumhampelte, dass ich mir das Lachen regelrecht verbeißen musste. Doch das werde ich heute wohl nicht mehr herausfinden, leider. Etwas enttäuscht lasse ich mich lustlos zur Musik treiben. So etwas kommt wirklich sehr selten vor. Ob er noch einmal auftauchen wird, irgendwann? Hoffentlich!
Bedrückt verlasse ich nach einiger Zeit wieder die Tanzfläche, um mich zu Pete zu stellen, der mittlerweile an unserem Platz steht. Und schon tippt er auf seine Uhr, er will fahren. Na gut, heute werde ich eh keinen Spaß mehr haben, da der Fremde mich zu sehr an sich gefesselt hat, sodass ich keinen klaren Gedanken mehr fassen und mich selbst die Musik nicht einmal mitreißen kann. Das ständige Absuchen des Clubs macht es auch nicht besser. Er ist schlicht und ergreifend nicht mehr da. Aber noch immer trage ich diesen Wunsch im Herzen, das er eines Tages wieder auftauchen wird. Obwohl … Ach verdammt!
Auf der Heimfahrt herrscht Stillschweigen, worüber ich mehr als froh bin, denn so kann ich in Gedanken dem süßen Typen nachhängen. Leise seufze ich auf, als mir wieder klar wird, dass er mich beim Küssen gesehen hat und anscheinend danach enttäuscht von dannen gezogen ist. Warum schießen mir jetzt Tränen in die Augen? Das kann doch nicht wahr sein! Verzweifelt versuche ich gegen das Chaos in meinem Kopf anzukämpfen. Ich muss endlich in mein Bett, um ihn überwinden zu können. Die Nacht wird fürchterlich werden, aber danach werde ich ihn bestimmt so gut wie vergessen haben, da bin ich mir sicher. Morgen sieht alles anders aus.
Gerade bin ich mal wieder mehr als froh darüber, dass wir seit Jahren in getrennten Zimmern schlafen. Pete hatte mir vorgeworfen, ich würde ihn zu sehr herumschubsen, wenn er schnarcht. Was stimmt, denn sein lautes Schnarchen machte mich damals wahnsinnig, ließ mich keine Nacht mehr durchschlafen. Jeden Morgen war ich wie gerädert und gereizt. Heute ist mir diese Tatsache mehr als recht. Herrje, wieso habe ich auf einmal solch bösartige Gedanken?
Kaum halten wir vor unserem Haus, steige ich aus. Der kalte Wind lässt mich auf der Stelle wieder zur Besinnung kommen. Als wir das Haus betreten, drängt Pete mich gegen die Kommode und beginnt mich abzuschlabbern. Augenblicklich fühle ich mich ausgeliefert, komme weder vor noch zurück. Unbewusst macht sich Abscheu in meinem Gesicht breit und sofort stößt er mich von sich.
»Na dann mal wieder nicht. Wann willst du mal wieder ficken? Mir steht das Weiße schon in den Augen«, keift er bissig und findet seinen Spott auch noch lustig. »Dann muss ich eben wieder selbst Hand anlegen. Willst du zuschauen, vielleicht törnt dich das ja an?«
Seine Worte verletzen mich, ich will ihn anbrüllen, doch keine Silbe verlässt meine Kehle. Ich bin wie gelähmt, will nur noch hinauf in mein Zimmer, will mich zurückziehen. Er wettert immer weiter, lässt mich nicht gehen.
»Ich bin müde, Pete. Bitte, ich möchte ins Bett«, bettle ich ihn nach einer Weile regelrecht an.
Abwinkend geht er wütend nach oben in sein Zimmer. Erleichtert lehne ich mich gegen die Kommode und atme tief durch. Das war verdammt knapp. Geräuschlos ziehe ich die Jacke und Stiefel aus, damit ich ihn nicht noch einmal auf mich aufmerksam mache und gehe hinauf, um mich abzuschminken. In meinem Zimmer ziehe ich mich um und schlüpfe anschließend unter die wärmende Decke, wickle mich regelrecht darin ein. Hoffentlich kann ich schnell einschlummern.
Doch je mehr man um Schlaf bemüht ist, desto wacher und aufgedrehter wird man, das ist immer so. Denn kaum schließe ich meine Augen, sehe ich den Schönling vor mir. Sein süßes Lächeln, seine tollen Augen, seinen Duft. Immer wieder schalte ich das Licht ein, um zu lesen. Was mich kurzfristig auch ablenkt, doch an Schlaf ist bis in die frühen Morgenstunden nicht zu denken. Erst nach stundenlangem Herumwälzen dämmere ich endlich mit einem letzten Gedanken an den schönen Unbekannten fort.