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«Pst, Laura, komm mal gucken.»

Ich sitze an deinem Bett und lese dir vor, aber es sieht nicht so aus, als würdest du zuhören. Du richtest dich auf und lachst, zeigst auf den Becher, in den du die Nacht über dein Gebiss einlegst und der nun umgestürzt in einer Pfütze auf deinem Schoss schwimmt.

«Laura, schau, ein Schäfchen, es ist heute Nacht auf die Welt gekommen, genau wie Papa gesagt hat, es ist lustig, nicht, ganz stramm, es ist das Junge von der Lolotte, von der mit den schmerzhaften Zitzen, man wird sie gut massieren müssen, sonst wird sie es nicht säugen lassen. Schon drei von ihnen sind gestorben dieses Jahr, das ist nicht normal. Dem da darf ich einen Namen geben, es sieht mir kräftiger aus, Papa sagt, es wird durchkommen.»

Es klopft an die Zimmertür. Von Valeries und Hervés Mänteln tropft es, der Schnee schmilzt in der Wärme. Deine Tochter und ihr Mann schauen dich an, du merkst es nicht, du lachst wieder, sprichst mit deinem Becher. Vale­rie entrüstet sich, geht auf und ab, ruft nach der Krankenschwester, damit sie dich saubermacht, hängt ihre Jacke über die Lehne meines Stuhls, sucht im Badezimmer nach einer Blumenvase, zieht den Vorhang zu, der dich von deiner Nachbarin trennt, murmelt vor sich hin und küsst mich zur Begrüßung auf die Wangen. Hervé hat sich nicht gerührt, er tropft noch immer, scheint nie wieder trocken zu werden. Valerie will den Arzt sehen, doch der hat zu tun, die Krankenschwester sagt, er komme später vorbei. Valerie will, dass du ihr zuhörst, dass du ihr sagst, es sei alles in Ordnung.

Du lässt sie machen. Klein und sauber liegst du im Bett vergraben. Du scheinst nicht ganz zu verstehen, wer diese Leute sind, die mit dir über den Winter reden, der früh dran ist dieses Jahr und hart, über Madame Robert, die gestorben ist, über ihren Mann, der entschieden hat, zu Hause zu bleiben, und über ihre Tochter, die sich tagtäglich um ihn kümmert, welch ein Wahnsinn, über den Schlussverkauf, der bald zu Ende sein wird, und die zu eng anliegenden Hosen, über Marie, der es noch immer nicht besser geht, die ihre Lehrstelle aufgegeben hat und sich plötzlich für Tierfotos begeistert. Doch du hörst zu, und ich finde dich auf einmal schön, weil du so weit weg zu sein scheinst von all dem Klatsch, nah beim Winter und seiner rebellischen Kraft.

«Tierfotos sind doch was Gutes, oder nicht?»

Valerie schaut dich an, als hätte sie vergessen, dass du sprechen kannst. Sie scheint unschlüssig.

«Darum geht es nicht, Mama. Es ist schon das dritte Mal, dass sie aufgibt, was sie angefangen hat. Sie braucht Stabilität. Und sie braucht einen Beruf.»

Sie schaut dich wieder an, wie du strampelst, um deine Zehen aus dem Laken zu befreien, das dich wie eine Mumie umhüllt.

«Ich möchte gern eine Pedicure. Könnte das jemand für mich organisieren? Karminrot.»

Wieder zögert Valerie ein wenig, bevor sie antwortet. Sie scheint eine Falle zu wittern, dreht sich zu Hervé um, der eher amüsiert ist, macht sich nicht die Mühe, sich zu mir umzudrehen, betrachtet ihre eigenen Nägel, von denen der Perlmuttlack absplittert.

«Das kann ich dir doch selbst machen, Mama, so kommt es billiger.»

«Nein, ich will eine Fachperson. Und sag ihr, sie soll alle ihre Farben mitbringen, vielleicht überlege ich es mir anders.»

«Es schneit wieder», sagt Hervé, «wir sollten vielleicht nicht zu lange bleiben, ich habe schlecht geparkt.»

Du schaust den Flocken zu, es sieht aus, als würdest du sie verschlingen und kosten, dein Mund ist jetzt ganz entspannt. Du wartest, bis du sicher bist, dass alle ge­gangen sind, dann möchtest du auf den Toilettenstuhl gesetzt werden und flüsterst mir zu:

«Ich weiß nicht einmal, was das ist, Karminrot.»

Ich bin noch nicht wirklich bereit zu gehen, ich verlasse das Zimmer, während die Krankenschwester dich wäscht, ich helfe dir, dich auf dem Bett bequem einzurichten, und nehme meine Geschichte da wieder auf, wo ich stehengeblieben bin.

Der nächste Tag fing verkehrt an. Der Wind blies in die falsche Richtung, und der widerliche Geruch von Bratspeck lag in der Luft. Die Sonntage sind mir schon immer unstimmig vorgekommen. Das Meer war weit weg, kein übermütiger Gesang mehr, bloß noch das Plätschern ei­ner zu kleinen Flut, die sich lustlos zurückzog. Am Abend würde der Zug nach London überfüllt sein und die Stadt so groß, dass ihr die Einzelheiten abhandenkämen, eine Silhouette aus Beton und Bewegungen, eine schwindelerregende Ansammlung von Bahnen, die alle in dieselbe Richtung führen.

Der Strand war noch fast leer, als ich ankam. Es war wärmer, der Wind hatte nachgelassen. Die Steine fühlten sich lebendig an unter den Füßen, vielleicht nicht mehr ganz so weich, es war, als wollten sie etwas sagen. Ich ging über zahlreiche Grenzen.

Ich nahm seit vier Monaten Englischunterricht, im dritten Stock eines kleinen Londoner Hauses, dessen Teppich mir Lust machte, mich im Treppenhaus hinzulegen. Ich sah mich von oben, in der Mitte einer plattgedrückten und ausgeleierten Weltkarte voller Klebeband und unzählige Male falsch zusammengefaltet.

Das Meer erlaubt es, Verbindungen herzustellen. Zwi­schen den Orten und den Dingen. Zwischen den Leuten. Auch an Regentagen durchquerte ich den riesigen Bahnhof, stieg in den Zug, der in einer vibrierenden Flut seine Fahrgäste ausspuckte, und lief stundenlang über die Kiesel. Ich brauchte das, den Schrei der Möwen und den Wind, die Leute, die über das Wetter redeten, als hätten sie noch nie zuvor darüber gesprochen, und die nackten Hinterbacken eines exaltierten Strandbesuchers.

Hinter der Düne richtete sich unter den Sonnenschirmen der Tag ein, brachte seine Thermosflaschen mit Tee zum Vorschein und tauchte vorsichtig die Zehen ins Wasser. Die weißen Geschlechter wurden ausgepackt, zu weit voneinander entfernt, um sich zu bespähen. Wie würde ich mit der Landschaft verschmelzen, wenn ich mich dazugesellte? Meine Brüste sähen aus wie zwei weiche Steine, von einer Welle voller Abscheu ausgespuckt.

Der Hund vom Vortag war wieder da. Ich erkannte ihn an seinen kurzen Pfoten, die zwischen die Steine rutschten. Er schien älter heute, bedachter. Ich richtete mich auf und zog den Bauch ein. Mein Nackedei war diesmal bekleidet. Mit einem weißen Trainingsanzug, der ihn merkwürdigerweise elegant aussehen ließ. Seine Haare hatten dieselbe Struktur wie die seines Hundes. Er wäre beleidigt gewesen, wenn ich es ihm gesagt hätte. Aber es war hübsch. Ich fragte mich, ob er den Titel des Buches sehen konnte, das ich las, The Power of the Dog von Thomas Savage, und ob er es schon gelesen hatte. Ich hätte ihm erzählen können, dass es ein Geschenk meines Vaters sei, eine Geschichte über den Zorn und das weite Land, über Männer, die einander aus dem Weg gehen, und von nicht existierenden Frauen. Ich hätte ihm lachend sagen können, dass dies in gewisser Weise meinem eigenen Leben entsprach. Und ihn fragen, welches das weite Land und die Frauen in seinem Leben waren. Ich war froh, dass er etwas anhatte, so konnte ich mich auf seine langen, weißen Hände konzentrieren, die von unsichtba­ren Fäden ruckartig bewegt wurden. Ich konnte auf den flirrenden Linien seiner Umrisse verweilen. Und beim Gefühl eines leichten Ungleichgewichts, das von seiner Haltung ausging, von seinen zu dünnen Beinen und den Armen, die sich auf und ab bewegten, um das Taumeln auszubalancieren. Ein in Verwesung begriffenes Exem­plar. Fast war ich überrascht, dass sich seine Zehen im Salzwasser nicht auflösten.

Er ging an mir vorbei. Er sagte «It’s a beautiful day, isn’t it? It really feels like summer.»

Am Meer dieses Licht

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