Читать книгу Bobby Car bei Dschingis Khan - Fausta Nicca Capeder - Страница 5

Vorwort

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“Wieso musst du immer in diesen gefährlichen GUS-Staaten herumreisen? Warum kannst du nicht wie alle normalen Leute nach Hawaii oder Kalifornien in die Ferien?”

Mein Vater schüttelte nur den Kopf. Doch mich zog es immer wieder genau dorthin!

Die sogenannte GUS (Gemeinschaft unabhängiger Staaten) ist nach dem Zerfall der Sowjetunion 1991 entstanden. Alle “Stans” gehören ihr an, und diese “Stans” haben es mir angetan: Turkmenistan, Usbekistan, Kirgistan (auch Kirgisistan oder Kirgisien), Kasachstan, Tadschikistan. “Stan” ist persisch und bedeutet “Land”. Meine Vorliebe für diese legendären Länder hat eine Vorgeschichte: 1993 hatte ich einen Monat Zeit, mein damaliger Freund nicht. Also rief ich ein Trekking-Reisebüro an und fragte, was sie im Juli auf dem Programm haben.

“Pioniertrekking in Kirgistan.”

“Wo ist das?”

“In der ehemaligen Sowjetunion, bei Russland, in Zentralasien.”

“Okay, das buche ich. Was ist ein Pioniertrekking?”

“Moment, wir müssen schauen, ob wir für dich in einer Woche noch ein Visum bekommen. Pioniertrekking heisst es, weil ihr die erste westliche Gruppe in 70 Jahren seid, die dieses Land bereisen darf. War Sperrgebiet. Hast du Wanderschuhe, Schlafsack und Thermarest-Matratze?”

“Oh, ich muss noch schnell Bergschuhe kaufen! Schlafsack und Campingmatratze kann ich bei meiner Schwester ausleihen…”

“Ich geb dir einen Tipp: Lauf die Schuhe aber erst ein!”

Ich buchte und verliebte mich. Pioniertrekking. Wow. Noch nie habe ich eine solche Gastfreundschaft erlebt. Überwältigend! Ich kannte Europa, fast ganz Südostasien, aber noch nie wurde ich von Einheimischen eingeladen, bei ihnen zu übernachten. Klar sind die ThailänderInnen nett, die Malaien freundlich, die Inder auch, die Philippiner herzlich. Aber noch nie habe ich Nomaden getroffen, die mit einem das Letzte teilen, das sie noch besitzen. Ich war tief beeindruckt.

Ich fand eine Russin in meinem Dorf im Zürcher Oberland. Nahm jede Woche Sprachunterricht. Fuhr 1994 im Frühling und im Herbst nochmals (ja fuhr, mit dem Zug von Moskau in 74 Stunden) nach Usbekistan, flog 1995 wieder nach Kirgistan und reiste 1996 und 1997 während meiner fast 21-monatigen Weltreise abermals monatelang durch Zentralasien. Diesmal nicht nur durch Russisch-Zentralasien, sondern auch auf die andere Seite des eisernen Vorhangs von Stalin: Chinesisch Turkestan. Mein Uiguristan. Auch sensationell.

(Über diese Reise habe ich das Buch “Tschai-Khana. Abenteuer auf der Seidenstrasse” geschrieben, 595 Seiten, auch bei epubli.de)

Unterdessen bin ich verheiratet und habe einen viereinhalbjährigen Sohn, Corsin Aibek. Sein zweiter Name, Aibek, ist kirgisisch und bedeutet “starker Mond”. Bevor Corsin in den Kindergarten kommt und damit in die Mühle der staatlichen Erziehung und Bildung, möchte ich ihn auf eine Reise mitnehmen, möchte auch meinen Liebsten meine Lieblingsländer zeigen!

Ella Maillart, mein grösstes Vorbild und eine der Reise-Pionierinnen des letzten Jahrhunderts, definierte Reisen so: “Der wahre Reisende ist derjenige, der sowohl aus physischen, ästhetischen und intellektuellen als auch aus geistigen Gründen sich getrieben fühlt, umherzuwandern. Man reist, um das Leben wieder wie ein Kind bestaunen zu können.”

Goethe schrieb 1979 an Schiller: “Für Naturen wie die meine, die sich gerne festsetzen und die wichtigen Dinge festhalten, ist eine Reise unschätzbar, sie berichtigt, belehrt und bildet.”

Nachdem ich mich also beim ersten Mal einer Reisegruppe angeschlossen hatte und dann noch weitere drei Mal in Kirgistan war, wollte ich das Land nun auch einmal als Mutter und durch die Augen eines kleinen Kindes sehen. Corsin liebt die Natur, ist gern in den Bergen, liebt es einfach wie auch luxuriös, schläft gern in Berghütten und im Heu, und hat sehr gerne Tiere. Das Nomadenleben in Zentralasien bietet alles!

Was könnte denn in diese Reise noch mit rein? Ein Blick auf meine imaginäre Weltkarte in meinen Kopf macht sofort klar: Der Iran und die “Stans” drumherum. Also Iran, und dann auf der Landverbindung nach Turkmenistan und Usbekistan.

“Loda el mar e tiente a la tera” - venezianisches Sprichwort; “Preise das Meer, aber halte dich ans Land”. Für den Weltreisenden Marco Polo, der im 13. Jahrhundert von Venedig nach dem heutigen China reiste, um zu Kubilai Khan, dem Enkel von Dschingis Khan zu gelangen, bedeutete es, dass er nicht mit dem Schiff, sondern über Land reisen wollte, weil er auch etwas von den Ländern dazwischen erfahren wollte. Unterwegs sein gilt heutzutage als Zeitverschwendung. Viele wollen nur noch ankommen, aber keiner will mehr unterwegs sein. Die Freiheit über den Wolken gilt als verlorene Zeit. Aber wer nur noch schnell ankommen will und nur wenig Zeit hat, ein Land zu besuchen, trifft nur auf exotische Kulissen. Ganze Kontinente und Kulturen werden nur noch überflogen, nicht mehr erfahren oder im wahrsten Sinne des Wortes “er-fahren”. Land und Leute lassen sich nicht mit Last-Minute-Pauschalangeboten begreifen, fremde Kulturen lernt man nicht auf Kurztrips kennen! Ein weiser Mann hat einmal gesagt: “Jeder hat auch Reisen seine Sicht, aber nicht jeder sieht etwas”.

“Gibt es keinen Flughafen in Usbekistan?” fragte mein Chef, als ich ihm 1995 erklärte, dass ich nur nach Moskau fliegen werde und von dort mit dem Zug während über 70 Stunden nach Mittelasien tuckern möchte. Was für eine doofe Frage! Ich habe mich ja für die langsame Fahrt auf den Schienen entschlossen, weil ich mir die Landschaften dazwischen anschauen möchte. Zurücklehnen und die Steppen an mir vorbeiziehen lassen. Und zuschauen, wie der Prozentsatz der Menschen auf den Bahnhöfen, die Schlitzaugen haben, immer grösser wird. Langsam von Europa nach Asien gleiten… Zwischen den slawischen Gesichtszügen mit den hohen Backenknochen nahmen die kasachischen, turkmenischen, kirgisischen, tatarischen, tadschikischen, uigurischen, tschetschenischen und andere orientalisch-mongolische Augen ständig zu, dass es für mich eine wahre Freude war. Ich spürte, wie mein Herz höher und höher schlug, je näher wir Turkestan kamen. Und ich war die einzige Ausländerin im Zug. In jedes Abteil wurde ich eingeladen, man offerierte mir Tee, Wodka, Suppen, Salate, selbstgemachte Würste, getrockneten Fisch, Fladenbrote, Konfitüre aus den unzähligen Früchten, die im kontinentalen Klima Mittelasiens wachsen.

Früher gab es nur ganz wenige Reisende, die wirklich aus Freude und Neugier unterwegs waren. Im frühesten Hebräisch waren die Worte für “Kaufmann” und “Reisender” gleich. Soldaten, Staatsmänner, Gelehrte und Studenten, Bettler und Pilger, Verbrecher, Kuriere, Mönche, traf man auf den Strassen an, vor allem jedoch Kaufleute, die mit Gewürzen, Seide, Gold, Perlen, Waffen, Myrrhe und Weihrauch handelten. Die Reise als Abenteuer und aus purer Lust am Reisen war bis tief ins 18. Jahrhundert unbekannt. Ella Maillart, Freya Stark, Alexandra David-Noël, Gertrude Bell und viele andere, sind es, deren Bücher ich verschlang.

Neben den unvergesslichen Begegnungen mit den unverdorbenen Menschen, die noch nicht so kommerziell eingestellt waren wie wir im Westen (oder weil sie zum Teil schlichtweg noch nicht wussten und kannten, was sie vermissen könnten), interessierte mich auch ihre spannende Geschichte. Ich fing an, Bücher zu lesen über Skythen und Perser, Griechen und Parther, über die Türken, die eigentlich von den sibirisch-mongolischen Steppen nach dem Südwesten Asiens einwanderten. Dann kamen im 8. Jahrhundert die Araber und verbreiteten allmählich den Islam. Karluken, Oghusen, Samaniden, Karachaniden, Seldschuken, Kara-Kitai, Mongolen unter Dschingis Khan, Timur, der grosse, aber brutale Eroberer. Die Geschichte Turkestans ist unglaublich interessant. Der Orient zog mich so in den Bann, dass ich mehr wollte als Märchen aus 1001 Nacht lesen.

Eine Kollegin auf der Bank schwärmte vom orientalischen Marrakesch und zeigte stolz ein Bild ihres Enkels mit einem Tuareg-Turban. Fürs Fotoalbum.

“Super für das Kind: Reisen in anderen Kulturkreisen. Damit hätte es, wenn es schon hätte abstimmen können, sicher nicht für diese bekloppte Minarettverbotsinitiative gestimmt”, sagte ich todernst.

Doch, die Frau war dafür. Ich war total schockiert!

Das schöne Dekor der Märchen aus Tausendundeiner Nacht. Aber man ist gegen den Islam. Das ist doch einfach zum Kotzen. Entschuldigung. Man fliegt ein Wochenende nach Marrakesch, frisst Sushi und trinkt Gin Tonic, und zu Hause hasst man dann alle Marokkaner. Super.

Meinem Sohn möchte ich Toleranz mitgeben. Als wir in seinem zweiten Jahr in Ägypten waren, bin ich mit ihm extra zu den verschleierten Frauen hingegangen. Ich weiss, sie alle lieben Kinder. Und Corsin soll keine Ängste vor Verschleierten haben. Keinerlei Ressentiments.

Das Romantische an diesen islamischen Ländern ruft bei vielen Menschen im Westen ganz kuriose Gefühle hervor. Die Massenmedien sind auf ihrer Suche nach dem Bösen seit dem Ende des Kalten Krieges wieder einmal im arabisch-islamischen Raum fündig geworden. Viele verwechseln den Islam als Religion mit Fundamentalismus oder gar Terrorismus. Weil sich die lautesten Propagandisten, nicht aber die leisen Weisen mehr Gehör verschaffen, mutiert in der kollektiven Vorstellungen des Westens jeder Moslem zum unberechenbaren Fanatiker. Und die Trottel vom ISIS und ihre Verbündeten geben den Rest dazu.

Ich war 1997, 1999, 2000, 2001 und 2003 in der Islamischen Republik Iran. Ein wunderbares, unglaublich gastfreundliches Land.

“Musst du dort ein Kopftuch anziehen?” werde ich oft gefragt.

Ja, muss ich, leider. Ich hasse es. Aber dieses Land muss man sich verdienen. Das verhasste Kopftuch führt dazu, dass es in diesem Staat nur tolerante Touristen hat! Ist doch super! Kein einziger Nicht-Interessierter reist dort herum! Keine einzige Tussi mit ihrem bauchnabelfreien Top kommt dorthin, sie fliegt lieber nach Marrakesch und Djerba, weil sie dort so herumlaufen darf. Dass das aber total daneben ist, merkt sie gar nicht. Wir würden ja auch nicht im Badeanzug in die Migros gehen. Obwohl es eigentlich erlaubt wäre. Man könnte schon, aber man macht es nicht. Und wer so eine unüberlegt dumme Antwort gibt wie “zu diesem Araberpack würde ich nie hingehen”, der soll sowieso besser zu Hause bleiben.

Das Reisen durch islamische Länder verlangt viel Toleranz und Einfühlungsvermögen, Anpassung und Bereitschaft, von anderen Kulturen etwas lernen zu wollen. Wer behauptet, Muslime seien Terroristen, hat keine Ahnung vom Islam. Und soll daher nicht urteilen, sondern zugeben, dass man darüber noch nichts gelesen hat. Wenn 100 tibetische Mönche am Boden beten, finden das alle mystisch. Wieso empfindet man das nicht bei Betenden in einer Moschee? Wieso gibt vielen der Ruf des Muezzins ein ungutes Gefühl? Propaganda! Ich liebe den Ruf des Muezzins. Weil ich dann in meinen geliebten islamischen Ländern bin. Ich war im Jemen, im Oman, in Jordanien, Libanon und Syrien, Ägypten, Libyen, Tunesien, Marokko, Mauretanien, Senegal und Mali, Türkei, Aserbaidschan, Indien und Pakistan, Indonesien und Malaysia. Und in den ehemaligen Sowjetrepubliken Zentralasiens Kirgistan, Usbekistan, Turkmenistan, Kasachstan und Tadschikistan. Meist war ich da bei Einheimischen als Gast bei ihnen zu Hause eingeladen. Da schwebe ich einfach über dem Boden vor Glück.

Und das möchte ich meinem Mann und meinem Sohn zeigen.

Bobby Car bei Dschingis Khan

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