Читать книгу Shana, das Wolfsmädchen - Federica de Cesco - Страница 10
ОглавлениеEs wurde schon hell, als Alec mich vor dem Gartentor ablud. Ich nahm den Helm ab und gab ihn Alec zurück. Wir hielten uns noch eine Weile umschlungen. Alec drückte sein Gesicht an meines.
»War schön mit dir. Bis nachher, also? Ich freue mich.«
»Ich freue mich auch«, sagte ich.
Ein leichter Wind kam auf. Bald würden die Wolken rot werden und die Mücken im Morgenlicht tanzen. Wir küssten uns ein letztes Mal. Dann stand ich da und sah zu, wie Alec den Starter betätigte und den Anlasser kickte. Das Motorrad setzte sich knatternd in Bewegung. Ich dachte, der Lärm scheucht die ganze Nachbarschaft auf, aber wenn Powwow war, hatten die Leute Verständnis. Alec fuhr an der Tankstelle vorbei, der Scheinwerfer hüpfte über den Asphalt und war einige Sekunden später verschwunden. Ich ging auf das verrostete Gartentor zu und schob mit steifen Fingern den Riegel zurück. Das Tor sprang quietschend auf. Ich stapfte die Treppenstufen hinauf, stolperte und fiel der Länge nach auf die morsche Veranda. Es gab einen dumpfen Knall. Ich rappelte mich auf, rieb mir das schmerzende Knie. Scheiße!, dachte ich. Jetzt meinen die Leute, ich wäre betrunken nach Hause gekommen. Ich schloss die Tür auf, hinkte durch die Diele. Im Haus war es still, nicht einmal die Wanduhr, die auf halb elf zeigte, obwohl es längst vier Uhr sein musste, tickte. Die Tür des Zimmers, wo Elliot schlief, war nur angelehnt. Ich stieß sie leise auf. Der Raum war stickig heiß. Trotz der Dunkelheit konnte ich sehen, dass das ungemachte Bett leer war. Ich fühlte eine tiefe, todesähnliche Traurigkeit in mir aufsteigen, eine Traurigkeit, für die ich keine Erklärung wusste. Ich schleppte mich die Treppe hinauf, zog das verschwitzte Zeug aus, duschte mich lange. Mein Knie war geschwollen und blau; ich bewegte es vorsichtig. Nicht schlimm. Ich schlurfte in mein Zimmer, warf mich im Pyjama aufs Bett. Ich wollte schlafen, aber ich brachte die Augen nicht zu. Das ganze Zimmer schien sich wie ein Karussell zu drehen. Draußen zwitscherten Vögel. Der Spalt Licht aus der Ritze zwischen Mauer und Fensterladen wurde immer heller. Ich dachte an das Kleid meiner Mutter und auf einmal hatte ich das Bedürfnis, es anzuprobieren, zu sehen, ob es mir passte, egal, wie müde und benommen ich jetzt war. Ich setzte mich hoch, stellte vorsichtig die Füße auf den Boden und ging in den kleinen Raum, wo wir die Sachen meiner Mutter aufhoben. Weder Elliot noch ich hatten jemals den Mut gefunden, die Dinge auszurangieren. Das Kleid lag in der untersten Schublade der Kommode. Leder verträgt keine eingeschlossene Luft. Ich entsann mich, dass Melanie das Kleid ein paar Mal im Jahr ausschüttelte und nach draußen hing. Dann bewegte sich das Kleid im Wind, flirrte wie eine tanzende Figur im Sonnenlicht. Jetzt, im roten Schein des anbrechenden Tages, kauerte ich mich unbeholfen nieder, zog die Schublade auf. Mein Atem setzte aus. Das Kleid war verschwunden.
Ich kniete vor der Schublade – wie lange, wusste ich nicht. Ich dachte an gar nichts, lauschte nur auf das vertraute Knarren des alten Holzhauses, auf meinen eigenen Herzschlag.
Nach einer Weile dachte ich, vielleicht hat Elliot das Kleid in eine andere Schublade gelegt oder in einen Schrank oder in einen alten Koffer. Aber ich machte mir nicht die Mühe, im Gerümpel zu suchen, denn ich wusste bereits die Wahrheit. Jemand hatte das Kleid gestohlen. Es war mein Kleid gewesen. Und wer es gestohlen hatte, wusste ich auch.
Ich stand lautlos auf, ging in die Küche und machte mir einen Kaffee, den ich in eine schmutzige Tasse goss. Der Kaffee war heiß, viel zu stark und schmeckte ekelhaft. Ich würgte ihn herunter, spülte mir den Mund im Spülbecken aus. Dann setzte ich mich oben auf die Treppenstufen und wartete. Jedes Mal, wenn ich mich bewegte, gab das Holz kleine, quietschende Geräusche von sich, die mir durch Mark und Bein gingen. »Sei ruhig!«, flüsterte ich, als ob das Holz ein Lebewesen wäre, zu dem ich sprechen konnte. Ich hatte das merkwürdige Gefühl, dass mein Körper sich weitete, größer und immer größer wurde wie eine Luftblase, die das ganze Haus ausfüllte.
Es war heller Tag, als Elliot nach Hause kam. Ich musste eingeduselt sein, denn plötzlich hörte ich schwere, unsichere Schritte. Ich zuckte zusammen, war in einer Sekunde hellwach. Die Haustür flog auf. Elliot torkelte in die Diele. Ich saß oberhalb der Treppe im Schatten, sodass er mich zuerst nicht sah. Er knallte die Haustür zu, wankte zum Klo, ich hörte sämtliche Geräusche. Die Klospülung zog er nicht. Dann, stur vor sich hin brummelnd, quälte er sich die Treppe hinauf, zwei Schritte für jede Stufe. Auf einmal erblickte er mich, blieb stehen. Seine Haare waren zerzaust, das schmutzige Hemd klebte an seinem Körper und verlieh ihm ein lächerliches Aussehen. Ich roch den süßlichen Geruch seines Erbrochenen.
»He, was machst du da?«, lallte er.
»Wo ist mein Kleid?«, fragte ich.
Er hielt sich am Geländer fest.
»Dein Kleid? Welches Kleid?«
»Melanies Festkleid. Es gehört jetzt mir.«
»Dir?« Er kniff die Augen zusammen. »Wer hat das gesagt?«
Ich hob herausfordernd den Kopf.
»Melanie. Und ich will es jetzt haben. Ich tanze heute für sie.«
Er rieb sich mit den Händen übers Gesicht, sein ganzer Körper zitterte. Er schien unfähig auch nur einen Ton über die Lippen zu bringen.
Ich richtete mich auf. Da ich drei Stufen höher stand und er mich von unten sah, war mir, als sei ich fast doppelt so groß. Dass ich noch stärker zitterte als er, merkte er wahrscheinlich nicht.
»Wo ist das Kleid?«
Unbarmherzig betonte ich jede Silbe. Elliot schluckte würgend. Das erbärmliche Grinsen eines Einfältigen, eines Idioten, verzerrte sein Gesicht.
»Verkauft«, sagte er. »Ich habe es verkauft. Ich brauchte Geld. Musste einem Kumpel was zurückzahlen.«
Schweigen. Ich hatte das Gefühl, dass mein Kopf wie eine Rassel hin und her schlug. Endlich konnte ich sprechen. Ich fragte: »Wem hast du es verkauft?«
»Einem Urban. Und der ist weg.« Elliot murmelte schwerzüngig vor sich hin, aber das Echo seiner Worte setzte sich in meinen Ohren für alle Ewigkeit fest. »Die Leute von hier, die haben Melanie tanzen gesehen. Die hätten das Kleid nie gekauft.«
»Nein«, flüsterte ich rau.
Er atmete gepresst, kratzte sich die schwitzende Brust.
»Was ich sagen wollte … ambesten, du denkst nicht mehr daran. Deine Mutter, sie ist ja nicht mehr da.«
»Doch«, erwiderte ich.
»Wie?«, knurrte er.
Ich schluckte schwer.
»Doch, sie ist da. Sie hört und sieht alles.«
Es waren die einzigen sicheren Worte, die mir einfielen. Elliot fuhr sich mit dem Ellbogen über die nasse Stirn, atmete laut durch die Nase.
»Hatte Probleme«, sagte er tonlos. »Bin reingeschliddert. Musste zahlen …«
Er zog sich mühsam am Geländer hoch, bis er dicht unter mir stand. Er streckte die Hand aus, um mir über den Kopf zu streichen. Sein Gesicht war klebrig und verzerrt.
»Shana, es tut mir Leid, ehrlich. Wenn ich gewusst hätte …«
Aus dem Schmerz in mir keimte verzweifelte Wut. Ich fühlte nur noch Zorn, grenzenlos bitteren Zorn, wie ich es nie für möglich gehalten hätte. Ich wich ihm aus, sprang hastig zurück.
»Rühr mich nicht an!«, schrie ich. »Du … du hast …« Meine Stimme brach,heftiges, unbeherrschtes Schluchzen stieg in mir hoch. Durch den Tränenschleier verschwamm Elliots Gesicht vor meinen Augen, wurde zu einem undeutlichen Fleck. Ich holte tief Luft, würgte mit äußerster Anstrengung die Tränen hinunter. Als ich wieder sprach, kannte ich meine Stimme nicht wieder. Sie war wie die einer Fremden, spröde, dumpf und meilenfern.
»Das hättest du nicht tun sollen, Elliot. Melanie wird traurig sein. Sie hatte nicht alles mitgenommen, siehst du. Sie hatte etwas von sich selbst in das Kleid eingewebt, für mich. Und jetzt werde ich nie für sie tanzen können.«
Er wandte stumm das Gesicht ab. Die schweren Lider bedeckten halb die Pupillen, die aus dem Winkel der feuchten Augen hervorglänzten.
»Shana, mein Mädchen …«, stieß er hervor.
Doch ich ließ ihn nicht ausreden. Was immer er sagen wollte, es war ohne Bedeutung. Ich wirbelte herum, lief die Stufen hinauf, stolperte tränenblind über den ausgefransten Quiltvorleger. Ich rannte in mein Zimmer, knallte die Tür zu und drehte den Schlüssel. Die Beine gaben unter mir nach. Keuchend ließ ich mich auf den Fußboden nieder; ich lehnte den Rücken an die Wand, zog die Knie an und hielt sie mit beiden Armen fest umschlungen. Die Sonne leuchtete durch die Scheiben. Der Himmel war blau und klar, es würde ein schöner Tag werden. Ein Tag, auf den ich mich gefreut hatte. Langsam schaukelte ich vor und zurück und spürte im hellen Sonnenschein, wie das kleine Zimmer immer kälter wurde.
Ich trieb mich auf der Festwiese herum, dort wo das Essen verteilt wurde. Eine halbes Dutzend lange Tische waren mit Speisen bedeckt. Die Alten saßen satt und zufrieden auf ihren Klappstühlen, fächelten sich Kühlung zu und dösten, während sich die Tänzer bereitmachten. Mir wurde es vor Hunger schwarz vor den Augen, mein Magen war mit kalter Luft gefüllt, ich zitterte bis in die Fingerspitzen. Die alte Maggie Benjamin, die mich seit einer Weile sorgenvoll beobachtete, winkte mir zu.
»Du siehst schlecht aus, Shana. Zu wenig geschlafen?«
Ich schwieg und schielte auf die Speisen. Das Wasser lief mir im Mund zusammen. Maggie seufzte, füllte einen Pappteller mit Kartoffelsalat und einem Stück Brathuhn und wies auf einen freien Klappstuhl. Ich bedankte mich, stopfte den Kartoffelsalat in mich hinein, nagte jeden Knochen ab. Maggie sah zu, wobei sie brummend mit dem Kopf nickte. Als ich den Teller leer gegessen hatte, schnitt sie eine Schokoladentorte für mich an und gab mir eine Tasse Kaffee, die zur Hälfte aus Milch und Zucker bestand. Danach fühlte ich mich besser. Mein Zittern ließ nach. Höchste Zeit jetzt, dass ich mich verdrückte. Aber da sah ich schon Alec, der mir ein Zeichen gab. Die Hitze schoss mir ins Gesicht. Zu spät! Ich konnte nicht mehr davonlaufen. Alec trug bereits sein prächtiges Kostüm und die Linie auf seiner Stirn und Nase war kobaltblau. Unter jedem Auge war ein dunkelblauer Tupfer mit orangeroten Strahlen gemalt. Indianer lieben es, sich schön zu machen, und Alec sah wirklich großartig aus. Unter den bewundernden Blicken sämtlicher Mädchen, seiner Wirkung voll bewusst, schritt er gelassen auf mich zu. Eine lähmende Stumpfheit senkte sich auf mich herab wie Nebel. Ich wollte verschwinden, mich in Luft auflösen, nicht mehr da sein. Doch ich saß auf dem Klappstuhl, saß einfach da und rührte mich nicht, bis Alec dicht vor mir stand und ich seine Stimme hörte.
»He, Shana, ich habe schon mit einer Frau vom Komitee geredet. Die Sache ist okay. Wann ziehst du dich um?«
Ich bemerkte, dass ich Schokoladenflecken auf dem T-Shirt hatte, dass ich ungekämmt war und nach Schweiß roch. Und außerdem hatte ich Bauchweh, die Torte war nicht gut gewesen, wahrscheinlich stand sie schon zu lange in der Sonne.
»Ich tanze nicht«, sagte ich
Er runzelte die Brauen, die dicht und lang wie Federn waren, hockte sich auf die Fersen, um mir ins Gesicht zu blicken.
»Warum nicht?«, fragte er sanft. »Bist du mir böse?« Die Bauchschmerzen waren nicht auszuhalten. Ich krümmte mich auf dem Klappstuhl. Ich konnte ihm die Wahrheit nicht sagen, es ging einfach nicht. Es war zu widerlich, zu demütigend. Ich hob nur kurz die Augen.
»Geh weg«, zischte ich.
Er blickte verständnislos und besorgt.
»Was hast du? Ist dir nicht gut? Hör zu, es dauert noch eine Weile, bis alle bereit sind. Du hast noch genug Zeit …«
Ich schüttelte den Kopf, dass die Haare flogen. Wann ging er bloß? Er sollte mich doch endlich allein lassen!
»Ich habe gesagt, nein.«
Meine Stimme klang schrill. Er starrte mich fassungslos an, bevor er kurz und bitter auflachte.
»Ich sehe schon, du hast Angst«, sagte er, mit leichter Verachtung.
»Nein!«, zischte ich.
»Wetten, dass es das ist!«
»Es ist mir gleich, was du denkst.«
»Dann liegt es daran, dass du mir böse bist.«
Ich drehte stumm das Gesicht von ihm weg.
»Also«, sagte er, »wir können doch davon reden, oder? Warum bist du so?«
Ich beobachtete ihn aus den Augenwinkeln heraus und sah, dass er mich unverwandt anstarrte.
»Lass mich in Ruhe!«, sagte ich tonlos.
Er beugte sich vor, legte seine Hand auf mein Knie; ich zuckte heftig zusammen.
»Da ist etwas nicht normal mit dir. Hat dir einer dieser Schweine vielleicht Stoff angedreht, he?«
Es gab einige Schüler, die Koks schnupften. Alle wussten, wer dazugehörte, bloß die Eltern nicht. Vor den Eltern hatte jeder Schüler eine Menge Respekt, das war indianische Tradition. Aber ich hatte keinen Respekt vor meinem Vater. Keinen Funken Respekt mehr. Bloß noch Verachtung. Mein Vater machte mir Schande, das war das Allerschlimmste, das ich keinem erzählen konnte, auch Alec nicht, besonders nicht Alec. Die Bauchschmerzen wurden stärker, ich wiegte mich stöhnend hin und her. »Hilf mir!«, rief ich Alec im Geiste zu, »lass mich nicht in Stich, ich brauche dich jetzt so sehr!« Stattdessen sagte ich mit harter Stimme: »Verschwinde!«
Er erhob sich, eine weiche, fließende Bewegung. Sein Gesicht war steinern geworden. Er holte tief Luft.
»Okay«, sagte er ruhig »Ich weiß genau, dass du mir böse bist. Ich habe bloß gedacht, dass du und ich … Na gut, reden wir nicht mehr davon. Ich will dir ja nicht auf die Nerven gehen. Und ich lasse mir auch den Tag nicht vermiesen.«
Und dann ging er. Ich saß da wie ein Olgötze und bemerkte, wie mich Maggie Benjamin verstohlen von der Seite musterte. Alte Frauen merkten immer alles. Hoffentlich hatte sie nicht die Absicht, sich einzumischen. Ich stand ungeschickt auf, der Klappstuhl fiel um. Ich hob ihn umständlich auf, lehnte ihn an die Wand und machte mich davon.
Als die Tänze begannen und die Trommeln im richtigen Takt schlugen, stand ich hinter der Lautsprecheranlage und sah zu, wie Alec tanzte. Er bildete mit einem Mädchen das zweite Paar hinter den beiden Vortänzern. Das Mädchen hieß Donatella; sie war zur Hälfte Italienerin und war besonders hübsch. Aber sie tanzt wie eine Kuh, dachte ich, verzweifelt und wütend. Und diese Locken, einfach grässlich! Donatellas Kleid war bunt bestickt – grell und geschmacklos, fand ich. Die Fransen, genau über ihren üppigen Busen genäht, wippten im Takt. Trug sie denn keinen Büstenhalter? Bei dieser Oberweite! Alec lachte sie an und auf einmal war ich selbst Donatella. Ich tanzte mit Alec im Sonnenschein, meine Schritte waren weich, geschmeidig, mein Fächer aus Adlerfedern war lebendig und stark in meiner Hand. Wir wirbelten und stampften im Rhythmus der Musik und es war der schönste Tag meines Lebens.
Ganz plötzlich schwiegen die Trommeln. Mit einem Ruck fand ich wieder zu mir selbst, wider Willen in meiner schwitzenden Haut gefangen. Alle setzten sich zum Ausruhen auf Bänke, Alec holte eine Cola für Donatella. Beide unterhielten sich lachend und etwas atemlos. Ich drehte ihnen den Rücken zu, ging zum Klo, wo ich eine Weile Schlange stand. Ich hatte Durchfall. Das Bauchweh ging nicht weg, ich fühlte mich erbärmlich. Mit hängendem Kopf ging ich auf den Parkplatz zu. Die Scheiben der Geländewagen spiegelten die Sonne wieder, es war entsetzlich heiß. Ich hörte eine Wagentür zuschlagen und wandte den Kopf. Eine Frau kam auf mich zu. An der eigentümlichen Wolfstickerei auf ihrem Kleid erkannte ich die neue Lehrerin. Alec hatte gesagt, dass sie nur von weitem gut aussah, und das stimmte irgendwie. Sie hatte feine Falten im Gesicht und schon einige weiße Fäden im Haar. Doch sie hatte einen ganz besonderen Gang, wiegte sich leicht in den Hüften und hielt sich so gerade, dass sie fast ein hohles Kreuz zu haben schien. Ich lehnte mich gegen einen Wagen, um sie vorbeizulassen. Sie lächelte mir dankend zu. Ihr Blick verweilte kurz auf mir; ihre Augen waren nicht braun, nicht schwarz, sondern vollkommen golden. Nie hatte ich solche Augen gesehen. Fasziniert und unhöflich zugleich sah ich ihr ins Gesicht. Ich hatte das Gefühl, dass dieser ruhige, starre Blick sich messerscharf in mich hineinbohrte. Ich presste mich enger an das glühende Blech, sie ging weiter, und das war alles. Und später, als einige Jugendliche begannen mit Abfallsäcke herumzugehen und das Gelände zu säubern und die Teilnehmer zu ihren Pick-ups gingen, sah ich Alec und Donatella auf dem Motorrad wegfahren. Beide hatten sich umgezogen. Donatella trug ein ärmelloses Top, knallenge Jeans und Pumps mit hohen Absätzen. Wahrhaft ideal für einen Waldspaziergang im Mondschein, dachte ich. Hoffentlich verrenkt sie sich die Knöchel.
Später in der Nacht wanderte ich die Straße entlang, wo die letzten Autos vorbeifuhren. Am Waldrand fand ich einen ruhigen Platz, warf mich ins warme Gras und sah die Sterne glitzern. Und auf einmal hörte ich es wieder, dieses lang gezogene, unglaublich traurige Heulen. Es klang wie das Echo meiner eigenen Qual, als ob das unbekannte Tier meine Verzweiflung teilte. Ich entsann mich an die Geistergeschichten meiner Kindheit. Mir wurde ganz schwindlig und einen Moment hoffte ich schon, ich sei tot. Ich schnappte keuchend nach Luft, antwortete dem fernen Geheul mit einem lauten, krampfhaften Schrei, der in heftiges Schluchzen überging. Ich weinte, den ganzen Körper vor Schmerz geschüttelt. Und als ich alle Tränen geweint hatte und mein Zittern sich beruhigte, merkte ich, dass das Tier – was immer es gewesen sein mochte – schwieg. Das Schreien hatte befreiend gewirkt, ich atmete ruhiger. Mit der Entspannung kam ein Gefühl des Absinkens. Ich schlief eine Weile, doch nicht lange. Ich erwachte in völliger Dunkelheit, schlotternd vor Kälte. Steif richtete ich mich hoch, setzte ungeschickt einen Fuß vor den anderen und begann in Richtung Dorf zurückzulaufen.