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Kapitel 4

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AARON

„Hey, Aaron, komm her und hilf mir, das zu tragen“, rief Lennie mir zu, damit ich ihm mit dem Topf half, in dem ein riesiger Fliederstrauch wuchs. Topf, Erde und der Strauch mochten zusammen fast siebzig Kilo wiegen.

„Scheiße, ist das schwer.“

Er grunzte seine Zustimmung und gemeinsam wuchteten wir ihn zu dem Truck, der auf dem Parkplatz wartete. Ein Mann stand neben der offenen Heckklappe. Darinnen standen schon wenigstens zehn Stiegen voller Blumen sowie mehrere Azaleen und Rhododendren in verschiedenen Schattierungen von Pink und Lila.

„Danke. Ich glaube, das ist der Letzte, oder?“

„Jupp.“ Lennie wischte sich mit dem Arm über die Stirn. „Wir sind fertig.“

Ein zweiter Mann kam zu uns und als er seine Brieftasche hervorholte, sah ich einen Ehering aufblitzen. Ich warf dem anderen Mann einen Blick zu. Jap. Ein passender Ring an seinem Finger. Verheiratete schwule Pärchen zu sehen, gab mir immer ein warmes Gefühl. Ich hoffte, dass Frankie und ich eines Tages auch dahin kommen würden.

„Danke schön. Wir sind erst letzten Monat in unser neues Haus gezogen und freuen uns schon so darauf, den Garten herzurichten. Die hier werden das Ganze perfekt machen.“

Lennie sagte nichts und ich bemühte mich, die Stille zu füllen. „Sie haben eine großartige Wahl getroffen. All diese Büsche wachsen sehr gut bei wenig Pflegeaufwand. Stellen Sie nur sicher, dass sie genug Wasser bekommen, und passen sie auf, wenn der Rhododendron schwarze Flecken bekommt.“

„Danke für den Ratschlag. Wir freuen uns wirklich darüber. Es ist so schwer, alles im Auge zu behalten. Ich glaube, ich werde mir ein Buch besorgen und alles aufschreiben, wenn ich sie einpflanze.“

„Gute Idee.“

Sie lächelten mir zu und ich erwiderte die Geste. Lennies Ellenbogen traf mich hart in die Seite.

„Wir müssen weiter, Aaron. Können die anderen Kunden nicht warten lassen. Wir werden das jetzt für Sie aufladen.“

Einer der Männer gab jedem von uns einen Zwanziger. „Vielen Dank für Ihre Hilfe. Wir wissen das wirklich zu schätzen.“ Lennie nickte und stopfte den Geldschein in seine Tasche.

Ich winkte ihnen nach. „Danke und auf Wiedersehen“, rief ich. Lennie und ich hievten die Sträucher auf die Ladefläche und banden sie mit Seilen fest, um sicherzugehen, dass sie unterwegs nicht hin und her rollen würden. Danach ging ich zum Seitenfenster, gab ihnen ein Daumen hoch und die beiden fuhren davon.

Lennie und ich gingen zurück in den Gartenbereich. Leute schlenderten umher, doch niemand sah aus, als bräuchte er Hilfe. Gegen vier Uhr wurde es normalerweise ruhiger und wir würden bald beginnen, die Blumen zurück hinter die Tore zu tragen, die wir jede Nacht verschlossen. Nach einer Woche hatte ich mich ihrer Routine ziemlich gut angepasst und mich an das Kommen und Gehen der Kunden gewöhnt.

Lennie tippte mir auf die Schulter. „Willste nen Kaffee?“

Marie hielt jederzeit eine frische Kanne im Büro für uns bereit.

„Ja, gern.“

Ich folgte ihm nach drinnen und wartete, während er unsere Tassen zurechtmachte. „Ich raffe es immer noch nicht“, sagte er, während er Zucker in unsere Tassen löffelte. „Es ist seltsam.“

„Was begreifst du nicht? Danke.“ Ich nahm einen Schluck.

„Dieses ganze Schwulending.“

Ich bemühte mich, meinen Gesichtsausdruck neutral zu halten, und antwortete mit einem einfachen, „Oh, wirklich?“

Er zuckte mit den Schultern und lehnte sich mit der Hüfte gegen den Schreibtisch. Marie tippte weiter an ihrem PC und machte die monatliche Inventur.

„Ich mein ja nur. Wenn die Typen ficken wollen, dann sollen sie es doch nicht so zur Schau stellen. Warum muss ich mir die Scheiße angucken?“

Tief ein- und ausatmen.

„Hast du zwei Typen beim Ficken gesehen?“

„Nein! Was zur Hölle?“ Lennie hustete und stellte seine Tasse ab. „Ich meine die Typen, denen wir geholfen haben. Die waren doch offensichtlich … schwul halt. Ich will nicht wissen, was die in ihrem Bett treiben.“

„Dann frag nicht“, gab ich zurück. „Sie sind verheiratet. Ich habe ihre Ringe gesehen. Sie haben nichts getan, was ein Heteropärchen nicht auch tun würde. Was kümmert es dich, was sie zu Hause tun?“

Lennie runzelte die Stirn und nahm seinen Kaffee. Marie hatte ihre Aufgabe beendet und drehte ihren Stuhl, um mitzuhören.

„Ich denke nicht gerne daran, dass Kerle meinen Schwanz lutschen wollen.“

„Ihh, Lennie, sei nicht so ekelig.“ Marie kicherte.

Fuck. Ich mochte diesen Job sehr und wollte ihn nicht aufgeben müssen.

„Hat dich einer von ihnen angemacht? Gesagt, dass sie Sex mit dir wollen? Ich habe nichts dergleichen gehört. Ich meine, betrachte es doch mal so: Willst du mit jeder Frau ins Bett gehen, die du siehst? Nein. Glaubst du, jede Frau will dich? Das bezweifle ich. Nicht jeder, den du triffst, will dir an die Wäsche, egal ob schwul oder hetero.“

Das schien ihn zum Schweigen zu bringen, und wir tranken unseren Kaffee schweigend aus. Die ganze Unterhaltung hatte mich den Rest des Nachmittags über nervös und reizbar werden lassen. Und als Lennie mich nach Feierabend fragte, ob ich mit seinen Kumpels abhängen wollte, lehnte ich ab.

„Ich kann nicht. Hab andere Pläne. Ein andermal?“

„Ja, klar.“ Ein Muskel zuckte an seinem Kiefer. „Du bist angepisst. Wegen dem Schwulending?“

Der Wunsch, reinen Tisch zu machen, rang mit praktischem Denken. Ich kannte Lennie noch nicht so gut, und nach unserer Unterhaltung am Nachmittag fühlte ich mich nicht eben sicher. Etwas sagte mir, dass ich noch warten sollte, bevor ich die Wahrheit offenbarte.

„Ne.“ Ich lächelte ihn gewinnend an und hoffte, dabei überzeugend auszusehen. „Ernsthaft. Ich hab was mit den Jungs aus meiner Gegend vor. Frag mich definitiv wieder, ja?“

Ohne auf eine Antwort zu warten, winkte ich ihm, öffnete meine Autotür und schloss sie hinter mir. Die Reifen quietschten und spuckten Split, als ich den Motor anwarf und losfuhr.

Während ich durch die Stadt fuhr, wanderten meine Gedanken zu diesen zwei Typen, die ihr „glücklich bis ans Ende“ in ihrem neuen Haus lebten und dann weiter zu Frankie und mir, wie wir versuchten, unsere Beziehung zu sortieren, während seine Eltern und Freunde gegen uns waren. Ein harter Knoten bildete sich in meinem Magen.

„Woher hast du denn die Narbe?“

Das Quietschen von Bremsen und lautes Hupen rissen mich aus meiner Trance. „Fuck.“ Ich war bei Rot über die Ampel gefahren. Schnell sah ich mich um, ob irgendwelche Cops in der Nähe waren. Mein Herz pochte so heftig, dass mir schwindelig wurde. Ich musste aufpassen und für die nächsten paar Blocks konzentrierte ich mich nur auf den Verkehr und blendete alle anderen Gedanken aus. Während ich an einer roten Ampel wartete, blinkte mir ein Schild auf der gegenüberliegenden Straßenseite entgegen. Ich wünschte mir nichts sehnlicher als ein Bier. Kühl, weich und ein wenig herb. Verdammt. Nichts hatte mir früher so gut geschmeckt wie ein gut gekühltes Bier nach einem langen Arbeitstag.

Doch in dem Wissen, wie ich mich verhielt, wenn ich getrunken hatte − gemein, beleidigend und herablassend gegenüber Frankie − hatte ich geschworen, nie wieder zu trinken, nachdem ich aus dem Gefängnis gekommen war. Und bisher hatte ich mein Versprechen gehalten.

„Nein.“ Ich schlug gegen das Lenkrad. „Konzentriere dich. Behalt das Ziel im Auge.“ Die Ampel schaltete auf Grün und so vorsichtig wie möglich, darauf bedacht, mich an die Geschwindigkeitsregeln zu halten, gelangte ich ohne weitere Zwischenfälle nach Hause.

Frankie war nicht daheim, da er mal wieder mit Austin, Cort und ihrem anderen Tanzfreund in der Stadt essen war. Sie hatten sich versprochen, sich einmal in der Woche zu treffen, um sich nicht aus den Augen zu verlieren. Es machte Sinn, dass er heute, wo er am Abend tanzen würde, mit ihnen in der Stadt war. Ich hatte nie wirklich Freunde gehabt und musste gestehen, dass ich ein wenig eifersüchtig auf ihre kleine Clique war.

Nachdem ich geduscht und ein Sandwich gegessen hatte, streckte ich mich auf dem Sofa aus. Nach fast einem Jahr im Gefängnis würde jeder ein wenig Ruhe und Privatsphäre genießen und solange ich drinnen war, hatte ich mir nichts sehnlicher gewünscht als genau das: herumzuliegen, fernzusehen und zu tun, was ich wollte, statt was man mir befahl. Nicht vierundzwanzig Stunden am Tag unter Beobachtung zu stehen, hatte schon etwas für sich. Und doch fühlte ich mich aus irgendeinem Grund ruhelos und drehte mich auf die andere Seite. Ich vermisste Frankie. Seit dem Moment vor vier Jahren, als ich ihn dabei beobachtet hatte, wie er ganz von der Welt entrückt zu der Musik seiner Kopfhörer tanzte, während er seine Wäsche im Waschsalon zusammenlegte, hatte ich ihn nicht mehr aus meinem Kopf bekommen können.

„Als hättest du mich verzaubert, oder so.“

„Ha ha, ich bin zwar schon öfter Prinzessin genannt worden, aber noch nie eine Hexe.“

Wir waren zwei Wochen lang miteinander ausgegangen, bevor wir zum ersten Mal Sex hatten und ich ihm endlich gestanden hatte, wie angezogen ich mich von ihm fühlte.

„Was würdest du davon halten, wenn ich dich Mein nennen würde?“ Ich hatte meinen Atem angehalten, während ich beobachtete, wie sich seine Augen vor Überraschung weiteten.

„Wie meinst du das?“

Die späte Nachmittagssonne hatte sich über unsere verschwitzten nackten Körper ergossen. Im Laufe des Tages waren wir am Strand spazieren gegangen und hatten Pizza im Spumoni Gardens gegessen. Müde von der Wärme und dem Essen waren wir dann zu Frankie gegangen, um ein Nickerchen zu halten. Als ich erwachte, lag Frankie eingekuschelt in meinen Armen.

„Bitte“, flüsterte ich und küsste Frankies lange Wimpern und seinen vollen Mund. „Ich will dich so sehr. Ich brauche dich.“

„Wirklich?“

Ich nickte. „Hier.“ Ich nahm seine Hand und führte sie zu meiner Erektion. „Fuck. Du brauchst mich nur zu berühren und schon bin ich bereit. Nur du.“

Sein Griff wurde fester. „Nur ich. Wenn wir zusammen sein wollen, dann muss es exklusiv sein.“

„Oh ja.“ Ich stöhnte, als er begann mich zu streicheln. „Nur du.“ Ich stieg aus meinen Shorts und er blies mir einen.

Seit diesem Tag war Frankie wie ein Fieber in meinem Blut, und ich konnte nicht von ihm lassen. Frankie wurde ein Teil von mir.

Ich hatte es so vermasselt.

Ich hatte den süßesten, attraktivsten, liebevollsten Menschen der Welt genommen und sein Vertrauen missbraucht, um zu beweisen, dass ich ein Mann war. Die Art Mann, die ich mir geschworen hatte, nie zu werden. Während meiner Zeit im Knast hatte ich die Geschichten von Menschen mit einem Hintergrund, wie meinem gelesen − Gewalt, Drogen, Verlassen werden − und verstanden, dass wir alle Schwierigkeiten hatten, weil das alles war, was wir kannten. Wir wurden in diesem Kreislauf aus Hoffnungslosigkeit und Hass groß, bemerkten sogar, dass das, was wir taten, falsch war, doch ohne Hilfe konnten wir uns nicht befreien.

Es war acht und ich wusste, dass Frankie gegen halb zehn anfangen würde zu tanzen. Er dachte, ich wolle ihn nicht tanzen sehen, weil ich auf die anderen Männer eifersüchtig war, die ihn berührten. Das gefiel mir zwar nicht, aber es war nicht ganz das Problem. Mir gefiel zu wissen, dass es ihm nichts bedeutete, was auch immer er dort tat. Dass er mein war. Vielleicht sollte er das wissen.

Mit dem Kopf voller Pläne sprang ich vom Sofa auf, zog mich um und machte mich auf den Weg in die Stadt.

***


„Sie werden keinen Ärger machen, oder?“ Der stämmige Türsteher starrte mich an, doch ich ließ mich nicht einschüchtern und erwiderte seinen Blick.

„Ich bin nur hier, um Frankie tanzen zu sehen. Ich kann mich zurückhalten, keine Sorge.“

„Oh, ich bin nicht besorgt.“ Seine weißen Zähne blitzten auf. „Ich habe überhaupt keine Sorgen.“ Er gab mir meinen Führerschein zurück. „Gehen Sie rein.“

Ich konnte dem Mann keine Vorwürfe machen und es fühlte sich gut an zu wissen, dass Frankie Leute um sich hatte, die auf ihn aufpassten. Britneys ‚Toxic‘ schallte durch den Raum und es dauerte einen Moment, bis sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Dann sah ich ihn. Zu Hause lief Frankie manchmal nackt umher, mit nichts als der Krone auf seinem Kopf. Und manchmal schnappte ich ihn mir und witzelte darüber „sein Zepter zu lutschen.“ Doch hier wirkte er mysteriös und machtvoll. Das Licht erhellte ihn wie eine Aura und die seidige purpurne Robe wallte um seinen Körper. Ich stand im Schatten und beobachtete, wie Frankie sich durch die Menge bewegte. Sie in seinen Bann zog. Jeden Einzelnen. Er tänzelte durch die Grapscher, die nur auf eine Gelegenheit warteten.

„Er hat sie alle um den Finger gewickelt.“

Ich drehte mich um und fand mich einem großen Mann mit stechendem Blick gegenüber. Der Besitzer, James. Er redete nicht viel, doch von Frankie wusste ich, dass er auf die Jungs achtgab und nur das war mir wichtig.

„Ja, so ist er.“

„Oh?“ Er hob eine Braue. „Und Sie? Hat er Sie auch in seinen Bann gezogen?“

Ich zögerte und beobachtete, wie Frankie zu einer Gruppe Männer hinüber tanzte, die irgendetwas feierten. Ein Mann klopfte sich auf den Schoß und Frankie beugte sich vor und flüsterte ihm etwas ins Ohr. In Anbetracht der Röte, die dem Mann ins Gesicht stieg, wusste ich, dass Frankie vorgeschlagen hatte, für einen privaten Tanz in eines der Hinterzimmer zu gehen. Und es störte mich nicht. Eine Privatvorführung bedeutete mehr Geld für Frankie.

„Wie könnte ich nicht? Schauen Sie ihn doch an.“ Der Mann schüttelte bedauernd den Kopf, doch Frankie setzte sich auf seinen Schoß und seine Freunde toasteten ihnen zu.

„Das ist nur Show. Ich hoffe, das verstehen Sie.“

„Ja. Ich weiß. Er und ich … das ist kompliziert. Aber ich weiß, dass es ihm nichts bedeutet. Dass es nur eine Vorführung ist.“

Ein leises Lachen entkam James’ Lippen. „Wenn dem nicht so wäre, hätte ich den Laden längst zumachen müssen. Die meisten dieser Männer sind aus Langeweile hier. Sie suchen nach einer Fantasie und gehen dann zurück in ihre Alltagswelt mit Liebhabern, mit denen sie schon zu viele Jahre zusammengelebt haben, als dass sie ihnen noch ein Abenteuer bieten könnten.“ Er nippte an seinem Drink und beobachtete die Bühne, wo Frankies Freund Cort in arschlosen Cowboy-Chaps einen der Besucher mit einem Lasso einfing und dann begann, für ihn zu tanzen. Das Klatschen und die Rufe machten es schwer, etwas zu verstehen und ich lehnte mich näher zu James, um ihm zu antworten.

„Ich war noch nie gelangweilt von Frankie. Ich liebe ihn, seit ich ihn das erste Mal gesehen habe.“

„Nein, das tun Sie nicht.“ James stellte sein Glas auf den Tresen und lehnte sich dagegen. „Sie begehren ihn. Begehren ist leicht. Es braucht nicht mehr als einen harten Schwanz.“

Diese groben Worte passten nicht zu dem elegant gekleideten Mann vor mir und als ich ihn überrascht anstarrte, lächelte er.

„Haben meine Worte Sie schockiert? Das sollten sie nicht. Sie wissen, dass ich die Wahrheit sage. Man muss jemanden kennen, um ihn zu lieben. Ansonsten geht es nur um Sex.“ Er deutete auf die Menge. „Und das verkaufe ich ihnen. Sex. Eine Fantasie. Aber fragen Sie sich selbst. Kennen Sie Frankie wirklich? Sie sind fast ein Jahr lang weg gewesen. Er ist nicht mehr derselbe Mann, den Sie zurückgelassen haben.“

Eine Mischung aus Ärger und Scham durchflutete mich und ich wollte James widersprechen, ihm sagen, dass er einen Scheiß über uns wusste.

„Frankie und ich kennen uns seit vier Jahren. Wir haben eine Vergangenheit.“

„Und wie ist es ihm in dieser Vergangenheit ergangen? Waren Sie gut zu ihm? Haben Sie ihn und Ihre Beziehung zu schätzen gewusst?“ James strich seine Krawatte glatt und nahm sein Getränk wieder in die Hand. „Vertrauen muss man sich verdienen. Nicht erzwingen. Denken Sie darüber nach“, sagte er und ging davon.

Erst der Typ an der Tür, jetzt James. Vielleicht war es doch keine so gute Idee gewesen, hierher zu kommen.

„Ich weiß, was Sie denken.“ Der Barkeeper lehnte sich gegen den Tresen, um ihn trocken zu wischen. „Was zur Hölle weiß der Kerl schon über mein Leben, nicht wahr?“

„Öhm, ja.“ Pfeifen und Klatschen lenkten meine Aufmerksamkeit zur Bühne, wo Frankie jetzt, da er seinen Tanz für den Kunden beendet hatte, mit seinem Auftritt an der Reihe war. Er stand da, mit nichts als seiner Krone, dem Cape und einem Jock bekleidet, und wand sich um einen großen maskierten Mann. Geld regnete auf sie herab und beide begannen schneller zu tanzen. Ich war beeindruckt von ihrer Choreografie. Ich hatte Frankie schon lange nicht mehr tanzen sehen, und er hatte gelernt, seinen Körper zu benutzen, um seine wohlgeformten Muskeln zu betonen.

„Er kennt sich aus, vertrauen Sie mir. Es ist James wichtig, über die Männer, die für ihn arbeiten, herauszufinden, was er kann.“

„Er wird mir keine Chance geben. Ich kenne diese Typen. Er ist wie Frankies Freund Austin. Alle warten nur darauf, dass ich es wieder versaue.“

Der Barkeeper stützte seine kräftigen Unterarme auf den Tresen. „Zuerst mal, was wollen Sie trinken?“

„Ähm, nichts, Mineralwasser.“

Er warf mir einen nachdenklichen Blick zu und füllte das Glas auf. „José.“ Er streckte mir seine Hand entgegen.

Ein bisschen überrascht schüttelte ich sie nach kurzem Zögern. „Aaron.“

„Ja, ich weiß.“ Er grinste mich an und ging nahtlos zum ‚Du‘ über. „Weißt du, ich habe Neuigkeiten für dich, Aaron. Ich sag es dir ja nur ungern, aber du bist nicht der Mittelpunkt der Welt für jeden hier.“

Ich blinzelte. „Hä?“

„Es bist nicht du, um den wir uns alle Sorgen machen. Sondern Frankie. Niemand wartet darauf, dass du es versaust. Wir wollen nur sichergehen, dass es Frankie gut geht.“

Ich fühlte mich doof und hasste das Gefühl. Bevor ich weg gewesen war, hätte ich einen Streit mit ihm angezettelt und wäre vermutlich rausgeflogen. Aber das war damals. Im Gefängnis zu sein, hatte mich eines gelehrt: Ich würde nie wieder etwas tun, was mich dorthin zurückbringen könnte. Die Therapie hatte mich gelehrt, meinen Kopf einzuschalten, bevor ich meine Fäuste benutze.

Würde es immer so sein? Dass ich mich wieder und wieder würde beweisen müssen, egal wohin ich ging?

Die Performance war zu Ende und ich beobachtete, wie Frankie und sein Partner ihr Trinkgeld einsammelten. Dann posierten sie für Fotos, und Frankie hörte nicht einen Moment lang auf zu lächeln. Egal wie müde er war, als Showman wusste er, dass er die Performance aufrechterhalten musste. Nur ich bekam den echten Frankie zu Gesicht.

Der große maskierte Mann wirkte ernster, und ob nun Teil seiner Rolle oder nicht, sein Lächeln schien eher schmerzvoll denn natürlich. Ich fragte mich, was seine Maske verbarg. Was auch immer er tat, es wirkte. Die Leute mochten das Mysteriöse und standen Schlange für Fotos mit ihm.

„Frankie wird gleich herkommen und mir sein Trinkgeld geben.“

Wie um José recht zu geben, begannen Frankie und der andere Mann, sich einen Weg durch die Menge zu bahnen, immer wieder innehaltend, um sich zu unterhalten und den Leuten, die ihnen zuwinkten, Küsschen zuzuwerfen. Als Frankie mich erblickte, kam er sofort herübergerannt und umarmte mich. Es störte mich nicht, dass seine Haut verschwitzt und ölig war. Sobald er seine Arme um mich geschlungen hatte, konnte ich zum ersten Mal in dieser Nacht frei atmen.

„Was machst du denn hier?“ Er schob die Krone zurück und wischte seine Locken aus dem Gesicht. „Ich dachte, du wolltest nicht herkommen und mich hier sehen.“

„Ich mag es immer, dich zu sehen.“ Ich drückte ihn in Hüfthöhe. „Mir ist langweilig geworden, und ich wollte meinen Freund sehen.“

Auf diese Worte hin überzogen sich Frankies Wangen mit einer leichten Röte. Als der andere Tänzer José sein Trinkgeld gab, sagte er: „Wie süß. Frankie, du weißt ja immer noch, wie man errötet.“

Auch Frankie überreichte sein Geld, legte den Kopf schief und klimperte mit den Wimpern. „Ich erröte nicht, Tristan. Ich strahle, Baby.“

José gab Frankie einen Margarita und Frankie trank ihn mit einem Seufzen. „Ah, lecker.“ Er wand sich und schmiegte sich näher an mich. „Hübsch hier. Ich bin froh, dass du gekommen bist.“

„Ich auch.“ Ich nippte an meinem Mineralwasser und sah Frankies Augen auf meinem Glas ruhen. Er verspannte sich und ich fauchte, „Das ist nur Wasser, Mann. Ich habe dir doch gesagt, ich trinke nicht. Ich bin doch nicht blöd, weißt du.“ Ich biss die Zähne zusammen.

„Ich hab doch gar nichts gesagt.“

Frankie entfernte sich einen Schritt von mir. José runzelte die Stirn und schüttelte seinen Kopf.

Verdammt.

„Ich hätte das nicht sagen sollen.“ Ich berührte Frankie an der Schulter. „Tut mir leid. Wirklich.“

Frankie wusste, wie hässlich es werden konnte, wenn ich trank. Er legte seinen Kopf zurück an meine Brust und ich konnte der Versuchung nicht widerstehen, ihn auf die Wange zu küssen. Sie war warm und glatt und es kostete mich all meine Selbstbeherrschung, um nicht seinen Mund mit meinem zu bedecken und jedem zu zeigen, zu wem er gehörte. Doch dann erinnerte ich mich daran, dass ich nicht das Recht dazu hatte. Das musste ich mir erst wieder verdienen, und ihn zu bedrängen, und sei es nur mit einem Kuss, würde das Vertrauen zerstören, das wir gerade dabei waren wieder aufzubauen. Vielleicht hatte sein Boss James doch recht.

Also hielt ich ihn, fuhr fort, seinen Hals zu liebkosen, und lauschte dem Puls, der unter meinen Lippen raste.

„Danke, dass du gekommen bist, um mir zuzusehen“, flüsterte er in mein Ohr. „Das bedeutet mir viel. Und mir tut es auch leid.“

„Was denn?“

Frankie stellte seinen angefangenen Drink zurück auf die Theke. „Ich sollte in deiner Gegenwart nicht so viel trinken. Ich werde es langsamer angehen lassen.“

„Du bist wundervoll. Danke. Ich will dich unterstützen. Ich weiß, das habe ich früher nicht getan und das war falsch. Du bist wirklich gut darin.“ Ich hob meinen Kopf, um Tristan mit einzubeziehen. „Der Tanz, den ihr zwei da hingelegt habt, war echt cool.“

Tristan nickte, wandte sich dann so schlagartig um, dass sein schwarzes Cape hinter ihm flatterte, und schlenderte davon, um sich einer Gruppe älterer Männer anzuschließen, die den Kellner herüberwinkten, um ihre Gläser auffüllen zu lassen. Er begann zu tanzen, rieb sich an einem Mann, der seine Hüften ergriff und ihn drängte, weiter zu machen.

„Was ist seine Geschichte?“ Ich stupste Frankie an.

„Keine Ahnung. Er redet nicht wirklich viel mit uns. Bleibt mehr für sich.“ Er drehte sich zu mir um und ich hielt ihn zwischen meinen Armen gefangen. „Ich muss wieder zurück, sonst kriege ich Ärger mit James.“

„Mmmh. Okay. Wie wäre es mit einem Kuss, um mich über Wasser zu halten, bis du fertig bist?“

„Wirst du bis zum Schluss bleiben?“

Eigentlich wollte ich seine Lippen nur leicht streifen, doch ich konnte nicht widerstehen und vertiefte den Kuss, bis wir aneinanderhingen, unsere Münder und Zungen für unsere Herzen sprechend, bis mir schwindelig wurde. Mein Herz pochte und als ich mich wieder beisammen hatte und wir uns trennten, umhüllte uns der Klang von Lachen und Beifallsrufen.

„Ähm, ja. Wenn du das möchtest.“

Ich hatte Frankie seit unserem ersten gemeinsamen Weihnachten nicht mehr so glücklich gesehen. „Ich möchte. Aber erst mal muss ich los.“ Er setzte das Lächeln, das, wie ich nun wusste, nur für die Menge bestimmt war, wieder auf, tanzte davon und war bald inmitten einer Gruppe von Mittdreißigern, die, den Flaschen auf ihrem Tisch nach zu urteilen, Geld loszuwerden hatten. Zugegebenermaßen brannte es in meinem Magen, als ich sah, wie diese Männer Frankies Arsch betatschten und ihn begrapschten. Als er einen von ihnen küsste und sich auf seinem Schoß wand, brauchte ich eine Abkühlung und verließ den Club, um draußen auf und ab zu wandern und die Abendluft mein erhitztes Gemüt kühlen zu lassen. Ich dachte, ich hätte mich im Griff, doch offenbar hatte ich falschgelegen.

„Aaron?“ Frankie stand fröstelnd vor mir, nackt bis auf ein paar dünne Shorts, ein purpurnes Cape und ein paar Stiefel.

„Mir geht’s gut. Geh wieder rein.“ Ich lehnte mich gegen die dreckige Ziegelsteinmauer und beobachtete, wie der Verkehr an uns vorbei zog.

„Nicht, bis ich nicht rausgefunden habe, warum du aus dem Club gelaufen bist, wie von der Tarantel gestochen.“ Er stand so nah vor mir, dass ich keine Wahl hatte, als ihm ins Gesicht zu sehen.

Ich wollte ihn anfahren, mich in Ruhe zu lassen, doch wohin würde das führen? Genau dorthin, wo wir vor einem Jahr gestanden hatten. Und Frankie gegenüber wäre es ungerecht, nachdem ich ihm gesagt hatte, es würde mich nicht stören. Doch es in unserem Apartment zu sagen, war etwas ganz anderes, als es im Club live zu sehen.

„Ich habe gesehen, wie der Typ dich berührt und geküsst hat … und du hast mitgemacht. Ich weiß, es ist nur gespielt, aber es direkt vor mir zu sehen?“ Ich schluckte schwer. „Das ist irgendwie schwierig.“

Die Anspannung wich aus Frankies Gesicht. „Tut mir leid. Und vielleicht hast du recht und wir sollten darüber reden. Aber könntest du für heute Nacht einfach wieder mit reinkommen?“ Er legte seine Arme um mich. „Mir frieren die Eier ab, das heißt weniger Trinkgeld.“

„Ja. Sorry. Ich hätte nicht einfach so wegrennen sollen.“ Es war ja nicht so, als hätte er dem Kerl einen runtergeholt oder einen geblasen. Himmel, es gab Kerle, die drehten Pornos und hatten Partner. Wer war ich, mich darüber zu beschweren, wenn jemand in einem Stripclub ein bisschen grabbelte? „Ich bin bereit. Lass uns zurückgehen.“

Bevor wir wieder hineingingen, gab ich Frankie einen Kuss. „Ich werde dir nicht noch mehr Ärger machen. Ich bin froh, dass du meine Seite sehen kannst.“

„Das liegt daran, dass deine Seite direkt neben mir ist.“

Für die nächsten zwei Stunden saß ich, abgesehen von ein paar Toilettengängen wegen all des Wassers, das ich trank, an der Bar und sah Frankie bei seiner Performance zu. Er stand mit Anmut und Stolz dazu, wer er war. Frankie blühte auf im Rampenlicht. Er liebte das Publikum und seine Fans liebten ihn, wie der Haufen Scheine zu seinen Füßen bewies. Der Mann, der auf mich angewiesen war, um Entscheidungen zu treffen und ihm sagte, was zu tun sei, war verschwunden. Frankie hatte sich verändert.

Die Lichter gingen an und die Musik wurde leiser. Überrascht bemerkte ich, dass es Zeit war zu gehen. Ich schob dem Barkeeper einen Zwanziger zu. „Ist das genug?“ Ich hatte drei Mineralwasser getrunken und war dann zu stillem Wasser gewechselt.

Er schob das Geld zurück. „Geht auf mich.“

„Nein, Mann,“ versuchte ich ihn zu überzeugen, doch als das zu nichts führte, nahm ich einen Fünfer und legte ihn vor mich. „Nimm wenigstens das, für alles, was du für mich getan hast.“

José steckte das Geld ein und legte seinen Kopf schief. „Was habe ich denn getan?“

„Du hast zugehört. Mir den Kopf geradegerückt. Mich wie einen Menschen und nicht wie einen Kriminellen behandelt.“

„Weißt du, niemand von uns ist perfekt. Wir bauen alle mal Scheiße. Aber man sollte draus lernen.“

Hector, der stämmige Türsteher vom Eingang ging an mir vorbei, beugte sich vor und gab José einen Kuss auf die Lippen. „Können wir bald gehen?“

„Ich muss noch das Geld zählen und James geben. Gib mir noch zwanzig Minuten.“

Whoa. Das hatte ich nicht kommen sehen. Ich hatte nicht gewusst, dass die beiden schwul waren. Aber wer wusste dieser Tage schon irgendetwas?

Hectors braune ernste Augen bohrten sich in meine. „Du hast dich heute Abend gut geschlagen. Mach weiter so.“

Sein Ton brachte mein Blut zum Kochen, doch es war nicht mehr, als ich verdient hatte. Ich war ins Gefängnis gegangen, nachdem ich jemand bei einer Kneipenschlägerei verprügelt hatte, weil ich meinen Frust über Frankie an einem Fremden ausgelassen hatte.

Frankie kam herübergehüpft, nach seinem Lieblingsaftershave riechend, sein Haar in dunklen feuchten Locken. Ich liebte es, ihn so zu sehen, sein Gesicht frisch und sauber, befreit von all dem Make-up, das er auf der Bühne trug.

„Ich bin bereit. Bist du gefahren?“

„Ja.“ Ich erhob mich, steif vom Sitzen und streckte meinen Rücken. „Ich stehe eine Straße weiter.“ Ich hob zwei Finger an die Stirn und salutierte, um mich von José zu verabschieden. „Danke für alles, Mann.“

„Hoffe, es hat geholfen.“

Frankie und ich verließen den Club, mein Arm um seine Schulter gelegt. „Mir gefällt der Gedanke nicht, dass du so spät nachts alleine nach Hause gehst, also werde ich dich von jetzt an abholen.“

Statt mein Angebot anzunehmen, blieb Frankie still an meiner Seite, während wir darauf warteten, dass der Parkwächter mein Auto brachte. Als wir eingestiegen waren und uns angeschnallt hatten, legte er seinen Kopf schief. „Was glaubst du, habe ich getan, während du im Gefängnis warst?“

„Hä?“ Ich konzentrierte mich auf den Verkehr und achtete nicht zu sehr auf das, was Frankie sagte. „Ich kann nicht glauben, dass unter der Woche so viele Leute noch so spät nachts unterwegs sind.“

„Ich sagte, was glaubst du, habe ich getan, während du im Gefängnis warst? Wie glaubst du, bin ich nach Hause gekommen?“

„Oh.“ Ich hielt an einer roten Ampel. „Ähm … Ich weiß nicht.“

„Ich habe den Zug genommen. Jede einzelne Nacht. Alleine. Ich bin nicht erst mit dem Auto in die Stadt gegurkt. Ich wäre eh zu müde gewesen, um so spät noch nach Hause zu fahren.“

„Na ja, jetzt müsstest du es nicht mehr. Ich bin hier.“ Ich lächelte ihn an, doch er antwortete mit einem Stirnrunzeln.

„Darum geht es gar nicht. Ich weiß das Angebot zu schätzen, aber du kannst nicht immer so lange aufbleiben. Du hast jetzt einen Job und musst früh raus. Ich bin es gewohnt.“

„Aber …“

„Nein“, sagte Frankie, mit einem störrischen Ausdruck, den ich noch nie zuvor an ihm gesehen hatte. „Du musst dich daran gewöhnen, dass ich jetzt anders bin. Unabhängig. Wesentlich mehr, als bevor du weg warst. Ich bin nicht mehr der „gib-jederzeit-nach“, „was-immer-du-möchtest“-Typ. Ich habe im Lauf des letzten Jahres gelernt, für mich selbst einzustehen.“

„Oh, verstehe.“ Ein Teil dessen, was ich an Frankie liebte, war, wie sehr er auf mich angewiesen war. Nun musste ich mich weiterentwickeln und lernen, ihn für seine Reife und Stärke zu lieben.

„Ist das ein Problem?“, sagte er in herausforderndem Tonfall. Ich versuchte, so beruhigend wie möglich zu lächeln.

„Nein, natürlich nicht. Wir müssen uns beide erst wieder aneinander gewöhnen. Du hast dich verändert, genauso wie ich.“

„Ja. Das weiß ich.“

Ich ließ diese Bemerkung fürs Erste stehen. Ich wusste, dass Frankie mehr mit mir über meine Zeit im Gefängnis reden wollte, doch ich konnte nicht. Noch nicht. Falls überhaupt jemals.

Frankie - Unvergesslich

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