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2. Die Erben der hellenistisch-kaiserzeitlichen Stadtkultur: Die islamische und die byzantinische Stadt

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islamische Stadt

Die hellenistisch-kaiserzeitliche Stadt des Vorderen Orients mit ihrem regelmäßigen Grundriss und dem Hauptstraßenkreuz überformte auch das Stadtbild zahlreicher altorientalischer Städte – von Damaskus und Aleppo in Syrien bis Herat im heutigen Afghanistan –, und ebenso dominierte sie Neugründungen. Aus ihr entwickelte sich die so genannte islamische Stadtkultur, die sich ihrerseits fast im gesamten Mittelmeerraum verbreitete: Die muslimischen Araber kannten als nomadisches Wüstenvolk keine Städte und übernahmen die vorgefundenen Traditionen einer mittelmeerischen Stadtkultur mit leichten Modifikationen aufgrund des mitgebrachten neuen Glaubens. Nun lag, häufig an der Stelle früherer Tempel, die Große Moschee – in enger Nachbarschaft zu den wichtigsten Medresen (gelehrte Schulen) – in der Nähe oder im Schnittpunkt der Hauptstraßen und nahe der in die Stadtmauern miteingeschlossenen Zitadelle. Die Hauptachsen der Stadt waren von langgezogenen, meist überdachten Suqs oder Basaren gesäumt, in denen die zentrale Markt- ebenso wie gewerbliche und Dienstleistungsfunktion der Städte repräsentiert waren. Die freien Plätze (agorai, fora) wurden überbaut.

Von den Hauptstraßen ab gingen kleinere Straßen und ein Gewirr von Sackgassen hinein in die vom öffentlichen Bereich deutlich abgetrennten Wohnviertel, die durch Mauern und Tore voneinander abgeschlossen waren. Dies vereinfachte nicht zuletzt das in den orientalischen Städten ganz übliche, in Mitteleuropa aber praktisch unbekannte Zusammenleben verschiedener Ethnien und Religionen. Möglicherweise stammt auch dieses System bereits aus dem Hellenismus (hätte sich dann allerdings nicht in der Römerzeit in den Westen fortgesetzt): So scheinen in Antiochia und Alexandria schon in vor-islamischer Zeit die Stadtviertel einzeln ummauert gewesen zu sein. Auch für die islamische Stadt ist typisch die nicht-agarische Produktion, die Funktion als Handelsplatz, Sitz der Regierungsgewalt und Dienstleistungszentrum (was Funktionen wie die von Schule, Universität und Kultzentrum und damit Dienste wie die von Gelehrten und Priestern einschloss).

Im Laufe des Mittelalters hatten Europäer manche Berührung mit diesen islamischen Städten und mögen manche Anregung über Befestigungsanlagen hinaus mit zurück nach Europa genommen haben: Italienische Händler, die ihre Fondacchi in einem der ummauerten Stadtviertel einrichten durften, ebenso wie Kreuzfahrer, die das Stadtbild des ersehnten Jerusalem – das den europäischen Christen als Stadt Jesu und nicht als hellenistische oder gar islamische Stadt erschien (es aber dennoch war) – in sich aufnahmen und die ihre Viertel in Städten wie Akkon innerhalb vorhandener Strukturen oder in deren Nachahmung einrichteten. In Süditalien hielten sich Stadtviertelbildungen aus islamischer Zeit, und auch die islamischen Städte in Spanien überdauerten die christliche Reconquista und konnten zu Vorbildern werden. Möglicherweise ist zum Beispiel die Idee der abgeschlossenen Siedlungen für Juden – die sich zwar erst im 15. Jahrhundert durchsetzte, aber um 1200 vermutlich aus Süditalien in die kirchliche Gesetzgebung eindrang – aus islamischem Vorbild abgeleitet. Dafür allerdings, dass sich die Basarstraßen und die mehr oder weniger festen Marktbudenreihen entlang der Hauptstraßen der mitteleuropäischen Städte ähneln, braucht man wohl nicht über das Praktische hinaus einen transkulturellen Austausch verantwortlich zu machen.

Byzanz

Fortsetzer der spätantiken Kultur war nicht zuletzt das oströmische, später byzantinische Reich auf hellenistischem Boden. Während alle Ansätze von Stadtkultur im Raum Ostalpen-Pannonien, im nordwestlichen inneren Balkan und nördlich des Schwarzen Meeres mit der römischen Herrschaft verschwanden und es erst Jahrhunderte später zu einem Neuanfang kommen konnte, lebten im Süden wenigstens Reste fort.

Gerade Konstantinopel selbst war eine Stadt, der an Größe und Pracht der Westen nichts Vergleichbares an die Seite stellen konnte. Direkte Kontakte der westlichen Nachfolgereiche der Römer zu diesem christlichen Reich im Osten hat es immer gegeben. Vor allem im Laufe der Kreuzzüge wurden sie zunehmend häufiger. Kontinuierlich bestand die Möglichkeit der gegenseitigen Beeinflussung auch mittelbar durch zahllose Kontakte über das byzantinische Süditalien bis hin zu Venedig. Daneben besteht hier wie im islamischen Bereich die Möglichkeit, im transkulturellen Vergleich die Parallelentwicklung einer Stadtkultur unter anderen Bedingungen zu beobachten.

Auch im Byzantinischen Reich gab es keine echte Kontinuität einer Stadtkultur. Das lag nicht so sehr an der übermächtigen Hauptstadt, die nach dem ausgehenden 6. Jahrhundert das Städtewesen und die Landesorganisation durch Poleis mit Landgebiet weitgehend erdrückt hätte. Sondern zwischen dem 4. und 7. Jahrhundert erlitt das Reich insgesamt infolge von Pest und vor allem der Perserkriege und Arabereinfälle einen immensen Bevölkerungsverlust. So verfiel die Kultur auch der Großstädte, die mit Bädern, Theatern, Hippodromen und öffentlichen Gebäuden Zentren eines regen geistigen Lebens und auch von Handel und Gewerbe gewesen waren, immer mehr. Da jede Stadt Bischofsstadt wurde, griff nicht zuletzt die Christianisierung nachhaltig in das Stadtbild ein, vor allem durch Kirchen-, Kloster- und Hospitalbauten und sogar die in der Antike undenkbare Anlage von Friedhöfen innerhalb der Mauern. Die Bevölkerungsverluste führten zur Aufgabe ganzer Stadtviertel und in Kombination mit der häufigen militärischen Unsicherheit nicht nur in Randgebieten des Reiches zu Verlagerungen der ganzen Siedlung auf die Akropolis. Die Poleis wurden zu Castra mit vornehmlich militärischen Bedürfnissen.

Doch seit dem späten 8. Jahrhundert begann allmählich ein erneuter Aufschwung im Städtewesen. Vorstädte traten zu den Castra hinzu und im 10./11. Jahrhundert blühte die städtische Wirtschaft wieder auf. Kaiserliche Förderung leitete einen deutlichen Reurbanisierungsprozess ein; vor allem auf dem Balkan und in Anatolien prosperierten viele Städte erneut. Topographisch unterschieden sich diese Städte allerdings deutlich von ihren spätantiken Vorgängern: Große offene Plätze und repräsentative Straßen waren verschwunden, während die Zahl der Kirchen und Klöster wuchs. Die dominante Präsenz des Staates verhinderte andererseits auch jegliche kommunale Entwicklung, die für den Westen Europas so prägend werden sollte. Ein letzter Aufschwung für die Städte der byzantinischen Provinzen wurde durch den Verlust der Hauptstadt 1204 eingeleitet; infolgedessen mussten viele Handelsströme auf andere Städte umgelenkt werden. Die letzten Jahrhunderte sahen auf dem immer reduzierteren Territorium des Reiches blühende Handelsstädte, nicht zuletzt dank dem Engagement der italienischen Seestädte.

Die mittelalterliche Stadt

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