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I. Die Vorgeschichte der mittelalterlichen Stadt 1. Städte im Mittelmeerraum: Griechen, Phönizier, Etrusker (Hellenismus und Kaiserzeit)

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Nach den ältesten Städten in verschiedenen Regionen Asiens entstanden nach 2500 v. Chr. auch in Europa befestigte Siedlungen, denen man nach und nach Stadtcharakter zusprechen kann. Es ist hier nicht der Ort, die einzelnen Stadtentwicklungen verschiedener Kulturen nachzuzeichnen. Nur einige wichtige Punkte und Linien seien markiert, die auf das eigentliche Thema dieses Bandes hindeuten. Denn die direkten Ahnen der mittelalterlichen europäischen Stadt standen in erster Linie im Mittelmeerraum: In Anlage und Baugestalt stammen viele deutsche mittelalterliche Städte von römischen Gründungen ab. Auch in anderen Bereichen sind sie immer wieder von in der Antike wurzelnden Traditionen beeinflusst worden.

Zwischen 800 und 300 v. Chr. haben Phönizier, Griechen und Etrusker Kulturen von Stadtstaaten ausgebildet. Durch die Gründung von Frühformen von Städten (Apoikien, das heißt autonomen Kolonien von Polis-Charakter, unter anderem auch zu Handelszwecken) an den Küsten des Mittelmeeres, vor allem durch Phönizier und Griechen, wurden bestimmte Elemente der Stadtanlage überall verbreitet und konnten sich verschiedene Traditionen – darunter nicht zuletzt die altorientalische – vermischen und gegenseitig beeinflussen. Die anschließenden Großreichbildungen Alexanders des Großen und der Römer sorgten in repräsentativer wie pragmatischer Absicht für zunehmende Vereinheitlichung des Städtebaus und trugen ihn in weitere Gegenden. Zunächst sorgte der Hellenismus der alexandrinischen Nachfolgereiche – Sammelbecken für die vielen, gewiss auch untereinander zusammenhängenden Einflüsse aus altorientalischer, ägyptischer, kleinasiatischer, mykenisch-frühgriechischer Wurzel – mit seiner bewussten Urbanistik im Osten des Raumes für eine Überformung bestehender Städte und für Neugründungen im hellenistischen Geiste. Die Römer, die der etruskisch-altitalischen Städtelandschaft entstammten, verbanden anschließend bodenständige Elemente wohl mit altorientalisch-phönizisch-karthagischen und jenen der Apoikien Süditaliens und sicher mit hellenistischen zur kaiserzeitlichen imperialen Bautradition.

Es ist im Einzelnen und gerade bei den auffälligsten und verbreitetsten Elementen oft schwierig festzustellen, welche Formen der Stadtanlage wann vorhanden waren, ob ein Anlageelement der altgriechischen Polis, der altorientalischen Stadt oder den Städten des westlichen Mittelmeeres entstammt – sind doch die meisten Städte immer wieder (auch in späteren Jahrhunderten) überformt worden. In unserem Zusammenhang gilt es festzuhalten, dass es in der Spätantike im gesamten Mittelmeerraum eine aus verschiedensten Elementen zusammengewachsene, aber in ihren Grundzügen verhältnismäßig einheitliche, hellenistisch-kaiserzeitliche Stadtanlage-Tradition gab. Festmachbare Ursprünge und Überformungen werden daher im Folgenden zusammenfließen.

griechische Poleis

Von Anlage und Aussehen her glichen die griechischen Poleis in vielem den altorientalischen Städten, von denen sie in ihrer Entwicklung wahrscheinlich schon früh zumindest angeregt wurden. In der Regel waren sie ummauert. Tempel dominierten in alter Zeit das Bild der Städte schon durch ihre bloße Höhe – auf einer Akropolis offenbar absichtsvoll auf Fernwirkung angelegt. Aber noch wichtiger war der Hauptplatz, die Agora, als politisches, religiöses und auch wirtschaftliches Zentrum, das architektonisch schon früh hervorgehoben wurde. Die Lage der Agora und der Tempel war zentral (daneben gab es allerdings auch außerstädtische Heiligtümer, die das Umland erfassen sollten). Vielfach dienten die Tempel neben dem Kult auch noch der Verwaltung. In diesen oft einzigen Steingebäuden konnten die Archive aufbewahrt werden (wie in den sumerischen, assyrischen, babylonischen Städten die Keilschriftarchive) oder auch andere Verwaltungseinrichtungen angesiedelt sein – eine Kombination, die sich, grundsätzlich und mutatis mutandis, durch die Römerzeit auch bis in die mittelalterliche deutsche Stadt ziehen wird. Wenngleich in den geplanten Stadtanlagen hellenistischer Neugründungen die großen Säulentempel meist fehlten, herrschte doch auch im Hellenismus die Tendenz, „öffentliche“ Gebäude und Heiligtümer zumindest in enger Nachbarschaft zu gruppieren.

Allerdings besaßen die altgriechischen Poleis vielfach keine Herrschersitze, wie sie in der orientalischen Stadt gang und gäbe waren. Und obgleich wir über die politische Organisation der altorientalischen Städte viel zu wenig wissen, gilt die griechische Polis nicht zuletzt deshalb als wichtig für die spätere Entwicklung, weil sie eine an die Agora gebundene besondere Verfassung ausbildete, die mit jenen verglichen worden ist, die später vielfach in europäischen Städten entstand. Das Bewusstsein von dieser besonderen Verfassung scheint neben den kulturellen und wirtschaftlichen Funktionen das Wichtigste an einer Stadt zu sein, zumindest in der berühmten negativen Stadtdefinition, die wir der „Beschreibung Griechenlands“ des hellenistisch-kaiserzeitlichen Reisenden des 2. nachchristlichen Jahrhunderts, Pausanias, verdanken: „ wenn man auch einen solchen Ort ‚Stadt‘ nennen darf, der weder Amtsgebäude, noch ein Gymnasion, noch ein Theater, noch einen Markt besitzt, nicht einmal Wasser, das in einen Brunnen fließt, sondern wo man in Behausungen etwa wie den Hütten in den Bergen an einer Schlucht wohnt.“

Phönizier

Vor allem griechische Kolonialstädte lagen günstig zu den Wirtschaftsadern und hatten geschützte Häfen, was auch für die phönizischen Städte gilt. Typisch für die systematisch angelegten phönizischen Kolonien waren bestimmte Aspekte der Stadt-Topographie: Man suchte nach Vorgebirgen oder küstennahen Inseln, die am besten mit seichten, lagunenartigen Wasserzügen für die Schiffe kombiniert waren, denn das ergab einen guten, geschützten Hafen, der nicht nur gut zu verteidigen war, sondern auch als Dock geeignet.

„Hippodamisches System“

Den Griechen wiederum ist eine besondere Weiterentwicklung der Stadtplanung zu verdanken, besonders früh zu beobachten beim Neuaufbau Milets nach der Perserzerstörung um 500 – „Hippodamos von Milet“ galt den späteren Griechen als Erfinder des schachbrettartigen Stadtgrundrisses. Vorgänger des späteren Städteplanungs-Konzepts der sich rechtwinklig kreuzenden Straßen reichen in den Kolonialstädten bis weit in archaische Zeit zurück. Die vollkommene Regelmäßigkeit der Anfänge – oft wurden Straßen unabhängig vom Gelände gerade gezogen – blieb das Ideal: Aristoteles (4. Jahrhundert v. Chr.) erklärte das nach Hippodamos von Milet benannte System für schöner und praktischer als unregelmäßige Stadtformen – mit der politischen Begründung, dass deren Verwinkelung Vorteile nur bei Straßenkämpfen bringe. Im Hellenismus kam es zu immer stärkerer Hierarchisierung von Haupt- und Nebenstraßen, spätestens in der hellenistisch-kaiserzeitlichen Anlage dominiert von einem zentralen Hauptstraßenkreuz. In zentraler Lage wurden zwei oder mehr Blöcke für die Agora ausgespart, die möglichst hafennah liegen konnte und zugleich Markt und Handelszentrum, Verwaltungs- und ggf. politisches Zentrum war. Außerdem standen hier meist Heiligtümer.

Etrusker

Das hippodamische System scheinen auch die Etrusker bei späteren Gründungsstädten (wie Capua südlich Neapels und Marzabotto im nördlichen Apennin) wahrscheinlich aus dem griechischen Unteritalien und Sizilien übernommen zu haben. Ursprünglich vollzog sich eine etruskische Stadtgründung (jedenfalls nach den überlieferten Vorschriften) stark kultisch-rituell und die Achsen wurden nach Ackerfurchen ausgerichtet. Die etrurische Stadtlandschaft lässt sich in einen südlichen und einen nördlichen Kreis einteilen. In Südetrurien – und damit im unmittelbaren Einzugsbereich des späteren Rom – wurden die Städte auf natürlich befestigten Tuffrücken errichtet, meist Nachfolgesiedlungen der früheren Villanova-Kultur mit großen Stadtflächen, die wohl kaum vollständig besiedelt waren, sondern teilweise agrarisch genutzt wurden. Die Städte, die im 7.–5. Jahrhundert v. Chr. eine kulturelle Blüte durch See- und Binnenhandel erlebten, lagen dicht beieinander und zum Meer hin orientiert, allerdings mit einer einzigen Ausnahme alle mehrere Kilometer landeinwärts gelegen und mit befestigten externen Häfen. Nordetrurien dagegen lag ungünstiger sowohl aus strategischer als auch aus wirtschaftstopographischer Perspektive. Die deutlich kleineren Städte lagen auf Anhöhen, die mit Mauern befestigt werden mussten, und waren vorwiegend landwirtschaftlich orientiert. Dem politischen Charakter nach waren die etrurischen Städte stark regional geprägte Stadtstaaten mit Polis-Charakter (Einfluss der griechischen Kolonien ist möglich), deren relativ enge Territoriengrenzen mancherorts bis in die Spätantike erhalten geblieben sind und noch für die diokletianischen, dann mittelalterlichen italienischen Diözesangrenzen maßgeblich geworden sind beziehungsweise in ihnen erhalten geblieben zu sein scheinen.

E

Civitas, römisch

Meint als civitas Romana das römische Bürgerrecht und die Bürgerschaft, bezeichnet seltener die Gesamtheit eines fremden Volkes. In administrativem Sinne bezeichnet civitas eine Gebietskörperschaft mit Territorium und Zentralort, wie sie seit dem 3. Jahrhundert zur wichtigsten Organisationseinheit des Reiches wurden. Von ihr aus verwalteten römische Beamte das umliegende Land. Die civitates wurden von einer senatorisch-ritterlichen Oberschicht dominiert; besonders topographisch waren die civitates vielfach an die Verhältnisse der Stadt Rom angeglichen.

Römer

Auch für die römischen Stadtgründungen waren die immer ausgefeiltere Verteidigung und die Wirtschaftslage maßgebliche Gründe für die Platzwahl. Für die Neugründungen ihrer Städte aber haben die Römer viel mehr als Etrusker und Griechen die Höhen gemieden und Flachlagen bevorzugt. Das römische Reich blieb lange Zeit eine ausgeprägte Stadtkultur mit der Stadt Rom als Zentrum. Diese Kultur breitete sich – über zahllose Civitates mit römischem Bürgerrecht – über das gesamte Reichsgebiet auch in Gegenden aus, wo es vorher keine oder nur selten Städte gegeben hatte. So verbreitete sich das dominante Straßenkreuz der hellenistisch-römischen Stadt, cardo und decumanus, nicht zuletzt durch seine Nutzung auch im Kastellbau, an dem viele Städte gerade im Kolonialland und damit in den später deutschen Regionen orientiert waren. Die Hauptstraßen führten auf die zentralen Bauten hin, besonders auf das aus dem Straßennetz durch Säulenhallen ausgegrenzte Forum als Hauptplatz der Colonia mit der Tempelanlage des Capitolium und oft der Curia. In den römischen wie in früheren Städten waren Forum und Tempel, später Kirche und Versammlungs-, Gerichts- und Marktplatz kombiniert und die Tempel wurden als weltliche öffentliche Gebäude mitbenutzt (so enthielt der Tempel der Iuno Moneta auf dem Capitol den Staatsschatz).

E

Colonia

In der römischen Antike Siedlung, die von (potentiellen) Bürgern einer Stadt an einer anderen Stelle angelegt wurde. Die Römer gründeten solche Coloniae von römischen Bürgern und von Latinern oft als militärische Stützpunkte zur Beherrschung neu eroberten Landes und zur Versorgung der eigenen Bevölkerung mit Land. Meist waren solche Gründungen auch mit Handelsinteressen verknüpft. Es gab mindestens über 400 Gründungen, die Ausgangspunkte der Latinisierung des Reiches wurden. Seit Caesars Zeiten kam es über Italien hinaus zu Anlagen in den Provinzen, seit dem späten Prinzipat entstanden nur noch Veteranen-Kolonien, oder der Name wurde als Ehrentitel verliehen.

Alle aufgeführten Traditionen bildeten die spätantike Stadtkultur des römischen Imperiums und wurden prägend für diejenige seiner sämtlichen Nachfolgegebiete. Bevor jedoch endlich der Westen des alten römischen Reiches, die nordalpinen Gebiete der Spätantike und des Frühmittelalters und endlich die deutschen Städte des Mittelalters in den Blick genommen werden, seien noch zwei weitere Nachfolger der hellenistisch-kaiserzeitlichen Stadtkultur betrachtet – weil sie alternative Entwicklungsmöglichkeiten unter weitgehend anderen historischen Bedingungen zeigen und weil sie hier und da zu Vorbildern für manche Neuerung im Gebiet des späteren deutschen Reiches geworden sein mögen.

Die mittelalterliche Stadt

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