Читать книгу A Hetz und a Gaudi - Felix Dvorak - Страница 19

Wien und seine Stammtische

Оглавление

Die Beliebtheit der Wiener in den österreichischen Bundesländern ist wahrhaft unbeschreiblich. Leben doch in Wien, außer in Tirol, nirgends mehr Tiroler, außer in der Steiermark nirgends mehr Steirer und so weiter. In dieser Stadt verlieren die Vorarlberger oder Kärntner zwar ihr Vorarlbergertum und ihr Kärntnertum, doch ihr wahrer Charakter zeigt sich erst in Wien. Hier erst werden sie das, was sie wirklich sind.

Ein Beispiel: Der berüchtigte Braunauer zeigte erst in der Donaustadt eine Anlage, die noch heute an ihm geschätzt wird.

Dafür der Beweis: Erst vor Kurzem erzielte auf einer Kunstauktion in Salt Lake City das Blatt mit der Bezeichnung »Die Akademie der bildenden Künste von außen«, Sepiatusche, datiert 1912, monogrammiert A.H., 36.000 US-Dollar. Das Bild kommt in das Privatmuseum von Scheich Muhammad al Sufi.

Immer wieder wird heutzutage beklagt, dass das Ur-Wienertum im Aussterben sei. Lediglich in alten Wirtshäusern und Gaststätten könne man noch Rudimente davon finden. Ein typisches Alt-Wiener Lokal habe ich vor einiger Zeit kennenlernen dürfen. Mein Freund Ari, ein flammender Anhänger des Ur-Wienerischen, lud mich ein. Die Erinnerung daran hält sich bis heute, denn der Geruch von verbrauchtem Frittieröl und wochenlang aufgewärmten Gulaschzwiebeln ist trotz mehrmaliger chemischer Reinigung nicht mehr aus meinem Nadelgestreiften zu vertreiben gewesen.

Ja, verehrte Bewunderer des Alt-Wienerischen, es gibt sie noch, diese echten Alt-Wiener Beisln, in denen Sie den echten Geruchsnervenkitzel erleben können. Erst unlängst entdeckte ich ein solches im Wiener Prater. Dieses Lokal ist ein Prototyp von Alt-Wien – vom Interieur über die Speisekarte bis zum Oberkellner, der dem Gast sogar aus dem Mantel hilft.

Ich delektierte mich gerade an einem äußerst schmackhaften Riesling-Beuschel, als am Nebentisch ein hörbar aus der Bundesrepublik stammender Gast die Speisekarte studierte. Schließlich sagte er zum Ober: »Bringen Sie mir so nen Schweinebraten, mit diesen Knödel!«

Der Kellner: »Is leider nimmer da.«

»Aha, dann bringen Sie mir so’n Fiakergulasch.«

»Is leider nimmer da.«

»Ach! Na gut, dann probier ich mal diesen Palatschinken.«

»Is leider nimmer da.«

»Ja was denn?!«

Der Deutsche sprang zornig auf.

»Dann bringen Sie mir meinen Mantel!«

»Is leider nimmer da.«

Das konnte dem Mann nur passieren, weil er kein Stammgast in diesem Lokal war. Stammgäste haben nämlich das Privileg, ihre Kleidungsstücke selbst und dort aufzuhängen, wo diese in Sicht- und nicht in Griffweite sind.

Stammgäste sind keine österreichische Spezialität, die gibt’s auch anderswo. Nur wie bei uns, so gibt es sie nur bei uns. Lassen Sie mich eine berühmte österreichische Stammtischgeschichte erzählen. Wo dieser Stammtisch situiert ist, möchte ich Ihnen allerdings nicht verraten. Vielleicht kommen Sie auch so drauf.

Jedenfalls war diese Stammtischrunde im »Goldenen Hahn« wegen ihrer ausgelassenen Fröhlichkeit landesweit berüchtigt. Und das, obwohl dort die honorigsten Bürger zusammenkamen. Da waren der Herr Bürgermeister, der Herr Medizinalrat, der Herr Bezirkshauptmann und der Herr Apotheker. Ja, und sogar der Herr Stadtpfarrer gehörte zur Stammtischrunde.

Als eines Abends der Herr Stadtpfarrer in der Runde fehlte, er war von Weihbischof Alaun zu einem Trainingsseminar unter dem Thema »Wie wir uns die heilige Inquisition heute zunutze machen können« beordert worden, entstand unter den Stammtischfreunden ein teuflischer Plan. In der feuchtfröhlichen Runde tat sich nämlich einer als besonders klerusfeindlich hervor, und das war der Stadtbaumeister Haslinger, der zwar seit 1938 gottgläubig war, aber außer Bacchus keinen duldete. Deswegen war er nach Mitternacht regelmäßig so besoffen, dass er von seinem eigens dafür zum Goldenen Hahn bestellten Maurerpolier Vukasevic heimchauffiert werden musste. Als sich der Polier aber an jenem ominösen Abend einfand, bedeutete man ihm, dass sich der Herr Chef bereits persönlich nach Hause begeben habe. Der Kummergewohnte nahm die Auskunft zur Kenntnis und vertrollte sich.

Haslinger war aber noch nicht fort. Die Freunde hatten ihn im Extrazimmer abgelegt, wo er steif wie ein Brett auf zwei Tischen lag und schnarchte. Jetzt zogen ihm die Freunde seinen Steireranzug aus und legten ihm eine Mönchskutte an. Der Apotheker hatte sie dem Fundus der Laientheatergruppe entnommen und der Stammtischrunde zur Verfügung gestellt. So ausstaffiert, transportierte man die kostümierte Alkoholleiche Haslinger zu dem am Stadtrand befindlichen Stift der Pankrazier. Dort legten sie ihn vor das große Tor, zogen an der uralten Glocke und fuhren feucht und fröhlich wieder zurück zum Stammtisch beim Goldenen Hahn.

Es dauerte nicht lange, da sah der Bruder Pförtner durch das Guckloch den fremden Mönch vor dem Tor liegen und rief um Helfer. Eilig verfrachtete man das ausgewachsene Findelkind in eine Zelle und ließ ihn schlafen.

Am nächsten Morgen holte man den Abt, und dieser ließ Haslinger sanft wecken.

Haslinger schlug die Augen auf, sah die frommen Männer und schloss sie sofort wieder. Dabei murmelte er: »Des is aber ein scheußlicher Traum!«

Da sagte der Abt würdevoll: »Es ist kein Traum, mein Bruder.«

Haslinger öffnete wieder die Augen, und der Abt fragte: »Wie heißt du denn, mein Bruder?«

Der Angesprochene war noch lang nicht nüchtern, aber er wusste die Antwort: »Haslinger. Josef Haslinger.«

Der Klostervorsteher fragte weiter: »Von welchem Orte kommst du denn, mein Bruder?«

Haslinger antwortete mühevoll: »Orden … Ja, i hab Landesorden, Verdienstorden, EK 1, Gfrierfleischorden …«

Der Abt verstand nicht. »Mein Bruder, denke ruhig nach. Woher kommst du zu uns?«

Haslinger setzte sich auf: »Woher i komm? Keine Ahnung … Überhaupt kane.«

»Denke nach, mein Bruder.«

»Ich waß nix!«

»An was erinnerst du dich am ehesten?«

»I war im Goldenen Hahn, ja …« Er ließ sich wieder hinfallen und stöhnte: »Mir tuat mein Schädl weh!«

»Das ist der überreichliche Genuss von Alkohol, mein Bruder.« Der Abt ergriff seine Hand und hielt sie fest. »Denke scharf nach. Wer bist du?«

»I bin da Haslinger Josef.«

»Ja, ja! Aber wieso kommst du zu uns?«

»Des waß i do net!« Haslinger schloss die Augen. »Was mach i da bei de Pfaffen?« Er setzte sich wieder auf. »I bin der Haslinger, ja, der Haslinger!« Da überkam ihn die Erleuchtung: »Geh sind S’ so guat und ruafen S’ im Goldenen Hahn an und fragen S’, ob der Haslinger am Stammtisch sitzt. Wann der dort is, dann waß i wirkli net, wer i bin!«

Nachzutragen wäre, dass der Haslinger natürlich der Haslinger war und er durch die Begegnung mit den frommen Männern irgendwie geläutert wurde. Ja, in den folgenden Monaten ging der Stadtbaumeister fast täglich im Stift der Pankrazier ein und aus. Er baute ihnen nämlich den Stiftsweinkeller um – auf Gegengeschäft.

A Hetz und a Gaudi

Подняться наверх