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8. Der Skandal
ОглавлениеMiussow und Iwan Fjodorowitsch hatten soeben das Haus des Abtes betreten, da vollzog sich in Pjotr Alexandrowitsch, einem grundanständigen, feinfühligen Menschen, ein eigenartiger, nobler Denkprozeß: er begann sich seines Zorns zu schämen. Er hätte, das fühlte er, diesen armseligen Fjodor Pawlowitsch im stillen eigentlich nur verachten sollen, anstatt in der Zelle des Starez seine Kaltblütigkeit zu verlieren und außer sich zu geraten. ›Wenigstens können die Mönche nichts dafür!‹ sagte er sich auf den Stufen vor der Haustür des Abtes. ›Und wenn ich hier anständigen Leuten begegne – Vater Nikolai, der Abt, ist wohl gleichfalls ein Adliger –, warum soll ich nicht nett, liebenswürdig und höflich zu ihnen sein. Streiten werde ich nicht; ich werde ihnen sogar nach dem Munde reden, sie durch Liebenswürdigkeit bezaubern – und ihnen schließlich beweisen, dass ich mit diesem alten Satyr, diesem Possenreißer und Clown nichts gemein habe und wie sie alle in diese Sache hineingeraten bin ...‹ Das umstrittene Recht des Holzschlagens im Wald und des Fischfangs beschloß er ihnen endgültig abzutreten, ein für allemal, gleich heute, zumal das alles sehr geringen Wert besaß. Was es mit diesen Rechten auf sich hatte und wo überhaupt sie auszuüben waren, wußte er ohnehin nicht. Und er beschloß ferner, alle gerichtlichen Klagen gegen das Kloster zurückzuziehen.
In diesen guten Absichten wurde er noch bestärkt, als sie das Speisezimmer des Vaters Abt betraten. Ein Speisezimmer hatte er eigentlich gar nicht, denn er bewohnte in Wirklichkeit nur zwei Zimmer des Gebäudes, allerdings geräumigere und bequemere als die des Starez. Aber die Einrichtung der Zimmer war ebenfalls nicht sonderlich komfortabel. Die Mahagonimöbel waren nach der Mode der zwanziger Jahre mit Leder bezogen, die Dielen sogar ungestrichen; dafür war alles blitzblank und sauber, und auf den Fensterbrettern standen viele kostbare Blumen. Den Hauptluxus bildete in diesem Augenblick natürlich der üppig ausgestattete Tisch (wobei auch dies nur relativ gemeint ist). Das Tischtuch war rein, das Geschirr glänzte, auf dem Tisch lagen drei verschiedene Sorten vorzüglich gebackenes Brot, außerdem standen dort zwei Flaschen Wein, zwei Flaschen prächtiger Klostermet und eine große gläserne Kanne Blancmanger. Alles das hatte Rakitin herausspioniert, er hatte sich nicht enthalten können, eigens zu diesem Zweck einen Blick in die Küche des Abtes zu werfen, wo er ebenfalls seine Verbindungen hatte. Er hatte überall seine Verbindungen und war in der Lage, sich überall Auskunft zu verschaffen. Er hatte ein unruhiges, neidisches Herz. Seiner bedeutenden Fähigkeiten war er sich bewußt, und vor lauter Eigendünkel überschätzte er sie noch. Er wußte, dass er auf seine Weise einmal ein tüchtiger Mensch sein würde; Aljoscha jedoch, der sehr an ihm hing, quälte der Umstand, dass sein Freund Rakitin unehrlich und sich dessen allerdings gar nicht bewußt war. Im Gegenteil: da er von sich wußte, dass er kein Geld von einem Tisch stehlen würde, hielt er sich tatsächlich für höchst ehrlich. Daran konnte weder Aljoscha noch sonst jemand etwas ändern.
Rakitin, als untergeordnete Person, hatte nicht zu dem Essen eingeladen werden können; dafür waren Vater Jossif und Vater Paissi und noch ein Priestermönch geladen. Sie warteten bereits in dem Speisezimmer des Abtes, als Pjotr Alexandrowitsch, Kalganow und Iwan Fjodorowitsch eintraten. Etwas abseits wartete auch der Gutsbesitzer Maximow. Der Vater Abt trat in die Mitte des Zimmers, um die Gäste zu begrüßen. Er war ein hochgewachsener, hagerer, aber noch kräftiger alter Mann, mit schwarzem, schon stark mit Grau vermischtem Haar und einem langen, würdevollen, etwas wichtigtuerischen und förmlichen Gesicht. Er verbeugte sich schweigend vor den Gästen, die nun vortraten, um den Segen zu empfangen. Miussow wollte ihm schon die Hand küssen, doch der Abt zog sie zurück, und der Kuß kam nicht zustande. Dafür ließen sich Iwan Fjodorowitsch und Kalganow diesmal in aller Form segnen, das heißt mit einem treuherzigen, hörbaren Handkuß nach Art des einfachen Volkes.
»Wir müssen sehr um Entschuldigung bitten, Hochehrwürden«, begann Pjotr Alexandrowitsch mit einem liebenswürdigen Lächeln, aber in würdigem, respektvollem Ton, »dass wir allein erscheinen, ohne unseren ebenfalls geladenen Gefährten Fjodor Pawlowitsch. Er sah sich genötigt, Ihrem Tisch fernzubleiben, und das nicht ohne Grund. In seinem unseligen Hader mit seinem Sohn ließ er sich in der Zelle des ehrwürdigen Vaters Sossima zu einigen ganz unpassenden ... kurz gesagt, zu ganz unanständigen Äußerungen hinreißen!« Und, mit Blick auf die Priestermönche: »Was Euer Hochehrwürden bereits bekannt sein dürfte ... Von Schuldgefühl und aufrichtiger Reue erfüllt, schämte er sich. Und da er dieses Gefühl nicht überwinden konnte, bat er uns, mich und seinen Sohn Iwan Fjodorowitsch, Ihnen sein aufrichtiges Bedauern, seinen Kummer und seine Reue auszudrücken. Kurz, er hofft und beabsichtigt, später alles wiedergutzumachen; jetzt aber erfleht er Ihren Segen und bittet Sie, das Vorgefallene zu vergessen ...«
Miussow schwieg. Bei den letzten Worten seiner Tirade angelangt, war er mit sich äußerst zufrieden, und zwar dermaßen, dass in seiner Seele von der früheren Gereiztheit auch nicht die Spur zurückgeblieben war. Er liebte die Menschen jetzt wieder aufrichtig.
Der Abt, der ihn würdevoll angehört hatte, neigte leicht den Kopf und erwiderte: »Ich bedauere sein Nichterscheinen von ganzem Herzen. Vielleicht hätte er uns beim gemeinsamen Mahl liebgewonnen, ebenso wie wir ihn. Haben Sie nun die Güte zu speisen, meine Herren!«
Er trat vor das Heiligenbild und begann laut ein Gebet zu sprechen. Alle neigten ehrfurchtsvoll die Köpfe, und der Gutsbesitzer Maximow trat besonders weit vor und legte aus besonderer Andacht die Hände mit den Innenflächen vor der Brust zusammen.
Und ausgerechnet in diesem Augenblick erlaubte sich Fjodor Pawlowitsch seinen letzten Streich. Es sei bemerkt, dass er tatsächlich wegfahren wollte und tatsächlich empfand, wie unmöglich es wäre, nach seinem schmählichen Benehmen in der Zelle des Starez nun zum Abt zum Essen zu gehen, als ob nichts geschehen wäre. Nicht dass er sich besonders geschämt und schuldig gefühlt hätte, vielleicht war sogar das Gegenteil der Fall; aber er spürte doch, dass es sich einfach nicht gehörte, jetzt an dem Mittagessen teilzunehmen. Kaum war jedoch sein klappernder Wagen vor der Tür des Gasthauses vorgefahren, als er, schon im Begriff einzusteigen, auf einmal innehielt. Ihm waren seine eigenen Worte vor dem Starez eingefallen: ›Wenn ich irgendwo unter Leuten bin, scheint es mir immer, als sei ich gemeiner als sie, als hielten mich alle für einen Possenreißer. Und dann sage ich mir: Also gut, spiele ich eben den Possenreißer, ich fürchte mich nicht vor eurem Urteil, ihr seid doch allesamt gemeiner als ich!‹ Er bekam Lust, sich an allen für seine eigene Niedertracht zu rächen. Er erinnerte sich bei dieser Gelegenheit, wie er einmal, schon vor langer Zeit gefragt worden war: ›Warum hassen Sie den und den so?‹ und wie er damals in einem Anfall seiner possenreißerischen Schamlosigkeit geantwortet hatte: ›Ich will Ihnen sagen, warum. Er hat mir zwar nichts getan, aber dafür habe ich eine gewissenlose Gemeinheit gegen ihn begangen, und kaum hatte ich die begangen, fing ich sofort an, ihn zu hassen.‹ Als ihm jetzt diese Erinnerung kam, lächelte er, kurz nachdenkend, leise und boshaft vor sich hin. Seine Augen funkelten, und seine Lippen zuckten. ›Wenn man eine Sache einmal angefangen hat, so muss man sie auch zu Ende führen‹, sagte er sich plötzlich. Sein geheimstes Gefühl in diesem Augenblick hätte man mit folgenden Worten ausdrücken können: ›Rehabilitieren kann ich mich jetzt doch nicht mehr – da will ich sie wenigstens schamlos verhöhnen; zeigen will ich ihnen: Ich schäme mich vor euch nicht! Weiter nichts!‹
Er befahl dem Kutscher zu warten; er selbst kehrte mit schnellen Schritten zum Kloster zurück und begab sich geradewegs zum Abt. Er wußte noch nicht recht, was er tun würde; aber er wußte, dass er sich nicht mehr in der Gewalt hatte, und dass er, sobald nur ein Anstoß erfolgte, augenblicklich bis zur äußersten Grenze der Gemeinheit gehen würde; dass er jedoch nur eine Gemeinheit begehen würde – und keineswegs ein Verbrechen oder sonst eine unzulässige Handlung, für die er gerichtlich bestraft werden könnte. In dieser Hinsicht wußte er sich immer zu beherrschen, darüber wunderte er sich manchmal selbst.
Er erschien in dem Speisezimmer des Abtes, als das Gebet gerade zu Ende war und sich alle zu Tisch begaben. Er blieb auf der Schwelle stehen, ließ seinen Blick über die Versammelten schweifen und brach in ein langes, boshaftes Lachen aus; dabei sah er allen dreist in die Augen.
»Und die dachten, ich wäre weggefahren! Aber da bin ich!« rief er, dass es durch den ganzen Saal schallte.
Einen Augenblick starrten ihn alle schweigend an. Man fühlte plötzlich, dass sofort etwas Widerwärtiges, Sinnloses geschehen, dass es zweifellos einen Skandal geben würde. Pjotr Alexandrowitsch verfiel aus seiner edelmütigen Stimmung augenblicklich in Wut. Alles, was in seinem Herzen schon erloschen und besänftigt war, wurde mit einem Schlag wieder lebendig und brach heraus.
»Nein, ich kann das nicht ertragen!« schrie er. »Das kann ich absolut nicht ... Unter keinen Umständen!«
Das Blut war ihm in den Kopf geschossen. Er verwirrte sich sogar beim Sprechen, aber es war ihm jetzt nicht um den Stil zu tun. Er griff nach seinem Hut.
»Was kann er denn nicht?« rief Fjodor Pawlowitsch. »Was kann er denn absolut nicht und unter keinen Umständen? Darf ich eintreten, Ehrwürden, oder nicht? Nehmen Sie noch einen Tischgenossen an?«
»Ich bitte von ganzem Herzen darum«, antwortete der Abt. »Meine Herren!« fügte er hinzu. »Ich möchte Sie aus ganzer Seele bitten, Ihre zufälligen Zwistigkeiten beiseite zu lassen und sich im Gebet, in Liebe und in verwandtschaftlicher Eintracht bei unserem friedlichen Mahl zu vereinigen.«
»Nein, nein, das ist unmöglich!« schrie Pjotr Alexandrowitsch außer sich.
»Wenn es für Pjotr Alexandrowitsch unmöglich ist, dann ist es auch für mich unmöglich, und ich werde nicht bleiben. In dieser Absicht, bin ich hergekommen. Ich werde von jetzt an überall mit Pjotr Alexandrowitsch zusammen sein: Wenn Sie weggehen, Pjotr Alexandrowitsch, gehe auch ich weg. Wenn Sie bleiben, bleibe ich ebenfalls. Mit der verwandtschaftlichen Eintracht haben Sie ihm einen besonders empfindlichen Stich versetzt, Vater Abt! Er gibt nicht zu, mein Verwandter zu sein. Nicht wahr, Herr von Sohn? Ach, da steht ja Herr von Sohn. Guten Tag, Herr von Sohn!«
»Meinen Sie mich damit?« murmelte der Gutsbesitzer Maximow erstaunt.
»Natürlich meine ich dich«, schrie Fjodor Pawlowitsch. »Wen sonst? Der Vater Abt kann doch nicht Herr von Sohn sein.«
»Aber ich bin auch nicht Herr von Sohn! Ich heiße Maximow!«
»Nein, du bist Herr von Sohn. Wissen Sie, Ehrwürden, was es mit Herrn von Sohn für eine Bewandtnis hat? Es war einmal ein Kriminalprozeß: An einer Stätte der Unzucht – so werden diese Orte bei Ihnen genannt, glaube ich – war ein Herr von
Sohn ermordet und beraubt und trotz seines ehrwürdigen Alters in eine Kiste verpackt worden, und diese Kiste hatte man dann zugenagelt und als Passagiergut im Gepäckwagen von Petersburg nach Moskau geschickt. Und während die Kiste zugenagelt wurde, sangen unzüchtige Tänzerinnen Lieder und spielten dazu auf der Laute, das heißt auf dem Klavier. Also dieser selbe Herr von Sohn ist er. Er ist von den Toten auferstanden, nicht wahr, Herr von Sohn?«
»Was soll denn das heißen?« riefen mehrere Priestermönche.
»Wir wollen gehen!« rief Pjotr Alexandrowitsch, an Kalganow gewandt.
»Nein, erlauben Sie!« unterbrach ihn Fjodor Pawlowitsch kreischend und trat dabei noch einen Schritt weiter ins Zimmer. »Erlauben Sie mir, zu Ende zu reden. Zum Schaden meines Rufes haben Sie erzählt, ich hätte mich dort in der Zelle respektlos benommen, vor allem mit dem, was ich über die Gründlinge gesagt habe. Pjotr Alexandrowitsch Miussow, mein Verwandter, hat in seiner Rede gern Synod schreiben! Und meinen Sohn Alexej werde ich von hier fortnehmen!«
Hier mache ich eine Anmerkung. Fjodor Pawlowitsch hatte einmal so etwas läuten hören. Auch dem Bischof waren böse Redereien zu Ohren gekommen, nicht nur über unser Kloster, sondern auch über andere, in denen die Institution der Starzen bestand: Die Starzen würden ein zu großes Ansehen genießen, sogar zum Schaden der Stellung der Äbte; sie mißbrauchten unter anderem das Sakrament der Beichte, und so weiter, und so weiter. Alberne Beschuldigungen, die seinerzeit bei uns wie überall von selbst zusammengebrochen waren. Aber der dumme Teufel, der Fjodor Pawlowitsch gepackt hatte und an seinen eigenen Nerven immer tiefer in Schmach und Schande hineinzog, hatte ihm diese alte Beschuldigung zugeflüstert, die Fjodor Pawlowitsch nicht im geringsten begriff. Und er verstand auch nicht einmal, sie richtig vorzubringen; hinzu kam noch, dass in der Zelle des Starez diesmal niemand auf Knien gelegen und laut gebeichtet hatte, so dass Fjodor Pawlowitsch nichts Derartiges gesehen haben konnte und nur alte Gerüchte und Redereien wiederholte, an die er sich ungenau erinnerte. Doch kaum hatte er seine Dummheit ausgesprochen, fühlte er, dass er Unsinn geschwatzt hatte, und bekam plötzlich Lust, den Zuhörern und vor allem sich selbst auf der Stelle zu beweisen, dass er keinen Unsinn gesprochen habe. Und obgleich er wußte, dass er mit jedem weiteren Wort nur noch törichteres Zeug zu dem schon vorgebrachten Unsinn hinzufügte, konnte er sich nicht mehr halten und stürzte wie von einem Berg in die Tiefe.
»Was für eine Gemeinheit!« rief Pjotr Alexandrowitsch.
»Verzeihen Sie«, sagte auf einmal der Abt. »Es steht geschrieben: ›Und sie redeten gegen mich vielerlei, auch einige häßliche Dinge. Aber ich hörte alles an und sagte mir: diese Arznei hat mir Jesus gesandt, um meine eitle Seele zu heilen.‹ Und darum sprechen auch wir Ihnen unsern ergebensten Dank aus, werter Gast.« Und er verbeugte sich tief vor Fjodor Pawlowitsch.
»Papperlappapp! Scheinheiligkeit und alte Phrasen! Alte Phrasen und alte Gebärden! Die alte Lüge, die gewohnten komödienhaften Verbeugungen! Diese Verbeugungen kennen wir! ›Küsse auf die Lippen, den Dolch ins Herz!‹, wie es in Schillers ›Räubern‹ heißt. Ich liebe keine Falschheit, Väter; ich will Wahrheit! Aber die Wahrheit liegt nicht in den Gründlingen, das habe ich verkündet. Warum fastet ihr denn, ihr Mönche? Warum erwartet ihr dafür Belohnungen im Himmel? Für eine solche Belohnung würde auch ich anfangen zu fasten! Nein, du heiliger Mönch, sei im Leben tugendhaft, nutze der Gesellschaft, ohne dass du dich bei freier Kost im Kloster einschließt und eine Belohnung dort oben erwartest – das wird etwas schwerer sein! Ich kann ebenfalls klar und logisch reden, Vater Abt. Na, was haben wir denn vorbereitet?« sagte er und trat an den Tisch.
»Portwein old factory, Medoc, Abzug der Gebrüder Jelissejew. Ei, ei, meine Väter! Das hat ja wenig Ähnlichkeit mit
Gründlingen! Sieh mal an, solche Fläschchen haben die Väter auf den Tisch gestellt, hehehe! Und wer hat das alles geliefert? Der russische Bauer, der Arbeitssklave, der bringt die paar Groschen, die er mit seinen schwieligen Händen erarbeitet, hierher und entzieht sie seiner Familie und den Bedürfnissen des Staates! Ja, sie saugen das Volk aus, heilige Väter!«
»Das ist ein ganz unwürdiges Gerede von Ihnen«, sagte Vater Jossif.
Vater Paissi schwieg hartnäckig. Miussow rannte aus dem Zimmer, Kalganow folgte.
»Nun, Väter, auch ich werde Pjotr Alexandrowitsch folgen. Ich werde nie wieder zu Ihnen kommen, und wenn Sie mich auf den Knien darum bitten, ich werde nicht kommen. Tausend Rubel habe ich Ihnen geschickt, nun spitzen Sie sich wohl auf mehr, hehehe! Nein, mehr werde ich Ihnen nicht geben! Ich werde mich für meine dahingegangene Jugend und meine ganze Demütigung rächen.« Er schlug in einem fingierten Gefühlsausbruch mit der Faust auf den Tisch. »Viel hat dieses Kloster in meinem Leben bedeutet! Viele bittere Tränen habe ich um seinetwillen vergossen! Meine Frau, die Schreikranke, haben Sie gegen mich aufgehetzt. Auf sieben Synoden haben Sie mich verflucht und mich in der ganzen Umgegend schlechtgemacht! Aber das hat nun ein Ende, Väter! Wir leben jetzt im Zeitalter des Fortschritts, im Zeitalter der Dampfschiffe und Eisenbahnen. Nicht tausend Rubel und nicht hundert Rubel und nicht hundert Kopeken – nichts werden Sie von mir kriegen!«
Noch eine Anmerkung. Unser Kloster hatte niemals in seinem Leben etwas Besonderes bedeutet, und er hatte keine bitteren Tränen um seinetwillen vergossen. Er ließ sich aber von seinen ausgedachten Tränen so sehr hinreißen, dass er einen Augenblick wohl selbst glaubte, was er sagte. Er fing sogar vor Rührung fast an zu weinen, doch gleichzeitig wurde er sich bewußt, dass es Zeit sei, den Rückzug anzutreten. Der Abt senkte den Kopf und erwiderte auf seine boshafte Lüge nachdrücklich: »Wiederum steht geschrieben: ›Ertrage mit Freuden den dir angetanen Schimpf und laß dich nicht beirren, noch auch hasse den, der dich beschimpft hat.‹ Danach handeln auch wir.«
»Papperlappapp, Böses mit Gutem vergelten! Und all der übrige Unsinn! Na, dann vergelten Sie Böses mit Gutem, Väter,
aber ich gehe. Und meinen Sohn Alexej nehme ich kraft meiner väterlichen Gewalt für immer von hier weg. Iwan Fjodorowitsch, mein respektvoller Sohn, erlaube, dass ich dir befehle, mit mir mitzukommen! Herr von Sohn, wozu willst du noch hier bleiben? Komm gleich zu mir in die Stadt! Bei mir soll es lustig zugehen. Es ist nur eine kleine Werst weit. Statt des Fastenöles werde ich ein Spanferkel mit Grütze auftragen lassen, da wollen wir zu Mittag essen, auch Kognak werde ich aufsetzen und danach Likör, ich habe einen Himbeerlikör. Herr von Sohn, laß dein Glück nicht aus den Händen gleiten!«
Er ging schreiend und gestikulierend hinaus.
Und eben in diesem Augenblick bemerkte ihn Rakitin und zeigte ihn seinem Begleiter Aljoscha.
»Alexej!« rief der Vater von weitem, sobald er ihn erblickt hatte. »Du ziehst noch heute zu mir! Dein Kopfkissen und deine Matratze bring auch mit, und laß dich hier nie wieder blicken!«
Aljoscha blieb wie angewurzelt stehen und beobachtete schweigend und aufmerksam die Szene. Fjodor Pawlowitsch war unterdessen in den Wagen gestiegen, und nach ihm schickte sich Iwan Fjodorowitsch an, einzusteigen, ohne sich zum Abschied nach Aljoscha umzuwenden. Da ereignete sich noch eine possenhafte, fast unglaubliche Szene, ein passendes Finale zu diesem ganzen Skandal. Am Wagentritt erschien plötzlich atemlos, um nicht zu spät zu kommen, der Gutsbesitzer Maximow. Rakitin und Aljoscha sahen ihn laufen. Er hatte es so eilig, dass er in seiner Ungeduld den einen Fuß schon auf den Wagentritt setzte, als Iwan Fjodorowitsch noch seinen linken Fuß darauf stehen hatte. Er hielt sich am Kutschbock fest, hüpfte und versuchte, in den Wagen hineinzugelangen.
»Ich komme auch mit!« rief er hüpfend und ließ dabei ein kurzes, fröhliches Lachen vernehmen. Sein Gesicht strahlte vor Glückseligkeit, und er war offenbar zu allem bereit. »Nehmen Sie mich auch mit!«
»Na, habe ich es nicht gesagt?« rief Fjodor Pawlowitsch entzückt. »Das ist Herr von Sohn! Der richtige, von den Toten auferstandene Herr von Sohn! Wie hast du dich denn losgemacht? Was für einen Grund, der eines Herrn von Sohn würdig wäre, hast du angegeben? Und wie konntest du von einem Diner weglaufen? Dazu muss man ja eine eiserne Stirn haben! Ich habe eine solche Stirn, aber ich staune über deine, Bruder! Spring auf, schnell, spring auf! Laß ihn herein, Wanja, es wird sehr fidel werden. Er wird sich hier im Wagen zu unseren Füßen hinlegen. Wirst du das tun, Herr von Sohn? Oder wollen wir ihn neben dem Kutscher plazieren? Spring auf de Kutschbock, Herr von Sohn!«
Doch Iwan Fjodorowitsch, der sich inzwischen schon gesetzt hatte, stieß den Gutsbesitzer Maximow auf einmal wortlos aus voller Kraft vor die Brust, dass dieser ein paar Schritte zurücktaumelte. Daß er nicht stützte, war Zufall.
»Fahr zu!« schrie Iwan Fjodorowitsch ärgerlich dem Kutscher zu.
»Was machst du denn? Was machst du denn? Warum behandelst du ihn so?« empörte sich Fjodor Pawlowitsch, aber der Wagen rollte schon dahin. Iwan Fjodorowitsch antwortete nicht.
»Sieh mal an, was du für einer bist!« sagte Fjodor Pawlowitsch wieder, nachdem er zwei Minuten lang geschwiegen hatte, und schielte zu seinem Sohn hinüber. »Du hast doch diesen ganzen Klosterbesuch selbst ausgedacht. Du hast uns dazu angestiftet, hast ihn uns plausibel gemacht! Warum bist du denn jetzt so ärgerlich?«
»Sie haben genug Unsinn geschwatzt, erholen Sie sich wenigstens jetzt ein bißchen!« antwortete Iwan Fjodorowitsch schroff und mürrisch.
Fjodor Pawlowitsch schwieg wieder zwei Minuten lang.
»Ein kleiner Kognak wäre jetzt nicht übel«, bemerkte er sentenziös.
Iwan Fjodorowitsch antwortete nicht.
»Wenn wir nach Hause kommen, wirst du auch gern einen trinken.«
Iwan Fjodorowitsch schwieg.
Fjodor Pawlowitsch wartete noch zwei Minuten, dann sagte er: »Aber Aljoschka werde ich doch aus dem Kloster fortnehmen, obwohl Ihnen das sehr unangenehm sein wird, ehrerbietigster Karl von Moor.«
Iwan Fjodorowitsch zuckte verächtlich die Achseln, wandte sich ab und blickte auf den Weg. Dann sprachen sie nicht mehr miteinander, bis sie nach Hause kamen.