Читать книгу Selbsthändig - Florian Bayer - Страница 9
Kann ich dir etwas anbieten? Einen Kaffee, oder Wasser?
ОглавлениеAm liebsten beides.
Kein Problem, gerne. Währenddessen kannst du mich schon mal mit Fragen löchern …
AN DER ARCHE UM ACHT Jörg Mühle, 2007 Sauerländer
Dann beginnen wir mal ganz vorne: Stand für dich schon immer fest, dass du Illustrator werden wirst, oder gab es da auch Überlegungen in eine andere Richtung?
Als Comic-Fan, der kein Comic-Zeichner werden wollte, habe ich mich relativ pubertär für ein Design-Studium an der HfG Offenbach beworben. Dort habe ich, obwohl ich schon immer sehr viel gezeichnet habe, vor allem Grafikdesign studiert. Manchmal ist alles so personenabhängig, ich kam leider lange nicht so gut mit meinem Illustrations-Professor zurecht. Aber ich habe recht erfolgreich studiert, bis ich mir vor dem Diplom plötzlich die Frage stellte, ob Grafikdesign wirklich das ist, was ich machen will. Es machte mir nicht richtig Spaß und ich hatte auch keine richtige Vision dafür. Ich wollte lieber zeichnen, das ist das was mich glücklich macht. Aber so genau konnte ich das zu dem Zeitpunkt noch nicht sagen, stattdessen fragte ich mich ständig: Welche Richtung? Welcher Professor? Das war sicher auch ein Selbstbewusstseinsproblem.
Das wuchs zu einer großen Sinnkrise an und ich wollte kurz vor dem Diplom mein ganzes Studium hinschmeißen.
Keine leichte Entscheidung. Ich kann das ein bisschen nachfühlen. Bis ich bei meinem Illustrationsdiplom gelandet bin, musste ich mich auch erst einmal durch solch eine Sinnkrise durcharbeiten.
Zum Glück hab ich’s nicht hingeschmissen und bin stattdessen für ein Jahr nach Paris. An der „Ecole Nationale Superieure des Arts Decoratifs“ belegte ich ausschließlich Illustrationskurse. Ich kannte niemanden und hatte sehr viel Zeit für mich. So konnte ich mich – eigentlich zum ersten Mal in meinem Studium – richtig auf’s Zeichnen einlassen und spürte, welche Leidenschaft und Glücksgefühle das bei mir auslöst. So ist Frankreich zu einer meiner tiefsten Erfahrungen in meinem Leben geworden. Ich habe die Sprache gelernt, bin durch die Straßen gelaufen, habe Menschen getroffen … und mich dabei entschieden, mein Diplom in Illustration zu machen und mein Ding durchzuziehen.
Nach dem Diplom hatte ich mir ein Jahr Zeit gegeben, es als Illustrator zu probieren und damit durchzukommen. Die Bedingungen dafür waren gut, ich konnte mietfrei wohnen und hatte mir einiges angespart.
„Wenn ich mein Ziel nicht erreichen sollte, werde ich eben Grafikdesigner“, dachte ich mir. Aber das wäre für mich eine reine Sicherheitslösung gewesen, emotional gleichbedeutend zu Taxi fahren.
Wir sitzen hier im „Labor“, einer Ateliergemeinschaft, die hauptsächlich aus Kinderbuchillustratoren besteht. Ihr nennt euch „Laboranten“ und präsentiert euch auf einer gemeinsamen Internetseite. Hast du das Labor mitgegründet, oder bist du erst nach deinem Diplom dazugestoßen?
Das Labor gab es schon; und während ich an meinem Diplom zeichnete, hörte ich, dass dort ein Platz frei wird.
Während des Diploms hatte ich sehr viel Zeit allein am Zeichentisch verbracht und das auch sehr genossen. Gleichzeitig habe ich gespürt, dass das nicht gut für mich ist. Ich merkte, wie ich immer introvertierter wurde und habe mir quasi eine Selbsttherapie verordnet. Ich wollte beim Arbeiten wieder unter Menschen kommen und bewarb mich beim Labor, ohne dort jemanden zu kennen.
Es war sehr hilfreich, gleich hier anzufangen. Ich kannte eigentlich keine Illustratoren und hier im Labor gab es gleich mehrere, die Erfahrung hatten. Ich wollte unbedingt wissen, wie’s losgeht. Ich hatte ja keinen Schimmer. Zunächst hatte ich etwas Angst vor der direkten Konkurrenzsituation. Ich wusste nicht, wie ich reagieren würde, wenn die anderen beschäftigt sind und ich nur herumsitze. Oder ob untereinander Neid ausbricht. Aber die Angst vor der Konkurrenz legte sich schnell und den Erfolg der anderen empfinde ich als Ansporn. Wir haben jetzt eine Konstellation, die sehr gut ist. Vertrauen untereinander zu fassen, ist in einer Ateliergemeinschaft, wie wir sie hier haben, sehr wichtig. Dadurch kamen viele Jobs am Anfang zustande. Die anderen haben mir super geholfen. Alle verschaffen sich gegenseitig Jobs und machen Werbung füreinander. Wenn ein Kunde einen aus dem Labor kennt, kennt er alle. Die gemeinsame Webseite macht das Labor zu einer richtigen Institution. Und das hat einen irren Synergieeffekt. Man wird als Gruppe wahrgenommen, das finden die Leute cool. Wir haben mal überlegt uns an einem Logo und Briefpapier zu versuchen, aber bis auf die Webseite haben wir alles verworfen. Das Ding hier hat eine relativ ungeplante Eigendynamik. Es gibt dafür keine juristische Form, es ist eher so was wie eine Wohngemeinschaft.
Jedes Jahr zur Buchmesse machen wir alle zusammen eine Ausstellung hier in unseren Räumen, die so genannten „Laborproben“. Wir präsentieren unsere neuen Bilder und Arbeiten, die über das Jahr hinweg entstanden sind und alle Laboranten laden ihre Kunden dazu ein.
DIE FRANKFURTER BUCHMESSE, 1949 gegründet, findet jedes Jahr im Oktober auf dem Messegelände in Frankfurt am Main statt. Sie dauert fünf Tage und ist mit über 7.000 Ausstellern und mehr als 280.000 Besuchern die größte und bedeutendste Buchmesse der Welt. Sie dient als Fachmesse in erster Linie Verlegern, Agenten, Buchhändlern, Illustratoren, Verbänden und Künstlern zur Vorstellung ihres Angebots und dem Abschluss von Geschäften.
Ist es für dich als Buchillustrator von Vorteil in Frankfurt zu sein, der Stadt der BUCHMESSE?
Die Standortfrage ist sehr interessant, ich hab mir darüber schon viele Gedanken gemacht. Eigentlich sehe ich meine Kunden nicht, aber ich bin der Meinung, dass es eine Rolle spielt, dass ich hier in Frankfurt bin. Durch die Buchmesse trifft unsere Ausstellung genau den Personenkreis, den wir ansprechen wollen und kommt dort sehr gut an. Wenn man als Zeichner etabliert ist, kann man in die Pampa ziehen, aber am Anfang bezieht man seine Kunden und die Kontakte zu Kunden aus der Region. Daher entsteht in der Pampa ein sicher nicht so interessantes Portfolio wie hier, da es sich aus provinzielleren Aufträgen zusammensetzt. Aber ich weiß es nicht genau.
Ist am Anfang vor allem wichtig, wie sich das Portfolio entwickelt?
Aus deiner Mappe ergeben sich die nächsten Jobs. Da muss man Entscheidungen treffen, die nicht immer leicht sind. Als ich hier rumsaß, endlich was arbeiten wollte und dringend Geld brauchte, war mein erstes Jobangebot die Anfrage des POM-BÄR-Zeichners, der einen Assistenten zum Kolorieren suchte. Ich wollte eigentlich zusagen, aber da war es gut, meine Kollegen im Labor um mich herum zu haben, die mich warnten: Du musst dein eigenes Zeug machen. Das, was du wirklich willst. Denn ein Auftrag wie für „Pom-Bär“ birgt zwei Gefahren: Erstens passiert es schnell, dass man aus Bequemlichkeit und Sicherheitsdenken nicht mehr aus der Sache herauskommt – der Bedarf an vielen „Pom-Bären“ war da. Und Zweitens hast du eine Mappe, voll mit diesen Bären. Da ist es klar, dass du nur noch Jobs in dem Sektor bekommen wirst. Ich hab den Auftrag abgelehnt.
DER POM-BÄR ist ein in Bärenform hergestellter Kartoffelchip und wird von Wolf Bergstrasse produziert.