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Ich bin bei dir

Es war Susannes größte Angst.

Sie sperrte sie in einen Käfig, wie es sich für ein rasendes Biest gehörte, aber die Pranken der Bestie fuhren einfach zwischen den Gitterstäben hindurch und zerschnitten ihr Herz. Je mehr Roland und Susanne zusammenwuchsen, umso wilder wurde das Biest. Sprachen Paare über so etwas? Über diese Angst.

»Was ist, wenn einer von uns beiden stirbt?«

Als die Angst noch klein war, hatte Susanne sie für ein harmloses Schreckgespenst gehalten. Eine schwarze Katze, die nur bei Nacht erschien und die nach dem plötzlichen Tod ihres Vaters gekommen war und seitdem in ihrem Herzen Sorgen an den Schwänzen herbeizog wie Mäuse. Das ständige Gefühl, das einen glauben lässt, dass sich hinter jeder Ecke ein Monster lauert, das nur darauf wartet, in einem Augenblick der Unachtsamkeit zuzuschlagen und einen vom Angesicht der Welt zu tilgen. Und letzten Endes war es doch genau so gewesen. Ihr Monster hatte Roland verschlungen und es fett und gierig gemacht.

Vor neun Monaten hatte Roland in einem Hotelzimmer um Susannes Hand angehalten und sie hatte »ja« gesagt. Danach hatten die beiden aus einer Laune heraus und mit nichts mehr als Helium im Kopf einen Spaziergang gemacht: Um 1 Uhr nachts, unter einem klaren Sternenzelt und zwei Stunden, bevor sie sich mit Nachtgedanken gefüllten Köpfen ins Bett jagten und die fremden Laken mit heißem Schweiß benetzten.

Es folgte eine fünfmonatige Periode des Blindflugs. Susanne stürzte sich sofort in die Hochzeitsvorbereitungen, während Roland sich auf das neue Schuljahr vorbereitete. Mit jedem Haken, den sie auf ihrer Liste setze, wuchs die Katze, bis Susanne schließlich eines Nachts schweißgebadet aufwachte, gebissen von dem verdammten Miststück – und Traum nicht mehr von Realität unterscheiden konnte. Sie hatte geträumt, dass Roland gestorben war. Doch Susannes Verlobter schlief ruhig neben ihr, laut atmend, unbekümmert. Er hatte Susannes verkniffenen Schrei nicht gehört. Das Bild ihres zukünftigen Mannes in dieser privatesten aller Situationen brannte sich ein. Das merkte Susanne erst viel später bei der Beerdigung. Nie war der Mensch verletzlicher als im Schlaf und vielleicht schlug deswegen der Tod genau dann so gerne zu. Susannes Vater war mit 45 gestorben, gerade als er begonnen hatte, in seinen prächtigsten Farben zu schillern. Seit seinem Tod war Susannes Mutter ergraut.

Roland starb bei einem Autounfall. Nicht im Schlaf, nicht friedlich. Dafür musste er nicht lange leiden. Das Monster hatte ihn in einem Happen verschlungen, noch bevor der gute Zauber des gemeinsamen Schwurs das Biest eventuell vertrieben hätte.

Die Hochzeitsvorbereitungen rückgängig zu machen war nicht schwierig gewesen. Susannes Mutter half ihr dabei, mit all den Erfahrungen, die sie bei der Organisation der Trauerfeier ihres Mannes gemacht hatte. Der Schock über Rolands gewaltsamen Tod saß tief. Sämtliche Gäste – Wegbegleiter, Freunde, Familie – erschienen statt in bunten Farben in einheitlich unfarbiger Garderobe. Manche unterstützten Susanne und Rolands Familie bei den Angelegenheiten, die mit einem plötzlichen Tod einhergingen.

Danach wurde es still und selbst gute Freunde begannen, sich von Susanne zu distanzieren. Die Katze war zu einem pechschwarzen Löwen mit gelben Augen geworden, der nach allen Händen biss, die ihm gereicht wurden. Susannes Mutter musste zusehen, wie sich ihre Tochter einem Wahn ergab.

Susanne versuchte, Roland gewaltsam am Leben zu halten. Dafür stoppte sie ihre innere Uhr und machte ihre gemeinsame Wohnung zu einer Art Voodoo-Schrein. Sie trug seine Sachen, saugte das Aroma in den Fasern auf wie Weihrauch und stellte ihr Dasein in den Dienst eines versessenen Götzendiensts. Der Ring mit dem winzigen Brillanten, den er ihr geschenkt hatte, machte sie zu ihrem heiligsten Relikt. Ihre Mutter und eine gute Psychiaterin brachten Susanne schließlich ab vom Dornenweg. Sie lernte, über ihre Ängste zu sprechen, und nahm der Bestie so die Nahrung. Sie schrumpfe, bis sie eines Tages in ihrem Käfig verkümmerte wie eine abgestorbene Nabelschnur.

Mit ihren Freunden kehrte auch Farbe in ihr Leben zurück. Der graue Himmel färbte sich blau. Susanne flog aus ihrem vereinsamten Nest mit geheilten Flügen. Auf langen Flügen teilte sie sich ihre Kraft ein. Susannes erster Halt war ihr Elternhaus. Dort konnten beide Frauen ihre Trauer teilen.

Das alles hatte sie hierhergeführt.

Das alles hatte sie durchgemacht, um noch einmal diese Magie zu spüren. Ohne dass Tränen kamen, die den Zauber wegspülten.

Susanne war an den Ort zurückgekehrt, an dem sie und Roland sich verlobt hatten. Ihre Mutter hatte ihr von dieser Idee abgeraten, aber Susanne hatte sich durchgesetzt. Sie lehnte sich gegen den morschen Holzzaun und atmete die laue Mailuft ein. Sie spürte Rolands Anwesenheit, spürte ihn in der warmen Brise, die ihr um die Nase strich.

Hier hätten sie Hochzeit gefeiert. Sie hätten den Bierlikör serviert, den es nur hier gab. Inmitten einer beschaulichen ländlichen Idylle. Susanne stand vor einer Kirche, wie nur Altbayern sie besaß. Das Feuerwerk wäre der Höhepunkt der Feier gewesen.

Bunte Blumen, die in der schwarzen Sternenwiese wuchsen und nur für den Augenblick blühten.

Plötzlich hörte Susanne ein Zischen wie von einem überhitzten Motor und das Bild, das sie sich von Rolands Autounfall gezeichnet hatte, verdrängte die ruhige Stille und drohte, sie zu erdrücken. Doch dann begannen sie zu wachsen. Blumen aus Licht auf schwarzem Hintergrund.

Jemand veranstaltete über ihrem Kopf ein Feuerwerk. Heiße Funken aus Metallstaub zerstoben in der Nacht.

Susanne weinte. So hatte sie es sich vorgestellt. Es sich für Roland gewünscht. Ein zauberhafter Moment für die Ewigkeit.

»Ich werde dich niemals alleine lassen«, flüsterte ihr Roland ins Ohr.

»Ich bin bei dir.«

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