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Kaputter Abfluss

-1-

Am Montag hat es angefangen.

Die Spüle war bis zum Rand voll mit dreckigem Geschirr. Mit Nudeln und Käse verkrustete Teller und Töpfe der letzten sieben Tage.

Bügeln, Putzen, Saugen, Wischen. Jeden Tag nehme ich etwas anderes in Angriff. Zum Abwasch war ich diese Woche noch nicht gekommen. Normalerweise bemühe ich mich, nicht im Müll und Dreck zu versinken, aber manchmal bleiben Dinge eben auch mal liegen.

Wie bis Montag halt das Geschirr.

Noch bis vor einem Jahr hat mir meine Frau diese Arbeit abgenommen. Sie war schon immer für den Haushalt zuständig gewesen, ich dafür, dass etwas auf den Tisch kommt. Das hat sich auch mit meiner Rente nicht geändert. Ich habe dann eben danach geschaut, das Haus in Schuss zu halten und den Garten zu machen. Jetzt muss ich mich um alles kümmern.

Ich habe die Spüle mit Wasser volllaufen lassen, damit der Käse quillt und die Reste aufweichen, als mir plötzlich ein Geruch aufgefallen ist.

Irgendetwas hat nach faulen Eiern gerochen. Nach Schwefel.

Zuerst habe ich gedacht, dass ich vielleicht doch etwas zu lange mit dem Abwasch gewartet habe. Ich hätte gedacht, dass die Reste einfach schon begonnen hatten, zu faulen. Aber das war es nicht. Ich habe die ganze Woche nichts mit Ei gegessen.

Ich habe also an dem bekackten Atlantis aus Geschirr gerochen. Ich hab‘ einen ordentlichen Zug genommen und plötzlich hat es so in der Nase gebrannt, als hätte mir jemand die Nasenhaare abgefackelt.

Der Geruch ist vom Wasser gekommen. Kruzifix! Ich hab‘ den Stöpsel gezogen und das Wasser abgelassen. Das Geschirr hab‘ ich mit einem Stahlschwamm abgekratzt und dann abgetrocknet (Meine Frau hätte mir den Hals umgedreht, hätte sie gesehen, dass ich ihre teuren Töpfe mit dem Stahlschwamm bearbeite). Und am Ende habe ich sogar noch die scheiß Spüle geputzt.

Vom Geruch, der aus dem Abfluss gekommen ist, ist mir schlecht geworden.

Ich hab‘ den Stöpsel wieder reingemacht, das Wasser aufgedreht und die Spüle nochmal randvoll gemacht.

Dieses Mal hätte mich der Gestank fast auf die Bretter geschickt. Das Wasser hat nach Kloake gerochen!

Noch am selben Tag habe ich Fritz angerufen. Fritz hat eine Klempnerfirma und muss seine Arschkerbe schon lange nicht mehr selbst entblößen. Obwohl er seinen Arsch nun die meiste Zeit an einem Schreibtisch parkt, hat er’s, was Sanitäranlagen angeht, immer noch drauf.

Fritz ist eine Stunde später gekommen und hat sich meine Spüle angesehen.

»Riecht, als wäre eine Ratte in deine Rohre gekrochen und verreckt!«, hat er gesagt. »Aber Scherz beiseite. Das kann es nicht sein. Höchstwahrscheinlich stimmt irgendetwas mit deinem Brunnen nicht. Vielleicht hat ein Bauer in der Nähe zu viel geodelt und die ganze Jauche ist dann ins Grundwasser gesickert. Oder es ist der Boden unter deinem Fundament. Wenn sich dort bestimmte Bakterien angesiedelt haben, kann es zu so einem Geruch kommen.«

»Und was mache ich jetzt dagegen, du Schlaumeier?«, habe ich gefragt.

Fritz hat mir den Vogel gezeigt und dann gesagt: »Ich lass‘ dir für die Woche mal einen Spezialfilter da. Wenn es damit besser wird, gut. Hoffen wir, dass der Geruch von selbst verschwindet. Besser, als das ganze Fundament aufzugraben oder deinen Brunnen trocken zu legen. Gefährlich ist der Geruch per se nicht. Trinken würde ich das Wasser bis auf weiteres nicht. Außer, wenn du’s vorher abkochst.«

»Und was ist, wenn der Geruch nicht verschwindet?«, habe ich gefragt. »Dann schaust du dir am besten mal deinen Brunnen an. Ich kann dir Stäbchen dalassen, mit denen du die Wasserqualität prüfen kannst. Aber mein Test gerade eben hat nichts ergeben. Dein Wasser ist hart, aber schadet einem nicht.«

»Genau wie mein Selbstgebrannter!«, habe ich da geantwortet. Ein flacher Witz. Aber eine so steile Vorlage habe ich mir nicht entgehen lassen können. Auch, wenn der Witz dann nicht abgehoben ist.

»Wie du meinst!«, hat Fritz gesagt. »Soll ich dir die Stäbchen dalassen?«

»Jetzt probier‘ ich erst den Filter aus!«, habe ich geantwortet. Den normalen Filter hat Fritz abmontiert und in der Spüle liegen lassen. Er ist von weißem Kalk verkrustet. Hat sich Lisbeth eigentlich auch um das Entkalken der Filter gekümmert? Der Filter, jedenfalls, hat auch nach faulen Eiern gestunken. Der neue Filter war so ein Teil aus Plastik – eine blaue-weiße Kapsel, die mit irgendeinem Pulver gefüllt war.

»Aktivkohle«, hat Fritz gemeint, als ich ihn gefragt hab‘. »Filtert alle Schadstoffe aus dem Wasser. Kriegst du in der Apotheke auch als Tablette. Hilft beim Entgiften. Meine Frau fährt voll darauf ab. Da macht es ihr auch nichts aus, dass man danach Briketts scheißt.«

»Aha!«, habe ich gesagt und ihm postwendend den Vogel gezeigt.

Am Schluss hatte er noch eine Frage: »Sag‘ mal. Stinkt nur dieser Hahn oder riecht dein restliches Wasser auch so?«

Das hatte ich überprüft, als ich auf Fritz gewartet habe. Ich habe alle Hähne im Haus aufgedreht, das Klo gespült und die Waschmaschine auf 30°C ohne Inhalt laufen lassen.

Nirgends war mir dieser Gestank nach Schwefel aufgefallen. Nur in der Küche. Das habe ich auch Fritz gesagt.

»Seltsam«, hat er gemeint. Und dann hat er gesagt, dass er sich die Woche nochmal meldet. Den Spezialfilter hat er mir umsonst dagelassen. Nach dreißig Jahren im Schützenverein darf man ruhig mal von seinen Privilegien Gebrauch machen.

Nachdem Fritz gegangen ist, hab‘ ich das Wasser in der Küche ein weiteres Mal aufgedreht. Das Wasser ist in einer luftigen Säule aus dem Spezialfilter gekommen. Und es hat nicht mehr nach Schwefel gestunken.

Damit habe ich die Sache auf sich beruhen lassen und hab‘ mich anderen Dingen gewidmet. Zum Abendessen hab‘ ich mir eine Brotzeit mit Speck, Käse und Gewürzgurken gemacht.

-2-

Am nächsten Tag wollte ich schauen, ob Fritz‘ Spezialfilter hält, was er versprochen hat. Aber dann die Überraschung: Das Scheißding muss in der Nacht abgebrochen sein.

Die Plastikkapsel ist aufgeplatzt in einer Pfütze gelben Wassers gelegen. In der Brühe sind kleine schwarze Kügelchen geschwommen und haben sich langsam aufgelöst. Zuerst habe ich überlegt, ob es einen Rückfluss gegeben hat, aber Fritz hatte am Vortag nichts an den Ventilen oder am Abfluss gemacht. Ich muss wohl nicht sagen, dass die ganze Schweinerei nach vergammelten Eiern gestunken hat.

Da hat mich das erste Mal die Wut gepackt. Dieses scheiß Drecksteil, das Elendige.

Ich hab‘ den Fritz angerufen und ihm gesagt, dass er so schnell wie möglich vorbeischauen soll. Der hat aber gesagt, dass er keine Zeit hat und ich das Wasser in der Küche einfach nicht aufdrehen soll, bis er vorbeikommt.

Als ob ich blöde rumhocken und abwarten könnte.

Ich hab‘ sicherheitshalber einen Eimer unter den Abfluss gestellt und dann den Hahn voll aufgedreht.

Das Wasser ist einen Moment lang schwarz aus der Leitung gekommen. Aber nach drei Sekunden ist es klar geworden und hat die Sauerei in meiner Spüle weggeschwemmt. Die kleinen schwarzen Kügelchen (laut Fritz Aktivkohle) hab‘ ich mit dem Stahlschwamm wegkratzen müssen, weil sie sich schon in den Edelstahl gefressen hatten. Ich hab‘ mir Latex-Handschuhe angezogen und mich an die Arbeit gemacht. Die Nase habe ich mir mit einer Hand zugehalten. Wieder hat alles nach Schwefel gestunken.

Nach dem Putzen habe ich Schwamm und Handschuhe sofort in den Müll geworfen. Am Schluss hab‘ ich alle Fenster in der Küche aufgemacht, damit sich der restliche Gestank verzieht.

Gefrühstückt hab‘ ich im Wohnzimmer. Die Reste von der Brotzeit gestern. Das Brot ist zwar schon sauer und steinhart gewesen, aber für meinen malträtierten Magen ist es trotzdem eine Wohltat gewesen.

Als sich Fritz aber mittags immer noch nicht gemeldet hatte, hab‘ ich beschlossen, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen.

Ich bin zwar kein Sanitäranlagentechniker, aber nichts unternehmen konnte ich ja auch nicht. Fritz hatte gestern was vom Brunnen gesagt. Dass er verunreinigt sein könnte. Ich konnte ja sicherheitshalber mal nachschauen, ob ich was erkennen konnte, hab‘ ich mir gedacht.

Ich bin in mein Auto gestiegen und bin den Kilometer gefahren.

Im Wald angekommen, habe ich gemerkt, dass ich eine Brechstange oder Schmiermittel hätte mitnehmen sollen. Die Luke des Brunnens war komplett verrostet. Der Stift, mit dem die Luke verschlossen gewesen ist, war beinahe mit dem Deckel verschmolzen. Von dem Schloss mal ganz zu schweigen.

Scheiße.

Da hab‘ ich wieder an Lisbeth denken müssen. Die hat schon vor zehn Jahren gesagt, dass wir unseren Brunnen hätten erneuern lassen sollen. Damals war mir das Geld zu schade gewesen. Das ist jetzt die Rechnung dafür.

Am Ende habe ich mir einen Stiefel ausgezogen, ihn in meine Jacke gewickelt und dann so lange auf das Schloss gehämmert, bis der Stift gebrochen ist. Doppelt Scheiße.

Aber zumindest ist die Luke offen gewesen.

Beim Aufstemmen habe ich mir das Kreuz verrenkt. Mit 67 Jahren gehen einem solche Dinge halt nicht mehr so leicht von der Hand. Aber lassen wir das. Über das Alter habe ich noch nie gejammert und ich fang‘ jetzt nicht damit an.

An eine Taschenlampe hatte ich gedacht. Sonst hätte ich nicht auf den Grund des Brunnens sehen können. Schon der Geruch, der mir entgegenkommen ist, hat die Sache entschärft. Das Wasser hat muffig gerochen, ein bisschen modrig sogar, und nach Mineralien. Aber gut, das war eben Grundwasser. Dafür gibt es Filter und meiner scheint, noch funktioniert zu haben. Keine Spur von faulen Eiern.

Den einzigen alten Furz, den es hier gegeben hat, war ich.

Trotzdem habe ich den Boden des Brunnes abgeleuchtet, um auf Nummer sicher zu gehen. Fritz hat gemeint, dass man Schlieren oder Algen erkennen kann, wenn das Wasser mit Düngemitteln belastet ist, aber das Wasser ist klar gewesen. Keine Verunreinigungen.

Ich habe die Luke zugemacht und sie mit dem gebrochenen Stift so gut verschlossen, wie es eben ging. Morgen würde ich kommen müssen, um ein neues Schloss dranzumachen und bei der Gelegenheit konnte ich das Wasser gleich nochmal kontrollieren. Kann sein, dass Fritz mitkommt.

Dann bin ich heimgefahren.

Und daheim hätte mich fast der Schlag getroffen.

-3-

Schon als ich die Tür aufgemacht habe, ist mir der Gestank entgegengekommen. Ich hätte fast auf die Türschwelle gereihert. Das ganze Haus hat wie scharfe Jauche gerochen. Der Geruch ist so schlimm gewesen, dass ich hab‘ husten müssen und mir Tränen in die Augen geschossen sind. Ich bin natürlich sofort zur Spüle in der Küche gerannt und hab‘ nachgesehen, was los ist.

Die Spüle war bis oben hin mit gelbem Wasser gefüllt. Hat so ausgeschaut, als hätte sich jemand in meiner Spüle erleichtert. Im Abfluss ist kein Stöpsel gewesen und trotzdem ist das Wasser nicht abgelaufen.

Lange schwarze Haare sind in der Suppe geschwommen. Lisbeths Haare. Und das, obwohl sie schon ein Jahr nicht mehr bei mir lebt.

Das ist ein Rückfluss gewesen.

Aber das war noch nicht das Schlimmste. Auch nicht der elendige Gestank. Überall, wo das gelbe Wasser mit dem Edelstahl in Berührung gekommen ist, hat es das Metall schwarz gefärbt.

Scheiß‘ die Wand an!

Da hätte nicht einmal mehr ein Stahlschwamm geholfen!

Dann habe ich überlegt: Rufe ich erst den Fritz an oder kümmere ich mich gleich selbst um die Sache?

Ich hab‘ mich für Letzteres entschieden. Vor allem, weil Fritz sich noch nicht gemeldet hatte. Auch auf dem Anrufbeantworter war keine Nachricht.

Hab‘ mir also den Scheißhauspömpel geschnappt und den Abfluss solange damit bearbeitet, bis die Brühe abgelaufen ist. Danach hab‘ ich einen Schwall Wasser hinuntergelassen, weil selbst durch den Siphon allerfeinstes Aroma gekommen ist.

Dann hab‘ ich den Stöpsel reingesteckt und noch einen Milchpack draufgestellt. Ich hab‘ gewusst, dass das nichts bringt. Hätte Abwasser von unten durchgedrückt, hätte es den Stöpsel wie einen Sektkorken knallen lassen. Milchpack hin oder her. Vorsicht ist aber besser als Nachsicht.

Dann hab‘ ich alle Fenster im Haus aufgemacht und den Fritz angerufen.

Erwischt habe ich nur seine Mailbox. Ich hab‘ ihm eine saftige Nachricht auf den AB gesprochen.

»Fritz«, hab‘ ich gesagt, »Das ganze scheiß Haus stinkt nach faulen Eiern. Dein Spezialfilter hat rein gar nichts gebracht und jetzt hab‘ ich auch noch einen Rückfluss. Der Scheiß, der da aus dem Abfluss gekommen ist, ist so aggressiv, dass er mir die ganze Spüle verhunzt hat. Schaut jetzt so aus, als hätte ich sie schwarz gestrichen. Und auch mit dem Brunnen ist nix. Ich bin heute rausgefahren und hab‘ ihn mir extra angeschaut. Das Wasser ist klar. Ruf‘ mich so schnell zurück wie’s geht.«

Nach meiner Ansage hab‘ ich kontrolliert, ob der Milchpack noch auf dem Stöpsel steht. Zu guter Letzt hab‘ ich alle Fenster bis auf das Schlafzimmerfenster zugemacht und bin ins Bett gegangen, ohne zu essen. Hätte ich etwas gegessen, hätt‘ ich’s sofort wieder hergegeben.

-4-

Am Morgen schon wieder der gleiche Mist. Aber zumindest eine gute Nachricht hat es gegeben. Die Spüle war kein zweites Mal übergelaufen und bis auf einen feinen Hauch war nichts mehr von faulen Eiern zu riechen. Beim Erledigen meines morgendlichen Geschäfts hat sich meine Laune dann schlagartig verschlechtert.

Pisse von alten Männern ist in den seltensten Fällen geruchsneutral. Eine andere Sache ist es aber, wenn es noch schlimmer stinkt, nachdem man die Spülung gedrückt hat.

Statt dass es mein gelbes Wasser weggespült hat, habe ich mehr gelbes Wasser hinzugefügt.

Ich hätte fast einen Koller bekommen! Jetzt hat auch das Scheißhaus nach faulen Eiern gestunken.

Dann hat mich eine böse Vorahnung ereilt. Im Eifer des Gefechts hab‘ ich mir meine Schlafanzughose einfach aus- statt angezogen und bin als Nächstes durchs gesamte Haus gerannt. Ich hab‘ den Hahn im Bad aufgedreht. Die Dusche. Dann bin ich in die Garage gegangen und hab‘ das Wasser dort angemacht. Ganz zum Schluss den Wasserschlauch im Garten (In der Unterhose, aber das ist mir erst später bewusstgeworden).

Aus jedem einzelnen Hahn ist dieses elendige, stinkende Wasser gekommen. Und wie es beim Hahn in der Küche der Fall gewesen ist, ist es erst einmal ein paar Sekunden schwarz aus der Leitung geflossen.

Der Gestank ist unerträglich gewesen.

Ich hab‘ die Telefonschnur mit nach draußen gezogen und im Treppenhaus Fritz angerufen.

Fritz hat nach dem ersten Läuten abgenommen und gleich gesagt: »Zwei Dumme, ein Gedanke, Josef (niemals Sepp, muss ich an dieser Stelle anfügen)! Gerade wollte ich dich anrufen. Hör zu, ich hab‘ ein bisschen recherchiert! Dieses Gas, das da aus deiner Leitung kommt ist höchstwahrscheinlich Schwefelwasserstoff. Das ist für Menschen zwar nicht giftig, aber höher konzentriert ist es entzündlich!«

Dann habe ich gesagt: »Was interessiert mich, wie der Scheiß da heißt und ob ich’s zum Heizen hernehmen kann? Du Fritz, das Wasser kommt jetzt aus allen Leitungen. Kannst du mir erklären, woher das kommt? Vom Brunnen kann es nicht kommen! Da hab‘ ich schon nachgeschaut!«

»Wie ich dir schon gesagt habe - wenn es nicht am Brunnen liegt, dann kann es nur der Untergrund sein. Besondere Bakterien im Boden können dieses Gas produzieren. Wenn es jetzt aber schon aus allen Hähnen kommt – dann – Josef, ist es wohl eine größere Sache! Es kann sein, dass deine Rohre marode sind und sie deswegen das Gas ins Wasser lassen! Dann kannst du dich gleich nach einem neuen Haus umschauen. Alle Rohre zu richten würde ein Vermögen kosten .«

Als Fritz mit das mitgeteilt hat, hab‘ ich nur noch an das Rathaus gedacht. Das Bauamt, um genau zu sein. Mein Blut hat zu diesem Zeitpunkt angefangen zu kochen. Ich hab‘ den Hörer so fest an mein Ohr gedrückt, dass meine Knöchel weiß geworden sind. Mein Ohr ist eine Stunde nach dem Telefonat noch rot gewesen.

»Hätten die vom Bauamt nicht wissen müssen, dass mein Grund belastet ist?« Meine Stimme zu mäßigen hat mich einiges an Anstrengung gekostet. Auch als mir Lisbeth die Nachricht überbracht hat, dass sie mich verlassen will, hab‘ ich erst einmal ruhig reagiert.

»Ja, du, Josef, ich weiß nicht? Haben die vor 40 Jahren schon so genaue Bodenanalysen gemacht? Vielleicht gehst du mal ins Rathaus und fragst nach?« Genau das war es, was ich hören wollte. »Soll ich dann später noch vorbeischauen? Am Nachmittag hätte ich Zeit. Dann kann ich mir die Leitungen im Keller gleich anschauen!«

»Fritz, ich halte es für besser, wenn ich erst einmal dem Bauamt einen Besuch abstatte. Du hast doch gesagt, dass dieser Schwefelstoff-«

»Schwefelwasserstoff«, hat mich Fritz verbessert.

»Schwefelwasserstoff an sich ungefährlich ist, solange ich nicht abfackle, oder?«

»Ich denke schon. Ich weiß aber nicht, ab wann die Konzentration tatsächlich gefährlich wird.«

»Gut, dann mache ich das jetzt so: Ich schau heute erst einmal im Rathaus vorbei und höre mir an, was die zu sagen haben. Wenn ich mehr weiß, ruf‘ ich dich an und dann können wir uns die Leitungen immer noch anschauen!« Das ist eine glatte Lüge gewesen. Ich habe nicht vorgehabt, Fritz in meinen Keller zu lassen.

»Wenn du meinst«, hat Fritz gesagt. »Dann hören wir uns später!«

Fritz hat aufgelegt.

Ich habe den Hörer auf das Telefon geknallt. Dabei ist das Plastikgehäuse gesprungen. Als ich den Telefonhörer dann nochmal an mein Ohr gehalten habe, ist kein Ton mehr herausgekommen. Ich habe das ganze Telefon auf den Boden geschmettert. So war auch die Sache mit dem Rückruf erledigt. In der Stadt konnte ich mir immer noch ein Neues kaufen. Vielleicht ein schnurloses Telefon mit Basis. So eines hat sich Lisbeth immer gewünscht. Obwohl es niemanden gibt, den sie hätte anrufen können. Kinder haben wir nie gehabt.

Ganz am Schluss habe ich mir noch in die Hand gebissen, bis es geblutet hat. Erst als ich das etwas stark salziges geschmeckt habe, bin ich wieder zur Besinnung gekommen. Im stinkenden Bad habe ich mir die Hand verbunden. Dann hab‘ ich mir den Hut aufgesetzt und bin zum Rathaus in die Stadt gefahren.

Ich bin in das Bauamt gegangen und wollte den Leiter sprechen. Die junge Sekretärin hat mir gesagt, dass der Stadlhuber bis nächste Woche im Urlaub ist und ich mich mit meinem Anliegen an den Stellvertreter wenden könnte. Da habe ich ihr den Mittelfinger gezeigt und sie mit ein paar derber Flüchen belegt.

An die Stunden darauf erinnere ich mich nicht mehr so genau. Jetzt ist es fünf Uhr nachmittags. Um zehn Uhr bin ich ins Rathaus gefahren. Ich weiß noch, dass die Sekretärin irgendwann angefangen hat zu schreien und dass ich im Anschluss aus dem Rathaus gestürmt bin. Wie ich nach Hause gekommen bin, kann ich mir nicht erklären. Mein BMW steht nicht vor der Tür. Bin ich etwa gelaufen? Die ganzen fünf Kilometer? Das erklärt zumindest, wieso sich meine Hüfte so anfühlt, als hätte mir jemand alle Knochen durch einen Haufen Glasscherben ersetzt.

Ein neues Telefon habe ich mir auch nicht gekauft.

Blut ist durch meinen Verband gesickert. Schaut so aus, als hätte ich eine Sau geschlachtet. Auf meinem Hemd sind ebenfalls Blutspritzer. Was habe ich nur getan?

Das ganze Haus stinkt nach Schwefel. Es hat einen weiteren Rückfluss gegeben. Die ganze Küche steht einen Finger breit unter Wasser. Der Boden hat sich dunkel verfärbt. Aus dem Scheißhaus plätschert unentwegt schwarze Brühe. Die Badewanne und Dusche sind mit gelber Flüssigkeit gefüllt.

Ich habe mir gedacht, jetzt wäre es doch eine gute Idee, im Keller nachzuschauen.

Der Geruch, der mir beim Öffnen der Kellertür in die Nase gestiegen ist, war wie der linke Haken eines Preisboxers. Bisher habe ich geglaubt, dass der Gestank nach faulen Eiern schon schlimm genug gewesen ist.

Im Keller riecht es nicht nur nach Schwefel. Sondern nach Fäulnis. Verwesung. Tod.

Lisbeths Körper ist zu einer Mumie geworden. Die Augen sind eingefallen, schrumpelig und schwarz wie Rosinen. Ihre Haut wie altes Wachs, gelb und rissig. Die Haare fein wie Spinnenweben. Eine Ratte muss an ihrem linken Arm genagt haben. Der Knochen darunter leuchtet weiß.

Irgendwann im Sommer muss ich vergessen haben, Lisbeth zu füttern. Jetzt ist es Mai.

Nachdem sie mir gebeichtet hat, dass sie mich verlassen will, habe ich sie vor fast einem Jahr mit Kabelbinder an die Wasserrohre gefesselt. Sie hat mir an den Kopf geworfen, ich wäre cholerisch. Dass es nicht ihre Schuld gewesen ist, dass wir keine Kinder hatten. Sie wäre schließlich fruchtbar gewesen. Ich habe ihr die Zähne ausgeschlagen und sie mit einem Paar alter Socken geknebelt. Alte ungewaschene Socken. Die Reste meiner Mahlzeiten habe ich ihr anschließend vorgekaut. Manchmal hat sie es mir in das Gesicht gespuckt. Dann habe ich ihr in die Visage geschlagen und sie drei Tage lang hungern lassen.

Die schwarze Pfütze, in der sie liegt, riecht nach alter Pisse und Scheiße. Pisse und Scheiße, die sauer geworden ist.

Anscheinend habe ich auch vergessen, ihren Scheißhauseimer zu leeren.

Ihren Mumienarm hat sie um eines der Wasserrohre gekrallt. Das Rohr unter ihrer Hand ist schwarz angelaufen.

Aus der Ferne höre ich plötzlich Sirenen. Die junge Frau im Bauamt hat nicht gewusst, wer ich war. Ich habe ihr nicht gesagt, wie ich heiße. Aber irgendwer muss mich doch erkannt haben.

Ich schneide die Kabelbinder ab und setze mich zu Lisbeth. Ihren angeknabberten Arm lege ich mir um die Schultern. Ich höre, wie sie Gase in Lisbeth Innern wandern und sich Flüssigkeiten umlagern.

Alles stinkt nach Schwefel. Aber das ist alles nicht mehr so schlimm.

Ich packe mein Feuerzeug aus und mache es an.

-5-

Am nächsten Morgen hält Fritz die Tageszeitung in der Hand. Er liest die Schlagzeile auf Seite eins. Sie lautet: »Rentner sprengt sich und sein Haus in die Luft.« Fritz liest weiter. Ihm steht der Schweiß auf der Stirn. »Als Ursache wird ein Gasleck vermutet. Die Einsatzkräfte berichteten, dass ihnen im Umkreis des Hauses ein unangenehmer Geruch aufgefallen ist. Im Haus wurden die Leichen des Rentners (67) und seiner Frau (63) entdeckt. Der Zustand der Frauenleiche gibt den Einsatzkräften Rätsel auf. Es scheint, dass sie schon Monate zuvor gestorben sei. Eine Vermisstenanzeige lag der Polizei nach unseren Recherchen nicht vor. Aktuell stehen noch weitere Untersuchungen an.«

»Heilige Scheiße!«, sagt Fritz und verteilt sein Frühstück in der Spüle.

Aperitifs

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