Читать книгу Milten & Percy - Das Schloss der Skelette - Florian C. Booktian - Страница 10

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Das Stadtfest in Sharpytown war in vollem Gange. Auf einer kleinen Bühne spielte Livemusik und auf dem gesamten Dorfplatz wurde ausgelassen gefeiert.

Und genau dieser Tumult wurde zwei Personen zu viel, Elaine und Ron, die sich davonstahlen, um hinter Dirthill ungestört zusammen zu sein. Das junge Paar staunte nicht schlecht, als sie Hand in Hand vor dem großen Erdhügel standen, der jetzt kein großer Erdhügel mehr war. Anstatt eines großen Dreckhaufens standen sie vor der Ruine einer kleinen Burg, die mit zwei Turmspitzen und einer waschechten Hängebrücke dastand wie zu Ritters Zeiten.

Um die Schlossruine erstreckte sich ein matschiger Sumpf aus aufgeweichter Erde, die vom Regen davongetragen wurde.

Elaine zögerte, doch Ron zog sie hinter sich her. Seiner Ansicht nach war ein altes Schloss noch viel besser zum Rumknutschen geeignet als ein kleiner See, und so folgte ihm Elaine über die Zugbrücke in den Burghof.

Die Mauern waren dreckig und an mancher Stelle noch immer von einer festen Kruste Erde überzogen. Ron warf einen Blick in den Brunnen, der mit Erde und Schotter versiegelt war, Elaine drehte sich im Kreis und schaute sich mit beunruhigter Miene in dem alten Gemäuer um.

„Das ist unheimlich. Es hat hier noch nie eine Burg gegeben. Jedenfalls nicht, solange ich mich erinnern kann. Ron, ich will hier weg. Wir sollten den anderen davon erzählen.“

Ron nahm Elaine an der Hand, zog eine kleine schwarze Schachtel aus seiner Hose und nahm seinen Strohhut vom Kopf.

„Ich hab dir etwas gekauft“, sagte er und öffnete die Schachtel. Darin kam ein goldenes Armband mit kleinem Herz als Anhänger zum Vorschein. Elaines Blick war ganz auf das Schmuckstück fixiert. So etwas hatte er ihr noch nie geschenkt, niemand hatte ihr jemals irgendwelchen Schmuck geschenkt.

Ron legte ihr das Armband an, und sie fiel ihm um den Hals.

„Danke“, sagte sie und küsste ihn. „Wo hast du das denn her? Das sieht ja richtig teuer aus.“

„Das hab ich von meinem ersten Gehalt in der Fabrik gekauft … nur für dich.“

Ron setzte zum Kuss an, doch ein ohrenbetäubendes Rumpeln erklang hinter den beiden. Elaine wollte meinen, dass eine wuchtige Holztür von starken Händen aufgeschoben wurde. Hätte man später Ron gefragt, würde er erzählen, dass die Gestalt direkt aus der Mauer getreten war. Bei einem waren sie sich aber sicher: Ein großer knochiger Schädel blickte auf sie herab. Und aus seinem Oberkiefer ragten zwei spitze, lange Hauer.

Elaine schrie aus Leibeskräften.

Percy schrie vor Begeisterung.

Soeben waren die beiden in Sharpytown angekommen. Ein großer Banner am Stadteingang hatte sie direkt zum Dorffest geführt, wo genau die Art von Festivität im Gange war, die Percy jetzt brauchte.

„Perfekt“, sagte er und rieb sich die Pfoten. „Milten. Jetzt wird gesoffen. Ich hoffe, du bist trinkfest.“

„Sollten wir uns nicht erst mal eine Unterkunft suchen?“, fragte Milten nervös. Er schaute sich um und nichts kam ihm vertraut vor. Bisher hatte er seine Tage in der Bibliothek verbracht oder für seinen Professor Unterlagen vorbereitet und sortiert. Auf Partys und Feiern trieb er sich nicht rum, dafür gab es zu viel zu lesen und zu archivieren, Facharbeiten, die geschrieben werden wollten, und alte Vorlesungsstoffe, die es zu überarbeiten und anzupassen galt.

Während Percy in dem wilden Getümmel einen garantierten Unterhaltungswert sah, wäre Milten jetzt lieber in einem Hotelzimmer mit einem guten Buch und würde dort mit dem Gedanken spielen, doch tatsächlich den Zimmerservice anzurufen, um sich ein überteuertes Kännchen Tee zu bestellen.

Aber dazu sollte es nicht kommen. Das Erdmännchen hatte sich bereits in die Schlange für die Ess- und Trinkmarken gestellt und teilte seine Zigaretten mit einem Kerl, mit dem er plauderte, als wären sie alte Bekannte.

Milten kam sich ein klein wenig verloren vor und stand alleine in der Menge, bis Percy sich aus der Schlange löste und zu ihm herüberkam.

„Was machst du denn noch hier?“, sagte er und gestikulierte, dass er ihm folgen sollte. „Stell dich zu mir. Herbert besetzt unseren Platz in der Schlange, aber wie lange der alte Saufkopf noch gerade stehen kann, weiß ich auch nicht.“

„Woher weißt du, dass er ein alter Saufkopf ist?“, fragte Milten.

„Weil er süßlicher riecht als jede Limonade und einen Rucksack voller Dosenpfand trägt. Scheint der örtliche Trunkenbold zu sein. Aber sehr sympathisch. Hat eine echt tragische Lebensgeschichte.“

„Kennt ihr euch?“

„Jetzt schon.“

„Und was sollen wir jetzt machen?“

„Na, wir futtern und trinken uns einen, bis es Abend wird, dann suchen wir uns eine nette Unterkunft und setzen uns zur Ruhe. Morgen schauen wir dann weiter.“

Milten blickte besorgt drein und vergrub die Daumen in den Taschen seiner Weste. Er wippte langsam vor und zurück, immer mit einem besorgten Blick auf die feiernde Menge gerichtet. Percy erkannte das unwohle Gefühl in seinen Augen.

„Was ist mit dir?“

„Ich … Ich war noch nie betrunken“, gestand Milten. „Normalerweise verbringe ich meine Freizeit … trocken.“

„Warum überrascht mich das nicht“, sagte Percy in sarkastischem Ton. „Keine Sorge, Großer, dich kriege ich schon voll“, sagte Percy und stieß ihm mit dem Ellenbogen in die Rippen. „Folge einfach dem guten alten Percy, der weiß, was er tut.“ ‚Meistens zumindest‘, dachte er sich.

Kaum eine halbe Stunde später saßen Milten und Percy mit einem Haufen anderer am Tisch und ließen es sich gut gehen. Bierkrüge wurden herumgereicht und Geschichten erzählt, deren Unterhaltungswert sich mit jedem Schluck steigerte. Anfangs zögerte Milten noch, aber als Herbert eine Flasche aus seinem scheppernden Rucksack zog, einschenkte und Milten ein Glas anbot, konnte er es einfach nicht mit sich vereinbaren, die Gastfreundschaft abzulehnen. Und drei Gläser Schnaps von mysteriöser Herkunft später war auch Milten bester Stimmung. Er amüsierte sich köstlich über Dinge, an die er sich bald gar nicht mehr erinnern würde. Später legte er auf dem Tisch eine kleine Tanzeinlage hin, die ganz zur Belustigung seiner Tischgenossen mit einem falschen Schritt über die Tischkante zu einer Bruchlandung führte.

Am Ende des Abends verabschiedeten sich die beiden von Herbert, der es stolzerweise geschafft hatte, Milten mit genügend billigem Fusel zu versorgen, um den Erfinder mächtig ins Schwanken zu bringen. Milten torkelte benommen hinter den beiden her, die sich die Hände schüttelten und sich überschwänglich umarmten. Er hatte sie zu einer kleinen Pension geführt, die den Namen „Rachels Schlummerhafen“ trug und, wie Herbert versicherte, von einer echt hübschen Maus betrieben wurde. Am Eingang lehnte ein Fahrrad und die Haustür stand offen.

Drinnen brannte noch Licht.

Percy betrat die Pension. Milten schwankte hinter ihm hinein. Während sich sein Begleiter die Kante gegeben hatte, wusste Percy genau, wo seine Grenzen lagen. Mit einem doch recht geringen Körpergewicht wusste er aus Erfahrung, dass nach einem Liter Bier und einem Schnaps für ihn Schluss war. Bei allem Weiteren hätte er sich übergeben oder wäre an Ort und Stelle eingeschlafen. Immerhin ein viertel Hähnchen hatte er noch geschafft, und so war er jetzt genau in der richtigen Verfassung, seinen Charme spielen zu lassen. Oder zumindest das, was er für Charme hielt.

Der Eingang der Pension war hübsch dekoriert. Die Wände waren hell gestrichen und mit dunklen Holzmöbeln zugestellt worden. Alles war eingedeckt in liebevolle Dekorationen von Teelichtgläsern über einer Sitzecke mit Zeitschriften und einem Porzellanschweinchen das eine Trinkgeldspardose war. An einem kleinen Empfang saß eine Frau vor ihrem Laptop. Herbert hatte nicht übertrieben, sie war wirklich sehr hübsch. Percy schätzte sie auf Ende zwanzig, und als sie ihn beim Näherkommen anlächelte, stufte er sie auf höchstens fünfundzwanzig herab.

„Guten Abend“, lallte er, verneigte sich und vollführte eine ungeplante Drehung. Er merkte, dass er sich ein wenig zusammenraffen musste. Percy räusperte sich. „Guten Abend, bist du Rachel?“

„Die bin ich, willkommen ihr zwei. Habt ihr mächtig gefeiert?“

Auf eine Antwort musste Rachel eine ganze Weile warten, denn Percy musterte sie eindringlich. Mit ihrem zu Pferdeschwänzen gebundenen Haar sah sie aus wie jemand, der kurz davor war, ins Bett zu gehen. Percy lugte um die Theke herum und erkannte, dass sie im Schlafanzug und Schneidersitz vor ihrem Laptop saß. Auf ihrem Schlafanzug waren Erdmännchen abgedruckt, die miteinander tanzten. Die Hübsche hatte also eine Vorliebe für Erdmännchen, damit konnte Percy doch eine ganze Menge anfangen. Er hüpfte auf einen Stuhl, sodass er Rachel besser im Blick hatte, und begann Süßholz zu raspeln.

„Süßer Schlafanzug“, sagte er und lehnte sich auf die Theke.

„Danke“, sagte Rachel und grinste. „Eigentlich wollte ich gleich ins Bett, normalerweise schaut um diese Uhrzeit keiner mehr vorbei.“

„Normalerweise“, sagte Percy und zwinkerte ihr zu.

Rachel lächelte, legte ihren Kopf zur Seite und wartete ab, was sich Percy als Nächstes einfallen ließ.

„Ich bin auf der Suche nach einer Bleibe für mich und meinen Freund“, sagte Percy, dem in der Mitte des Satzes die Augen zugefallen waren. Hastig schlug er sie wieder auf. „Ich bin schrecklich müde und mein Freund hier“, sagte er und drehte sich um.

Milten hing auf der Sitzecke, in seinem Schoß eine Zeitschrift über Landhausdekoration, und schnarchte.

„Ach, vergessen wir den einfach mal. Rachel, sag, wo könnte ein nettes Erdmännchen wie ich heute Abend unterkommen?“

Rachel stützte ihre Ellenbogen auf den Tisch, faltete ihre Hände ineinander und legte ihren Kopf ab. Ihr und Percys Blick waren jetzt genau auf Augenhöhe.

„Ich weiß nicht, mach doch mal einen Vorschlag“, sagte sie.

„Ich würde wundervoll zu deinem Schlafanzug passen“, sagte Percy und lächelte. „Du glaubst ja gar nicht, wie weich so ein Erdmännchenfell ist“, sagte er und fuhr ihr mit seinem pelzigen Schwanz über die Wange.

Rachel klappte ihren Laptop zu, ging um die Theke herum und verschwand die engen weißen Treppen hinauf in den ersten Stock. Percy saß einen Moment verdattert alleine da und überlegte, was er gerade falsch gemacht hatte. Doch dann streckte Rachel ihren Kopf die Treppe hinunter und sagte: „Na, komm schon und bring dein weiches Fell mit.“

Percy hüpfte auf den Boden und machte, dass er hinter ihr herkam.

„Nur dass du mich nicht falsch verstehst“, sagte er und ging die Treppe hinauf. „Ich will nur ein bisschen kuscheln. Glaub ja nicht, dass ich der Typ Erdmännchen bin, der gleich mit dir ins Bett hüpft.“

Rachel lachte so herzhaft, dass Milten für einen Moment schreckhaft aufwachte, nach einem bestickten Kissen griff und sich der Länge nach hinlegte, um weiterzuschlafen.

Mehrere Kilometer entfernt, war es inzwischen Ron, der sich die Seele aus dem Leib schrie. Denn von Elaine war nichts mehr übrig, das einen Schrei hätte ausstoßen können.

Milten & Percy - Das Schloss der Skelette

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