Читать книгу Milten & Percy - Das Schloss der Skelette - Florian C. Booktian - Страница 11
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Draußen zwitscherten die Vögel in der Morgensonne und flatterten wild umeinander. An den Weinranken, die sich an Holzwänden rings um den Garten der Pension erstreckten, summten die Bienen und sogar die Steinfiguren schienen bester Laune zu sein. Alles in allem war es ein geradezu scheußlich idyllischer Morgen.
Und Milten bekam von all dem nichts mit.
Zusammen mit Rachel und Percy saß er unter einem Sonnenschirm an einem runden Tisch auf der Terrasse und war voll und ganz damit beschäftigt, sich hundeelend zu fühlen. Seine gegelten Haare standen in alle Richtungen ab und seine Kleider zeigten deutliche Spuren einer durchzechten Nacht. An seiner Weste war ein Knopf abgerissen und sein linkes Hosenbein von Matsch überdeckt. Auf seiner linken Backe prangte eine frische Schürfwunde, die er sich zugezogen hatte, als er vom Tisch gefallen war.
„Reich mir doch mal die Marmelade“, sagte Percy, der dicht neben Rachel saß.
Milten reagierte nicht.
„Alles in Ordnung, Großer?“, fragte Percy mit gespielter Besorgtheit. Er wusste ganz genau, wie sich Milten jetzt fühlte. Letzte Nacht hatte der den ersten Vollrausch seines Lebens gehabt.
„Ich hab genau das Richtige für dich“, sagte Percy und nahm seine Sonnenbrille ab. Vorsichtig schob er Milten die Brille auf die Nase.
Milten seufzte erleichtert.
„Hab ich es nicht gesagt? Es ist einfach zu hell hier draußen … Immer.“
Percy goss ihm ein Glas Wasser aus einer Karaffe ein und schob es ihm hin.
Rachel mischte sich ein. „Viel trinken. Und du solltest auch etwas essen, Milten.“
Miltens Augen verzogen sich zu einem schmerzverzerrten Blick, seine Hand griff an seine Schläfe und in gequältem Ton sagte er: „Mein … Kopf.“
Rachel musste grinsen. Percy hingegen nutzte die Situation schamlos aus. „MACHT ES DIR ETWAS AUS, WENN ICH ETWAS LAUTER REDE?“, schrie Percy direkt in Miltens Ohr. Der kippte nach hinten von seinem Stuhl und lag einfach nur da.
„Mensch, bist du aber gemein“, sagte Rachel und biss von ihrem Nutellabrot ab.
„Ich kann aber auch sehr liebenswürdig sein, nicht wahr?“, sagte Percy und streichelte Rachel mit seinem Schwanz. Rachel verjagte ihn, indem sie so tat, als wolle sie gleich hineinbeißen.
„Hey“, sagte Percy und zog seinen Schwanz von ihr weg. „Der ist nicht zum Knabbern.“ Dann tunkte er ihn in das leere Nutellaglas, nahm ihn in beide Pfoten und schleckte die Reste ab.
Rachel musste wieder grinsen.
„Wie seid ihr zwei eigentlich zusammengekommen?“, fragte sie.
„Durch die dummen Ideen anderer Leute“, sagte Percy.
Milten hatte sich inzwischen wieder aufgesetzt und nippte an seinem Wasserglas. „Eigentlich sollten wir an einem Fall arbeiten, aber das Erdmännchen hier hat auf Urlaub bestanden.“
„Ganz richtig“, sagte Percy und schlug mit der Gabel auf den Tisch. „URLAUB“, schrie er und Milten verzog das Gesicht. Percy grinste, Rachel klopfte ihm ermahnend gegen die Schulter, konnte sich aber ein Kichern nicht verkneifen.
„Gibt das keinen Ärger, wenn du einfach blaumachst?“, fragte Rachel.
„Ach was“, sagte Percy und winkte ab. „Den Fall, den man uns aufgetragen hatte, gibt es gar nicht.“
„Was?“, rief Milten so leise er konnte und setzte sein Wasserglas ab.
„Die Akte mit dem Butler-Fall gilt in der Abteilung als Urlaubsbestätigung. Captain Thursday darf offiziell niemandem freigeben, also gibt er jedem, der Urlaub beantragt und ihn verdient hat, diesen Fall. Das hab ich schon bei mehreren Kollegen beobachtet. Es ist wie eine unausgesprochene Regel.“
Milten fiel in seinen Stuhl zurück und nuckelte an seinem Wasserglas. ‚Erstklassig‘, dachte er sich und blickte auf seine Hose. Da fiel ihm auf, wie er eigentlich gerade aussah, und ein paar Erinnerungen an den letzten Abend schossen vor seinem inneren Auge vorbei. Wildes Getanze und eine klatschende Menge, die sich um ihn versammelt hatte. Herbert reichte ihm ein weiteres Glas Schnaps, das er seinen Rachen hinunterstürzte; schmecken konnte er schon lange nichts mehr.
In seinem Gesicht spiegelte sich eine Mischung aus Reue und Scham.
„Du hast mir gestern Abend im Bett von einem Mustang vorgeschwärmt“, sagte Rachel. „Kurz bevor wir eingeschlafen sind, erinnerst du dich? Wir könnten einen Ausflug machen, du, ich, Milten und Elaine.“
„Wer ist Elaine?“, fragte Percy und spitzte die Ohren.
„Elaine ist meine Tochter.“
Milten blickte auf.
„Mir ist gestern gar niemand mehr aufgefallen; war sie schon im Bett?“, fragte Percy.
„Nein, sie ist nicht nach Hause gekommen. Mal wieder.“ Rachel seufzte und lehnte sich zurück. „Sie wird mal wieder mit ihrem Freund unterwegs sein – Ron.“
Percys Gedanken kamen zum Stehen. Moment mal. Gestern hatte er sie auf fünfundzwanzig geschätzt. Jetzt hatte sie plötzlich eine Tochter, was an sich kein Problem war. Er mochte Kinder und kam besonders gut mit den ganz kleinen aus. Aber wenn ihre Tochter einen Freund hatte, war Rachel mindestens …
„Sag mal“, fragte er vorsichtig, „bist du zufällig mit zehn schwanger geworden?“
Rachel schüttelte langsam den Kopf. „Was bringt dich denn auf so eine verrückte Idee? Ich war mit 29 schwanger.“
„Und deine Tochter Elaine ist jetzt …?“
„Sechzehn“, sagte Rachel und wischte sich das Nutella mit einer Serviette vom Mund.
Percy tippte Zahlen in die Luft und rechnete: fünfundvierzig. Rachel war fünfundvierzig. Percys Augen weiteten sich. Er konnte es nicht glauben. Sie sah wirklich keinen Tag älter aus als 25, ihre Haut war glatt und samtweich. Ihr Lächeln allein war Beweis genug für ihre Jugend. Spätestens als er sie lachen gehört hatte, war er sich sicher gewesen, dass sie gerade mal Mitte zwanzig war. Percy konnte es kaum glauben und starrte sie an. Rachel fasste seine Reaktion als Beleidigung auf.
„So wie du mich jetzt anstierst, lässt du dir besser ganz schnell was einfallen, oder du schläfst heute Abend woanders, und zwar alleine.“
„Ich dachte gestern, du seist gerade mal fünfundzwanzig. Um ehrlich zu sein, ohne die Pferdeschwänze siehst du mehr aus wie sechsundzwanzig, aber angesichts deiner gekonnten Kuscheleinlagen gestern Abend spielt dein Alter eh keine Rolle.“
Das hatte gesessen. Rachel setzte ihr gewohntes Grinsen auf. „Vielleicht musst du heute Abend doch nicht alleine schlafen.“
Percy wedelte mit dem Schwanz wie ein Hund, der sich freute.
„Mein … Kopf“, jammerte Milten wieder neben den beiden und rieb sich jetzt beide Schläfen gleichzeitig.
„Ach, jetzt gib doch Ruhe“, fuhr ihn Percy an. „Stell dich nicht so an. Das hast du davon, wenn du Herberts Badewannenschnaps in dich reingießt, als wärst du eine ausgetrocknete Pflanze.“
„Percy, ich mache mir Sorgen um Elaine“, sagte Rachel. „Normalerweise meldet sie sich, wenn sie länger wegbleibt. Ich habe gerade nachgeschaut, es ist nichts von ihr da. Keine E-Mail, keine SMS oder sonst was. Angerufen hat sie auch nicht und ihr Zimmer ist leer.“
„Ist es denn möglich, dass sie bei ihrem Freund übernachtet hat?“
Rachel schaute betrübt zu Boden. „Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht, mir gefällt die Idee nicht sonderlich.“
„Was würde denn deine Elaine dazu sagen, dass du dir fremde Erdmännchen ins Bett holst?“, fragte Percy.
„Sie ist da sehr weltoffen. Ich war mit ihr schon mehrmals im Urlaub, drüben in Gnaa. Wir haben im Wasserpark hinter dem Gmun-Wald ein Wochenende verbracht und sie hat sich mit einem Salamandermädchen angefreundet.“
Percy sagte nichts. Das war nicht ganz die Antwort, die er sich erhoffte, und es erklärte auch nicht, wieso Rachel ihn so bereitwillig zu sich gelassen hatte. Aber gerade liefen die Dinge zu gut, um lästige Fragen zu stellen.
„Und außerdem bin ich erwachsen“, rechtfertige sich Rachel weiter, „und kann mir ins Bett holen, wen immer ich will“, sagte sie und küsste Percy auf die Wange. „Ich gehe kurz rein und telefoniere mit Rons Mutter. Vielleicht hast du ja recht. Kümmer dich doch so lang um deinen Freund hier. Er scheint es zu genießen, in seinem Selbstmitleid aufzugehen.“
Rachel stand auf, öffnete die Schiebetür ins Haus und verschwand. Percys Blick haftete bis zu ihrem Verschwinden an ihrem Hintern, und er beschloss, heute Abend eine Etage tiefer zu rutschen, um einen anderen Teil von ihr in den Arm zu nehmen. Milten riss ihn aus seinen Gedanken.
„Mein … Kopf“, jammerte er.
„Oh, jetzt ist aber genug“, sagte Percy und kramte in seinem Rucksack. Er zog drei Aspirin hervor und warf die Tabletten in Miltens halb ausgetrunkenes Wasser.
„Leer trinken und zusammenreißen, hast du mich verstanden?“
„Ja …“, sagte Milten und schüttete das Glas mit der Medizin herunter. Dann seufzte er innig.
„Keine Sorge“, sagte Percy besänftigend, „es wird bald besser. Mit jeder Minute, die vergeht, fühlst du dich wieder wie der Alte. Vertrau mir.“
Milten nickte und schon fand er eine weitere Sorge. „Sag mal, Percy, hast du Kleider zum Wechseln dabei?“
„Ich hab immer ein zweites Fell im Kofferraum, nur für Notfälle. Ist aber mehr so eine Art Overall. Wieso?“
„Weil ich immer noch in den gleichen Klamotten stecke wie gestern. Ich will mich duschen und umziehen. Aber ich kann nicht, weil ich nichts anderes dabeihab. Ich habe nicht damit gerechnet, von daheim wegzubleiben.“
„Na, dann werden wir dir wohl ein paar neue Kleider besorgen müssen.“
Miltens Laune besserte sich schlagartig. Dafür schaute Rachel umso besorgter drein, als sie wieder auf die Terrasse trat. Sie hatte sich umgezogen und trug ein Sommerkleid mit flachen offenen Schuhen.
„Ron ist gestern auch nicht nach Hause gekommen. Ich werde gleich mal losgehen und ihre üblichen Plätze abklappern.“
„Soll ich dich fahren?“, fragte Percy.
„Lass gut sein. Ich nehme mein Fahrrad. Wir treffen uns wieder hier zum Kaffee, ja?“
„Abgemacht“, bestätigte Percy und sogar Milten hob den Arm und machte eine bestätigende Geste.
Rachel lief aus dem Garten, stieg auf ihr Fahrrad und machte sich auf die Suche nach ihrer Tochter.
„Dann gehen wir zwei jetzt los und besorgen dir neue Klamotten. Und eine Weste. Es sei denn, du wärst bereit, dieses geschmacklose Modeverbrechen gegen eine schicke T-Shirt-Hemd-Kombination einzutauschen, na?“, sagte Percy und tippte ihm besserwisserisch gegen die Schulter.
„Niemals“, beschwor Milten verbittert. „Einmal Weste, immer Weste.“