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aa) Konflikt mit der EMRK? Die kirchenarbeitsrechtliche Rechtsprechung des EGMR (1) Die Rechtssachen „Schüth“, „Obst“ und „Siebenhaar“

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Der EGMR hatte sich in den Rechtssachen Schüth554, Obst555 und Siebenhaar556 im Kontext der Kündigung kirchlicher Arbeitnehmer aufgrund eines Loyalitätsobliegenheitsverstoßes mit den Spezifika des deutschen kirchlichen Arbeitsrechts zu beschäftigten. Die klagenden Arbeitnehmer rügten, dass die deutschen Arbeitsgerichte ihre durch die EMRK verbürgten Grundrechte – namentlich die Achtung der Privatsphäre nach Art. 8 EMRK und die Religionsfreiheit nach Art. 9 EMRK –557 verletzt hätten. Der EGMR war somit dazu berufen, diese Grundrechtsgewährleistungen mit dem Recht der Kirchen auf korporative Religionsfreiheit aus Art. 9 EMRK abzuwägen.558

In den Fällen Schüth und Obst erfolgte die Kündigung kirchlicher Arbeitnehmer wegen eines außerehelichen Verhältnisses, im Fall Siebenhaar wegen des Werbens für eine andere Religionsgemeinschaft. Dabei sieht der EGMR lediglich im Fall Schüth durch die die Kündigungsschutzklage abweisenden Entscheidungen der deutschen Arbeitsgerichte eine Verletzung von Art. 8 EMRK als gegeben an, da die Gerichte eine gründlichere Prüfung bei der Abwägung der konkurrierenden Rechte und Interessen hätten vornehmen müssen.559 Allerdings lässt der Gerichtshof durchblicken, dass die Kündigung bei einer solchen Prüfung dennoch gerechtfertigt wäre.560

Demgegenüber sieht der EGMR in den Fällen Obst und Siebenhaar keine Konventionsverletzung als gegeben an. Bereits dieses Übergewicht EMRK-konformer Entscheidungen spricht deutlich für eine grundlegende Anerkennung der deutschen kirchenarbeitsrechtlichen Grundsätze. In diesem Sinne stellt der Gerichtshof in der Entscheidung Obst auch fest, dass die von der Kirche geforderte Obliegenheit zur ehelichen Treue der Rechtsordnung nicht widerspreche. Darüber hinaus wird darin auch die von der deutschen Arbeitsgerichtsbarkeit vorgenommene Interessenabwägung einschließlich der Tatsache gebilligt, dass dem kirchlichen Arbeitnehmer keine unannehmbaren Verpflichtungen auferlegt worden seien.561 Dabei ist vor allen Dingen bemerkenswert, dass der EGMR im Zusammenhang der Zulässigkeitsprüfung der Loyalitätsobliegenheit keine weitere Stufe einer Verhältnismäßigkeitsprüfung zum Erfordernis macht und damit die deutsche Rechtsprechungspraxis billigt.562 Zur gleichen Einschätzung gelangt der Gerichtshof auch in der Sache Siebenhaar. Lediglich die Argumentationsstruktur im Fall Schüth ist diesbezüglich zumindest missverständlich. Diverse Ausführungen lassen sich darin durchaus im Sinne einer erforderlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung interpretieren, wenngleich die besseren Gründe gegen ein solches Verständnis sprechen.563

Ungeachtet der fallspezifischen Abwägungsvorgänge referenziert der EGMR jedenfalls in allen drei Entscheidungen die Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts564 zur Kündigung wegen Loyalitätsobliegenheitsverstoßes;565 deren Konformität mit der EMRK erfährt damit eine stillschweigende Anerkennung.566 Ferner betont der Gerichtshof das von ihm zu wahrende Erfordernis der Anwendung einer grundlegend geringeren Kontrolldichte, die aus dem Beurteilungsspielraum (margin of appreciation) der Mitgliedstaaten insbesondere in Fallgestaltungen eines fehlenden europäischen Standards resultiert.567 Da wirkt es widersprüchlich und ist durchaus zu kritisieren, dass dennoch eine Prüfung der angegriffenen Urteile bis in die Detailtiefe spezifischer Abwägungsvorgänge vorgenommen wird.568

Soweit der EGMR in diesem Zusammenhang im Fall Schüth eine Konventionsverletzung feststellt, basiert dies lediglich auf der mangelnden arbeitsgerichtlichen Kontrolltiefe im Rahmen der kündigungsschutzspezifischen Interessenabwägung – eine solche wird aber ohnehin auch im Rahmen des deutschen kirchlichen Arbeitsrechts gefordert. Bemerkenswert ist dabei, dass der EGMR die monierten Urteile der Arbeitsgerichte mit der Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts kontrastiert569 und damit ein weiteres Indiz für dessen Akzeptanz liefert. Der spezifischen Rüge des Gerichtshofs, die nationalen Gerichte hätten die Nähe des Arbeitnehmers zum Verkündigungsauftrag nicht geprüft, muss zudem keinesfalls entnommen werden, den Kirchen solle das Recht genommen werden, autonom festzustellen, was spezifisch kirchliche Aufgaben sind und was Nähe zu ihnen bedeutet. Denn in der Gesamtschau mit den Fällen Obst und Siebenhaar ist die Rüge wohl vielmehr dahingehend zu verstehen, dass die Arbeitsgerichte es unterlassen hatten, keine – bereits nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gebotene – Plausibilitäts- und Missbrauchskontrolle durchzuführen – oder dies zumindest nicht in den Urteilsgründen erwähnten.570 Alternativ könnte auch die unterbliebene Anfrage zur Verifikation der Verkündigungsnähe moniert worden sein – der dafür (auch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts) erforderliche Zweifelsfall könnte infolge der Beschäftigung des Klägers als Kirchenmusiker vorgelegen haben.571

Kirchliches Arbeitsrecht in Europa

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