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Ich knipse das Licht im Bad an. Für einen kurzen Moment bin ich fast wie blind. Denn das helle Licht blendet mich so sehr, dass ich kurz stehen bleiben muss, bis sich meine altersschwachen Augen daran gewöhnt haben. Dann gehe ich, den Rollator vorsichtig vor mich herschiebend zum Waschbecken.

Nun folgt wie jeden Morgen der Schock. Ich sehe mir schon seit Jahren ins Gesicht, – was sage ich, seit Jahrzehnten! –, aber es tritt einfach kein Gewöhnungseffekt ein. Irgendwie bin ich froh darüber, denn es ist für mich ein Zeichen, dass ich nicht vergessen habe. Aber dennoch bin ich jedes Mal bis ins Mark erschüttert über dieses Gesicht! Ich starre und starre, nur um mich dann abzuwenden … und mich auf die Toilette zu setzen. Wenn ich danach erneut vor dem Spiegel stehen würde, würde ich es wieder so machen, wie gewohnt – so wenig wie möglich hin sehen, ignorieren und bis zum nächsten Morgen verdrängen.

Jene Fratze, die mich da täglich anschaut, bin nicht ich – und bin es doch –, aber will es nicht sein. Will es nicht wahr haben – niemals eingestehen. Blass, eingefallen, von Falten und Altersflecken gezeichnet. Mit angeschwollenen Tränensäcken und stoppeligem spärlich wachsendem Bart. Mit einzelnen strähnigen Haaren, die mir schneeweiß auf die hohe Stirn fallen. Nur die Augen verraten mich und ihn. Verraten mir, dass er ich bin. Traurig und doch so wahr. Jeden Morgen das gleiche. Niederschmetternd!

Ich selbst habe ich ganz anders in Erinnerung. Ich habe mir früher selbst gefallen, war kein hässlicher Mann und lag über dem Durchschnitt würde ich behaupten. Das aber, was ich da sehe, hat nichts mehr mit dieser Erinnerung gemein. Nach dem Starren und ungläubigem Kopfschütteln hebe ich wie immer meine Hand, streiche mir zittrig über die eingefallenen trockenen Wangen. Ich stelle fest, dass der Mann im Spiegel das Selbe tut.

Ich gebe auf. Diesen Kampf gewinne ich nicht mehr. Aber ich werde standhaft bleiben. Ich will mich nicht an diese Fratze gewöhnen. Nicht mehr in diesem Leben. Oft frage ich mich, ob es den anderen genau so geht. Oder haben die schon kapituliert? Dann stecke ich mir meine Prothese in den Mund. Auch hier: pure Ignoranz!

Nach dem Anziehen, das eine gefühlte Ewigkeit dauert – ich bin aber noch zu stolz, um mir von einer Schwester helfen zu lassen – gehe ich frühstücken. Es schmeckt – wie jeden Morgen. Frische Brötchen, Marmelade, Milchkaffee und ein Haufen Tabletten dazu. Morgens – mittags – abends, nur das Essen ändert sich! Früher habe ich nie Tabletten geschluckt. Ich war selten richtig krank, zumindest nichts ernstes, was nicht mit einem anständigen Schluck Selbstgebrannten hätte kuriert werden können.

Meine liebste Beschäftigung besteht darin, in den nahegelegenen Stadtpark zu gehen. Wetterunabhängig, na ja, beinahe – wenn es regnet oder schneit, gehe ich natürlich nicht hinaus, aber ansonsten bin ich dort eigentlich immer anzutreffen. Spaziere die Wege auf und ab, solange wie meine Beine und meine Kräfte mich tragen. Ausgeruht wird dann auf einer Bank und beobachtet. Ich betrachte gerne die Bäume und Blumen, die Natur an sich. Ich kenne jeden Winkel des Parks, jeden Weg und jede Abkürzung; weiß genau, wo sich eine Sitzmöglichkeit befindet. Würde mich jemand fragen, wo es sich im Sommer im Schatten am besten sitzen lässt, könnte ich das sofort und ohne nachzudenken sagen. Aber genauso kenne ich die idealen Sitzgelegenheiten, an denen man im Herbst die letzten Sonnenstrahlen ergattern kann. Ich weiß, wo die Kinder bei Schnee ihre Schneemänner bauen, wo die Stadtbewohner ihre trockenen Brotreste an die Tauben verfüttern, ja sogar die Stellen, wo die Hunde am liebsten hinmachen. Solches Wissen sammelt sich über Jahre hinweg an, dank meiner guten Beobachtungsgabe – möchte ich mal behaupten.

Aber am liebsten beobachte ich die Leute, die sich im Park aufhalten. Kinder und deren Eltern, Jugendliche, Paare, alte Leute wie ich, Familien und auch einzelne Gestalten. Ich kann ihnen stundenlang zusehen, wie sie sich unterhalten, gemeinsam spielen, lesen, einfach nur vor sich hin starren, lachen oder sich manchmal auch streiten. Die Art und Weise, wie sie die einzelnen Dinge tun, sagt ganz viel über sie aus. Das habe ich auch mit der Zeit heraus bekommen, nicht dass ich ein Psychologe oder so was wäre, nein – aber man beginnt, den einen mit dem anderen zu vergleichen und dann denke ich darüber nach, wie ich mich verhalten hätte oder auch in meiner Vergangenheit verhalten habe. Und so bringen mich diese Beobachtungen ins Grübeln und zum Reflektieren.

Für Elise

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