Читать книгу Für Elise - Floyd Benning - Страница 6
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ОглавлениеAls stellvertretender Geschäftsführer einer angesehenen Automobilfirma war ich in meinem Berufsleben viel beschäftigt gewesen. Habe früh morgens das Haus verlassen und bin immer am späten Abend erst heimgekommen. So war das in den Sechzigern. Elise war Hausfrau und kümmerte sich um Haus und Kind. Das tat sie aufopferungsvoll und ohne sich ein einziges Mal zu beklagen. Ach Elise, wenn ich an sie denke! Wir hätten noch ein wenig mehr Zeit für uns haben müssen. Nach meiner Pension hatten wir nur noch zwei gemeinsame Jahre gehabt, die leider nicht einfach für uns waren. Peter, unser einziges Kind, war damals mitten im Medizinstudium und konnte uns nur selten besuchen. Meine Elise – es ging viel zu schnell.
Dieser Scheißkrebs raubte ihr alle Kräfte, sog aus ihr jegliche Lebensfreude. Und mit ihr starb auch ein Teil von mir selbst. Immer wieder sagte sie zu mir, dass ich mir keine Vorwürfe machen solle, das sie eine glückliche Frau gewesen sei und ich ein guter Ehemann. Dass wir einen intelligenten Sohn hätten, der bestimmt ein besonders guter Arzt würde und wir eine gute Ehe geführt hätten. Meistens wenn wir uns wieder einmal über dieses Thema unterhielten, lag sie in dicken Decken gehüllt in unserem Ehebett, blass und schwach; das sah selbst ein Blinder. Ich saß in einem Ohrensessel neben dem Bett. Unsere Hände hielten einander fest.
Aber immer wenn ich daran zurück denke, war es eigentlich sie, die mich getröstet hatte. Warum? Ahnte sie damals schon, dass ich noch über 20 Jahre vor mir hatte, in denen ich mehr oder minder alleine durchs Leben gehen würde? Stets auf der Suche nach Trost und Bestätigung, dass ich nichts hätte ändern können? Bei Gott, ich habe sie so geliebt! Auch wenn ich es selten so richtig zeigen konnte. Aber hätten wir einfach mehr Zeit gehabt, ohne den Stress meiner Arbeit, mit ausreichend Geld für uns beide und ohne diese Krankheit, dann hätten wir uns eine wunderbare Zeit machen können. Hätten einiges nachgeholt. Wir hätten unsere Tage mit Ausflügen, Museums- und Theaterbesuchen gefüllt, wären in schicke Restaurants gegangen und wären das erste Mal mit einem Flugzeug geflogen. Einmal über den Wolken schweben, das war Elises größter Wunsch gewesen. All das wollten wir machen, weil wir einfach über die Jahre zu selten dazu gekommen waren.
Vielleicht beobachte ich deshalb so gerne die Menschen um mich herum … manchmal erinnern mich welche an mich und Elise. Sehe ich manche Gesten oder höre eine Frau so herzhaft lachen, wie Elise es konnte, dann wird mir ganz warm ums Herz. Wobei die Zeiten sich so verändert haben. Wenig, was heute ist, lässt sich mit meiner Jugend vergleichen. Und wenn ich darüber so nachdenke, dann würde ich auf keinen Fall tauschen wollen. Mit den jungen Menschen heutzutage – meine ich. Meine Kindheit war sicherlich nicht einfach und das Erwachsensein auch nicht, aber sie war bestimmt freier. Zwar für wenige Momente, aber in diesen wenigen, da waren wir wirklich frei. Irgendwie zwangloser und doch manchmal auch unbekümmerter. Ich denke, meine Generation konnte noch Kind sein.
Was ich heute so mitbekomme – mein Gehör funktioniert glücklicherweise noch recht gut – scheinen die Eltern von heute ziemlich unter Druck zu stehen. Leistungsdruck überall! Termine für sich und für die Kinder, Arbeit, finanzieller Druck, Verpflichtungen und Verantwortung – klar, das gab´s bei uns auch, aber nicht in diesem Maße. Der Zeitdruck, das ist es! Alles sofort und gleich, lieber gestern statt heute. So war das bei uns damals nicht. Wir hatten mehr Zeit. Für alles. Obwohl wir dann doch auch keine Zeit hatten, wie wir feststellen mussten. Aber dennoch, ich würde ungern in der heutigen Zeit jung sein oder in sie hineingeboren werden. Aber jede Generation hat ihr Päckchen zu tragen.