Читать книгу Mehlsack und Champagnerküsse - Francine F. Winter - Страница 3

1. Kapitel

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„Von der Schwarzwälder Kirschtorte nehme ich ein Stück.“

„Gerne.“ Elisa hob das Tortenstück auf ein kleines Papptablett. „Darf es sonst noch etwas sein?“

„Ach, ich würd ja gern, aber diese vielen Kalorien!“ Die Kundin betrachtete die verlockende Auslage im Kühltresen. „Ach, was soll´s, ein Stück Butterkuchen nehme ich auch noch. Ihr Kuchen ist wirklich der beste hier in der Gegend!“

„Vielen Dank!“ Elisa machte das Kuchenpaket fertig.

Nachdem die Kundin die Ladentür hinter sich geschlossen hatte, ging Elisa nach hinten in die enge Backstube und drehte das Radio lauter.

„Scha la la la la, lalala!“ Sie sang laut mit, klatschte einen Hefeteig auf die Arbeitsfläche und knetete ihn kräftig durch; teilte die Masse in drei Streifen und flocht daraus einen Zopf. Dann stellte sie das Teigstück beiseite, damit es noch ein wenig aufgehen konnte, und ging in den hinteren Teil der Backstube.

Jeder Naschkatze wäre beim Anblick des riesigen Marzipan-Blocks das Wasser im Mund zusammengelaufen, aber für Elisa war es einfach nur Arbeitsmaterial. Sie zählte die fertig aufgereihten Rosenblüten und Marzipanfiguren. Einige fehlten noch für die dreistöckige Torte, die für ein Jubiläum bestellt war.

Während sie das Marzipan knetete und formte, sang sie weiter vor sich hin. Heute war so ein guter Tag gewesen! Erstens war nach vielen grauen Regentagen endlich die Sonne wieder durch die Wolken gekommen und hatte die Hügel und Berge ringsum in strahlendes Licht getaucht, - und außerdem hatte sie einen richtig guten Umsatz gemacht. Fast der ganze Kuchen war ausverkauft und sie hatte eine fünfstöckige Hochzeitstorte ausgeliefert. Solche Aufträge waren super. Natürlich durfte man nicht zu genau die vielen Arbeitsstunden berechnen, die so eine aufwändige Hochzeitstorte brauchte. Dann hätten die Auftraggeber wohl dankend abgelehnt, wenn sie den Preis gehört hätten. Aber Elisa liebte es einfach, sich Motive für die Torten auszudenken und sie wunderschön zu dekorieren.

Das Telefon klingelte.

„Konditorei Burger.“

„Guten Abend, Frau Burger, Rittl hier.“

Elisas Lächeln löste sich auf. Herr Rittl war ein Angestellter ihrer Bank und sein Anruf hatte wahrscheinlich nichts Gutes zu bedeuten. „... Guten Abend“, sagte sie zögernd.

„Frau Burger, ihr Konto ist mit mehr als achttausend Euro im Minus. Das geht so nicht. Sie haben nun schon zum wiederholten Male den Dispo-Kredit, den wir Ihnen eingeräumt haben, überzogen.“

„Ja, Herr Rittl, das tut mir auch sehr leid. Wissen Sie, mein alter Backofen musste repariert werden. Die Ersatzteile waren schwer zu beschaffen und entsprechend teuer ist das Ganze geworden. Aber ...“, sie bemühte sich, ein Lächeln in ihre Stimme zu zaubern. „Sie können sich ja denken, dass ich auf meinen Backofen nicht verzichten kann.“

„Das verstehe ich durchaus, Frau Burger, aber Sie müssen auch uns verstehen. Es geht ja nicht, dass immer mehr Geld rausgeht als reinkommt. Sie schieben schon eine geraume Zeit ein Minus vor sich her, das immer größer wird.“

„Ach, Herr Rittl, Sie wissen doch, wie das ist. Jetzt im Sommer läuft das Geschäft halt ruhiger. Da gehen viele Leute lieber Eis essen. Und nun musste ich auch gerade meine Lieferanten bezahlen ...“

„Nun, die Lastschriften von Eier-Harms und von Ihrem Mehl-Händler haben wir abgewiesen“, erklärte Herr Rittl ungerührt.

„Was?!“ Elisa wurde blass. Es war so peinlich, dass die Lieferanten ihr Geld nicht bekamen.

„Ja, Frau Burger und vergessen Sie nicht, dass Ihre Kreditzinsen auch bald fällig sind.“

Elisas Magen zog sich unangenehm zusammen. Die Kredit-Zinsen waren allerdings fällig. Sie hatte es hinausgezögert, darüber nachzudenken. Und sie hatte keine Ahnung, wie sie es anstellen sollte, das alles zu bezahlen. Schließlich musste sie nicht nur die Zinsen, sondern auch den eigentlichen Kredit zurückzahlen.

Im letzten Jahr hatte sie eine neue Ladeneinrichtung anschaffen müssen. Es war alles sehr schön geworden, aber eben auch sehr teuer. Die kleine Konditorei warf einfach nicht so viel ab.

„Frau Burger, sind Sie noch da?“

„J ... ja“, sagte Elisa leise. „Herr Rittl, könnten Sie noch einmal ein Auge zudrücken? Ich verspreche Ihnen, ich werde mein Konto so schnell wie möglich ausgleichen.“

„Ach, Frau Burger, das haben Sie mir schon oft versprochen. Nur geändert hat sich nichts. So kann es jedenfalls nicht weitergehen. Sie müssen Ihre Schulden bezahlen, sonst ...“ Er ließ das Ende des Satzes bedeutungsschwer in der Luft hängen.

„Sonst?“, wiederholte Elisa zaghaft und biss sich auf die Lippen.

„Wir haben ja das Haus als Sicherheit ...“

Elisa schnappte nach Luft. „Das Haus! Nein, das geht doch nicht ... das ...“

Herr Rittl schnitt ihr das Wort ab. „Vielleicht kommen Sie morgen einmal bei mir in der Bank vorbei, dann können wir alles in Ruhe besprechen.“


Die Sonne stand noch immer recht hoch über dem Horizont, als Elisa die Konditorei zuschloss. Sie hatte ihre Arbeitskleidung gegen ein leichtes Sommerkleid getauscht und die langen blonden Locken durchgebürstet.

Der Himmel war strahlend blau, die Wiesen und Bäume leuchteten in sattem Grün, aber für Elisa sah es aus, als hätte sich ein grauer Schleier über alles gelegt.

Sie ging die vertrauten Wege aus dem Ort hinaus, durch den kleinen Wald, am Mühlbach entlang, der lustig plätscherte, aber sie hatte keinen Blick dafür. Die Worte des Bankers gingen ihr nicht aus dem Sinn. Die unausgesprochene Drohung, ihr das Haus wegzunehmen. Das Haus!

Elisa blieb atemlos stehen und strich sich geistesabwesend durch die Haare. Ihr Elternhaus! Ihre Eltern! Es würde sie umbringen! Und das, wo es Papa sowieso gerade so schlecht ging nach dem Schlaganfall!

Sie ging weiter, ohne nach links oder rechts zu schauen, lief einfach immer weiter, bis der Weg an der großen Schlucht endete. Da wo ihr Chalet stand. Es war nicht wirklich ihr Chalet, leider nicht. Es gehörte irgendwelchen reichen Leuten, die niemals herkamen, um es zu bewohnen. In der Gemeinde wusste man nicht viel über die Besitzer, was schon zu allerlei Gerüchten geführt hatte.

Elisa liebte diesen stillen Ort, die Schlucht, die steil unter ihr abfiel und das wunderschöne weiße Haus, das sich an den Berghang schmiegte. Sonnen-Chalet hatten sie und ihr Bruder Steffen es getauft. Früher hatten sie hier oft gespielt und einmal hatte Steffen sie überredet, über die Mauer zu klettern, die das Chalet umgab. Hinten in einer Ecke des parkähnlichen Gartens gab es eine Stelle, wo die Mauer etwas niedriger war und wo es Vorsprünge gab, auf denen kleine Kinderfüße Halt fanden. Sie waren hinübergesprungen, hatten sich neugierig durch den verwilderten Garten getastet, hatten versucht durch die Ritzen der Fensterläden zu spähen und hatten schließlich auf der großzügigen Terrasse gesessen und den Sonnenuntergang bewundert.

Sie seufzte laut, als sie an diesen aufregenden Tag zurückdachte. Wie lange war das jetzt her! Ach, Steffen! Ihre Augen wurden feucht. Wo bist du nur? Ich könnte jetzt einen großen Bruder gebrauchen, der mir einen Rat gibt und mir hilft!

„Entschuldigen Sie?“

Elisa fuhr zusammen, als sie die dunkle Männerstimme direkt hinter sich hörte.

„Es tut mir leid, ich wollte sie nicht erschrecken.“ Ein fremder Mann stand hinter ihr auf dem Weg und musterte sie aufmerksam.

Elisa schaute ihn misstrauisch an. Hier am Ende des Schluchtweges begegnete man selten jemandem und schon gar keinen Fremden. Der Mann sah ziemlich verlottert aus. Er war groß und dunkelhaarig, unrasiert und trug zu kurze, ausgebeulte Hosen, eine viel zu weite, schäbige Jacke und uralte Wanderschuhe. Unter seinen Augen lagen dunkle Schatten. „Kein Problem“, sagte Elisa mit gespielter Coolness. „Ich habe sie nur nicht kommen hören.“

Der Mann betrachtete forschend ihr erhitztes Gesicht und die feuchten Augen. „Können Sie mir sagen, wie ich zum Parkhotel komme?“

„Natürlich. Sie gehen diesen Weg zurück, dann nach links in Richtung auf den kleinen Wald zu und biegen kurz davor rechts in den asphaltierten Weg ein. Ab da ist es ausgeschildert. Sie können es nicht verfehlen.“

„Danke“, sagte er und blickte Elisa weiter an. Sein Blick war ungewöhnlich intensiv und sie konnte nichts tun, außer zurückzuschauen.

„Wohnen Sie hier?“, fragte er schließlich und wies auf das Chalet.

„Leider nicht“, gab Elisa zurück. „Das Haus ist die meiste Zeit unbewohnt.“

„Schade drum“, meinte der Mann. Er lehnte sich neben sie auf das Geländer, das den Weg von der Schucht trennte. „Die Aussicht ist wirklich phänomenal.“

„Hm, ja.“ Elisa fühlte sich unwohl, weil er so dicht neben ihr stand, und wich ein wenig von ihm zurück.

Er richtete sich abrupt wieder auf. „Ich will sie auch nicht weiter stören. Vielen Dank für die Auskunft.“ Er sah sie noch einmal mit diesem intensiven Blick an, der sich in ihr Innerstes zu bohren schien, dann drehte er sich um und ging mit großen Schritten den Weg entlang.

Elisa schaute ihm hinterher. Was für eine merkwürdige Erscheinung. Was er hier wohl tat? Vielleicht suchte er einen Job in dem Hotel. Im Gegensatz zu seinem verlotterten Äußeren war er recht höflich gewesen. Und seine Hände waren ihr aufgefallen, als er sie auf das Geländer gelegt hatte. Die Finger waren lang, gepflegt und kräftig gewesen. Hände, von denen man sich gerne anfassen ließe ...

Sie zuckte ertappt zusammen, als der Mann sich plötzlich umdrehte. Er winkte ihr noch einmal zu und schien zu lächeln. Elisa winkte zurück und drehte sich dann entschlossen zur Schlucht um. Sie hatte jetzt wirklich andere Sorgen!


„Da bist du ja!“ Eine rundliche Frau mit einem grauen Kurzhaarschnitt öffnete Elisa die Tür. „Ich habe schon auf dich gewartet. Hast du etwa jetzt erst Feierabend gemacht?“

„Nein, Mama, ich war noch spazieren.“ Elisa drückte ihrer Mutter ein Kuchenpakt in die Hand, das sie noch schnell aus der Konditorei geholt hatte. Das Haus der Eltern grenzte an die Rückseite der Konditorei, die eigentlich ein Anbau am Burger-Haus war. Elisas Großvater hatte das alles mit seinen eigenen Händen gebaut. Sie durfte gar nicht daran denken, dass der Familienbesitz nun möglicherweise in Gefahr war.

„Ist was passiert, Kind? Du guckst so ernst?“, fragte Frau Burger mit mütterlichem Instinkt, während sie in die Küche gingen.

„Nein, nein.“ Elisa zwang sich zu einem Lächeln. „Es ist alles in Ordnung, Mama. Ich bin nur müde.“

„Na dann, ich habe Tomaten mit Mozzarella für dich, die isst du doch so gern, und danach gibt es eine Gemüsepfanne mit Fisch.“ Frau Burger schielte durch die seitliche Öffnung in das Kuchenpaket. „Hm, Zitronentörtchen! Wenn die nur nicht so viele Kalorien hätten!“

„Ach Mama, Hauptsache, sie schmecken gut.“ Elisa ließ sich müde auf einen Stuhl fallen.

„Du hast gut reden, du kannst es dir ja leisten“, meinte Frau Burger.

„Ich weiß nicht“, murmelte Elisa. „Ich wäre lieber etwas schlanker.“

„Ach was. Eine dünne Konditorin, das passt doch nicht zusammen. Du bist wunderbar so, wie du bist.“ Frau Burger lud Geschirr auf ein Tablett. „Nimm das schon mal mit in den Garten. Ich bringe gleich das Essen.“

Elisa trug das Tablett nach draußen auf die Terrasse und stellte es auf dem Tisch ab, der unter dem roten Sonnenschirm stand. Sie verteilte das Geschirr und setzte sich auf die alte, blau gestrichene Holzbank, die sie so liebte.

Der Garten war eine Pracht. In den Beeten blühten Rosen, Hortensien, Schwertlilien und weitere unzählige Blumensorten um die Wette. Das war Mamas Werk. Der Garten war ihr ein und alles. Wenn sie den verlieren sollte ... Elisa wagte nicht, den Gedanken zu Ende zu denken.

„So, hier kommt das Essen!“ Frau Burger stellte die Platte mit Tomaten und Mozzarella auf den Tisch. „Kindchen, du siehst so blass aus. Du wirst doch nicht krank?“

„Nein, Mama. Es ist alles in Ordnung.“ Elisa füllte sich schnell etwas zu Essen auf. „Wie geht es Papa? Warst du heute bei ihm?“

Frau Burgers Gesicht verdunkelte sich. „Ja, ich war da, wie immer. Es ist alles unverändert. Man kann eben nur hoffen.“

„Aber der Arzt hat doch letzte Woche gesagt, dass er wahrscheinlich bald wieder sprechen kann und irgendwann auch den Rollstuhl nicht mehr brauchen wird?“

„Der Doktor sagte, dass er es vermutet. Sicher ist bei so einem Schlaganfall gar nichts.“ Frau Burger setzte sich schwerfällig hin. „Es ist furchtbar, ihn so hilflos zu sehen.“ Die Tränen traten ihr in die Augen.

Elisa legte das Besteck beiseite und streichelte ihrer Mutter die Hand. „Ach Mama, das wird schon wieder. Wir müssen halt ganz fest daran glauben. Und du musst dir auch mal ein wenig Ruhe gönnen. Jeden Tag diese lange Fahrt in die Klinik. Mach doch zwischendurch mal einen Tag Pause. Ich kann ja auch mal wieder hinfahren.“

„Ach, du hast doch selbst genug zu tun mit deinen Torten. Nein, nein, es geht schon. Papa braucht mich jetzt. Ich kann ja froh sein, dass er noch lebt!“ Frau Burger zog ein Taschentuch aus ihrer Jackentasche und schnäuzte sich geräuschvoll die Nase. Dann steckte sie das Taschentuch weg und atmete tief durch. „So, jetzt lass uns essen und den schönen Abend genießen!“

Während sie aßen, betrachtete Elisa ihre Mutter unauffällig. Sie sieht wirklich erschöpft aus, dachte sie. Sie hat in den letzten Wochen so viel durchgemacht. Und Papa erst. Ich kann ihnen unmöglich noch mehr Sorgen machen!

Sie zwang sich, ein fröhliches Gesicht zu machen. „Mhm, das Essen ist total lecker, Mama. Bei dir schmeckt es am besten!“

Als Elisa später in ihrer kleinen Wohnung im Bett lag, wirbelten ihre Gedanken durcheinander und hinderten sie daran einzuschlafen.

Sie musste irgendwie das Geld beschaffen. Aber wie denn nur? Sie arbeitete von früh bis spät in der Backstube, was konnte sie sonst noch tun? Die Konditorei lief ja nicht schlecht. Sie hatte zufriedene Stammkunden und auch die Touristen kamen gerne vorbei, um sich etwas Süßes zu gönnen. Aber die Einnahmen reichten immer nur so gerade eben. Sobald irgendeine Extra-Ausgabe anstand, rutschte ihr Konto sofort ins Minus.

Was würde passieren, wenn sie es nicht schaffte und sie das Haus verloren? Ihr Magen krampfte sich zusammen und sie zog die Bettdecke bis zur Nasenspitze hoch. Sie würden alle auf der Straße enden!

Plötzlich fiel ihr der fremde Mann vom Schluchtweg wieder ein. Warum musste sie jetzt ausgerechnet an den denken? Weil seine Kleidung so schäbig gewesen war und er ausgesehen hatte, als hätte er schon bessere Zeiten erlebt? Es passierte doch immer wieder, dass Menschen sich finanziell ruinierten und dann vor dem Nichts standen!

Es war aber noch etwas anderes gewesen. Der Mann hatte sie irgendwie fasziniert. Er hatte eine starke körperliche Präsenz gehabt, die ihr fast Angst gemacht hatte. Aber auch sehr anziehend war. Allerdings hatte sie jetzt wirklich keine Zeit, darüber nachzudenken. Es ging um ihre Existenz und die ihrer Eltern.

Nicht auszudenken, wenn Papa davon erführe, dass sein Lebenswerk vor dem Ruin stehen würde und dann noch das Haus! In seinem Zustand! Es würde ihn umbringen!


Mehlsack und Champagnerküsse

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