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[21]Grundbegriffe und Methodik
ОглавлениеDer Schlüssel zum Verständnis einer philosophischen Theorie liegt in der Klärung ihrer zentralen Begriffe.11 Nach der groben Einbettung der Hume’schen Philosophie in ihren geistesgeschichtlichen Kontext gilt es daher als Nächstes, sich Klarheit über die von Hume verwendete Sprache zu verschaffen. Im Gegensatz zu vielen anderen philosophischen Autoren bedient er sich keiner komplizierten Fachsprache, sondern greift überwiegend auf Begriffe der Alltagssprache zurück. Gerade das macht es jedoch oftmals schwer, zu erkennen, welche der von ihm verwendeten Ausdrücke austauschbar sind und welche er als Termini technici verwendet, also als Fachausdrücke, denen er innerhalb seiner Theorie eine ganz bestimmte, vom Alltagsgebrauch mehr oder weniger stark abweichende Bedeutung zuweist.
Den Ausgangspunkt für Humes gesamte Philosophie bilden die sogenannten Perzeptionen (perceptions).12 Darunter versteht er alle Gefühle, Gedanken, Wahrnehmungen, Wünsche und sonstigen Bewusstseinsinhalte. Der Begriff des Perzipierens umfasst damit all das, was bei Descartes unter den Begriff des Denkens (cogitare) gefasst wird. Wie Descartes geht auch Hume davon aus, dass wir an der Existenz dieser Bewusstseinsinhalte, mithin an der Tatsache, dass es so etwas wie Gedanken, Gefühle und Wahrnehmungen gibt, nicht sinnvoll zweifeln können. Der Rationalist Descartes meint jedoch, die Unbezweifelbarkeit der Existenz von Bewusstseinsinhalten, zum Beispiel des geistigen Aktes des Zweifelns selbst, versichere uns der Existenz eines Ichs, also einer denkenden Substanz als Träger dieser Bewusstseinsinhalte. Daher der berühmte Satz: Cogito, ergo sum. – Ich denke, also bin ich.13 Diesen Schritt geht Hume nicht mit. Unmittelbar einsehbar ist für ihn nur die Existenz konkreter Perzeptionen, [22]nicht jedoch die Existenz von etwas so Allgemeinem wie einer Substanz.
Die Perzeptionen unterteilt Hume in Eindrücke (impressions) und Vorstellungen bzw. Ideen (ideas). (Vgl. T 1.1.1.1; SBN 1; EHU 2.3; SBN 18.) Unter Eindrücken versteht er Perzeptionen, die unmittelbar und mit großer Lebhaftigkeit erfahren werden. Sie repräsentieren nichts, sondern sind ursprüngliche Entitäten.14 Zu ihnen gehören Gefühle, Wünsche und Sinneswahrnehmungen. Vorstellungen sind hingegen die schwächeren und weniger lebhaften Abbilder von Eindrücken. Von Vorstellungen spricht Hume, wenn wir uns etwa an ein Gefühl erinnern, das nicht mehr gegenwärtig ist, oder uns lediglich vorstellen, einen bestimmten Gegenstand zu sehen.
Eindrücke und Vorstellungen lassen sich jeweils weiter in einfache (simple) und zusammengesetzte (complex) unterteilen. Während Sie dieses Buch in Händen halten und diese Zeilen lesen, haben Sie nach Hume den komplexen Eindruck eines Buches, der sich aus verschiedenen haptischen und visuellen (einfachen) Eindrücken zusammensetzt. Wenn Sie das Buch weglegen, die Augen schließen und an das Buch denken, ist es Ihrem Geist als eine zusammengesetzte Vorstellung präsent. Aus dieser können Sie einfache Vorstellungen isolieren, indem Sie beispielsweise gezielt daran denken, wie sich das Buch angefühlt hat.
Humes weitere Unterteilung der Perzeptionen ist einigermaßen komplex, für ein angemessenes Verständnis seiner Philosophie jedoch unverzichtbar. Das folgende Schema mag dabei als grobe Orientierungshilfe dienen:
[23]Gemäß der von Hume gewählten Reihenfolge gehe ich zunächst auf den Bereich der Vorstellungen ein. Ein zentraler Streitpunkt zwischen Rationalisten und Empiristen ist die Frage, ob es angeborene Ideen gibt. Descartes hält das für erwiesen, der Empirist Locke hingegen bestreitet es.15 Hume gibt im Wesentlichen Locke recht, kritisiert jedoch, dass der Begriff der Idee (idea) bei Locke auch diejenigen Perzeptionen einschließt, die Hume selbst als Eindrücke bezeichnet. Bestimmte Eindrücke, zum Beispiel Emotionen oder das Hungergefühl eines Säuglings, können nach Hume durchaus als angeboren bezeichnet werden. Für Vorstellungen gilt genau das jedoch nicht. Nach Hume muss zumindest jeder einfachen Vorstellung ein ihr zeitlich vorangehender, einfacher Eindruck entsprechen.16 Man bezeichnet das auch als Copy-These.17 Ein von Geburt an Blinder kann keine Vorstellung von etwas Rotem haben, weil er noch nie eine Farbwahrnehmung hatte.
Mithilfe unserer Einbildungskraft (imagination) können wir allerdings verschiedene einfache Vorstellungen zu immer komplexeren Vorstellungen kombinieren. Um mir ein goldenes Einhorn vorstellen zu können, muss ich also nicht unbedingt schon einmal eines gesehen haben; es reicht aus, wenn ich schon einmal etwas Goldenes, ein Pferd und ein Horn gesehen habe. Ein mindestens ebenso wichtiges Vermögen ist [24]für Hume das Erinnerungsvermögen (memory), das im Vergleich zur Einbildungskraft deutlich lebhaftere Vorstellungen hervorbringt.18 Auf diese Weise ist es uns möglich, zwischen der Erinnerung an reale Erlebnisse und bloßen Fiktionen zu unterscheiden. So erkennen wir die Vorstellung eines Einhorns nach Hume als Fantasieprodukt, weil wir sie ganz anders (weniger lebhaft) perzipieren als etwa die Vorstellung eines Nashorns (sofern wir schon einmal eines gesehen haben).
Durch diesen Ansatz meint Hume die Entstehung all unserer Vorstellungen erklären zu können. Doch was ist mit allgemeinen Vorstellungen wie denen von Obst, Werkzeug oder Säugetieren? Liegen derartigen Vorstellungen ebenfalls Eindrücke zugrunde? In gewisser Weise ist das so. Hume folgt hier im Wesentlichen der Theorie von George Berkeley.19 Er vertritt die Auffassung, dass uns allgemeine oder abstrakte Vorstellungen (abstract or general ideas) stets in Form von konkreten Vorstellungen präsent sind. (Vgl. T 1.1.7.1–18; SBN 17–25.) Wenn ich Sie jetzt zum Beispiel auffordere, an ein Werkzeug zu denken, so wird der allgemeine Begriff »Werkzeug« bei Ihnen die Vorstellung an ein bestimmtes Werkzeug hervorrufen, möglicherweise an den Hammer, den Sie unlängst verwendet haben. Stelle ich den Begriff »Werkzeug« dann allerdings in einen bestimmten Kontext, etwa in den der Elektroinstallation, so wird jene konkrete Vorstellung in Ihrem Geist vielleicht durch eine andere, passendere Vorstellung ersetzt, zum Beispiel durch die eines kleinen, roten Schraubenziehers. Ihr Begriff und Ihre allgemeine Vorstellung von Werkzeug ändern sich nicht, doch die konkrete Vorstellung, durch die Ihnen die abstrakte Vorstellung mental präsent ist, passt sich dem jeweiligen Kontext an.
Nach Hume gibt es noch eine zweite Art, wie wir zu abstrakten Vorstellungen kommen können. Woher stammt beispielsweise Ihre Vorstellung von »rund«? Haben Sie jemals einen [25]einfachen Eindruck von Rundheit gehabt? Hume bestreitet das. Sie haben jedoch die Erinnerung an Einzeldinge, die rund sind. Die Vorstellung des Runden ist Ihnen stets durch eines dieser konkreten Einzeldinge präsent, durch die Vorstellung eines gezeichneten Kreises oder einer weißen Marmorkugel etc. Wir alle haben gelernt, dass Begriffe wie »rund« bestimmte Gemeinsamkeiten dieser Einzeldinge bezeichnen. Rund ist für uns nach Hume das, was der Fußball im Garten, der Teller auf dem Tisch und der Buchstabe O gemeinsam haben. Wann immer wir den Begriff hören, tritt die Vorstellung einzelner runder Dinge in unser Bewusstsein, und wir abstrahieren von allen Eigenschaften, die diese Dinge nicht miteinander gemeinsam haben.
Doch wie kommt es überhaupt, dass die Erwähnung eines bestimmten Wortes die Vorstellung eines bestimmten Einzeldings hervorruft? Und wie gelangen wir in unserem Denken von einer Vorstellung zu einer anderen? Nach Hume vollzieht sich der Übergang zwischen zwei Vorstellungen nach drei Assoziationsprinzipien (principles of association). (Vgl. T 1.1.4.1; SBN 10 f.; EHU 3.2; SBN 24.) Bei diesen handelt es sich um Ähnlichkeit (resemblance), raum-zeitliche Nähe (contiguity) und das Prinzip von Ursache und Wirkung (cause and effect). Wenn Sie an einen Ort zurückkehren, an dem Sie lange nicht waren, wird Ihr Denken in der Regel auf Dinge gelenkt, die Sie während Ihres letzten Aufenthalts dort oder in der unmittelbaren Umgebung gesehen oder getan haben. Als Kleinkinder lernen wir die Bedeutung vieler Wörter, indem Erwachsene das Wort aussprechen, während wir einen Eindruck des Gegenstandes haben, den es bezeichnet. Durch das zeitliche Nebeneinander von Wort und Gegenstand werden die Vorstellungen von beidem so eng miteinander verknüpft, dass die Vorstellung des Wortes unser Denken unwillkürlich auf die Vorstellung des Gegenstandes lenkt. (Die Stärke dieser Verknüpfung lässt sich [26]leicht an einem Beispiel demonstrieren: Versuchen Sie einmal, jetzt nicht an einen Fußball zu denken!) Ähnlich liegt der Fall, wenn man Kindern Wörter mithilfe eines Bilderbuchs beibringt. Hier kommt das Prinzip der Ähnlichkeit zwischen dem Bild und dem Abgebildeten hinzu. Die Ähnlichkeit ist es auch, die Kindern die Erkenntnis erlaubt, dass nicht jedem Einzelding ein eigener Begriff entspricht, sondern dass verschiedene Einzeldinge oft durch denselben Begriff bezeichnet werden oder dass zwei nahezu identische, zeitlich auseinanderliegende Eindrücke oft Perzeptionen desselben Gegenstandes sind. Das dritte Assoziationsprinzip schließlich sorgt beispielsweise dafür, dass uns die Erwähnung der Mona Lisa unwillkürlich an Leonardo da Vinci als ihren Erschaffer denken lässt.
Doch warum ist das so? Warum funktioniert das menschliche Denken gerade nach diesen Prinzipien? Nach Hume lässt sich diese Frage nicht mehr sinnvoll beantworten. Wenn wir die grundlegenden Prinzipien der menschlichen Natur erst einmal entdeckt, sie angemessen beschrieben und in ihrer genauen Funktionsweise erklärt haben, haben wir alles geleistet, was von einem Philosophen legitimerweise erwartet werden kann.
Das klingt einfach, erweist sich in der Praxis jedoch als durchaus kompliziert. Die drei Assoziationsprinzipien stellen zwar die unverzichtbare Grundlage des Denkens dar, stehen diesem zuweilen jedoch auch geradezu im Wege. Vor allem die Ähnlichkeit bringt uns immer wieder dazu, verschiedene Vorstellungen miteinander zu verwechseln. Besonders anschaulich lässt sich dies an folgendem antikem Paralogismus vorführen: »Keine Katze hat zwei Schwänze. Eine Katze hat einen Schwanz mehr als keine Katze. Also hat eine Katze drei Schwänze.«20 Die Erfahrung lehrt uns, dass das Ergebnis dieser Argumentation falsch sein muss. Doch wo genau liegt der Denkfehler? Frei nach Hume könnten wir sagen, er liegt in der [27]Verwechslung zweier einander ähnlicher Vorstellungen, die beide mit dem sprachlichen Ausdruck »keine Katze« assoziiert werden. Im ersten Satz meint der Begriff eine leere Menge ({ }), im zweiten eine bestimmte Anzahl (0) von Katzen.
Die Gefahr für den Philosophen liegt nun darin, dass die Verwechslung zweier Vorstellungen im Bereich philosophischer Theoriebildung oft nur schwer zu entdecken ist. Anders als in dem gerade behandelten Beispiel ist es im Fall von abstrakten Gedankengängen nur selten auf den ersten Blick offensichtlich, dass sie der Erfahrung widersprechen. Je allgemeiner und abstrakter die Vorstellungen sind, desto leichter werden sie miteinander verwechselt. Im schlimmsten Fall entstehen dabei Begriffe, die bei näherer Betrachtung vollkommen sinnlos sind, da sie keinerlei Bezug zur Erfahrung mehr aufweisen.
Hume schlägt daher ein Testverfahren für philosophische Begriffe vor: Wann immer wir den Verdacht hegen, dass ein bestimmter philosophischer Begriff bedeutungslos sein könnte, müssen wir uns fragen, auf welchem Eindruck die Vorstellung beruht, auf die er sich bezieht.21 Wenn sich kein solcher Eindruck finden lässt, haben wir es mit einem sinnlosen Begriff zu tun. Dies ist der Kern von Humes philosophischer Methode in nahezu allen Bereichen seiner Philosophie.
Begriffe wie »rot«, »Furcht«, »Pferd«, »rund« oder »Werkzeug« bestehen den von Hume vorgeschlagenen Test auf ihre je eigene Weise. Der im Zusammenhang mit Descartes bereits erwähnte Begriff der Substanz besteht ihn hingegen nicht. (Vgl. T 1.1.6.1–3; SBN 15–17.) Der Begriff »Materie« mag noch als allgemeine Vorstellung von körperlichen Dingen durchgehen. Doch da Descartes zwischen einer ausgedehnten und einer geistigen Substanz unterscheidet, müsste der Begriff der Substanz etwas bezeichnen, das sowohl körperlicher als auch geistiger Realität zugrunde liegt. Ein Eindruck, der als »Kopiervorlage« für eine solche Vorstellung dienen könnte, ist nicht zu finden. Wir [28]haben daher keinen Grund anzunehmen, dass es ein reales Etwas gibt, das die Bezeichnung als Substanz verdient.
Die Vorstellung des eigenen Ichs hat für Hume daher auch nichts mit einer immateriellen Seelensubstanz als Träger unserer Perzeptionen zu tun. Denn es lässt sich kein einzelner Eindruck entdecken, der der Vorstellung von einem Ich zugrunde liegen könnte. Der abstrakte Begriff »Ich« bezeichnet nach Hume vielmehr ein Bündel von Perzeptionen (bundle of perceptions), genauer gesagt diejenigen Eindrücke und Vorstellungen, die ein Mensch im Laufe seines Lebens perzipiert.22 Das Ich ist nicht das Theater, in dem die Perzeptionen als Schauspieler auf- und abtreten; es ist die Bezeichnung für die Gruppe der Darsteller, die Art und Weise und die Geschichte ihres Spiels. Denkt man sich die Schauspieler weg, so bleibt keine leere Bühne zurück, sondern gar nichts.23
Mit diesem Ansatz erteilt Hume der Substanz-Metaphysik seiner Zeit eine deutliche Absage. Die lange Zeit kontrovers diskutierte Frage, ob es nur eine einzige Substanz gibt, ob diese materiell oder immateriell ist oder ob es, wie die Dualisten meinen, eine materielle und eine zweite, von ihr verschiedene immaterielle Seelensubstanz gibt, kann und braucht nach Hume nicht beantwortet zu werden, weil es schlicht nicht sinnvoll ist, sie zu stellen.
In dieser Weise untersucht Hume mehrere zentrale Begriffe aus verschiedenen Bereichen der Philosophie wie »Kausalität«, »Freiheit«, »Schönheit«, »Tugend« oder »Gott«. Seine Ausführungen hierzu lassen sich stets als Antwort auf die Frage verstehen, welche konkreten Vorstellungen mit diesen allgemeinen Begriffen verbunden sind und auf welchen Eindrücken diese Vorstellungen letztlich beruhen.
So viel zunächst zum Bereich der Vorstellungen. Um Humes Testverfahren zur Rückführbarkeit von Begriffen auf die ihnen zugrunde liegenden Eindrücke richtig zu verstehen und sicher [29]anwenden zu können, ist es allerdings unabdingbar, sich vor der Auseinandersetzung mit konkreten Anwendungsbeispielen auch über die verschiedenen Arten von Eindrücken klar zu werden.
Eindrücke werden von Hume in primäre und sekundäre unterteilt. (Vgl. T 2.1.1.1; SBN 275.) Die primären Eindrücke (original impressions or impressions of sensation) entstehen, ohne dass ihnen andere Perzeptionen vorausgehen müssen. Zu den primären Eindrücken gehören Sinneswahrnehmungen (sensations), körperliche Lust- und Schmerzempfindungen, aber auch Gefühle wie Hunger oder Müdigkeit. All diese Eindrücke entstehen nicht aus Reflexion, sondern aus der Beschaffenheit unserer Natur. Die sekundären Eindrücke oder Eindrücke der Selbstwahrnehmung (secondary or reflective impressions) gehen hingegen entweder aus primären Eindrücken oder aus deren Vorstellung hervor. Zu ihnen gehören alle Affekte (passions).
Für die Affekte interessiert sich Hume in besonderem Maße. Er sieht in ihnen den Schlüssel zum Verständnis unseres Handelns und unserer Werturteile. Hume teilt sie hinsichtlich ihrer Intensität in ruhige (calm) und heftige (violent) ein. (Vgl. T 2.1.1.3; SBN 276.) Ruhige Affekte werden im Gegensatz zu heftigen eher an ihrer Wirkung als an ihrer Empfindungsqualität erkannt. Zu ihnen gehören zum Beispiel ästhetische und moralische Empfindungen, die Liebe zum Leben oder die allgemeine Bevorzugung des Guten gegenüber dem Schlechten. (Vgl. T 2.3.3.8; SBN 417.) Die Intensität eines Affekts darf nicht mit seiner Stärke verwechselt werden. (Vgl. T 2.3.4.1; SBN 419.) Wenn es zu einem Widerstreit zwischen ruhigen und heftigen Affekten kommt, können sich auch die ruhigen Affekte durchsetzen.
Das zweite Kriterium zur Unterscheidung der Affekte ist die Art und Weise ihrer Entstehung. Hier differenziert Hume [30]zwischen direkten (direct) und indirekten (indirect) Affekten. (Vgl. T 2.1.1.4; SBN 276 f.) Direkte Affekte wie Verlangen und Abneigung oder Hoffnung und Furcht entstehen unmittelbar aus Lust bzw. Unlust oder aus einem natürlichen, nicht näher erläuterbaren Instinkt. Nach Hume gibt es auch zwischen Eindrücken so etwas wie eine natürliche Assoziation, die anders als im Bereich der Vorstellungen allerdings nur auf dem Prinzip der Ähnlichkeit beruht.24 Diese Ähnlichkeit kann die Empfindungsqualität oder auch die Intensität betreffen. Der Geruch einer leckeren Speise weckt den Affekt des Verlangens, weil sich beide Eindrücke hinsichtlich ihrer positiven Empfindungsqualität ähneln. Andererseits wird heftige Liebe eher in heftigen Hass umschlagen als in Gleichgültigkeit.
Indirekte Affekte wie Stolz und Scham, Liebe und Hass oder Mitleid und Schadenfreude erfordern neben einem ihnen ähnlichen Affekt, der ihnen vorangeht, zusätzlich einen gedanklichen Gegenstand besonderer Art. (Vgl. T 2.1.2.4; SBN 278.) Die Entstehung dieser Affekte beruht nach Hume auf einem doppelten Impuls (double impulse; vgl. T 2.1.4.4; SBN 284.), nämlich einerseits auf einer Assoziation von Vorstellungen (association of ideas) und andererseits – wie die direkten Affekte – auf einer Assoziation der Gefühle (association of impressions or emotions). Wenn das Essen gut schmeckt, so reicht diese Tatsache allein noch nicht aus, um Stolz (in Humes Sinne) zu empfinden. Wenn Sie das Essen jedoch selbst gekocht haben, so werden Ihre Gedanken vom angenehmen Geschmack des Essens auf Sie selbst als dessen Ursache gelenkt. Erst aus diesem doppelten Impuls entsteht der Affekt des Stolzes. Überlegungen dieser Art werden insbesondere im Zusammenhang mit Humes Konzeption des moralischen Gefühls wichtig werden.