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2. Aufwertung und Erforschung der visuellen Wahrnehmung

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Die jüngere wissenschaftsgeschichtliche Forschung – hier sind vor allem David Lindberg und A. Mark Smith zu nennen – hat den tiefgreifenden Wandel in der Auffassung vom Sehen vielfach untersucht und beschrieben.1 Die Kunstgeschichtswissenschaft muss sich die Frage stellen, welche Verbindungen zwischen dem von ihr konstatierten Wandel in der Kunst, speziell in der Malerei, und dem unmittelbar vorausgegangenen Wandel in der Auffassung des Sehens bestehen. Dass es für einen kunstgeschichtlichen Wandel, wie wir ihn in Italien um 1300 sehen, keine monokausale Erklärung geben kann, ist selbstverständlich. Die Suche nach möglichen Zusammenhängen zwischen Malerei und Optik, deren Erfolgsmöglichkeiten auch in jüngeren Publikationen noch skeptisch beurteilt worden sind, wird keine alles umfassenden Erklärungen liefern können. Sie kann aber, wenn sie sich auf die konkreten Aussagen stützt, die in den optischen Traktaten über die visuelle Wahrnehmung gemacht werden, bedenkenswerte Ergebnisse liefern, die die Gegenstandsdarstellung im Einzelnen wie die Bildauffassung insgesamt betreffen.

Das Verhältnis zur visuellen Wahrnehmung, das sich in der christlichen Tradition seit den Kirchenvätern etabliert hatte, war ambivalent.2 Augustin hatte in seinem Genesis-Kommentar drei Genera des Sehens unterschieden: die visio corporalis, spiritalis und intellectualis.3 Das Sehen mit den leiblichen Augen ist in der Bibel an entscheidenden Stellen entschieden negativ konnotiert. Das Sehen steht am Beginn des Sündenfalls. In der Bergpredigt radikalisierte Christus das 6. Gebot: „Wer ein Weib ansieht, ihrer zu begehren, der hat mit ihr schon die Ehe gebrochen in seinem Herzen.“ Die Augen und ihre concupiscentia waren Organ der Sünde, das man, wenn es einen skandalisierte, besser ausreißen sollte. Mit den Augen sündigen konnte man deshalb, weil das Sehen als ein aktiver Vorgang aufgefasst wurde, der dem Willen unterworfen ist. Augustin sprach vom „iactus […] radiorum ex oculis nostris“.4 Dahinter steht die platonische These, dass das Auge im Akt des Sehens eine Art Feuer aussendet.5

Die verschiedenen Formen inneren Sehens, die allein geistiges Erkennen bis hin zur Gottesschau ermöglichen, wurden davon nachdrücklich abgesetzt. Gudrun Schleusener-Eichholz hat eine überbordende Fülle von Belegen für die Hochschätzung der inneren Wahrnehmung gesammelt, auf die hier nicht weiter einzugehen ist.6 Die visio cordis oder visio mentis bedarf keiner äußeren Bilder, sie sind ihr sogar hinderlich. Mystik ist ihrem Wesen nach immer bildkritisch, wenn nicht sogar bilderfeindlich gewesen. Die Kunstwahrnehmung der visio cordis benötigt nicht mehr als Zeichen. Bild und Schrift können für sie ein Stimulus sein, doch die innere „Schau“ wird sie sogleich hinter sich lassen.7

„Der Sinn liegt dumpf und schwer wie die Erde unten“, konstatierte Isaac von Stella 1162 in seiner ‘Epistola de anima’.8 Die Skepsis gegenüber der Sinneswahrnehmung war zu seiner Zeit noch weit verbreitet.9 Entgegen allen religiösen Vorbehalten vollzog sich dann aber in der Philosophie des 13. Jahrhunderts eine erstaunliche Aufwertung des leiblichen Sehens. Einen wesentlichen Impuls dafür gab die Beschäftigung mit Aristoteles, insbesondere die Auseinandersetzung mit seinen naturkundlichen Schriften.10 Seine Schrift über die Seele, die zu einem großen Teil der Wahrnehmungslehre gewidmet ist, wurde intensiv studiert und vielfach kommentiert. An erster Stelle sind hier Albertus Magnus und sein Schüler Thomas von Aquin zu nennen.11 Eine wichtige Vermittlerrolle spielte dabei Avicenna.12

Die Seele ist nach Aristoteles das Prinzip des Lebens, Formursache des natürlichen Körpers. Die Seelenkräfte, die die Lebensfunktionen steuern, werden entsprechend der Stufenleiter Pflanze – Tier – Mensch differenziert. Die vegetative Seele sorgt für Ernährung, Wachstum und Fortpflanzung. Die animalische Seele ist empfindend, begehrend und bewegend. Die anima rationalis, die Geistseele, zeichnet den Menschen aus. Die sinnliche Wahrnehmung, die die fünf Sinne leisten, ist als passives Aufnehmen zu verstehen. Der Sinn nimmt dem aristotelischen Prinzip des Hylemorphismus entsprechend Form ohne Materie auf, wobei dem vermittelnden Medium eine wesentliche Rolle zukommt. Spezifischer Wahrnehmungsgegenstand des Gesichtssinnes ist die Farbe. Wenn am Wahrnehmungsakt mehrere Sinne beteiligt sind, werden ihre Informationen vom „primären Wahrnehmungsvermögen“ zusammengefasst.13 In der durch Avicenna vermittelten arabischen Rezeption der aristotelischen Psychologie wurde daraus der sensus communis, der Gemeinsinn, der als erste Instanz der Verarbeitung der Wahrnehmung durch die inneren Sinne angesehen wurde.14 Ihr folgen dann die von Aristoteles genannten Erkenntnisstufen des Vorstellungsvermögens (, lateinisch imaginatio), des Gedächtnisses und der Vernunft, die als ein Angleichungs- und Abstraktionsprozess zu verstehen sind, durch den die Sinneserfahrung zu intellektueller Erkenntnis geläutert wird. Während dem Tastsinn eine elementare Bedeutung im Bereich des Vegetativen zukommt, ist der Gesichtssinn das Organ, das dem Verstand die umfassendste Kenntnis der Wirklichkeit zu vermitteln vermag.15

Ein zweiter wesentlicher Schritt in der Aufwertung der visuellen Wahrnehmung war die breite Rezeption der aus der Antike überlieferten Schriften zur Optik. Um die Mitte des 12. Jahrhunderts war Euklids ‘Optik’ aus dem Griechischen übersetzt worden, die bis in das 17. Jahrhundert hinein Schlüsseltext für jede Beschäftigung mit dem Sehen auf geometrischer Grundlage bleiben sollte.16 Etwa gleichzeitig wurde der Optik-Traktat des Ptolemaeus aus dem Arabischen ins Lateinische übertragen, allerdings ohne das bis heute verlorene erste Buch, das Grundfragen des Sehens und der Geometrie der Sehstrahlen behandelte.17

Zu dem für die mittelalterliche Optik wegweisenden Autor wurde der aus Basra stammende und um 1040 in Kairo gestorbene Ibn al Haytham, latinisiert Alhacen.18 Sein optischer Traktat wurde in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts unter dem Titel ‘De Aspectibus’ ins Lateinische übersetzt. Später wurde es auch unter dem Titel ‘Perspectiva’ geführt. Die Leistung Alhacens bestand darin, dass er die drei zentralen Paradigmen der antiken Optik, die „philosophische“ Optik, für die Plato und Aristoteles standen, die die visuelle Wahrnehmung aus physikalischen, psychischen und epistemologischen Bedingungen zu begreifen suchte, die „medizinische“ Optik, deren Hauptvertreter Galen war, die sich der Erforschung der anatomischen und physiologischen Struktur des Auges widmete, und die geometrische Optik Euklids zu einer einzigen kohärenten Theorie des Sehens verband.19

Die eigentliche Rezeption des Werkes von Alhacen setzte im Westen erst nach der Mitte des 13. Jahrhunderts ein.20 Albertus Magnus und Robert Grosseteste, mit denen die neue Beschäftigung mit Sehtheorie und Optik begann, kannten sein Werk wohl noch nicht.21 Für die drei bedeutendsten Theoretiker der mittelalterlichen Optik hingegen, die englischen Franziskaner Roger Bacon und John Pecham sowie den Schlesier Witelo wurde Alhacens ‘De Aspectibus’ zum entscheidenden Ausgangspunkt. Roger Bacon (geb. um 1210/15, gest. 1292/94) schrieb sein Hauptwerk, sein ‘Opus maius’, dessen fünftes Buch die Abhandlung über die Optik bietet, in den sechziger Jahren in Paris und übersandte es 1267 oder 1268 an Papst Clemens IV. nach Viterbo.22 Dieser Ort, an dem sich damals die päpstliche Kurie sehr häufig aufhielt, sollte in den folgenden Jahren sozusagen zum Brennpunkt der optischen Forschungen werden.23 Etwa um 1268 kam Witelo dort an, der Anfang der fünfziger Jahre in Paris und 1262/63 in Padua studiert hatte. Er schrieb seinen Perspektiv-Traktat vermutlich zu Beginn der siebziger Jahre und widmete ihn Wilhelm von Moerbeke, dem Übersetzer zahlreicher griechischer Werke, der damals Beichtvater am päpstlichen Hof war.24 Auch das dritte Werk, die ‘Perspectiva communis’ des John Pecham entstand in Viterbo. Pecham (um 1235–1292) hatte in Paris und Oxford studiert und war Anfang der 1250er Jahre Franziskaner geworden.25 Nach 1269 lehrte er einige Jahre in Paris und dann in Oxford. 1275 wurde er Provinzialminister der Franziskaner. 1277 wurde er als Theologielehrer an die päpstliche Kurie berufen. Dies geschah wahrscheinlich noch durch Papst Johannes XXI., der jedoch schon im Mai 1277 bei einem Unfall starb. Pecham blieb dort auch noch unter dessen Nachfolger Nikolaus III. Orsini, der ihn 1279 zum Erzbischof von Canterbury ernannte. In der kurzen Zeit in Viterbo jedoch hat er seinen Perspektiv-Traktat abgefasst, der die weiteste Verbreitung gefunden hat.26

Es würde zu weit führen, hier das Lehrgebäude der mittelalterlichen Optik, das in jüngerer Zeit von David Lindberg und Mark Smith sehr genau beschrieben worden ist, eingehend zu erläutern.27 Im Hinblick auf den weiteren Gang der Argumentation sollen aber doch die wichtigsten Grundpositionen skizziert werden, die zumeist schon von Alhacen festgelegt und von Bacon, Witelo und Pecham übernommen, teilweise aber auch modifiziert und systematisiert wurden.

Ein besonderes Anliegen von Alhacen war es, der vorherrschenden Theorie entgegenzutreten, nach der das Sehen durch vom Auge ausgesandte Sehstrahlen erfolgt. Diese sogenannte Extramissions- oder Sendetheorie des Sehens, die von Plato, Euklid, Ptolemaeus und Galen bis hin zu Alkindi vertreten wurde und die auch die Kirchenväter übernahmen, postulierte, dass das Auge eine Art Feuer oder Pneuma aussendet, das sich mit dem umgebenden Licht verbindet und die Sehobjekte gleichsam abtastet.28 Die Erfahrung, dass es für das Auge schmerzhaft ist, in die Sonne zu blicken, und die Beobachtung der Nachbilder sind für Alhacen Argumente dafür, dass das Sehen ein „Leiden“ ist, dass das Auge von außen hereinkommende Lichtstrahlen empfängt.29 Witelo hat Alhacens Theorie, die als Intromissions- oder Empfangstheorie bezeichnet wird, konsequent übernommen,30 Bacon und Pecham hingegen nehmen zusätzlich eine Aktivität auf Seiten des empfangenden Auges an.31 Nach heutiger Auffassung mag das inkonsequent und widersprüchlich erscheinen, doch nach der mittelalterlichen Psychologie war auf diese Weise das Problem zu lösen, wie die von außen eindringenden Wahrnehmungsbilder dem im Sehnerv vermuteten spiritus visibilis angepasst werden können, dem sensitiven Pneuma, das die Bilder zur weiteren kognitiven Verarbeitung den Seelenvermögen übermittelt.32 Eine Bestätigung ihrer Ansichten dürften Bacon und Pecham in antiken Texten zur Augenheilkunde gefunden haben, in der Galen unbestritten als größte medizinische Autorität galt.33 Seine Lehren meinte man auch aus den ‘Zehn Abhandlungen über das Auge’ zu kennen, die jedoch im 9. Jahrhundert von Hunain Ibn-Ishāq verfasst wurden.34 Von Galen weicht Hunain allerdings darin ab, dass er über die Alternativen der Sende- und Empfangstheorie des Sehens hinaus noch eine dritte Möglichkeit anführt, nach der etwas die Distanz zwischen Gegenstand und Auge vermittelnd überbrückt.35 Nach Hunain läuft der Sehvorgang so ab: der spiritus visibilis, der vom Gehirn durch die Sehnerven kommend das Auge ausfüllt, tritt durch die Pupille aus und formt die Luft zu einem Instrument des Sehens um, das die Verbindung zwischen Auge und Gegenstand herstellt.36 „Der Sehhauch tritt zwar anscheinend aus dem Auge aus und wandelt dort die Luft um, dehnt sich aber selbst nicht weiter aus“.37 Darin liegt der wesentliche Unterschied zu den antiken Sendetheorien. Bacon und Pechan konnten in dieser These eine Bestätigung ihrer eigenen Auffassung sehen, die zwischen Empfangs- und Sendetheorie vermitteln sollte. Wie dieser Wandlungsprozess des Mediums Luft durch den spiritus visibilis abläuft, erklärt Hunain nicht konkret, sondern mit dem schon vorher bekannten und bis zu Descartes immer wieder vorgebrachten Gleichnis des Stockes, der einem Mann, der durch völlige Dunkelheit geht oder blind ist, hilft, Hindernisse zu erkennen.38

Auch die konsequenten Vertreter einer Empfangstheorie des Sehens wie Witelo gingen davon aus, dass die Wahrnehmungsbilder umgewandelt, sozusagen „vergeistigt“ werden müssen, damit sie vom Geist des Betrachters erfasst werden können. Für sie spielte sich dieser Vorgang jedoch rein innerlich im Auge und in den Gehirnventrikeln des Betrachters ab. Generell unterscheiden alle Optiker beim Sehvorgang zwei Stufen, die externe physiologische Phase der Aufnahme der optischen Reize und die interne Verarbeitung des empfangenen Seheindrucks, die als Leistung verschiedener Seelenvermögen aufgefasst wird.39 Als das empfindungsfähige Augenorgan gilt die Kristall- oder Eisflüssigkeit (humor cristallinus, nach heutiger Terminologie: Kristalllinse oder Linse), die zusammen mit der Glasflüssigkeit (humor vitreus, heute: Glaskörper) eine Kugel bildet (Abb. 1).40 Diese geometrische Idealisierung des Auges ist, wie weiter unten zu zeigen sein wird, für die Vorstellung vom Sehvorgang von großer Bedeutung. Vom Gegenstand gehen sich gradlinig ausbreitende Strahlen aus. Sie transportieren gleichsam in Punkte zerlegt die Bilder des Gegenstandes, die von Alhacen und Witelo als formae bezeichnet werden. Bacon wählte dafür den Begriff species.41

Diese beiden Begriffe haben ihre Wurzel in der philosophischen Tradition. Die Bezeichnung forma wurde durch Aristoteles nahegelegt, der wie erwähnt gelehrt hatte, dass in der Wahrnehmung sich die Form ( bzw. ) ohne Materie den Sinnen einpräge. In der patristischen Philosophie war forma auch die Übersetzung für den platonischen Begriff , der ja seinerseits dieselbe sprachliche Wurzel wie hat, und bezeichnete somit das letztlich im Transzendenten verankerte Wesen des Dinges. Hier liegt auch der Ursprung für den synonym zu forma verwendeten Begriff species.42 Mit diesem Wort bezeichnete Cicero das geistige Bild, das Künstlern wie Phidias bei ihrer Arbeit vorschwebte.43 Die platonische konnte auch mit species übersetzt werden. Bei Augustinus ist species zu einem Schlüsselbegriff der Wahrnehmung geworden: „Wenn wir also bei dieser Analyse mit der Gestalt (species) des Körpers beginnen und bis zu der Gestalt gelangen, die im Blick des Denkenden entsteht, dann finden sich vier Gestalten (species), gleichsam stufenweise eine aus der anderen sich ableitend, die zweite von der ersten, die dritte von der zweiten, die vierte von der dritten. Von der Gestalt des Körpers, der gesehen wird, entsteht nämlich die Gestalt, die im Sinn des Erkennenden wird, und von dieser jene, die in der Erinnerung wird, und von dieser jene, die in der Sehkraft (acies) des Denkenden wird.“44


1 Schematisches Modell des Auges nach Alhacen (a = humor cristallinus; b = humor vitreus; n = nervus opticus; g = Gegenstand; z = Zentralstrahl)

Mit dem in diesen Bedeutungsnuancen gefassten Begriff der species konnte der von äußerer zu innerer Wahrnehmung verlaufende Prozess der Wahrnehmung bezeichnet werden. Die Scholastik hat daran anknüpfend zwischen den species sensibiles und den species intelligibiles unterschieden.45 Wenn Bacon sich für den in der Philosophie seiner Zeit ganz geläufigen Begriff species entschied, so tat er dies zum einen, um den Prozess des Sehvorganges vom Wahrnehmungsobjekt abzusetzen, das er gemäß der aristotelischen Naturphilosophie als Einheit von forma und materia begriff. Noch wichtiger aber dürfte gewesen sein, dass für ihn hinter diesem Begriff ein elementares physikalisches Prinzip stand, das mit dem Begriff forma nicht gut zusammengebracht werden konnte. Bacon hat dieses Prinzip in seiner Schrift ‘De multiplicatione specierum’ erläutert.46 Damit stellte er die Lehren Alhacens von der Ausbreitung der formae auf ein allgemeingütiges Fundament. Von jedem Punkt der Oberfläche eines Gegenstandes gehen Strahlen aus, die sich in alle Richtungen ausbreiten, sofern sie daran nicht durch andere feste Gegenstände gehindert werden (Abb. 2). Diese These Bacons konnte auch mit der neuplatonischen Emanationslehre in Verbindung gebracht werden. Ihre unmittelbaren Quellen waren jedoch die Werke von Alkindi und Grosseteste, in denen dieses Prinzip in eine naturphilosophische Lehre von der Ausbreitung des Lichtes und von Strahlung im Allgemeinen überführt wurde.47


2 Schematisches Modell der Ausbreitung der species und der Sehpyramide

Mit modifizierter Begründung, aber ganz im Sinne der Optik Alhacens, gingen Bacon und die anderen Perspektivlehrer also davon aus, dass sich von jedem Punkt der Oberfläche eines Gegenstandes in alle Richtungen gradlinig Strahlen ausbreiten. Im Auge entsteht deswegen kein Chaos von Sinnesdaten, weil nur diejenigen formae oder species wahrgenommen werden, die senkrecht auf das Auge treffen (Abb. 2).48 Dies sind, da – wie man meinte – das Auge eine Kugel ist, alle Strahlen, die zum Augenmittelpunkt in der Glasflüssigkeit führen. Diesen Mittelpunkt erreichen sie jedoch nicht, sondern sie werden im Übergang von der Eisflüssigkeit zur Glasflüssigkeit gebrochen, so dass sie danach als Parallelen zum Eingang des Sehnervs laufen.49 In der Kristalllinse ergibt sich dadurch eine Anordnung von Punkten, die mit der Anordnung der Ausgangspunkte der Strahlen auf dem Sehgegenstand übereinstimmt. Auch hier schlossen sich die mittelalterlichen Autoren ganz dem Araber an.50 Die wichtigste Konsequenz dieser Hypothese vom Sehvorgang war, dass Alhacen die geometrische Optik Euklids adaptieren konnte und damit präziser über die Regeln der externen Phase des Sehvorganges sprechen konnte, als dies den Aristotelikern möglich war. Der physische Sehvorgang ist mit dem auf Euklid und Ptolemaeus zurückgehenden Modell einer aus den vom Objekt zum Auge laufenden Strahlen gebildeten Pyramide zu beschreiben, deren Basis im Objekt, deren Spitze im Augenmittelpunkt liegt (Abb. 1).51

Jeder Sinn hat bestimmte nur durch ihn wahrnehmbare Objekte. Wie der Schall nur durch das Gehör wahrgenommen werden kann, so Licht und Farbe nur durch den Gesichtssinn. Was die Objekte, die gesehen werden, ihrer Beschaffenheit und ihrem Wesen nach sind, ist jedoch mehr als diese beiden Qualitäten. Schon Aristoteles hat dargelegt, dass es Qualitäten gibt, die von mehreren Sinnen zugleich wahrgenommen werden. Als solche bezeichnete er Bewegung, Ruhe, Zahl, Gestalt und Größe.52 Ptolemaeus hat diese Liste leicht modifiziert übernommen.53

Alhacen knüpfte an diese Kategorisierung der Sehgegenstände an, indem er zwischen Licht und Farbe, den dem Gesichtssinn eigentümlichen Objekten, die er als visibilia per se bezeichnete, und den visibilia per accidens unterschied, die nicht ohne einen hinzutretenden Denkprozess erfasst werden können. Das, was vom Gegenstand wahrgenommen wird, bezeichnet Alhacen als ma’na, womit nach Sabra die Summe seiner visuell erfassbaren Eigenschaften gemeint ist.54 Die lateinische Übersetzung setzte dafür den vielschichtigen Begriff der intentio ein, der von den mittelalterlichen Lesern zumeist mit dem ganz anderen Begriffsverständnis Avicennas verbunden wurde, für den ma’na das bezeichnete, was von einem Objekt wahrgenommen wird, ohne selbst Teil der forma sensibilis zu sein.55 Intentio ist also mehr als die äußere visuelle Erscheinung, sie meint das Wesen der Objekte, das uns aber über das Optische vermittelt wird. Alhacen stellt fest, dass es 22 elementare intentiones visibiles, primäre Objekte des Gesichtssinnes gibt. Neben Licht und Farbe als visibilia per se listet er zwanzig weitere intentiones visibiles auf, die als visibilia per accidens zu gelten haben. Zu ihnen gehören Entfernung oder Abstand, Lage, Körperhaftigkeit, Figur und Größe.56

Die intentio eines Gegenstandes, seine spezifische Erscheinung und sein Wesen, kann durch den Sehsinn alleine nicht erfasst werden, sondern nur unter Mitwirkung der ratio. Das führt auf den internen Vorgang des Sehens, auf die Tätigkeit der inneren Sinne. Alhacens Vorstellungen vom inneren Prozess der Verarbeitung der Sinneseindrücke sind stark durch die Psychologie Avicennas bestimmt, die ihrerseits auf Aristoteles aufbaut.57 Er stellte den Ablauf sich so vor, dass die empfangenen Eindrücke durch den im Sehnerv laufenden Spiritus visibilis zum Sehchiasma, der Kreuzung der vom Gehirn kommenden Sehnerven, geleitet werden, wo sich die von beiden Augen kommenden formae verbinden, von wo aus sie zum ultimum sentiens, der für Sinneseindrücke zuständigen Region des Gehirns, gelangen.58 Hier tritt die virtus distinctiva, die Unterscheidungskraft, in Tätigkeit, die die Eindrücke verarbeitet und der cognitio zuführt. Erkenntnis und Wissen werden schließlich im Gedächtnis (memoria) gespeichert, von wo sie abgerufen werden können, um mit neuen Seheindrücken verglichen zu werden. Erst mit Hilfe von vorgängigem Wissen, Unterscheidungskraft und Schlussfolgerung wird das, was die Sinneseindrücke enthalten, seinem Wesen nach erkannt.

Roger Bacon hat Alhacens Vorstellung von der internen Verarbeitung des Seheindrucks modifiziert, indem er sie mit dem von Galen aufgestellten, allgemein akzeptierten Modell des in drei Ventrikel aufgeteilten Gehirns verband und die geistigen Seelenkräfte gemäß der aristotelischen Psychologie modifizierte, wobei er sich ausdrücklich auf die Lehren Avicennas berief.59 Am Anfang des Kognitionsprozesses, der sich im ersten Gehirnventrikel vollzieht, steht der sensus communis, der die Eindrücke der verschiedenen Sinne vergleicht und vereint, um sie dann zur imaginatio weiterzuleiten, die aus den Sinneseindrücken ein Vorstellungsbild formt, festhält und dem verarbeitenden Verstand zugänglich macht. Die beide übergreifende Instanz ist die virtus fantastica, die Phantasie, die die Beurteilung der Sinneseindrücke auf dieser Verarbeitungsstufe abschließt.60 Der mittlere Gehirnventrikel ist der Sitz der virtus cogitativa, die mit der virtus distinctiva bei Alhacen gleichzusetzen ist.61 Diese Fähigkeit des Schlussfolgerns und Verstehens, die Bacon als „domina virtutum sensitivarum“ bezeichnet, ist den Lebewesen in unterschiedlicher Weise eigen. Tiere beweisen diese Fähigkeit, wenn sie instinktiv vor einer Gefahr fliehen, wie, so das immer wieder zitierte Beispiel, das Schaf, wenn es einen Wolf sieht.62 Bei den Menschen ist die cogitatio hingegen durch den Intellekt gesteuert. Der kognitive Prozess, der als stufenweise fortschreitende Abstraktion zu begreifen ist, wird im dritten Gehirnventrikel durch die virtus aestimativa vollendet. Die Erkenntnisse werden im hier ebenfalls angesiedelten Gedächtnis gespeichert, auf die der Wahrnehmende dann jederzeit zurückgreifen kann.63 Diese Auffassung vom Prozess der Apperzeption steht in engem Zusammenhang mit den mittelalterlichen Vorstellungen von der cogitatio, die David Summers detailliert nachgezeichnet hat.64

Witelo und Pecham behandeln die Tätigkeit der inneren Sinne weit weniger ausführlich und bleiben enger bei den Vorgaben von Alhacen, indem sie an seinem Begriff der virtus distinctiva festhalten.65 Allen gemeinsam aber ist die grundlegende Feststellung, dass der Prozess der Wahrnehmung erst mit der Verarbeitung der visuellen Reize durch die inneren Sinne zum Abschluss kommt.

Wahrnehmung, so stellte Alhacen fest, benötigt Zeit, wenn sie irrtumsfrei sein soll. Das liegt nicht nur am Prozess der Verarbeitung durch die inneren Sinne, sondern hat auch einen Grund im externen Sehvorgang. Der Zentralstrahl der Sehpyramide erreicht als einziger ungebrochen das empfindungsfähige Zentrum des Auges, zugleich ist er kürzer als alle anderen ihn umgebenden Strahlen der Sehpyramide. Deswegen ist er der stärkste der Sehstrahlen. Wenn ein Gegenstand ganz genau erfasst werden soll, ist es notwendig, dass der Blick so geführt wird, dass jeder Punkt des Objektes einmal zum Ausgangspunkt des Zentralstrahls wird. Diesen Modus des Sehens bezeichnen Alhacen und seine Nachfolger als intuitio.66 Davon zu unterscheiden ist der aspectus oder aspectus simplex, der, wie Witelo sagt, ein oberflächliches Betrachten ist, bei dem alles, was die Sehpyramide mit ihrer Basis umfasst, simultan registriert wird.67 Diese receptio simplex erfasst nur die intentiones manifestas. Ein tieferes Verständnis – certificare und comprehendere sind die dafür eingesetzten Verben, die auf die Verarbeitung des Seheindruck durch die inneren Sinne verweisen – kann nur die intuitio bringen, die mittels des Zentralstrahls erfolgt, der vom Betrachter gleichsam abtastend über das Objekt geführt wird.

1 Lindberg 1987; Smith 1981; Smith 2004.

2 Zum Folgenden: Schleusener-Eichholz 1985; Biernoff 2002.

3 Aurelius Augustinus, De Genesi ad litteram, Buch XII, 7, 16: „Haec sunt tria genera visionum, de quibus et in superioribus libris aliquid diximus […] Primum ergo appellemus corporale, quia per corpus percipitur et corporis sensibus exhibetur. Secundum spiritale; quidquid enim corpus non est et tamen aliquid est, iam recte spiritus dicitur: et utique non est corpus, quamvis corpori similis sit, imago absentis corporis, nec ille ipse obtutus quo cernitur. Tertium vero intellectuale, ab intellectu; quia mentale, a mente, ipsa vocabuli novitate nimis absurdum est, ut dicamus“. Zu mittelalterlichen Belegen für die drei Stufen des Sehens vgl. Schleusener-Eichholz 1985, Bd. 2, S. 931–1075.

4 Augustinus, De Genesi ad litteram, Buch I, 16,31.

5 Platons Theorie des Sehens: Timaios 45b-46c; vgl. Lindberg 1987, S. 22–27; zur Rezeption im Mittelalter vgl. Schleusener-Eichholz 1985, Bd. 1, S. 51–70.

6 Schleusener-Eichholz 1985, Bd. 2, 953–1048.

7 Ernst Benz: Christliche Mystik und christliche Kunst. In: Deutsche Vierteljahresschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 12 (1934) S. 22–48.

8 „Sensus enim obtusus et gravis, sicut terra, deorsum jacet“ (Isaac de Stella: Epistola ad quemdam familiarem suum de anima, PL 194, col. 1885a).

9 Vgl. Schleusener-Eichholz 1985, S. 935–940.

10 Zu Aristoteles: Hellmut Flashar, Aristoteles. In: Hellmut Flashar (Hg.): Ältere Akademie – Aristoteles – Peripatos (Grundriß der Geschichte der Philosophie: Die Philosophie der Antike; Bd. 3, Ältere Akademie, Aristoteles, Peripatos), 2. Aufl. Basel 2004, S. 167–492. Zur mittelalterlichen Aristoteles-Rezeption: Fernand van Steenberghen: Aristotle in the West, the origins of Latin Aristotelianism, Löwen 1955; Fernand van Steenberghen: Die Philosophie im 13. Jahrhundert, hrsg. von Max A. Roesle, München [u.a.] 1977, S. 75–184; Theodor Wolfram Köhler: Homo animal nobilissimum, Konturen des spezifisch Menschlichen in der naturphilosophischen Aristoteleskommentierung des dreizehnten Jahrhunderts, Leiden [u.a.] 2008.

11 Albertus Magnus 1968; Thomas v. Aquin 1959.

12 Dag Nikolaus Hasse: Avicenna’ s „De anima“ in the Latin West. The formation of a peripatetic philosophy of the soul 1160–1300, London 2000.

13 Aristoteles, De memoria et reminiscentia 450a.

14 Harry A. Wolfson: The Internal Senses in Latin, Arabic and Hebrew Philosophic Texts. In: Harvard Theological Review 28 (1935) Nr. 2, S. 69–133. Samuel Landauer, Die Psychologie des Ibn Sînâ. In: Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft, Bd. 29, 1875, S. 335–418; hier: 399ff. Zur Vermittlungsrolle Avicennas vgl.: Hasse 2000.

15 Immer wieder wurde die Eingangspassage der Metaphysik (490a) zitiert, in der Aristoteles die besondere Bedeutung des Sehsinnes für das menschliche Streben nach Erkenntnis hervorgehoben hatte; in der lateinischen Übersetzung lautet sie: „Omnes homines natura scire desiderant. Signum autem, est sensuum dilectio; preter enim et utilitatem propter se ipsos diliguntur, et maxime aliorum qui est per oculos […]; causa autem est quia hic maxime sensuum cognoscere nos facit et multas differentias demonstrat“ (Metaphysica. Recensio et translatio Guglielmi de Moerbeka, hrsg. von Gudrun Vuillemin-Diem (Aristoteles latinus, Bd. XXV,3.2), Leiden 1995, S. 11). Deborah K.W. Modrak: Aristotle, the power of perception, Chicago u. a 1987; Stephen Everson: Aristotle on perception, Oxford 1997.

16 Die zwei überlieferten Fassungen des griechischen Textes bei Euklid/Acerbi 2007, S. 2024–2197, ebd. S. 555–641 eine historische Einführung, die auch die Bedeutung Euklids für die arabische Optik berücksichtigt. Die lateinische Fassung: Euklid/Theisen 1979, S. 44–105.

17 Ptolemaeus/Lejeune 1956; neuere Ausgabe mit französischer Übersetzung: Ptolemaeus/Lejeunel989; englische Übersetzung: Ptolemaeus/Smith 1996.

18 Seit Risner 1572 war Ibn-al Haytham im Westen unter dem Namen Alhazen bekannt. Lindberg 1996, S. XXXIII hat jedoch darauf hingewiesen, dass der Name in der mittelalterlichen Überlieferung immer ‘Alhacen’ geschrieben wurde. Zu Alhacens Leben und Werk vgl.: Alhacen/Sabra 1989, Bd. 2, S. XIX–CX. Sabras Ausgabe ist die Übersetzung des arabischen Originals, das auch die drei ersten Kapitel des Textes enthält, die in der lateinischen Überlieferung fehlen. Zu den Lehren Alhacens vgl. auch Lindberg 1987, S. 114–160; Simon 2003, S. 77–164.

19 Zur antiken Optik vgl. Lindberg 1987, S. 17–46; Simon 1992; Hub 2008, S. 264–321. Einführungen in Alhacens Optik: vgl. Lindberg 1987, S. 114–160 und die Einleitungen zu Alhacen/Sabra 1989 und zu Alhacen/Smith 2001. Belting 2008, passim, zeichnet ein ganz einseitiges Bild der Optik Alhacens, indem er zugunsten der Aspekte der optischen Geometrie deren Wahrnehmungspsychologie vernachlässigt. Ein folgenreiches Defizit ist es auch, dass er die in der Nachfolge Alhacens verfassten mittelalterlichen Optik-Traktate ignoriert. Dadurch bleibt auch die Bedeutung der Optik Euklids verborgen, die mit keinem Wort erwähnt wird. Vgl. Frank Büttner: Rezension von: Hans Belting, Florenz und Bagdad. Eine west-östliche Geschichte des Blicks, München 2008. In: Kunstchronik, 62. Jahrgang 2009, Heft 2, S. 82–89.

20 Alhacen/Smith 2001, S. LXXX–CIII.

21 Lindberg 1987, S. 174–195; vgl. Theiss 1997 und Crombie 1962.

22 Zur Biographie Bacon vgl. Clegg 2003; George Molland, ‘Bacon, Roger (c.1214–1292?)’, Oxford Dictionary of National Biography, online edn.2004[http://www.oxforddnb.com/view/article/1008]; Textausgabe des „Opus majus“: Bacon/Bridges 1900; kritische Ausgabe von Buch V („Perspectiva“): Bacon/Lindberg 1996. Zu Bacon vgl. Hackett 1997.

23 Dazu Paravicini Bagliani 1975; Bergdolt 1989 und Bergdolt 2007.

24 Geburts- und Todesjahr Witelos sind nicht überliefert, in den 1250er Jahren studierte er in Paris, ab 1260 war er in Padua. Zur Biographie Witelos vgl. die Einleitungen in Witelo/Smith 1983 und Witelo/Kelso 2003. Eine kritische Gesamtedition von Witelos Werk liegt noch nicht vor, hier ist man immer noch auf die Edition von Risner 1572 angewiesen.

25 Zur Biographie von John Pecham vgl. Benjamin Thompson: ‘Pecham, John (c. 1230–1292)’, Oxford Dictionary of National Biography, online edition, 2004 [http://www.oxforddnb.com/view/article/21745]. Kritische Ausgabe der „Perspectiva Communis“: Pecham/Lindberg 1970; Ausgabe des kürzeren „Tractatus de Perspectiva“: Lindberg/Pecham 1972.

26 Lindberg 1970 führt 62 Handschriften der „Perspectiva Communis“ an, einen Frühdruck von 1482/83 und 9 weitere Auflagen während des 16. Jahrhunderts. Von Witelo sind dagegen nur 18 Handschriften und 3 Drucke, von Alhacen 19 Manuskripte und 1 Druck zu verzeichnen. Bacons Schrift hatte nach expliziten Zeugnissen ihrer Rezeption zu urteilen die geringste Verbreitung. Bacon war schon 1257 wegen der Verbreitung von Irrlehren unter Aufsicht gestellt und mit einem „Publikationsverbot“ belegt worden. 1278 wurde er sogar zu Gefängnis verurteilt und erst 1292 wieder freigelassen. Innerhalb des Ordens scheint sein Werk jedoch, insbesondere der Teil über die Optik, bald kursiert zu haben und war in Viterbo Pecham wie Witelo zugänglich. Lindberg erwähnt in seiner Edition der „Perspectiva“ 39 Handschriften. Der erste Druck stammt aus dem Jahre 1614.

27 Die beste Gesamtübersicht bei Lindberg 1987; vgl. auch die Einleitungen von Lindberg und Smith zu den oben angeführten Editionen der Traktate von Alhacen, Bacon, Witelo und Pecham.

28 Zur antiken Optik vgl. Simon 1992 und Hub 2008.

29 Alhacen/Smith 2001, Bd. 1, S. 3.

30 Witelo/Unguru 1991, S. 299f. (Witelo III, prop. 6).

31 Bacon/Lindberg, S. 104f. (Perspectiva I.7.4); Pecham/Lindberg 1970, S. 128 (I.46a: „Lumen oculi naturale radiositate sua visui conferre“); Pietro d’Abano bezeichnete in seinem um 1310 ab geschlossenen ‘Conciliator’ diese zwischen Sende- und Empfangstheorie vermittelnde These als „positio modernorum“, der er allerdings skeptisch gegenüber stand (d’Abano 1565, S. 96r).

32 Thomas von Aquin, Super Sent., lib. 1 d. 40 q. 1 a. 1 ad 1 betont, dass die Aufnahme der Wahrnehmungsbilder passiv geschehe, ihre dann folgende geistige Umgestaltung jedoch aktiv erfolge.

33 Die Anatomie des Auges und den Sehvorgang beschrieb Galen im 10. Buch von ‘De usu partium’, das um 1300 erstmals von Pietro d’Abano übersetzt wurde. Seine weiteren wichtigen Texte zur Augenmedizin, so ‘De placitis Hippokratis et Platonis’, Buch VII, wurden erst in der Renaissance übersetzt (Lindberg 1987, S. 366). Zu seinen Lehren vgl. Hirschberg 1899, S. 190–203; Lindberg 1987, S. 33–35.

34 Hunain Ibn-Ishāq: The book of the ten treatises on the eye ascribed to Hunain Ibn Is-Hāq (809–877 A. D.). Hrsg. mit engl. Übers. von Max Meyerhof, Kairo 1928; Mayerhof, Max; Prüfer, C.: Die Augenanatomie des Hunain b. Ishaq. In: Archiv für Geschichte der Medizin, Bd. 4, 1910/11, S. 163–190; Hunain 1912/13, S. 21–33. Den ophtalmologischen Traktat Hunains hielt man im Mittelalter für ein Werk von Galen oder von Constantinus Africanus, der den Text im 11. Jahrhundert übersetzt hatte; vgl. Hirschberg 1908, S. 34ff.; Lindberg 1987, S. 72–87. Lat. Text unter dem Titel ‘Liber Constantini de oculis’ in: Ishāq Ibn-Sulaimān al- Isrāīlī: Omnia opera ysaac …, [Lyon], 1515, fol. 172r–178r.

35 Hunain 1912/13, S. 28; im lateinischen Text heißt es (Lyon 1515, fol. 172v): „sed quoddam est medium stans inter hunc (d. h. dem Gegenstand) et illum (d. h. dem Auge)“.

36 Hunain 1912/13, S. 29: „Wenn er (d.h. der Sehgeist) nun auf die Luft stößt, sobald er sich von der Pupille entfernt (ausgeht), so verändert er sie sofort bei seinem Zusammentreffen mit ihr; dann läuft das, was durch seine Veränderung entsteht, eine sehr weite Strecke durch sie hindurch …“.

37 Lindberg 1987, S. 80.

38 Hunain 1912/13, S. 31: „Es geht ein Mensch in der Dunkelheit, während er in seiner Hand einen Stab hält, den er der Länge nach vor sich ausstreckt. Da trifft der Stock auf etwas, das ihn an der Bewegung nach vorn hindert. Da erkennt der Mensch auf dem Weg der Messung, dass das […] nur ein verborgener Körper ist, der sich dem entgegensetzt, was auf ihn stößt. […] Ebenso ergeht es dem Blicke mit diesen Dingen …“. Im lat. Text (Lyon 1515, fol. CLXXIIv) heißt es: „Si quis per tenebras ambulaverit et fustem in manum duxerit …“; fustis bedeutet Knüttel, Prügel, Stock.

39 Letztlich geht diese Unterscheidung auf Aristoteles zurück. Alkindi sprach explizit von externen und internen Sinnen. Vgl. die Zusammenfassung bei Lindberg 1987, S. 133ff.

40 Alhacen/Smith, Bd. 1, S. 50f. [I.6,64]; Witelo III,4, S.294; Witelo/Unguru 1991: „Primus itaque humorum istorum dicitur cristallinus vel glacialis, qui proprie est Organum virtutis visive, et est in medio oculi situs“.

41 Zum Begriff forma: Sabra 1989; zur Begriffsgeschichte von species: Pierre Michaud-Quantin: Le champs sémantiques de species. Tradition latine et traductions du grec. In: ders. Études su le vocabulaire philosophique du Moyen Age. Rom 1970, S. 113–150; Spruit 1994, S. 28–174. Bacon erläuterte seinen Begriff der species zu Beginn seiner Schrift ‘De multiplicatione specierum’ (Bacon/Lindberg 1983, S., 2–4; vgl. auch dort die Einleitung von Lindberg, S. XXXV–LXX).

42 Vgl. Hugo von St. Victor, Didascalion, lib. VII, cap. 9: „Species est forma visibilis, quae continet duo, figuras et colores.“ PL, Bd. 176, col. 819.

43 Cicero, Orator 2.8–9.

44 Augustinus: De Trinitate XI, 9.16; Augustinus 2001, S. 170f.: „In hac igitur distributione cum incipimus a specie corporis et pervenimus usque ad speciem quae fit in contuitu cogitantis, quattuor species reperiuntur quasi gradatim natae altera ex altera; secunda de prima; tertia de secunda; quarta de tertia. Ab specie quippe corporis quod cernitur exoritur ea quae fit in sensu cernentis, et ab hac ea quae fit in memoria; et ab hac ea quae fit in acie cogitantis.“ Diese letzte Formulierung wird von Augustinus einige Zeilen später erläutert: „visionis enim duae sunt, una sentientis, altera cogitantis“. Es geht hier also um die oben erwähnte Unterscheidung zwischen der visio corporalis auf der einen und visio spiritalis oder intellectualis auf der anderen Seite.

45 Eine knappe und klare Darstellung dieser Differenzierung bei Smith 1992, S. 157f. Die Frage der Existenz der species, insbesondere der species intelligibiles wurde in der späteren Scholastik Gegenstand heftiger Auseinandersetzungen, vgl. Tachau 1988 passim und Spruit 1994 mit einigen Korrekturen an den Thesen Tachaus.

46 Bacon/Lindberg 1983, S. XXXVff. Auch Pecham verwendet den Begriff „species“; vgl. Pecham/Lindberg 1970, S. 34ff.

47 Bacon/Lindberg 1983, S. XXXV–LIII.

48 Alhacen/Smith 2001, S. 29f. [I.6.19]; vgl. Lindberg 1987, S. 136–150.

49 Alhacen/Smith 2001, S. 81–84 [II.2.5–10]; Lindberg 1987, S. 150–158.

50 Witelo III, 6ff, Witelo/Unguru 1991, S. 299ff.

51 Euklid/Theisen 1979, S. 62: „Ponatur ab oculo eductas rectas lineas ferri spacio magnitudinum immensarum. Et sub visibus contentam figuram conum esse verticem quidem in oculo habentem, basim vero adterminos conspectorum.“ Euklids Thesen wurden von Ptolemaeus präzisiert, vg. Ptolemaeus/Smith, 1996, S. 23–26. Während Euklid und Ptolemaeus von conus sprachen, bevorzugten Alhacen und seine Nachfolger den Begriff Pyramide: Alhacen/Smith 2001, Bd. I, S.33 [I.6.26]; Bacon/Lindberg 1996, S. 68 [I,6]; Witelo/Unguru 1991, S. 313f. [III, 18]; Pecham/Lindberg 1970, S. 120–123 [I, 38a].

52 Aristoteles/Seidl 1995, 96f. [418a]; vgl. Summers 1987, S. 78–89.

53 Ptolomäus/Lejeune 1956, S. 12 (II, 2): „Dicimus quod uisus cognoscit corpus, magnitudinem, colorem, figuram, situm, motum et quietem. Nichil autem ex his cognoscit uisus sine aliquo lucido et quolibet prohibente penetrationem.“

54 Alhacen/Sabra 1989, II, 71f.; zur Prägung dieses Begriffes bei Avicenna und zu seiner lateinischen Übersetzung vgl. Hasse 2000, S. 127–153.

55 Avicenna 1968/72, Bd. 1, S. 99ff. und Bd. II, S. 84ff. „Intentio ist das, was die Seele an Sinnfälligem erfasst, obwohl der äußere Sinn jenes zuvor nicht erfasst“ (Intentio[…] est id, quod apprehendit anima de sensibili, quamvis non prius apprehendat illud sensus exterior). In diesem Sinne wurde der Begriff auch von Albertus Magnus definiert (De Anima II.3,4; Albertus Magnus 1968, S. 102): „Intentio autem vocatur id per quod significatur res individualiter vel universaliter secundum diversos gradus abstractionis; et haec non dat esse alicui nec sensui, quando est in ipso, nec etium intellectui, quando est in illo, sed signum facit de re et notitiam. Et ideo intentio non est parsrei sicut forma, sed potius est species totius notitiae rei.“ Zum Begriff der intentio vgl. auch Tachau 1988, S. 11–16.

56 Es sind „remotio, situs, corporeitas, figura, magnitudo, continuatio, discretio vel separatio, numerus, motus, quies, asperitas, lenitas, diafonitas; item spissitudo, umbra, obscuritas, pulchritudo, turpitudo, consimilitudo, diversitas“ (Entfernung oder Abstand, Lage, Körperhaftigkeit, Figur, Größe, Zusammenhang, Unterscheidung oder Getrenntsein, Zahl, Bewegung, Ruhe, Rauheit, Sanftheit, Durchsichtigkeit, Glanz, Schatten, Dunkelheit, Schönheit, Häßlichkeit, Ähnlichkeit, Verschiedenheit): Alhacen/Smith 2001, Bd. I, S. 111 [II.3,44]. Den entsprechenden Katalog bei Bacon/Lindberg 1996, S. 8; bei Witelo/Unguru 1991, S. 291, bei Pecham/Lindberg 1970, S. 134. Die Menge der visibilia per accidens ist damit nicht erschöpft. Es gibt viele weitere intentiones: „Et si aliqua intentio visibilis est preter istas, collocabitur sub aliqua istarum: sicut ordinatio, que collocabitur sub situ; et scriptura et pictura, que collocantur sub figura et ordinatione …“ (Alhacen/Smith a.a.O.). Schrift und Malerei könnte man danach als Intentionen zweiten Grades bezeichnen.

57 Avicenna/van Riet 1968/72, Bd. 1, S. 63*–90*; Hasse 2000.

58 Alhacen/Smith 2001, Bd. I, S. 97–99 [II.3,1–25],

59 Bacon/Lindberg 1996, S. 16f. [I.1.5].

60 Bacon/Lindberg 1996, S. 8 [I.1,3]: „Et ideo cum sensus communis recipiat speciem et ymaginatio retineat eam, sequitur iudicium completum de re, quod exercet fantasia.“

61 Bacon/Lindberg 1996, S. 14 [I.1,4] und S. 246f. [II.3,9],

62 Das Beispiel brachte zuerst Avicenna: Avicenna/van Riet 1968/72, Bd. 1, S. 86 (I.5,95).

63 Bacon/Lindberg 1996, S. 14 [I.1,4].

64 Summers 1987, S. 198–234; zur Geschichte des Begriffs, der durch die gewöhnliche deutsche Übersetzung mit „Denken“ keineswegs ausgeschöpft wird, vgl. HWPh, Bd. 2, Artikel „Denken“, spez. Sp. 70–77. Durch die cogitatio ist es möglich von der visio corporalis zur visio intellectualis aufzusteigen. Die vis cogitativa ist bei Averroes die zentrale Fähigkeit der Seele, die die individualia nach den Kategorien des Aristoteles erfasst.

65 Pecham/Lindberg 1970, S. 156 [I.56{59}].

66 Zum Begriff intuitio vgl. Smith 1081, S. 584f.; Alhacen/Smith 2001, S. LXXXIf. Ausführlich geht Alhacen im zweiten Buch auf die beiden Modi des Sehens ein: Alhacen/Smith 2001, Bd. I, S.216–219. [II.4,3–5].

67 Alhacen/Smith 2001, Bd. I, S. 216 f [II.4.1]; Alhacen spricht hier, wie auch sonst oft, einfach von visus, wenn er aspectus oder visio in primo aspectu meint. Den Unterschied zwischen beiden Modi des Sehens definiert er ganz allgemein: „Et generaliter omnes intentiones subtiles non apparent visui apud aspectum rei visae, sed post intuitionem et considerationem“ (Alhacen/Smith 2001, Bd. I, S. 217 [II.4.2]. Witelo/Unguru 1991, S. 351 [III,51]: „Aspectum primum simplicem dicimus illum actum, quo primo simpliciter recipitur in oculi superficie forma rei visae: intuitionem vero dicimus illum actum quo visus veram comprehensionem forme rei diligenter perspiciendo perquirit, non contentus simplici receptione sed profunda indagine“.

Giotto und die Ursprünge der neuzeitlichen Bildauffassung

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