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1. Kapitel, in dem Torsten und Frank Andreas und Alex kennenlernen

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Torsten und ich saßen vor unserem Lieblingscafé und gingen einer unserer Lieblingsbeschäftigungen nach: Leute beobachten.

Obwohl es schon Ende Oktober war, war es noch einmal richtig warm geworden, so dass wir in kurzärmeligen T-Shirts in der Sonne sitzen und über die ganzen Schlips-Träger lästern konnten, die über den Bürgersteig hetzten und schwitzten.

Torsten war mein ältester und bester Freund. Wir waren auf der gleichen Schule gewesen, aber in unterschiedlichen Klassen. Richtig kennen gelernt hatten wir uns erst in der 11, als wir genau die gleichen Kurse belegt hatten. Schnell merkten wir, dass wir nicht nur in der Schule die gleichen Interessen hatten. Wir mochten die gleiche Musik, lasen die gleichen Bücher und hatten den gleichen trockenen Humor. Zum Glück standen wir wenigstens nicht auf die gleichen Männer. Torsten mochte so richtige Muscle-Boys. Ich dagegen stand eher auf feminine Männer. Aber so kamen wir uns da wenigstens nicht in die Quere.

Wir hatten es auch selber einmal miteinander versucht, aber ziemlich schnell gemerkt, dass wir uns besser als Kumpel verstanden.

Nach dem Abi gingen wir dann auf die gleiche Uni und nahmen uns zusammen eine Wohnung. Allerdings studierte Torsten Sprachen und ich Sport, so dass wir uns doch tatsächlich einige Stunden am Tag trennen mussten. Da wir aber beide auf Lehramt studierten und hofften, an der gleichen Schule eine Anstellung zu finden, sahen wir das nur als temporäre Trennung an. Im Frühjahr würden wir immerhin schon an der gleichen Schule unsere Referendariate beginnen.

Aber vorher hatten wir noch unsere Examensarbeit zu schreiben. Doch diesen schönen Tag wollten wir uns nicht mit Lernen verderben, und so saßen wir schon eine ganze Weile bei Kaffee und Cappuccino und lästerten, was das Zeug hält. Es gab aber auch reichlich Stoff zum Lästern. Wir saßen mitten im Bankenviertel, und da liefen natürlich fast ausschließlich Männer durch unser Blickfeld. Ich werde nie verstehen, warum sich so viele Hetero-Männer ab einem gewissen Alter so gehen lassen. Gibt es irgendein Gesetz, das es heterosexuellen Männern ab 40 verbietet, Sport zu treiben oder mehr als 100 Euro jährlich für Kleidung auszugeben? Manchmal wundere ich mich, dass die Scheidungsrate in Deutschland nicht noch viel höher ist, denn ganz ehrlich: Wäre ich eine Frau und hätte einen Mann zu Hause, der sich so gehen lassen würde, mich würde da nichts halten.

Gut, das klingt jetzt natürlich alles reichlich oberflächlich, schließlich zählen ja auch die inneren Werte, und wenn man jemand wirklich liebt, dann lebt man auch mit seinen Unvollkommenheiten. So ein Quatsch. Natürlich kann keiner etwas dafür, wenn er seine Haare verliert oder Falten bekommt. Aber es gibt doch wirklich keine Ausrede dafür, jedes Jahr 10 Kilo mehr auf die Waage zu bringen, oder?

„Also, wenn ich mal einen Bierbauch bekomme und mit Schweißflecken unter den Armen durch die Gegend laufe, dann darfst du mich erschießen.“ Torsten sprach genau das aus, was ich dachte. „Dazu müsstest du erst mal anfangen zu trinken“, antwortete ich ihm. „Stimmt. Dann erschieße ich dich, wenn du einen Bierbauch hast.“ – „Du wirst mich auch mit Bierbauch lieben“, säuselte ich. „Natürlich, ich werde dich immer lieben und pflegen, wenn du im Alter nach deinem 3. Schlaganfall bettlägerig bist.“

Das war so ein ständiges Geplänkel zwischen uns, weil Torsten nicht rauchte, keinen Alkohol trank und kein Fleisch aß. Für mich dagegen gehörte zu einer anständigen Mahlzeit rotes Fleisch, Rotwein und die Zigarette danach. Aber dafür trieb ich ja ausreichend Sport und hoffte, mein ungesundes Leben damit ein bisschen auszugleichen.

Torsten hatte jetzt jemand gesehen, den er kannte. Er sprang auf und rief: „Andreas. Hey. Hier.“ Er winkte ganz wild. Habe ich schon erzählt, dass Torsten absolut keine Probleme damit hat, sich in der Öffentlichkeit zum Affen zu machen? Wir mochten uns zwar innerlich ähnlich sein wie Brüder, aber äußerlich hätten wir nicht unterschiedlicher sein können. Torsten hatte immer grellbunt gefärbte Haare und trug meistens ausgefallene Klamotten. Heute zum Beispiel hatte er eine gelb-schwarz karierte Hose an, die eigentlich mehr aus Löchern als aus Stoff bestand, dazu trug er ein kanariengelbes T-Shirt mit einem schwarzen Netzhemd darüber. Seine Haare waren zurzeit auch kanariengelb, insofern passte zumindest alles farblich zueinander. Ich dagegen trug eine einfache Levi’s 501 mit einem weißen T-Shirt und Chucks, eigentlich meine Standard-Kleidung.

„Ey, das ist Andreas, von dem ich dir schon erzählt habe“, stupste Torsten mich an. Dann musste ich mir diesen Andreas doch mal angucken, von dem Torsten seit Wochen ununterbrochen erzählte. Die beiden hatten zusammen an einer Seminararbeit geschrieben, seitdem hatte Torsten nichts anderes mehr im Kopf, obwohl er noch keinen Schritt weiter gekommen war bei Andreas, was vielleicht auch daran lag, dass die beiden sich noch nie privat getroffen hatten. Torsten ist einfach eine feige Ratte, wenn es um Männer geht. Da muss schon der andere den ersten Schritt machen, und das hatte Andreas bisher noch nicht getan. Torsten wusste noch nicht einmal, ob Andreas überhaupt auf Männer stand, selbst darüber hatten sie nicht geredet. Also würde ich wohl mal wieder Matchmaker spielen müssen, wäre ja nicht das erste Mal.

Aber erst einmal guckte ich mir Andreas an. Er passte wirklich genau in Torstens Beuteschema, Typ Bauarbeiter, nicht besonders groß, aber umso kompakter. Da trug wohl jemand sein gesamtes Bafög ins Fitnessstudio. Mein Gaydar schlug erst einmal nicht aus, aber das heißt nicht viel. Ich muss gestehen, dass ich nicht wirklich gut darin bin zu beurteilen, ob andere Männer schwul sind. Solange sie nicht auf meine Anmache reagieren oder offen mit einer Frau knutschen ist da alles möglich. Aber insgesamt fand ich Andreas eher uninteressant. Seine Begleitung dagegen…

An Andreas Seite kam ein Typ auf uns zu, der einfach nur umwerfend süß aussah. Er war ca. 1,75m groß, hatte halblange dunkle Locken, ein ganz weiches Gesicht und war insgesamt sehr schmal und zierlich gebaut. Vermutlich hatte er noch Welpenschutz und war viel zu jung für mich, aber verdammt, war der niedlich.

Andreas und Mr. Unbekannt waren inzwischen an unserem Tisch angekommen. „Hallo Torsten. Was machst du denn hier? Müsstest du nicht arbeiten?“ – „Andreas. Hi. Ja, schon, aber das Wetter ist viel zu schön. Hey, das ist Frank.“ – „Das ist also dein Busenfreund. Hallo Frank. Endlich treffen wir uns mal. Ich habe den Eindruck, wir kennen uns schon seit Jahren, so viel wie ich von dir gehört habe.“ – „Geht mir genauso. Hallo Andreas. Setzt Euch doch zu uns.“ Ich rutschte ein bisschen mit meinem Stuhl zu Torsten, so dass am Tisch noch Platz war für 2 weitere Personen. Andreas wandte sich an seine Begleitung. „Was meinst du? Hast du Lust?“ und zu uns sagte er: „Das ist übrigens Alex. Wir kennen uns schon, seit wir Kinder waren.“ „Hallo“, sagte Alex in die Runde mit einer ganz sanften Stimme. Ich war dabei, mich Hals über Kopf zu verlieben. Das war mir ja noch nie passiert. Dabei hatte ich noch kein Wort mit ihm gewechselt. „Hallo Alex“, sagte ich und gab ihm die Hand. „Ich bin Frank und das ist Torsten.“ Alex hatte auch ganz weiche Hände, aber er drückte damit fest zu. Dann gab er Torsten die Hand. „Hallo Torsten. Auch ich habe schon jede Menge von dir gehört.“ – „Hallo Alex. Ihr seid zusammen aufgewachsen, stimmt’s?“ – „Ja“, lachte Alex. „Aber vor allem haben wir uns immer geprügelt, bis zum 7. Schuljahr, als ich einsehen musste, dass Andreas mir körperlich einfach überlegen ist, von da an wurden wir Freunde.“ Andreas lachte auch. „Ich bin mir gar nicht so sicher, ob ich dich wirklich besiegen könnte, du bist einfach viel zu schnell und wendig für mich.“ – „Aber dafür stehe ich bestimmt nie wieder auf, wenn du mich einmal richtig triffst. Nee, lass’ mal, das Risiko möchte ich nicht eingehen. Außerdem sind wir doch inzwischen viel älter und weiser und haben es nicht mehr nötig, uns zu prügeln.“ Moment mal. Wenn die beiden zusammen aufgewachsen waren, hieß das, dass sie ungefähr gleich alt waren, und Andreas studierte mit Torsten, also war Alex auf keinen Fall zu jung für mich. Aber vorsichtshalber fragte ich noch mal nach: „Wie jetzt? Heißt das, Ihr seid beide gleich alt?“ Andreas grinste mich an: „Ja, das Küken will einfach nicht erwachsen werden.“ – „Warte nur ab. Wenn du alt und runzelig bist, werde ich bestimmt immer noch auf 20 geschätzt.“ Alex streckte Andreas die Zunge raus. Torsten fragte jetzt: „Was machst du eigentlich hier? Ich dachte, du studierst in Berlin?“ – „Gerade fertig geworden. Ich habe hier morgen ein Vorstellungsgespräch und bleibe ein paar Tage bei Andreas. Wenn es klappen sollte, können wir endlich zusammen ziehen.“ Mist. Waren die beiden etwa zusammen? Obwohl: Als sie sich gerade hin gesetzt hatten, hatte Andreas sich auffallend dicht neben Torsten gesetzt. Für mich sah es eher so aus, als wäre Andreas auch an Torsten interessiert. Er guckte ihn auch die ganze Zeit so verstohlen an und dann wieder zu mir, als wüsste er nicht so genau, was zwischen uns beiden läuft. Im Gegensatz zu mir oder auch zu Andreas zweifelt bei Torsten vermutlich kaum jemand daran, dass er schwul ist. Er bedient nun wirklich reichlich das Klischee des femininen Homosexuellen. Und genau das macht ihn so liebenswert.

„Dann seid Ihr beide …“ fragte ich. „Zusammen?“, fragte Andreas. „Um Gottes Willen. Wir würden uns nach spätestens 3 Tagen gegenseitig umbringen.“ Alex lachte. „Ich würde dir schon nach dem ersten Blick, den du einem anderen Kerl zuwirfst, Gift in dein Bier kippen.“ Damit wäre das ja schon mal geklärt. Nicht zusammen, aber schwul. Auf einmal fühlte ich mich, als wäre dies ein wunderschöner Tag.

Andreas konterte: „Aber du und deine Frauengeschichten.“ Wie bitte? Frauen? War Alex etwa doch nicht schwul? „Be bi and double your chances“, lachte Alex. “Aus eins mach zwei”, konterte Andreas. Die beiden schienen sich genauso gern zu haben wie Torsten und ich.

Wir vier blieben den ganzen Nachmittag im Café kleben und erzählten uns unser halbes Leben.

Andreas und Alex wohnten als Kinder in der gleichen Straße in einer Siedlung für junge Familien. Die Kinder der Straße bildeten Gangs, die sich gegenseitig bekämpften. Beide betonten aber, dass es dabei immer nur um harmlose Kinderrangeleien ging, nichts Gefährliches. Jede Gang hatte einen Anführer, der durch Kämpfe ausgewählt wurde. Der Stärkste war halt Chef. Und die Kämpfe zwischen den Gangs bestanden hauptsächlich aus Räuber-und-Gendarm-Spielen, Fußballspielen oder Tischtennis-Turnieren, in denen ausgemacht wurde, wer die Siegermannschaft war.

Die Gangs von Andreas und Alex trafen eines Tages an einer Tischtennisplatte aufeinander, weil beide Tischtennis spielen wollten. Keiner wollte natürlich nachgeben und den anderen spielen lassen, also fingen die Anführer an, miteinander um den Platz an der Platte zu kämpfen. Beide waren ungefähr gleich stark, so dass keiner den Kampf gewinnen konnte. Eine Weile lang hatten ihre Gangs sie angefeuert, aber das wurde irgendwann langweilig. Während Andreas und Alex noch kämpften, entschieden ihre Gangs, doch einfach alle gemeinsam Ringelpitz zu spielen. Dabei verteilen sich die Spieler zur Hälfte auf jede Seite der Tischtennisplatte. Jeder schlägt einmal und läuft dann auf die andere Seite. Wer den Ball verschlägt, fliegt raus, so dass am Ende nur noch zwei Spieler übrig bleiben, die gegeneinander spielen. Den ganzen Tag spielten sie nun alle gemeinsam Tischtennis. Auch hierbei bekriegten sich Andreas und Alex, keiner konnte es ertragen, wenn der andere gewann. Aber auch im Tischtennis waren sie gleich gut, so dass am Ende des Tages beide ungefähr gleich viele Spiele gewonnen hatten.

Das gemeinsame Spielen hatte beiden Mannschaften viel Spaß gemacht, also verabredeten sie sich für den nächsten Tag wieder. Von da an bildeten beide Banden eine gemeinsame Gang mit zwei Anführern, die zwar immer noch in ständigem Konkurrenzkampf zueinander standen, aber trotzdem dicke Freunde wurden.

Das ging ein paar Jahre lang gut, doch als sie 12 waren, merkten sie, dass da noch etwas anderes ins Spiel kam. Wenn die anderen abends nach Hause gingen, zogen Andreas und Alex immer noch alleine durch die Siedlung. Und immer häufiger, wenn sie Verstecken oder andere Spiele spielten, sonderten die beiden sich von den anderen ab, um alleine herum zu ziehen.

Eines Abends versteckten sie sich vor den anderen in den Büschen. Ganz leise saßen sie da dicht nebeneinander, um von den anderen Kindern nicht gefunden zu werden. Ihre Gesichter waren nur Zentimeter voneinander entfernt. Beide waren noch außer Atem, weil sie so schnell vor den anderen weggelaufen waren. Und plötzlich drückte Andreas Alex einen Kuss auf den Mund. Ganz erschrocken zog er sich zurück, sprang aus den Büschen und lief nach Hause. Alex blieb noch lange in den Büschen sitzen und fragte sich, was das sollte.

Danach gingen sie sich aus dem Weg. Andreas fing an, mit den anderen Schülern seiner Klasse herumzuhängen, mit ihnen Fußball zu spielen und Mädchen anzubaggern.

Alex dagegen lernte in einer Teestube politische Aktivisten kennen und besetzte mit ihnen Häuser, ging auf Demos und kämpfte für einen sozialistischen Staat.

Auch in der Schule liefen sich die beiden nicht mehr über den Weg, sie waren zwar in Parallelklassen, aber da Andreas seine Pausen auf dem Fußballplatz verbrachte und Alex in der Raucherecke, hatten sie dort kaum Berührungspunkte.

Das änderte sich erst wieder, als beide im 9. Schuljahr sitzen blieben und in die gleiche Klasse kamen. Andreas hatte mehr Zeit auf dem Fußballplatz als in der Schule verbracht, Alex dagegen war das ganze Schuljahr mehr oder weniger bekifft gewesen.

Da sie beide neu in der Klasse waren, frischten sie ihre Freundschaft wieder auf und waren von da an unzertrennlich. Aber miteinander versucht haben sie es nicht noch einmal. Andreas hatte wohl in den letzten 3 Schuljahren einen festen Freund, und Alex wechselte von Mädchen zu Junge und wieder zurück zu Mädchen. Aber keine Beziehung hielt länger als ein paar Wochen.

Nach dem Abitur ging Alex nach Berlin, um Informatik zu studieren und Andreas blieb hier und studierte Sprachen mit Torsten. Aber Andreas und Alex besuchten sich laufend und wollten jetzt versuchen, in der gleichen Stadt zu leben, um zusammen wohnen zu können.

Andreas Beziehung war kurz nach Beginn des Studiums in die Brüche gegangen, als sein Freund nach Amerika gegangen war, um dort zu studieren. Alex hatte immer noch kein Interesse an einer festen Bindung.

„Das ist doch nur deine Ausrede dafür, dass es niemand länger als 3 Tage mit dir aushält“, lästerte Andreas. „Ach, Süßer, du bist doch nur neidisch, weil ich mir aussuchen kann, wen ich mit nach Hause nehme und du schon seit Monaten keinen Sex hattest“, säuselte Alex. „Autsch. Ich glaube, für unsere gemeinsame Wohnung sollten wir die Regel aufstellen, kein Sex, wenn der andere allein im Bett liegt.“ – „Vielleicht sollten wir uns dann einen Hund anschaffen, der bei dir schlafen darf.“

Die beiden schienen doch tatsächlich immer noch eine Art Konkurrenzkampf zwischen sich laufen zu haben.

Aber Alex gefiel mir wirklich immer besser.

Inzwischen war es dunkel geworden. So langsam wurde es zu kalt, um draußen zu sitzen. Also tauschten wir unsere Handynummern aus und gingen alle nach Hause. Alex würde ja auch am nächsten Tag das Vorstellungsgespräch haben und wollte nicht zu spät ins Bett. Ich drückte jetzt schon mal fest die Daumen, dass es mit dem Job klappen würde. Ich wollte Alex doch zu gerne besser kennen lernen.

F64.0

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