Читать книгу Immer eine Handbreit Wasser unterm Kiel - Frank Didden - Страница 6

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Mittwoch, 05. September 2012

Der Regen hatte aufgehört. Entgegen meiner Erwartung drang kein Licht durch die Fenster der Büroräume im obersten, also im ersten Stock, des Firmengebäudes. Es war kurz vor acht Uhr und ich war zu meiner Überraschung der Erste. Einzig die Montagehalle war beleuchtet und ich hörte das ein oder andere Geräusch. Leider konnte ich nicht schlüssig erkennen, ob es sich bei dem zu hörenden Lärm um Stimmen, oder um Presslufthämmer handelte. Eindeutig konnte ich jedoch feststellen, dass es laut war. Laut genug, um mich erst einmal davor zurückschrecken zu lassen, meinen ersten Arbeitstag mit einem Weg durch die Montagehalle in das Büro zu starten. Ich vermied diesen Umweg und wartete kurz vor dem Haupteingang. Glücklicherweise bog schon bald ein Motorrad auf den Parkplatz ein und kurz danach stand eine in Lederkluft gekleidete Gestalt vor mir. Den Helm bei seinem Zweirad gelassen, konnte ich einen jungen, sehr kräftigen Mann mit langem, blonden Haar erkennen.

»Moin«, begrüßte mich der Blonde. »Ich bin Detlef. Detlef Meier.«

»Morgen«, erwiderte ich. »Tobias Renneisen. Der Neue!«

»Ah was!«, grinste er mich an. »Hätt ich jetzt nicht vermutet!«

Er schloss die Tür auf und wir gingen beide in die erste Etage, wo er mir einen Schreibtisch ganz am Ende eines langen Großraumbüros zeigte.

»Soviel ich weiß«, fing er an, »soll das hier dein Arbeitsplatz werden. Direkt gegenüber von Herrn Justus, der ja, aber das weißt du sicher, bald in Rente geht. Ich glaube, Herr Justus kommt heute etwas später. Arzttermin, oder so!«

Detlef, der schon nach ziemlich genau fünf Metern gemeinsamer Wegstrecke per du war, deutete mit einem Nicken in Richtung der Glasfront, die hinter meinem Schreibtisch den Abschluss des Büros bildete.

»Dort sitzt Chef«, drehte sich um und ging, bevor er, schon beinahe außer Hörweite, ergänzte: »Jetzt machen wir erstmal Kaffee!«

Gesagt, getan. Wenige Minuten später standen wir gemeinsam in einem kleinen Raum, der von Detlef »Raucherecke« genannt wurde, obwohl »Kaffeeküche« an der Tür stand. So war es für mich auch nicht verwunderlich, dass mein Kollege, gleich nach dem Ansetzen einer großen Kanne Kaffee, mit dem fragilen Drehen einer Zigarette begann. Mit der nicht zu übersehenden Vorfreude eines genussvollen Rauchers auf seine erste morgendliche Zigarette entflammte die blonde Schrankwand kurz darauf den Glimmstängel und atmete tief ein. Erst nach dem ebenso genussvollen Ausatmen, ersann mein neuer Arbeitskollege, dass ich wohl Nichtraucher sein könnte, und öffnete das Raucherküchenfenster.

»Nichtraucher?«

»Ja«, antwortete ich. »Hab aufgehört. Früher hab ich viel geraucht.«

»Und, war es schwer aufzuhören?«

»Nicht so schwer, wie ich befürchtet hatte, aber schwer genug.«

»Ich versuch es gar nicht erst. So viel rauche ich aber auch nicht. Gelegentlich eine Zigarette, außer am Wochenende, wenn ich saufen gehe. Dann is´ es auch mal ´ne Schachtel oder zwei.«

Eine mittelgroße Gestalt erschien plötzlich im Türrahmen der Kaffeeküche. Es war ein Mann, Mitte vierzig, schlank und rasiert mit kurz geschnittenen Haaren. Er trug einen Arbeitsanzug, mit diversem Werkzeug in den Taschen. In der linken Hand hielt er einen Zollstock und zeigte auf Detlef.

»Moin«, er schüttelte dem Kollegen mit rechts die Hand. »Wo ist Pangasius?«

»Moin«, erwiderte Detlef. »Wenn er nicht am Platz ist, ist er noch nicht da!«

Erst danach bemerkte die Gestalt meine unauffällige 1,90 Meter-Erscheinung.

»Ach«, stutzte er, »hab Sie nicht gesehen. Moin.«

Er schüttelte mir gleichfalls die Hand und lächelte, aber grimmig. Zwar überlegte ich kurz, wie man es schaffte, grimmig zu lächeln, und insbesondere interessierte mich die Frage, zu welchem Anlass man grimmig lächeln müsste, doch zu einer schlüssigen Antwort kam ich nicht.

»Rosendahl. Ich mach hier die Leitung in der Montagehalle. Und Sie?«

»Renneisen, Tobias«, ich schüttelte lächelnd zurück. »Ich mach hier«, ich überlegte kurz, »gerade gar nichts.«

»Da sind Sie hier genau richtig«, sagte Rosendahl, drehte sich um und rief im Verschwinden: »Sag Pangasius, er soll sofort zu mir kommen, wenn er da ist!«

Detlef kam gar nicht mehr zu einer Antwort, denn die kurzfristige Türrahmengestalt war unlängst fort.

»Das war Fritz. Fritz Rosendahl«, sagte Detlef. »Ist eigentlich ein netter Kerl. Sehr hilfsbereit. Darf nur nicht im Stress sein. Er leitet im Prinzip die Montage.«

Detlef nahm einen weiteren Zug seiner Zigarette.

»Wir können ja gleich mal eine Runde durch die Firma machen. Dann siehste auch mal die Halle und so.«

»Klar«, antwortete ich kurz und da stand auch schon die nächste Person in der Kaffeeküche. Mit einer Zigarette und einem Feuerzeug im Anschlag, stand ein Mann, Mitte fünfzig im Raum. Groß, sehr schlank, mit dunklem, kurzen Haar, machte es auf mich schnell den Eindruck, es mit einem gewissermaßen temperamentvollen, südländischen Naturelle zu tun zu haben. Nachdem er entsprechend schwungvoll den Raum betreten, seine Zigarette zum Mund geführt und diese angezündet hatte, reichte er mir mit gleichsam tanzschrittiger Geste die Hand.

»Dimitrios. Alexander.«

Wir schüttelten uns in etwa so lange die Hände, wie das »R« seines Vornamens Alexander durch den kleinen Raum rollte. Abgesehen von dem Nikotingeruch der beiden brennenden Zigaretten, konnte ich mich des Eindrucks nicht verwehren, einen süßlichen Geruch in der Luft seit dem Eintreten Alexanders zu bemerken. Der Geruch erinnerte mich an Weingummi.

»Der Neue?«, schaute mich Alexander an, mit dem ich allem Anschein nach sofort per du war.

»Ja«, antwortete ich. »Heute ist mein erster Tag. Ich soll demnächst Herr Justus ablösen, wenn der in Rente geht. Ich weiß allerdings noch nicht genau, wann das denn sein wird, also wann er in Rente geht?«

»Hm«, stutzte Alexander und ich schien mit meiner angedeuteten Frage die frühmorgendliche Aufnahmefähigkeit der Kollegen hinsichtlich ganzer Sätze und einigermaßen vollständiger Grammatik überschritten zu haben.

»Der ist doch erst sechzig!«, sagte Detlef.

»Hm«, erwiderte Alexander.

»Oder ist der schon älter?«, fragte Detlef mehr sich selbst, als seinen neben ihm stehenden Kollegen.

»Hm«, ergänzte Alexander.

Damit waren alle Fragen offen. Ich würde mich überraschen lassen müssen, wann denn nun der rentenfähige Kollege in den wohlverdienten Ruhestand gehen würde.

»Ich glaube, das ist noch in diesem Jahr«, sagte plötzlich eine mittelgroße, männliche und etwas dickliche Person, die im Türrahmen aufgetaucht war. Mit allerlei essbaren Sachen in der Hand, schritt er an uns drei in der Kaffeeküche vorbei, öffnete einen Kühlschrank und verstaute dort seine Lebensmittel. Danach drehte er sich zu mir um.

»Hallo«, er schüttelte mir die Hand, »ich bin J.J.«

»Ich bin Tobias.«

»Eigentlich heiße ich Jakob Jeremias Hildebrand, aber J.J. reicht völlig.«

»Eigentlich heiße ich Tobias Renneisen, aber Tobias reicht völlig.«

»Moin, Tobi«, grinste mich J.J. an und ich grinste zurück.

»Moin«, bemerkte ich plötzlich eine weitere Hand, die mir gereicht wurde. Ich nahm diese Hand und antwortete ebenfalls mit »Moin«.

»Finn!«, sagte der lächelnde Kopf, der über Arm, Schulter und Hals an der Hand befestigt war. Es war ein Mann, der etwa in meinem Alter, vielleicht ein wenig jünger, sein mochte. Schwarze Haare, schwarze Kleidung und ein schwarzer Kinnbart hätten Hinweis auf eine schwarze Seele sein können, doch für meinen Geschmack wirkte hierfür das Lächeln ein wenig zu offen und, ja, ein wenig zu nett.

»Lutz!«, ergänzte er seinen zuvor begonnenen und nicht ganz vollständigen Satz.

»Moin, Lutz«, erwiderte ich und schüttelte ihm die Hand, während ich vervollständigte, »Tobi.«

»Nein«, erwiderte der Kollege und verwirrte mich mit: »Finn!«

»Nein«, sagte ich, »Tobi.«

»Finn Lutz.«

»Gesundheit«, beteiligte sich J.J. an dem kurzen Dialog.

Die vielleicht nicht schwarze, aber dennoch etwas dunkle und bedrohliche Antwort des Kollegen, dessen Hand ich immer noch drückte, folgte auf dem Fuß.

»Schnauze!«, schaute er J.J. an, der daraufhin lachend den Raum verließ. Danach wandte sich der Händeschüttler wieder an mich.

»Finn ist mein Vorname. Lutz der Nachname.«

»Oh, entschuldige!«

»Kein Problem. Passiert vielen am Anfang.«

Mit einem erneuten kurzen Lächeln verließ auch Finn die Kaffeeküche. Die beiden übrig gebliebenen Kollegen, Detlef und Alexander, waren nebst mir noch im Raum geblieben, doch ihre Zigaretten schienen langsam aufgeraucht. Die Kaffeemaschine gurgelte.

»Ah«, setzte Detlef an, während er seine Zigarette ausdrückte. »Kaffee ist fertig. Auch einen?«

»Klar, sehr gerne«, erwiderte ich, während auch Alexander seine Zigarette ausdrückte und mit den Worten »Man sieht sich« auf die unweit entfernte Toilette eilte.

Jeweils mit einem großen Becher Kaffee bewaffnet, gingen wir an unsere Schreibtische. Dort angekommen wurde ich schon wieder angelächelt und dieser Umstand ließ in mir allmählich das Gefühl aufkommen, in der Klabautermann GmbH wirklich willkommen zu sein. Ein älterer Mann, der offenkundig seinen Arbeitsplatz direkt gegenüber dem meinen hatte, stand auf und gab mir höflich die Hand.

»Guten Morgen«, fing er an. »Sie müssen Herr Renneisen sein. Mein Name ist Justus.«

»Guten Morgen«, erwiderte ich ebenso höflich und bemerkte sofort, dass der Herr wohl nicht beabsichtigte, mir umgehend das Du unter die Nase zu halten. Allerdings fiel mir dieser Umstand keinesfalls negativ auf, denn ich schätzte gelegentliche auch ein wenig Professionalität am Arbeitsplatz. Vor diesem Hintergrund konnte man zunächst ohne Frage zwischenmenschlich bei einem Sie beginnen. Ob sich in der Zukunft ein vertrauteres Du anbot, konnte sich zeigen. Ein Sie war insofern für mich vollkommen in Ordnung und nach dem geduzten Überrollen meiner zukünftigen Arbeitskollegen in der kleinen Kaffeeküche, war dies auch durchaus eine willkommene Abwechslung am ersten Arbeitstag.

Hinzu kam das förmlich siezige Erscheinungsbild des älteren und schlanken Herrn Justus. Die grauweißen Haare, die er verhältnismäßig lang trug, bildeten einen heiligen Schweif um die ansonsten glänzenden Platte auf der oberen Kopfmitte. Kurzzeitig von der enorm hervorstechenden Haarpracht geblendet, benötigte ich einen Augenblick, um meine Gedanken zu ordnen.

»Ich habe noch ein paar leere Tische gesehen. Sitzt da sonst noch jemand?«

»Unsere drei Auszubildenden«, antwortete Herr Justus und ergänzte noch, während er wieder auf seinem Stuhl Platz nahm: »Herr Beck, Herr Brockmann und Herr Yussuf. Aber die haben heute Schule und sind erst morgen wieder in der Firma.«

Ich tat es meinem neuen Gegenüber gleich und nahm ebenfalls auf meinem Stuhl Platz. Zwar drängte sich mir gleichzeitig der absurde Gedanke ins Gehirn, dass Justus und die drei Auszubildenden ein erstklassiges Krippenspiel, als Jerusalems Stern und die Heiligen Drei Könige abgeben würden, doch ich verwarf den Gedanken aus Ermangelung eines geeigneten Christuskindes.

»Ihr Rechner sollte eigentlich startbereit sein«, sagte Justus, während er schon eifrig auf seiner Tastatur herumtippte: »Unser Administrator hat Ihnen einen Account eingerichtet. Benutzername und Ihr Kennwort stehen auf dem Zettel, den ich Ihnen an den Monitor geklebt habe.«

Justus tippte und tippte und schaute gelegentlich in den Produktkatalog, der zu seiner Rechten lag.

»Sie kommen nicht aus Bremen, richtig?«

»Richtig«, erwiderte ich, »ich komme aus …«

Das Telefon klingelte und Justus griff umgehend den Hörer.

»Entschuldigen Sie!«

Die kurze, aber sehr sympathische Unterhaltung mit Jerusalems Stern war vorläufig aufgeschoben, denn das Telefonat machte auf mich nicht den Eindruck, als wäre es in Kürze beendet. Ich gab meinen Benutzernamen ›tr‹ und mein Kennwort ›tr2012‹, die ich beide, sagen wir, grenzwertig innovativ fand, in die Einwahlmaske meines neuen Arbeitscomputers ein. Als ich dies getan hatte und beide Eingaben offenkundig richtig waren, beobachtete ich das endgültige Starten meines Rechners. Derweil schlürfte ich an meinem Kaffee und wartete und wartete und wartete und schlürfte und wartete und wartete und schlürfte und schlürfte und wartete und wartete ...

»Das kann wohl etwas dauern«, bemerkte ich Detlef plötzlich an meinem Schreibtisch stehen und auf meinen Monitor schauen.

»Na«, antwortete ich, »wenigstens besteht so nicht die Gefahr, dass mein Kaffee kalt wird.«

Detlef schmunzelte.

»Was meinst du?«, fragte er mich. »Sollen wir mal ´ne kurze Runde durch die Firma machen?«

»Klar«, ich schaute kurz auf meinen Monitor und ergänzte: »Offensichtlich habe ich heute Vormittag sonst nichts vor.«

Ich stand auf und schloss mich meinem Kollegen an, der sich in Richtung Büroausgang gewandt hatte und losmarschierte.

»Unsere Azubis sind heute nicht da«, sagte er und fuhr wenige Meter weiter fort, »und unsere Buchhalterin, Frau Meise, arbeitet auch nur Teilzeit.«

Detlef wies auf einen ebenfalls verwaisten Schreibtisch.

»Keine Ahnung, wann die wieder hier ist.«

Danach zeigte er auf einen weiteren Schreibtisch, der dicht am Arbeitsplatz von Frau Meise lag. Der dortige Schreibtisch war im sprichwörtlichen Sinne das komplette Gegenteil eines verwaisten Schreibtisches. Beinah unmöglich die Oberfläche der Tischplatte zu erkennen, bog sich selbige unter Tonnen von Papieren und anderem Krimskrams, der womöglich ungemein wichtig sein konnte, wenn man denn die Fähigkeit besaß, ihn in dem Chaos wiederzufinden. Unterbrochen wurden die übergroßen Papier- und Was-auch-immer-Dingestapel lediglich von einem kleinen Monitor, der immerhin darauf hindeutete, dass sich irgendwo auch ein Computer mit den entsprechenden Bedienelementen befinden musste. Und tatsächlich erwies sich bei genauerem Hinschauen eine kleine Was-auch-Immer-Dinge-Ecke als die Ecke einer Tastatur. Zugegeben, man hätte anmerken können, dass der eigentliche Sinn einer Tastatur darin besteht, als ein Eingabegerät - das als Bedien- und Steuerelement eine Anzahl von mit den Fingern zu drückenden Tasten enthält - zu dienen. Zugegeben, man hätte anmerken können, dass es der eigentlichen Definition einer Tastatur vollkommen widerspricht, wenn man diese mit unzähligen Papieren oder ähnlichem abdeckt.

»Das ist Pangasius, unser Betriebsleiter«, sagte Detlef und wies auf eine kleine, hagere Gestalt, Mitte Fünfzig, die gerade recht aufgeregt am Telefonieren war. Ich nickte dieser Person kurz zu, Pangasius hob grüßend die Hand und wandte sich von uns ab. Ich beschloss, meine Anmerkung über die Funktionsweise einer Computertastatur, vorerst für mich zu behalten.

»Die anderen hast du ja eben schon kurz begrüßt. Lass mal in die Halle gehen«, sagte Detlef und ging Richtung Bürotür. Ich schloss mich ihm an und nachdem wir die Treppen heruntergegangen waren, standen wir kurz darauf in der Montagehalle der Klabautermann GmbH. Direkt vor einem LKW mit der Aufschrift »Klabautermann GmbH« standen vier Männer und waren in Gespräche vertieft. Alle waren im Alter Mitte Vierzig bis Anfang Fünfzig und trugen Arbeitskleidung. Fritz Rosendahl, den ich am heutigen Morgen schon in der Kaffeeküche kurz kennengelernt hatte, war einer der vier. Die Gespräche endeten, als Detlef und ich bemerkt wurden und wir uns der Gruppe näherten.

»Moin«, fing Detlef an und reichte allen, außer Fritz, die Hand.

»Moin, moin, moin«, kam die kanonartige Antwort in glasklarem Surround-Sound von der Gruppe.

»Das ist Tobias Renneisen«, sagte Detlef und wies dabei auf mich. »Er fängt heute neu an.«

Mit »Moin« begrüßte ich die anwesenden Herren und fing an Hände zu schütteln, wobei wir uns gegenseitig jeweils anerkennend zunickten. Unter Männern in Arbeiterkreisen macht man das halt so, dachte ich mir und tat mein Möglichstes nicht wie der letzte Depp dazustehen.

»Er wird«, fuhr Detlef fort, »von uns im Vertrieb eingearbeitet. Hauptsächlich von Justus. Wenn der geht, soll er seinen Bereich übernehmen.«

Mit dieser Aussage, die für mich noch nicht ganz so eindeutig schien, wie sie offensichtlich für die anwesenden Herren war, endete die Einleitung meiner Person.

»Tietjen«, stellte sich der kräftige Herr zu meiner linken vor. »Clemens Tietjen. Ich mache hier mit Fritz die Vormontage in der Halle. Meist bau ich Schränke.«

Tietjen und Rosendahl machten also die Arbeiten in der Halle. Clemens und Fritz. Ich dachte kurz über die Möglichkeit nach, ob es sich hierbei wohl um eine weitere Einflussnahme des hiesigen Fußballvereins auf mein Leben in der neuen Heimat Bremen handelte. Nach dem Beinahe-Fiasko am Umzugstag wirkte die Leitung der Montage bei meiner neuen Arbeitsstätte durch die Herren Clemens und Fritz ein wenig wie eine von langer Hand geplante Bespitzelung meiner Person durch den Fußballbundesligisten. Mir erschloss sich zum damaligen Zeitpunkt zwar nicht das genauere Motiv für ein solches Vorgehen, ich beabsichtigte aber, die Sache im Hinterkopf zu behalten, oder ihr zu gegebener Zeit nachzugehen.

»Schulz«, wurde mein Gedanke jäh und mit sonorer Stimme unterbrochen. »Bau ›n auf der Baustelle!«

Ich blickte die ebenfalls kräftige Person, die gerade neben mir gesprochen hatte an, und stellte fest, dass sie auf den nahestehenden Kollegen zeigte.

»Schulz«, sagte dieser und nickte. »Wir mach ›n d´Kram ouf d´Baustell.«

Die Verständigung fiel mir nicht ganz leicht, aber ich hatte verstanden und erwiderte nur: »Freut mich!«

Offensichtlich wurde die Montage der Einrichtung bei den Kunden vor Ort, also ›ouf d´Baustell‹, von den Herren Schulz und Schulz durchgeführt. Fragend schaute ich mich in der Montagehalle um und versuchte die versteckte Kamera zu entdecken. Clemens, Fritz, Schulz und Schulz. Das Montageteam der Klabautermann GmbH hatte sich vollständig vorgestellt. Dort stand es, direkt unter dem Schriftzug des LKWs mit der Aufschrift »Klabautermann GmbH« standen von links nach rechts, Clemens und Fritz und Schulz und Schulz.

Es fiel mir durchaus schwer, meine Kollegen nicht zu fragen, ob dies der Versuch war, mich, also den Neuen, am ersten Tag zu verarschen. Gerade, als ich mich dazu durchgerungen hatte, die Frage »Wollt Ihr mich verarschen« zu stellen, wandte sich Fritz an Detlef. Zu meinem Glück, wie sich später herausstellen sollte, denn die Herren hießen tatsächlich alle so, wie sie sich vorgestellt hatten.

»Was ist mit Chef?«

»Der ist heute nicht da«, erwiderte Detlef.

»Okay«, Fritz stutzte. »Kommt der heut noch rein?«

»Wohl eher nicht. Hat gestern gesagt, er nimmt sich heute mal einen Tag frei.«

»Okay«, wieder stutzte Fritz und blickte mich dabei an. »Er hat es nicht für nötig gehalten, heute mal reinzuschauen? Dem neuen Kollegen mal »Hallo« zu sagen und Ihn ein wenig in der Firma vorzustellen?«

»Nö«, antwortete Detlef, »deshalb hat er mich ja gestern drum gebeten.«

Fritz zog die Augenbrauen hoch und deutete ein kurzes Kopfschütteln an. Danach wandte er sich von Detlef und mir ab und ging zur Laderampe des LKWs.

»Kommt!«, wies er die anderen an. »Wir müssen noch den Rest laden!«

Während Clemens, Schulz und Schulz sich ebenfalls zum Gehen wegdrehten, rief Fritz noch kurz: »Und sag Florian, er soll mal runterkommen!«

Die kurze Vorstellung der Firmenhandwerker war beendet und Detlef und ich machten uns ebenso auf, wieder den Weg ins Büro und an unsere Schreibtische anzutreten.

»Welcher Florian?«, fragte ich meinen Kollegen.

»Pangasius«, war Detlefs knappe Antwort.

Mein restlicher, erster Arbeitstag verlief hiernach ohne weitere besondere Vorkommnisse. Kurz nachdem ich wieder an meinem Schreibtisch angekommen war, war auch mein Rechner mit dem Startvorgang fertig und ich konnte mit den üblichen Prozeduren - Mailprogramm einrichten, Programme allgemein einrichten und ordnen und so weiter – beginnen. Obwohl die Momente des Sich-Kennenlernens immer sehr kurz ausfielen, erwies sich Herr Justus, der in erster Linie meine Einarbeitung vornehmen sollte, als ausgesprochen nett und sympathisch. Die Ursache für die zeitlich nur sehr begrenzten Möglichkeiten, sich zu besprechen, war primär dem Umstand geschuldet, dass sein Telefon quasi den ganzen Tag nicht stillstand. Wie es für ein Telefon aus technischer Sicht überhaupt möglich war, stundenlang zu klingeln, beziehungsweise in Benutzung zu sein, ohne heiß zu laufen, oder zu explodieren, fand ich an meinem ersten Arbeitstag in der Klabautermann GmbH zum ersten Mal in meinem Leben derart erstaunlich, dass ich darin eine der bedeutendsten Errungenschaften der Menschheitsgeschichte sah. Der Kollege Justus hingegen fluchte sichtlich über diese Errungenschaft, die am späten Nachmittag auch seinen vierten Kaffee an diesem Tag hatte kalt werden lassen. Das Gesicht, das Justus beim Trinken des eiskalten Kaffees angewidert verzog, sollte ich ab diesem Tag beinah täglich zu sehen bekommen, und es sollte sich herausstellen, dass eiskalter Kaffee ab sofort eines der Dinge war, die vor meinem Arbeitsantritt auch nicht in meiner Jobbeschreibung gestanden hatten.

Wenigstens an meinem ersten Arbeitstag konnte ich meinen Kaffee noch heiß, oder wenigstens angenehm warm genießen. In den kurzen Phasen des Aufatmens meines Kollegen, konnte ich ihm von meiner Herkunft und meinem ausgesprochen abenteuerlichen Umzug berichten. Im Gegenzug durfte ich schon kurz Einblick in die Ablaufstrukturen der Klabautermann GmbH werfen und mir einen ersten Überblick über die zukünftigen Arbeitsbereiche verschaffen. Irgendwann sollte ich den Arbeitsbereich von Justus, also die Betreuung der Kunden aus dem Zwischenhandel übernehmen und für diese Kunden die entsprechenden Projekte betreuen. Wann genau allerdings dieser Zeitpunkt des »Irgendwann« sein sollte, konkretisierte Justus am ersten Arbeitstag ebenfalls noch nicht. Diverse Telefonate und eklig kalter Kaffee verhinderten dies.

Mein Telefon klingelte hingegen an diesem Tag nur ein einziges Mal. Es war Betriebsleiter Pangasius, der mich kurz vor Feierabend anrief.

»Renneisen«, sagte ich, nachdem ich im Display des Telefons Pangasius Namen und Rufnummer gesehen und den Hörer abgenommen hatte.

»Pangasius«, war die folgerichtige Antwort. »Ich wollte nur kurz was fragen?«

»Kein Problem. Was gibt es?«

»Unser Telefontechniker war ja gestern wegen deinem Telefon im Haus«, leitete Pangasius kurz ein.

»Okay«, erwiderte ich kurz.

»Ich wollte nur fragen, ob das Telefon funktioniert?«

Etwas desorientiert schaute ich auf den Hörer in meiner Hand.

»Ja«, antwortete ich etwas stutzig, »denke schon.«

»Dann ist gut. Schönen Feierabend.«

»Danke«, sagte ich und schob noch ein »auch so« hinterher als ich auflegte.

Es war tatsächlich Zeit für Feierabend und ich entschied mich, diesen pünktlich anzutreten und nicht weiter über den ersten Anruf auf meiner neuen Arbeitsstelle nachzudenken. Der morgendliche Regen war längst weitergezogen und mittlerweile zeigte sich ein schöner, sonniger, spätsommerlicher Tag.

Immer eine Handbreit Wasser unterm Kiel

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