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5 Seoul, Botschaft der Vereinigten Staaten von Amerika
ОглавлениеRobert O. Woods – Presseattaché
In großen Lettern prangte der Name auf dem messingfarbenen Türschild. Gerade als sie anklopfen wollten, öffnete der untersetzte Mann mittleren Alters mit dem schütteren, blond gekräuselten Haar schwungvoll von innen die Tür. Das kugelrunde, volle Gesicht durchstach ein eisiger Blick hinter einer dicken Hornbrille. Es war, wie Bill es vorhergesagt hatte – der Mann trug zu seinem zeitlosen hellgrauen Anzug eine auffällige Fliege: dunkelgrün mit weißen Tupfen.
Bei dem überraschenden Anblick von Al und Bill reagierte er sofort.
„Ah, schön, dass Sie da sind!“
„Bob, das ist Albert Ventura, mein Nachfolger …“
„Hallo, Al, ich freue mich.“
„Ganz meinerseits, Bob.“
„Habe schon einiges von Ihnen gehört – und gelesen. Los Angeles News …“
„Hoffentlich nur Gutes“, witzelte Al.
Der Attaché bat sie in sein Dienstzimmer. Sie nahmen in dem großzügig eingerichteten Büro auf einer wuchtigen Garnitur Platz. Bob Woods schlug die Beine übereinander.
„Nun, dann werden wir es künftig häufiger miteinander zu tun haben. Bill Cooper und ich kamen glänzend miteinander aus, nicht wahr, Bill?“, hob Woods an. „Schade, dass Ihre Zeit zu Ende ist.“
„Ja, ja. Wahnsinnig gut“, nickte Bill eifrig.
„Ich hoffe, mit uns wird das genauso gut gehen, Al.“
„Das hoffe ich auch“, entgegnete Al.
„Sie kommen also aus L. A. Kennen Sie Korea überhaupt, Al?“
Bob fragte schneidend. Seine Fähigkeit, Dinge direkt auf den Punkt zu bringen, galt als phänomenal. Andererseits schätzte ihn der Botschafter wegen seines Geschicks, gerade in heiklen politischen Angelegenheiten bedeutungsschwere Inhalte wortreich in nichtssagenden Sprachhülsen zu verbergen.
Er fuhr fort:
„Bevor Sie antworten – das mit Ihrer Akkreditierung wird in Ordnung gehen; wir kümmern uns darum.“
„Danke. Nun, ich war früher bei der US-Navy und zwei Jahre in Korea stationiert. Hier lernte ich meine Frau kennen, eine aus Seoul stammende Koreanerin. Sie hatte gerade begonnen, für die Korea Times zu arbeiten. Wir haben geheiratet und sind nach Los Angeles gegangen. Dort hat sie bei den LAN sofort einen Job bekommen.“
„Doch nicht etwa … Halt, lassen Sie mich raten … – Shinghee Ventura? Sie hat das Feuilleton gemacht, nicht wahr?“
„Nein, die Seite über die sogenannten interessanten Persönlichkeiten.“
„Ah, die Klatschspalte“, lächelte Bob spitzzüngig. „Nun, wie geht es Ihrer Frau?“
Bill musste fürchterlich laut husten, weil er sich plötzlich verschluckt hatte.
„Sie kam vor einigen Wochen bei einem mysteriösen Verkehrsunfall ums Leben …“, sagte Al einsilbig.
„Tut mir leid …“
Bob übersprang das unangenehme Thema.
„Habe ich richtig gehört? Sagten Sie US-Navy? Wie kommt man von der Navy zur Zeitung?“, bohrte er weiter. „Presseoffizier?“
„Sagt Ihnen das Stichwort Flottenskandal etwas?“, fragte Al zurück.
„Sie meinen die Geschichte mit dem Fregattenkapitän, der für die Russen spioniert hat? Oder waren es die Chinesen?“
„Es waren die Russen. Kapitän Blyer war im Flottenkommando stationiert. Er hatte zu geheimen Unterlagen Zugang, genauer gesagt zu den Einsatzplänen für die Marine im Mittelmeer und am Golf. Hochinteressantes Material, vor allem für die Russen. Schließlich ist der Bosporus einer der herausragendsten strategischen Punkte, vom Persischen Golf ganz zu schweigen“, führte Al aus.
„Was hattest du damit zu tun?“, fragte Bill dazwischen.
„Ich war damals Korvettenkapitän – und einer der verantwortlichen Sicherheitsoffiziere im Führungsstab der Marine. Auf Befehl des kommandierenden Admirals Schroeder musste ich mich der Sache annehmen – dienstinterne Untersuchung. Ich kam bei meinen Nachforschungen dahinter, dass im Flottenkommando einige hohe Offiziere geschlampt hatten, sonst wäre der Mann nie an die Unterlagen herangekommen. Admiral Schroeder befürchtete einen Rieseneklat. Die Angelegenheit war sowieso schon heikel genug. Um keinen Preis durfte die Öffentlichkeit Wind von dem Skandal bekommen.“
„Was natürlich nicht zu verhindern war. Und der Admiral fürchtete bestimmt um seinen Kopf“, kräuselte Bob.
„Ganz zu Anfang wäre es noch zu verhindern gewesen. Vor allem hätte die Sache lückenlos aufgeklärt werden müssen.
Aber ich war in meiner Untersuchungsarbeit nicht frei.“
„Was heißt das?“, fragte Bill zweifelnd.
Al fuhr fort: „Bestimmte Unterlagen wurden mir vorenthalten, wichtige Zeugen waren plötzlich irgendwohin versetzt worden und so weiter. Ich schlug dem Admiral vor, in die Offensive zu gehen. Doch er zögerte noch immer.“
„Ja, jetzt erinnere ich mich genau“, warf Bob ein. „Der Admiral wollte das nicht, weil er vor einer Beförderung stand.“
„Nein, er hatte politische Ambitionen“, korrigierte Al, „– für die Zeit seines Ruhestands. Eine vernünftige Pressearbeit hätte den Schaden wenigstens begrenzt. Irgendwann sickerte doch etwas durch. Associated Press tickerte eines Tages eine kleine Notiz über die Fernschreiber – und die Lawine war losgetreten. Eine Woche später erschien ein Artikel in den LAN, bei dem die Marineführung gar nicht gut aussah. Die Spekulationen blühten. Der Admiral tobte. Er ließ seine Beziehungen zum Pentagon spielen. Eine Woche später hatte er viel Zeit, spazieren zu gehen.“
„Und dann suchten sie einen Sündenbock?“, mutmaßte Bob.
„Genau. Obwohl sie mir nichts anhaben konnten, wurde ich versetzt. Der Anfang vom Ende – Karriere ade!“
„Und dann haben Sie die Uniform an den Nagel gehängt …“ Bob ließ nicht locker.
„Nicht sofort. Es hat noch fast zwei Jahre gedauert. Meinen Posten als Sicherheitsoffizier war ich allerdings los. Sie haben mich leerlaufen lassen und mir belanglose Verwendungen gegeben – Offiziersbewerber aussuchen, Lehrtätigkeit an der Marineschule, Dinge, die man kurz vor dem Ruhestand tut, aber nicht mit Anfang vierzig. Die Beförderung zum Fregattenkapitän konnte ich in den Kamin schreiben. Meine Bewerbungen um ein Kommando auf einem Schiff wurden abgelehnt. Am Ende half alles nichts. Wenn ich nicht versauern wollte, musste ich Shing-hees Vorschlag annehmen und umsatteln – zum Journalisten. David B. Goldmann wollte einen Insider wie mich unbedingt haben. Volontariat, Trainee-Programm und so weiter – Sie kennen das. Erstaunlicherweise macht die Schreiberei Spaß.“
Bob war allmählich in seinen Sessel zurückgesunken.
„Wenn ich heute noch einmal die Chance bekäme, einen Skandal aufzuklären …“
„Dann?“, wollte Bob wissen.
„Ich würde die Sache anders angehen. So, dass die Wahrheit an den Tag käme. Auf jeden Fall. Koste es, was es wolle.“
„Nun, dann sind Sie in Korea richtig“, beruhigte ihn Bob.
„Die Ruhe täuscht. Am achtunddreißigsten Breitengrad ist immer was los. Hier ist der kalte Krieg noch in vollem Gang. Sie sollten die Grenze in Panmunjom besuchen. Wir haben da ausgezeichnete Verbindungen zum UN-Kommando“, beteuerte Bob. „Sie werden bald merken, dass es brodelt. Bill kann das bezeugen. Habe ich recht?“
„Ja, Bob. Hier lebt es sich wahnsinnig gefährlich. Fast so wie … wie auf einem Pulverfass“, bestätigte Bill. „Aber, Bob – Al wollte von Ihnen eigentlich Hintergründe zur Korea-Politik der USA hören.“
Das Telefon läutete. Bob hob den Hörer ab.
„Ich sagte doch, dass ich nicht gestört …“, entrüstete sich Bob und nahm sich sofort zurück: „Oh ja, Sir, selbstverständlich, natürlich Sir. Ich komme sofort.“
Er legte den Hörer zurück.
„Tut mir leid, meine Herren, der Botschafter verlangt nach mir. Das kann dauern. Wir werden ein andermal weiterreden. Bis bald. Unsere Presse-Übersetzungen bekommen Sie ja täglich in die Redaktion. Da können Sie sich ausgiebig informieren.“
Bob stand auf, rückte sich die Fliege zurecht, schwang sein Jackett über die Schulter und griff nach einer Schreibmappe.
Bill und Al hatten verstanden. Sie erhoben sich und verließen mit Bob den Raum. Al bedauerte den abrupten Gesprächsabbruch.
„Ist der immer so kurz angebunden?“, fragte er Bill.
„Diplomat – wenn du verstehst, was ich meine. Kleinere Störungen sind manchmal recht willkommen.“
„Du meinst, der war ganz froh, dass er zum Botschafter musste?“
Bill nahm seinen gewohnten Redefluss wieder auf.
„Kann ich mir wahnsinnig gut vorstellen. Es würde mich nicht wundern, wenn der gerissene Kerl das Telefonat nur lanciert hätte. Hast du gemerkt, wie er dich ausgefragt hat? Als es ans Eingemachte ging, musste er plötzlich weg. Merkwürdig, was? Die Presseverlautbarungen der Botschaft kannst du vergessen. Das Zeug stapelt sich wie wahnsinnig in meinem Büro. Wahre Hintergründe erfährst du von Woods ohnehin nicht. Er gibt nur zu, was du ihm beweisen kannst. Du wirst selbst herausfinden müssen, wer hinter den Kulissen welche Rolle spielt. Und da ist einiges faul.“
„Das sagt Goldmann auch.“
„Sei sicher, Goldmann hat dafür eine Nase. Nicht umsonst ist er so wahnsinnig erfolgreich …“
„ …und einflussreich“, setzte Al hinzu und sah sich im Botschaftsgebäude eingehend um. „Ich möchte mich einmal in diesem Gebäude vierundzwanzig Stunden mit einer Tarnkappe bewegen können“, wünschte er. „Ich hätte bestimmt Stoff auf Jahre hinaus.“
„Bestimmt!“
Bill wechselte das Thema.
„Mist – ich habe vergessen, mich bei Bob für die Einladung zu bedanken und mich zu entschuldigen.“
„Welche Einladung?“
„Die Einladung zum Botschaftsempfang. Hier ist sie.“
Bill fuchtelte mit einem weißen Briefkuvert vor Al herum und zog eine bedruckte Karte heraus.
„Der Botschafter der Vereinigten Staaten von Amerika in der Republik Korea beehrt sich, Herrn William Antony Cooper und Begleitung aus Anlass des Unabhängigkeitstages am vierten Juli neunzehnhundertsechsundneunzig zu einem Empfang in seine Residenz einzuladen …“, las er halblaut vor. „Mensch, Al, da bin ich doch längst nicht mehr in Korea! Deswegen wollte ich Bob ansprechen und ihm vorschlagen, dass du hingehst.“
„Ich? Zum Empfang? Weiß nicht, solche Dinge liegen mir nicht besonders. Ich bin kein Salontiger“, sträubte sich Al.
„Al, du musst hin! Du triffst alles, was Rang und Namen hat. Landsleute aus Politik, Wirtschaft, Sport, Medien. Es wird vor interessanten Figuren wimmeln. Die Koreaner werden da sein, die Briten, Franzosen, Japaner und die Deutschen – viele der befreundeten Geheimdienste. Nirgendwo anders kannst du bessere Kontakte anbahnen. Du wirst auf sie angewiesen sein“, dozierte Bill.
„Ich weiß nicht …“
„Stell dich nicht so an wie ein Debütant beim ersten Ball. Außerdem legt unser Botschafter größten Wert darauf, dass seine Gäste erscheinen. Also?“
„Überredet. Okay – meinetwegen.“
„Es wird dir guttun, wenn du unter Leute kommst. Und keinesfalls solltest du ohne Begleitung hingehen“, riet Bill.
„Begleitung? Wie stellst du dir das vor? Shing-hees Familie würde mir das bestimmt übel nehmen, so kurz nach ihrem Tod.“
„Schließlich machst du nur deinen Job!“
„Obwohl – das heißt … Da fällt mir jemand ein.“
Al fasste sich an das Kinn und senkte seinen Kopf. Sein Lächeln verriet die freudige Überraschung seines Einfalls.