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Die inneren Zerwürfnisse, Bürgerkriege, wer/was führt sie herbei?

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Den äußeren Frieden zu gewährleisten, ist der Einrichtung Staat nicht gegeben. Wie, so fragt sich, sieht es mit dem inneren Frieden aus? Zur Zeit erwächst die größte Not und die meiste Zerstörung aus Konflikten innerhalb der Staaten. Trägt daran die Gewaltneigung des einzelnen Schuld? Muß es darum gehen, ihn zu belehren, ihn zu erziehen?

Über die Entstehung der Staaten bietet der NewYorker Anthropologe Charles Spencer folgende Erklärung an: „Wenn ein Häuptling mehr Land unterworfen hatte, als er an einem Tag durchschreiten konnte, zwang ihn dies, eine Verwaltung und damit staatliche Strukturen zu schaffen“.

Am Anfang unverkennbar steht Unterwerfung, nicht von Land, sondern von Leuten. Menschen haben sich untertan gemacht. Sie haben einem Herausgehobenen Gewalt über sich gegeben.

Nun sollte man annehmen, daß die Individuen, die das haben mit sich machen lassen, immerhin die Aufgabe ihrer Freiheit, sich einen Vorteil davon versprochen haben.

Wäre dies der Fall gewesen, hätte es der Wunsch, Mord und Totschlag nicht erleben zu müssen, nicht sein dürfen. Denn Krieg stand ihnen nun fortlaufend ins Haus. Nicht nur der mit Nachbarn. Zusätzlich entstand nunmehr im Inneren der Kampf um die Macht. Der forderte oft nicht weniger Blut und Tränen. Tod und Zerstörung gehörten von nun an zum Alltag. Das hat die neue Einrichtung ihren Untertanen rasch verdeutlicht.

Dennoch waren die neuen Staatsbürger anscheinend überwiegend zufrieden mit ihrem Dasein. Sie fanden sich mit dem fortlaufenden Kampfgeschehen ab. Dazu könnte eine Begebenheit beigetragen haben, die zu gleicher Zeit Bedeutung gewann: die Verknüpfung des sozialen Umfelds mit religiösen Vorstellungen. Die ersten Könige haben es augenfällig verstanden, ihr Herrschtum mit der obwaltenden Glaubensüberzeugung zu verquicken. Sie wußten sich als Bewahrer und Beschützer der tonangebenden Heilslehre darzulegen. Nicht selten gelang es ihnen sogar, sich als Inkarnation einer Gottheit ins Bild zu setzen.

Die neue Obrigkeit erfüllte ihr Konstrukt mit Geist. Sie verschmolz die Apparatur, die ihr Macht verlieh, mit einer religiösen Instanz. Sie formte ihr Gebilde zum Gehäuse der Gottheit. Die Krone ließ sie darlegen, als sei sie vom höchsten Gott verliehen („von Gottes Gnaden“, wie es später hieß). Der Bürger sollte in seinem Staatsoberhaupt die irdische Verkörperung des Willens seiner Gottheit sehen.

Diese Staatsidee hat vielerorts bis in die Neuzeit getragen. Sie erfuhr kürzlich eine beklemmende Übersteigerung im „Islamischen Staat“ (IS).

Soweit sich das feststellen läßt, sind die jungen Staaten von ihren Bürgern überwiegend gutgeheißen worden. Kritik von Bedeutung kommt, wie wir erfahren, zum frühesten Zeitpunkt bei den Griechen auf. Bei diesen dürfte dafür Kriegsmüdigkeit eine Rolle gespielt haben. Aber auch das Wahren von Gerechtigkeit durch die Obrigkeit hat offenbar zu Wünschen übrig gelassen.

Erstmals, soweit wir wissen, wird im fünften vorchristlichen Jahrhundert in Hellas die Allmacht des Staates in Frage gestellt. Seit Solon ergründet die Geisteswelt, was der Staat soll, kann und darf. In der Neuzeit hat eine eigene Disziplin die Beantwortung dieser Frage zu ihrem besonderen Anliegen gemacht.

Folgten wir deren Studien, wäre an vorderer Stelle von Bedeutung, wie viel Gewalt dem Staat zugestanden werden darf und muß. Eigenständigkeit, die jedem lieb und teuer ist, also Staatsmacht nahe null, schließt die Logik aus. Ein Gutteil Freiheit jedoch sollte das System dem Bürger lassen, zumal, wenn es Demokratie heißt.

Die Gegenwart ist vermeintlich.am Ziel. Wenn man den Maßsetzenden in Wissenschaft und Politik glauben darf, ist das Optimum erreicht. Über den demokratisch sozialen Rechtsstaat hinaus sei keine vollkommenere, dem Menschen dienlichere Entfaltung von Ordnung denkbar.

Diese Beschaffenheit jedoch hat sich des Bürgers umfassender angenommen als alle Ausprägungen von Staat vor ihr. Mehr als alle vorausgegangenen Modalitäten dieser Einrichtung hat sie ihr Mitglied entmachtet. Die Monarchie zuvor ließ vieles noch seinen eigenen Gang gehen. Die moderne Demokratie aber verlangt die Allmacht. Ihrer Obsorge obliegt das Gesamtgeschehen, von der Zeugung der Nachkommen über den Fötus im Mutterleib, sodann der Mensch vom Säugling bis zu seiner Grablegung. Der demokratische Staat läßt sich die Begutachtung der Gene, die Familienplanung, die Erziehung, die Ausbildung, die Ernährung, die Gesundheit, die Erwerbsarbeit, die Wünsche und Erwartungen, die Gewohnheiten, die Altersversorgung und die Bestattung all­umfassend angelegen sein.

Demokratie, vermeintlich der Inbegriff von Freiheit, hat das Aufgabenspektrum des Staates ins Unermeßliche gesteigert. Es gibt nichts, was diese Staatsform dem Bürger nicht entzogen, nicht zu ihrem Anliegen gemacht und geregelt hätte. Sie hat ihre Zuständigkeit ohne Begrenzung auf alles Vorkommende erweitert.

Ob gewollt oder ungewollt, der Bürger der modernen Demokratie hat das Kümmern um sein Wohlergehen so gut wie vollständig auf den Staat übertragen.

In der Realität daher nähert sich die Marke der Machtvollkommenheit des Staates neudemokratischer Art den hundert Prozent. Ein wesentlicher wissenschaftlicher Streit ist damit vom Tisch. Der Staat darf alles. Und er nimmt sich auch alles heraus.

Das sei kein Verhängnis, sagen Politologie und Politik, denn die Macht im Staat habe der Bürger inne. Er komme über frei gewählte Abgeordnete in der Volksvertretung zum Zug.. Die Wahl der Entscheider erlaube ihm zu verhindern, daß geschieht, was er nicht will, was nicht in seinem Sinn liegt. Mit Hilfe des Parlaments bestimme er, was zu gelten hat und was geschehen soll

So liest sich die Theorie. Die Praxis verläuft weniger sinngemäß. Viele Bürger daher sind unzufrieden mit dem, was da vonstatten geht. Sie empfinden ihre Belange von den ins Parlament entsandten Abgeordneten entweder gar nicht oder nicht ausreichend wahrgenommen. Das veranlaßt sie zu zwei unterschiedlichen Verhaltensweisen.

Die einen verlangen, daß ihnen mehr Mitsprache oder Mitwirkung eingeräumt werde.

Nun ist aber die unmittelbare Beteiligung des Bürgers an der Macht in den meisten, in den großen Staaten allemal, aufgrund der Anzahl ihrer Einwohner schlicht nicht zu bewerkstelligen, wie sich leicht erschließt. Hier lassen sich Wunsch und Wille des einzelnen nur über Zwischenträger vermitteln. Man spricht daher von der „repräsentativen“ oder „indirekten Demokratie“.

Das indessen, die Vertretung des Volkes durch Abgeordnete, ist nach vielseitigem Dafürhalten kein Manko. Denn die Mehrheit der Bürger ermisse ohnehin die Tragweite der zu treffenden Entscheidungen nicht.

Doch die Erwartung, die Gewählten glichen das Urteilsdefizit aus, erweist sich nur allzu oft als trügerisch. Zahlreiche Untersuchungen weisen nach, daß die Parlamentsmitglieder oft ihr Votum abgeben, ohne den Sachverhalt, der zur Abstimmung steht, voll durchschaut zu haben.

Nicht zuletzt deshalb gibt es Bestrebungen, die Schwäche der Repräsentation zu minimieren. Die Partei “Die Piraten“ zum Beispiel verbietet ihren Abgeordneten, ein Urteil über einen Sachverhalt abzugeben, ohne zuvor die Meinung ihrer Wähler dazu erfragt zu haben. Darüber hinaus sind die Mitglieder dieser Partei angewiesen, ihren Abgeordneten unmittelbar zu kontaktieren, sobald sie der Schuh drückt. Dieser jedoch wird dadurch täglich mit einer Flut von Mitteilungen überschüttet. Viele der dieserart Bedrängten geben an, daß es ihnen unmöglich sei, die erhaltenen Einwürfe und Aufforderungen zu würdigen, wie es ihnen zukommt. Das ist für beide Seiten verdrießlich. Für das Mitglied, das keine Antwort erhält, und für den Abgeordneten, der mit der kritischen Wertung der an ihn gerichteten Appelle überfordert ist. Die meisten Mandatsträger der Partei haben deshalb entnervt das Handtuch geworfen.

Besserung erwarten andere von einer Vermehrung der Volksbefragungen. Mit Hilfe einer solchen kann der Wähler in der Tat zu einem konkreten Problem seinen Willen offenbaren. Bedauerlicherweise jedoch beanspruchen Plebiszite einen ziemlichen Aufwand. Das schränkt die Möglichkeit, sie vor jeder wichtigen politischen Entscheidung abzuhalten, entschieden ein.

So wendet sich der andere Teil der Unzufriedenen schlicht ab. Diese Mitbürger haben das Vertrauen verloren, daß aus dem System heraus nachhaltige Verbesserungen zu erwirken seien. Sie verzichten daher auf die Wahrnehmung ihres Wahlrechts.

Jene braven Bürger indes, die sich den Urnengang nicht versagen, sind nicht viel zuversichtlicher. Ein großer Teil von ihnen gibt seine Stimme nur ab, um Schlimmeres zu verhindern. Die Besorgten wählen, wie sie gern erklären, das geringere Übel.

Überdies werfen die meisten Demokratien die kritischsten abgegebenen Stimmen einfach in den Papierkorb. Sie schließen die Kandidaten der Parteien, die eine Mindestanzahl an Voten nicht erreichen (in Deutschland fünf Prozent), vom Einzug ins Parlament aus. Bei der Wahl zum deutschen Bundestag im September 2013 wurde auf diese Weise fast jede sechste abgegebene Stimme ( 15,7 Prozent) eliminiert - die Meinung der Unangepaßten.

Die obsiegende Partei erhält selten mehr als vierzig Prozent der gültigen Voten. Da stets ein großer Teil der Wahlberechtigten sein Stimmrecht verfallen läßt, haben in der Realität selten mehr als fünfundzwanzig Prozent der Wahlbürger für diejenige Partei votiert, die den Sieg davonträgt. Es ist also allenfalls nur jeder Vierte der Wahlberechtigten, auf dessen Regung sich anschließend die Regierung stützt. Und unter diesen sind viele, die lediglich andere Gewinner, zu denen sie noch weniger Zutrauen hatten, verhindern wollten.

Von zehn Erwachsenen in den Demokratien haben nur noch zwei das Vertrauen, daß die Person oder die Partei, der sie ihre Stimme geben, tatsächlich das zu leisten imstande ist, was sie vorgibt (gemäß der amerikanischen PR-Agentur Edelmann, die jährlich Tausende Bürger aus 33 Nationen dazu befragt und daraus ein „Vertrauensbarometer“ fertigt). Und auch diese zwei, die den Staat tragen, werden regelmäßig enttäuscht. Das ist ein Sachverhalt, der kaum eine gute Grundlage liefert für das System, von dem das Dasein dieser Welt abhängt.

Die moderne Demokratie hält sich die Teilung der Gewalten als besonderen Vorzug zugute. Dieses Konzept soll die alleinige Macht der Exekutive vereiteln. Sie soll zum Zug kommen lassen, was die Mehrheit des Volkes erheischt.

Der Gedanke und der Vorsatz verlangen, daß die Legislative die treibende Kraft verkörpere. Demgemäß gebührte ihr, der Exekutive zu bedeuten, was sie tun soll. Im Anschluß obläge ihr zu kontrollieren, ob die Regierung vollführt, was ihr aufgetragen worden ist.

Von diesem Ansatz freilich ist in der modernen Demokratie so gut wie nichts mehr zu vermerken. Das Parlament fabriziert zwar noch Gesetze, aber nicht aus eigenem Antrieb. Nicht nur den Anstoß, auch den Inhalt der Dekrete setzt die Exekutive.

Das hohe Haus hätte, von der Vorgabe her, auszuführen, was ihm von unten, vom Bürger, aufgetragen worden ist. Statt dessen vollzieht es, was ihm von oben, von der Regierung, oktroyiert wird. Es ist zum Erfüllungsorgan der Exekutive mutiert.

In allen modernen Demokratien spielen politische Parteien die entscheidende Rolle. Sie sind in ihnen de facto, in vielen sogar de jure, zum Verfassungsorgan erhoben.

Deren stärkste hat uneingeschränkt das Sagen. Sie stellt die Regierung. Hat sie im Parlament nicht die Mehrheit, muß sie mit einer oder mehreren anderen Parteien ein Bündnis eingehen.

Die Abgeordneten der Koalitionsparteien aber verstehen sich anschließend nicht etwa als Impulsgeber und Überprüfer derer, die sie ins Amt gesetzt haben, sondern als deren gehorsame Gefolgsleute.

Die Parlamentsmitglieder, so wollte es das Prinzip und so verlangte es die Vernunft, sollten frei, allein ihrem besseren Wissen und ihrem Verantwortungsgefühl unterworfen, in den Kammern ihre Arbeit verrichten. Doch nähmen sie sich das heraus, könnten sie die Erhaltung ihres Mandats in den Wind schreiben.

Die Koalitionsfraktionen erzwingen Geschlossenheit, nichts anderes als Gehorsam gegenüber der Regierung. Zwar kann das Mitglied er betreffenden Fraktionen in den Vorbesprechungen seine Meinung kund tun. Bei der Abstimmung im Parlament aber hat es den Beschluß der Exekutive zu verfechten. Die Gewissensfreiheit der Abgeordneten steht nur mehr auf dem Papier. Die Mehrheit des Parlaments ist zu einer Formation von Steigbügelhaltern und Beifallspendern verkommen.

Die Gewaltenteilung, sofern man von ihr noch sprechen will, ist reduziert auf Koalition und Opposition. Wobei allerdings die Opposition über keine reale Macht verfügt. Sie kann Entscheidungen der Regierung nicht zu Fall bringen. Das Parlament kann zwar noch knurren, es kann aber nicht mehr beißen. Neudemokraten wie Orbán oder Erdoġan ziehen ihm auch den letzten Zahn.

Die Legislative als Antriebs- und Kontrollorgan der Exekutive, jene Vorstellung, die der repräsentativen Demokratie Legitimation verliehe, hat mit der Realität nichts mehr gemein. Bezeichnenderweise lassen sich die Medien nur mehr selten herab, aus der Schwatzbude zu berichten. Würden sie es, müßten sie schlafende oder handy-spielende Abgeordnete zeigen. Am 18. 1. 2018 mußte eine Sitzung des Deutschen Bundestags auf Antrag der AfD-Fraktion abgebrochen werden, weil nach Zählung (Hammelsprung) sich herausstellte, daß weniger als die Hälfte der Mitglieder anwesend war.

Der Staat, jene selbstherrliche Einrichtung, hat für Volkes Herrschaft keinen Sinn. Das mußten schon die Republiken im alten Griechenland und im alten Rom erfahren. Dort gab es nach kurzem Mitspracheintervall nur mehr Kaiser.

Nebenbei verzeichneten schon die antiken Demokratien Herrschaften, die im Verborgenen an den Strippen zogen. Die Gegenwart kennt deren Büttel als Lobby.

Die politischen Parteien brauchen Geld. Zugleich ermöglicht das System, dem sie Ausdruck verleihen, besonders cleveren Leuten, sich mit reichlich Mammon auszustatten. Diese spenden den Parteien gern, zumal die Zuwendung sich von der Steuer absetzen läßt. Wichtiger aber ist ihnen, daß ihr Handgeld Früchte trägt.

In den meisten Regierungszentren sind die Repräsentanten der Reichen nicht nur an Personal stärker als die Mitglieder des jeweiligen Parlaments, sie übertreffen diese auch an Einfluß. Eine Studie der Princeton-Universität (gefertigt von Martin Gilens und Benjamin I. Page) kommt zu dem Urteil: „Die USA sind keine Demokratie mehr, sondern eine Diktatur der Geldeliten.“ Zu dem gleichen Urteil kommt auch Altpräsident Jimmy Carter. In einem Interview mit Oprah Winfrey am 7.11.2015 stellte er fest, die Demokratie der USA sei tot. Dieser Staat sei nur mehr eine Oligarchie.

Horst Seehofer, seinerzeit bayerischer Ministerpräsident, brachte den Tatbestand auf den Punkt (in der Sendung der AFD mit Erwin Pelzig am 20.5.2010 ): „Diejenigen, die entscheiden, sind nicht gewählt. Und diejenigen, die gewählt sind, haben nichts zu entscheiden.

Praktisch ist schon im Ansatz des Systems der Anreiz zum Mißbrauch angelegt - und die Vorspur zur Entartung. Die vielbeklagten Fehlentwicklungen ergeben sich nahtlos aus den Vorgaben.

Die dritte Gewalt, so will es das Prinzip, soll die anderen im Zaum halten. Sie soll dem vom Parlament gesetzten Recht Geltung verschaffen.

Die zeitgenössischen Demokratien jedoch machen auch die Angehörigen der Justiz denen, die das Sagen haben, hörig. Wer kein Parteibuch besitzt, hat kaum die Chance, auf eine der bedeutenden Richterstellen berufen zu werden. Die Posten in den hohen Gerichten werden nach einem Parteienproporz vergeben. Richterkarrieren finden nicht in den juristischen Foren statt, sondern auf dem Parkett der Parteien.

Überdies läßt es sich die Partei, die die Exekutive stellt, nicht nehmen zu entscheiden, wer der Verlegenheit ausgesetzt wird, vor den Kadi zu kommen. Die Regierung bindet die Staatsanwälte an von ihr gestellte Weisungen. Die Beispiele sind mittlerweile Legion, in denen die Justizbehörden gezwungen wurden, Ermittlungen einzustellen, deren Ergebnis den jeweiligen Parteioberen nicht in den Kram gepaßt hätte.

Frank Fahsel, Fellbach, offenbarte sich in der Süddeutschen Zeitung vom 9.4.2008:

Ich war von 1973 bis 2004 Richter am Landgericht Stuttgart und habe in dieser Zeit ebenso unglaubliche wie unzählige, vom System organisierte Rechtsbrüche und Rechtsbeugungen erlebt, gegen die nicht anzukommen war/ist, weil sie systemkonform sind. Ich habe unzählige Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte erleben müssen, die man schlicht 'kriminell' nennen kann. Sie waren/sind aber sakrosankt ('unantastbar'), weil sie 'per Ordre de Mufti' gehandelt haben oder vom System gedeckt wurden, um der Reputation willen. . . . In der Justiz gegen solche Kollegen vorzugehen, ist nicht möglich, denn das System schützt sie vor einem Outing selbst – durch konsequente Manipulation. Wenn ich an meinen Beruf zurückdenke (ich bin im Ruhestand), dann überkommt mich tiefer Ekel vor 'meinesgleichen'.

Gleichwohl zeichnet sich die höchstentwickelte der Staatsformen dadurch aus, daß sie Recht setzt und verspricht, sich daran zu halten.

Nachdem freilich die moderne Demokratie für alles Denkbare und Vorkommende zuständig ist, hat ihr Parlament zwangsläufig reichlich zu tun. Das Erfordernis, jeden Ausfluß menschlichen Daseins und Handelns in eine zweckdienliche Regelform zu gießen, stellt den jeweiligen Gesetzgeber vor eine Aufgabe, die er auf eine vollkommene, unangreifbare Weise verständlicherweise kaum zu bewältigen imstande sein kann.

Nicht zuletzt deshalb wird Ausgewogenheit nicht erzielt. Auch Gerechtigkeit bleibt aus. Außerdem müssen die Gesetzestexte oft dem Zeitgeist Genüge leisten. Alledem zufolge lassen sie sich vielfach unterschiedlich auslegen. Hier und da widersprechen sie sich sogar. Und immer wieder treten Tatbestände auf, die noch nicht geregelt sind. Die Volksvertretungen stehen fortgesetzt unter Druck, ihre Sammlung an Statuten zu ändern und zu ergänzen.

Über die Deutschen wachen zur Zeit annähernd 5500 Gesetze und Rechtsverordnungen mit über 100 000 Artikeln und Paragraphen. Kein Jurist blickt da mehr durch. Jeder von ihnen ist gehalten, sich zu spezialisieren. Das Ganze bleibt jedermann verschlossen.

Der Paragraphendschungel läßt einen Zustand der Rechtlosigkeit eintreten. Schon seit eh und je wird die Erfahrung gemacht und beschrieben, daß das Vorhaben, alles regeln zu wollen, nicht nur mißlingt, sondern Schaden anrichtet. Laotse wird der vielfach bestätigte Satz zugeschrieben: „In einem Staat gibt es um so mehr Räuber und Diebe, je mehr Gesetze und Vorschriften es in ihm gibt.“.

Und wer sein Recht sucht gegen einen Mitbürger, gegen ein Unternehmen oder gar gegen ein staatliches Organ, der benötigt viel Zeit, mindestens ein Jahrzehnt, und viel Geld. Und daß er das Urteil der höchstrichterlichen Instanz dann als gerecht empfindet, ist immer seltener zu vermelden. Diese Erfahrung hat offensichtlich schon Cicero gemacht: „summum ius, summa iniuria“ (Je mehr Gesetze es gibt, um so mehr Ungerechtigkeit entsteht).

„Vor Gericht und auf hoher See sind wir in Gottes Hand“, lautet eine alte Juristenweisheit. Ralf Eschelbach, Richter am Bundesgerichtshof in Karlsruhe, schätzt in seinem Strafprozessrechtskommentar vom Mai 2011 die Quote der Fehlurteile von deutschen Gerichten auf ein Viertel.

Die Digitalisierung bringt „Legal Tech“ hervor. Ist der Fall aufgeklärt, sagt ein Algorithmus, wie er zu entscheiden ist. Roboteranwälte beschleunigen einen Prozeß und machen ihn bezahlbar. Aber kann widersprüchliches Recht adäquate Urteile liefern?

Die Bemühung, Gerechtigkeit herzustellen, ist vorhanden und beträchtlich. Ihr Erfolg ist niederschmetternd.

Die moderne Demokratie kennt kein Scherbengericht. Schlimmer, sie kennt auch keine freie Presse. Der Staat, die Schicht, die ihn trägt, wirkt direkt oder indirekt auf jede in der Öffentlichkeit verbreitete Äußerung ein - verständlicherweise.

Wie es um die „vierte Gewalt“ in der vermeintlich freiheitlichsten Demokratie der Welt bestellt ist, schilderte schon in deren Jugendjahren John Swinton (1829-1901) in seiner Abschiedsrede vor seiner Pensionierung:

Es gibt hier und heute in Amerika nichts, was man als unabhängige Presse bezeichnen könnte. Sie wissen das und ich weiß das. Es gibt keinen unter Ihnen, der es wagt seine ehrliche Meinung zu schreiben, und wenn Sie sie schrieben, wüssten Sie im voraus, dass sie niemals gedruckt würde. Ich werde wöchentlich dafür bezahlt, meine ehrliche Überzeugung aus der Zeitung, der ich verbunden bin, herauszuhalten. Anderen von Ihnen werden ähnliche Gehälter für ähnliches gezahlt, und jeder von Ihnen, der so dumm wäre, seine ehrliche Meinung zu schreiben, stünde auf der Straße und müsste sich nach einer anderen Arbeit umsehen. Würde ich mir erlauben, meine ehrliche Meinung in einer Ausgabe meiner Zeitung erscheinen zu lassen, würden keine vierundzwanzig Stunden vergehen und ich wäre meine Stelle los. Das Geschäft von uns Journalisten ist es, die Wahrheit zu zerstören, freiheraus zu lügen, zu verfälschen, zu Füßen des Mammons zu kriechen und unser Land und seine Menschen fürs tägliche Brot zu verkaufen. Sie wissen es, ich weiß es; wozu der törichte Trinkspruch auf die unabhängige Presse? Wir sind die Werkzeuge und Vasallen reicher Menschen hinter der Szene. Wir sind die Marionetten, sie ziehen die Schnüre und wir tanzen. Unsere Talente, unsere Fähigkeiten und unsere Leben sind alle das Eigentum anderer. Wir sind intellektuelle Prostituierte.

Unübersehbar wird in westlichen Medien ausschließlich staatskonform diskutiert. Die Aufdeckung des Watergate-Skandals durch zwei mutige Reporter (Bob Woodward und Carl Bernstein) war eine rühmliche Ausnahme - nicht ungefährlich für die beiden.

Zwei ehemalige Mitarbeiter des Norddeutschen Rundfunks (NDR), Friedhelm Klinkhammer und Volker Bräutigam, bezeichnen die Berichterstattung ihres Senders als regierungsfromm. tendenziös, agitatorisch, propagandistisch und desinformativ (Im Interview mit Marcus Klöckner am 3.4.2016, auf heise online).

Politische Fehlentscheidungen, sei es aus moralischer, zweckmäßiger oder nachhaltiger Sicht, bleiben von den maßsetzenden Medien so gut wie unbemerkt. Nicht selten sogar verleihen Presse und Sender politischen Sünden publizistisch Rechtfertigung. So unlängst geschehen, als es darum ging, Waffen in Krisengebiete zu liefern, das Militär gegen die eigenen Bürger einzusetzen oder ungehemmt Geld zu drucken.

Was dagegen die Spalten und Sendungen füllt, sind Fragestellungen, die dem privaten Bereich entwachsen und gegenwärtig alles andere als bedeutend sind. Das Verhältnis der Geschlechter zueinander und die öffentliche Anerkennung sexueller Praktiken werden heiß diskutiert. Auf den Mattscheiben sorgen „Krimis“ und belanglose Plauschereien für Ablenkung. Und schlimm um die Staaten stünde es, wenn es den Sport nicht gäbe.

Mehr und mehr geht es darum, gegen die zunehmende Angst der Bürger um ihre Existenz anzuargumentieren. Glaubt man den vorherrschenden Veröffentlichungen, ist alles nicht so schlimm oder es hat sogar positive Auswirkungen. Von berechtigter Sorge will kaum eine Zeitung, kein öffentlicher Sender etwas wissen. Vor Hysterie, vor Panik sei zu warnen.

Der Journalist muß nicht nur vermeiden, das staatlich gesetzte, seinem Selbst verpflichtete Recht zu verletzen, was ihn vor den Kadi brächte, er darf auch dem Verleger nicht widersprechen, der seine eigenen Interessen verficht. Darüber hinaus darf er die Werbekunden seines Blattes nicht vergraulen. Praktisch bedeutet dies, daß er nirgends anecken darf. Viele Informationsverbreiter daher beschränken sich darauf auszustreuen, was ihnen die offiziellen Agenturen an „rechtsgesicherten“ Meldungen unterbreiten. Diese aber sind von staatstreuen Stellen in den USA gesteuert. Der schon erwähnte Paul Craig Roberts erklärt seit Jahren, daß die Europäische Union (EU) ein Teil des US-Imperiums sei und deren Medien von der US-Regierung „controlled“ würden.

Markus Gärtner trägt eine Vielzahl von Beispielen zusammen, in denen absichtlich falsch informiert wurde (in seinem Buch „Lügenpresse“, Kopp Verlag, Rottenburg am Neckar, 2015).

Jede Regierung lügt!“ behauptet Isidor Feinstein Stone, ein US-Journalist. Auf seiner Webseite gibt er darüber eindrucksvoll Auskunft.

Es gibt in den USA kein Grundrecht, das heftiger verteidigt wird als das, das the freedom of speech heißt. Doch neben der schon beschriebenen Beschränkung treten ihr neuerdings „Antidiskriminierungsstatuten“ entgegen. Diese bestrafen dünnhäutig jede Bemerkung, die irgendein Angehöriger einer ethnischen, religiösen oder ethischen (sexuellen) Minderheit als verletzend empfinden könnte.

Meinungsfreiheit kann die moderne Demokratie nicht dulden. Das Eigeninteresse ihrer Sachwalter verlangt, die Informationsverbreiter eng an die Kette zu legen. Der „political correctness“ haben alle Schrift und Wortbeiträge zu genügen.

Nebenbei feiern Anzeichen der Dekadenz fröhliche Urständ. Nie zuvor hat Triviales und Kurioses im gleichen Maß die Gemüter erhitzt. Der Zeitgeist ereifert sich an Meinungsverschiedenheiten, deren Abgleich oder Schlichtung aus nachhaltiger Sicht weder nötig noch nützlich ist. Dennoch werden die diesbezüglichen Positionen mit Inbrunst verfochten - bis zum Meinungsterror. Tatsächlich erträgt der Zustand der Erdzivilisation Toleranz nicht mehr. Just was ihn betrifft jedoch bleibt der Mainstream lax.

Nebensächliches und Beiläufiges füllen die Spalten der Printmedien und beherrschen die Plaudereien der Talkshows. Comedy im Übermaß verniedlicht den Verfall.

Hin und wieder wirft ein Berichterstatter angewidert das Handtuch. So der deutsche Journalist Dr. Udo Ulfkotte. Er schildert ausführlich, wie weitgehend jeder, der schreibt und spricht, bedrängt und auch „geschmiert“ wird (Udo Ulfkotte: Gekaufte Journalisten. Wie Politiker, Geheimdienste und Hochfinanz Deutschlands Massenmedien lenken. Kopp Verlag, 2014, ISBN 978-3-86445-143-0.).

Bedeutsam ist dieser Sachverhalt, weil Demokratie ihr Selbstverständnis vom mündigen und gut informierten Bürger herleitet.

Ihre Legitimität führen die Staaten vornehmlich auf die Zusage zurück, ihrem Bürger Sicherheit zu vermitteln.

Den offiziellen Verlautbarungen zufolge macht in allen Staaten die Bekämpfung der Kriminalität erfreuliche Fortschritte.

Tatsache dem gegenüber ist, daß sich auch in den ehrwürdigen Demokratien nachts kaum jemand allein auf die Straße traut. Auch Haus und Wohnung muß der Staatsbürger stets gut verschlossen halten. Und wer viel besitzt, muß seinen Schutz selbst organisieren und bestreiten.

Vor allem aber gerät in allen Demokratien der Betrug zu einer Erscheinung, der niemand mehr ausweichen kann. Der Bürger wird nicht nur von Neppern, Schleppern und Bauernfängern übers Ohr gehauen, er wird auch von ehemals ehrenwerten Einrichtungen wie Banken und Versicherungen, ja sogar von Organen des Staates selbst gelinkt. Nichts ist so allgegenwärtig in der Demokratie von heute wie Täuschung, Fälschung und Mogelei.

Der Betrug gerät auch aktiv immer mehr zum täglichen Erlebnis. Jeder erwischt sich selbst bei ein bißchen corriger la fortune.

Ehrbarkeit, Rechtschaffenheit, das sind Verhaltensmuster, die sich in der modernen Demokratie niemand leisten kann. Dies auch deswegen nicht, weil die Gesetzeswelt ohne Ausgebufftheit schlicht nicht zu bewältigen ist. Wer sich nicht durchlaviert, bleibt hängen im Gestrüp. Eine eigene Wissenschaft und ein großer Handelszweig leben allein davon, Schlupflöcher aufzuspüren, Gassen durch das Gesetzesgewirr aufzuzeigen.

Die Staaten erzeugen darüber hinaus ihre eigene Kriminalität, eine, die es ohne sie nicht gäbe. Die von ihnen aufgestellten Schranken bringen den Antrieb, sie zu umgehen, gewissermaßen unausweichlich hervor. Sodann beschwört der Staaten Verhalten, der geschaffenen Ungerechtigkeit Selbstgerechtigkeit entgegenzusetzen, Widerwehr bis zum Terrorismus herauf. Und ihre Besteuerungspraxis sowie die Gesetzesunwucht provozieren Schwarzhandel, Korruption, Steuerbetrug und Bandenkriminalität.

Das kalte, strittige Gesetz, gnadenlos durchgeboxt, drückt auf Geist und Gemüt. Den einen deprimiert es, den anderen enthemmt es, jeden verärgert es. „Indignez-vous“ (Empört Euch!), überschrieb Stéphane Hessel sein Essay 2010.

Die frostige Atmosphäre, die das Staatsgebaren in den Umgang untereinander bringt, steigert die Bereitschaft zum Bruch der Gesetze und zur Anwendung von Gewalt.

Schon in der Schule wird gemobbt. Psychoterror begleitet jeden in die Arbeitswelt. Das staatliche Handeln erzeugt, was seine Protagonisten anschließend in permanente Bedrängnis bringt.

Als neueste Maßnahme, den von ihr verursachten Verirrungen ihrer Bürger entgegenzuwirken, schafft die Demokratie die Privatsphäre ab. Daß der Bürger vor seinen gewählten Granden Geheimnisse hat, können diese länger nicht dulden.

Jüngst ist offenbar geworden, in welchem Ausmaß die Geheimdienste zum Schutze des Staates – und zugegebenermaßen zum Teil auch seiner Bürger – jedermanns Tun im Land ausforschen.

Der moderne Staat kommt nicht umhin, auf seine Bürger ein Auge zu haben. Zum einen müssen seine Vorsteher, nachdem sie für alles zuständig sind, auch alles wissen. Zum anderen können sie Übeltäter und auch Staatsfeinde nur aufspüren, wenn sie sämtliche Informationen, deren sie habhaft werden können, sich auch beschaffen. Neben den beamteten Spannern machen sich Whistleblower, Spitzel und Zuträger nützlich. Sie fürstlich zu entlohnen, erscheint geboten.

Die Privatsphäre des einzelnen, das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis, das sind Verheißungen, die die Staaten von Anbeginn an nur halbherzig gewährt und oft durchbrochen haben. In neuerer Zeit aber können sie diese Zusagen schlicht nicht mehr einhalten, wenn sie die Aufgaben wahrnehmen wollen, die ihnen ihre Bürger unterwürfig angedient haben.

Allerdings, daß der beständig beobachtete Bürger sich nun sicher fühlen könnte, das läßt sich im Gegenzug keineswegs behaupten. Wer ihm einen Schaden zufügen will, findet nach wie vor reichlich Mittel und Wege – vor allem auch Anlässe.

Die moderne Demokratie überdies verlangt Vereinheitlichung. Verschiedenartigkeit kann sie nicht dulden. Vorhandene Ungleichheit kann sie nicht fortbestehen lassen.

Lange Zeit noch gab es Gemeinden, in denen deren Mitglieder selbst bestimmten, was in ihnen zu gelten hatte und was geschehen sollte. Nicht ganz so eindeutig, aber freier als heute, gab es Schulen und Universitäten, deren Leiter und Lehrer sich den Lernwilligen durch eigenständig gewählte Inhalte und Methoden zur Nutznießung anboten. Die Demokratien, angeblich Garanten der Freiheit, können Selbständigkeit nicht dulden. Alles gehört über den gleichen Kamm geschoren. Entmündigung ist ganz offen unvermeidlicher Grundsatz.

Ein monarchistischer Reformer konnte noch fordern: „Das zudringliche Eingreifen der Staatsbehörden in Privat- und Gemeindeangelegenheiten muß aufhören und dessen Stelle nimmt die Tätigkeit des Bürgers ein, der nicht in Formen und Papier lebt, sondern kräftig handelt, weil ihn seine Verhältnisse [ . . . ] zur Teilnahme am Gewirre menschlicher Angelegenheiten nötigen. Man muß bemüht sein, die ganze Masse, der in der Nation vorhandenen Kräfte, auf die Besorgung ihrer Angelegenheiten zu lenken, denn sie ist mit ihrer Lage und ihren Bedürfnissen am besten bekannt.“ (Freiherr vom Stein, „Ausgewählte politische Briefe und Denkschriften“, herausgegeben von E. Botzenhardt und G. Ipsen, Stuttgart, 1955.).

Gewachsene Strukturen und deren Eigenständigkeit widersprechen naturgemäß dem Gleichheitsgrundsatz und dem Gebot der Einheitlichkeit. Überdies stellt die Verwaltung der für alles zuständigen Institution den Anspruch, in etwa gleich große und gleich leistungsfähige Untergliederungen zu haben. Sie erwirkt daher, daß Grenzen neu gezogen werden. Von den auf diese Weise künstlich hergestellten Gebietskörperschaften verspricht sie sich die Überwindung von Eigenbrötelei und Kleinkariertheit.

Die Netto-Steuerquote gibt an, zu welchem Teil die Gemeinden sich selbst finanzieren können und somit unabhängig von staatlichen Zuwendungen sind. Diese Quote betrug in der Bundesrepublik Deutschland 1960 noch etwa 15 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Die Städte und inzwischen gebietsreformierten Großgemeinden würdigte der Bund bis 2011 auf etwa vier Prozent des BIP herab.

Die Zerschlagung der gewachsenen Gemeinschaften aber hat ein verbreitetes Gefühl der Ohnmacht zur Folge, zunehmende Gleichgültigkeit, die Aufhebung der Geborgenheit, Entwurzelung, Vermassung.

Die Einrichtung Staat vermittelt seit eh und je die Vorstellung, sie führe Menschen zusammen, die sämtlich das Gleiche dächten und glaubten. Wie will man auch Menschen regieren, die im Grundsätzlichen unterschiedlicher Meinung und moralisch verschiedener Auffassung sind? Wer vom Staat das Heil erwartet, muß auf Vereinheitlichung und Gleichschaltung bestehen. Unter lauter Anders-Denkenden und Anders-Fühlenden kann es einleuchtenderweise Ruhe und Sicherheit im Staat nicht geben.

Die Neigung, allen Menschen im Pferch vorzuschreiben, wie sie zu leben, was sie zu glauben und was sie gutzuheißen haben, wohnt dem Staatssystem unverrückbar inne.

Der Radikalismus von links und von rechts sowie neuerdings der ethische Fundamentalismus sind Erscheinungen, die die Eigentümlichkeiten der modernen Demokratie heraufbeschwören. Keine ist ganz frei davon.

Der Kommunismus brachte das Anliegen der Vereinheitlichung zum Exzeß, noch heute in Nordkorea und China zu besichtigen. Iran und Saudi Arabien bleiben dem religiösen Einheitsdenken verhaftet. Eine Leitkultur ist auch den Deutschen wichtig. Und die USA unter Trump huldigen der Western-Mentalität.

Die Bewegung Islamischer Staat (IS) bringt die Sache auf den Punkt. Wer im Staat anders fühlt und denkt, wird umgebracht. Diese Überspitzung indes haben die Fanatiker keineswegs erfunden. Man kennt sie seit Stalin und Hitler. Und Erdoğan ist sicher nicht der letzte, der sie anpeilt

Hinzu kommt, daß die moderne Demokratie sich zu Ineffektivität verurteilt hat. Die Obrigkeitsverfechter haben ihrem Gebilde mehr aufgehalst, als es zu bewältigen imstande sein kann. Und weil sie daran festhalten, alles von oben regeln zu wollen, schlicht ignorierend, daß es Angelegenheiten gäbe, die besser im Unterbereich oder an Ort und Stelle zu erledigen sind, erzeugen sie Übelstände, die sich zwangsläufig der Beseitigung entziehen.

Viele Widrigkeiten entwachsen allein aus der Modalität der Staatlichkeit. Die bleibenden und fortlaufend neu sich aus ihr entfaltenden Unzuträglichkeiten beherrschen das Regierungshandeln. Die Ministerien haben sich vorwiegend mit Belastungen zu befassen, die allein aus den etatistischen Gegebenheiten herrühren.

Die Hoheit des Gebildes und seine Verantwortlichkeit für alles, was passiert, ruft fortgesetzt neue Probleme wach. Deshalb behält nichts im Staat Bestand. Selbst die Verfassungen haben nur begrenzten Zeitwert. Und jede Entscheidung muß nach kurzer Zeit revidiert werden. Eine Reform jagt die nächste, ohne daß je der Zustand unumwundener Nützlichkeit, Weisheit und Güte zustande käme.

Demokratie erwirkt von ihren Dienern die unentwegte Beschäftigung mit ihr selbst. Sie eliminiert Sicherheit und Geborgenheit. Das hat Folgen, die ihr fortlaufend zu schaffen machen. Aus ihrer Eigenart mithin entwachsen Probleme, die sich einer Lösung entziehen. Und da sich die Self-Made-Komplikationen beständig vermehren, jeweils bedrückend bemerkbar machen, verlangen sie eine ihnen gewidmete unentwegte Geschäftigkeit.

Diese Staatsform ist ein Perpetuum mobile, ein in sich geschlossenes Kreislaufsystem. Jede mühsam erwirkte Lösung, weil sie Konsequenz wie den Teufel meidet, erzeugt im Nachgang neue Probleme. Das Geschehen in der Demokratie dreht sich fortgesetzt um sich selbst, ohne je einen Zustand der Ausgeglichenheit erreichen zu können. Bezeichnenderweise wird das ständige Reformieren von Reformen nicht mehr als ein Defekt angesehen.

Die Machtmonopolstellung der Institution und ihre Verantwortlichkeit für alles liefert die Ursache aller Nöte, die nicht physikalischen Ursprungs sind.

Die Einbindung in die Eigenrotation verstellt den Regierenden den Blick auf das, was für die Bürger wirklich von Bedeutung ist – nicht zu reden von den Bedürfnissen der Menschheit insgesamt.

Weil die Öffentlichkeit auf die Lösung der drückenden Probleme drängt, beschließen die heutigen Regierungen feierlich, daß sie die Beschwernisse in zwanzig oder dreißig Jahren bewältigt haben werden.

Nach außen haben die modernen Demokratien es mit Gebilden zu tun, die in ihrem Inneren in gleicher Weise gebeutelt werden. Die Aktionen der Staaten untereinander sind deshalb unverkennbar von Heillosigkeit geprägt. Alles Bemühen gilt der vorübergehenden Beendigung einer Widrigkeit oder Verstimmung. Auch die Außenpolitik kennt nur die Verdinglichung eines Vorläufigen als Ziel.

Der Staat würde benötigt, heißt es weiter, um Handel und Wandel zu fördern.

Der Markt benötige, um gedeihlich zu verlaufen, zum einen die Stützung durch den Staat, zum anderen die Verhinderung oder Behebung seiner Auswüchse durch ihn. Wie sich das in Wahrheit verhält, wird später ausführlich zu erörtern sein.

In der Geschichte waren die Staaten der Gedeihlichkeit von Handel und Wandel eher hinderlich. Die phönizischen und griechischen Handelsleute wichen bewußt staatlichen Strukturen aus. Den Weg nach China hat nicht Dschingis Khan geöffnet. Die Seidenstraße gab es schon in vorchristlicher Zeit. Die Hanse überdies mußte sich nicht nur der Seeräuber, auch der Begehrlichkeit der Könige erwehren. Freie Bauern heute verlieren Haus und Hof, weil die Staaten, selbstsüchtig, korruptiv, der Agrarindustrie ihr Ackerland in den Rachen schieben. Der Vorsitzende eines großen Auto-Konzerns verkündete jüngst flapsig: „Schweden braucht Volvo. Aber Volvo braucht Schweden nicht“.

Das Erfordernis, für seine Wohlfahrt zu sorgen, überließen die Kaiser und Könige des Mittelalters dem Bürger selbst. Erst mit Beginn der Neuzeit nehmen die Staaten das Geschehen auf dem Markt in ihren Blick. Die Demokratie nimmt es in ihre Hand.

Die Bürger machen gerade die Erfahrung, was es mit dem Staat als Wirtschaftslenker auf sich hat. Er reguliert und reformiert. Dennoch läuft in ihm alles aus dem Ruder. Er stützt und subventioniert. Aber die Mehrheit seiner Bürger wird immer ärmer.

Zwar verhungert oder erfriert in den westlichen Demokratien kaum ein Bürger. Auch das aber ist nicht das Verdienst der staatlichen Sozialämter. Ohne die Tätigkeit gemeinnütziger Privatdienste bliebe eine Vielzahl nötiger Hilfen aus.

Aus nachhaltiger Sicht ist besonders bedeutsam, daß das demokratische System die Regierungen zwingt, den Bürgern beständig Verbesserungen darzureichen. Ihre Abhängigkeit von Wahl und Wiederwahl nötigt die hohen Amtsträger, ihre Mitbürger fortwährend neu zu beglücken. Demokratie lebt vom Wachstum. Nur gesteigerter Konsum bietet ihr Halt. Damit aber steht sie der ökologischen Anforderung zum Maßhalten diametral entgegen.

Die Institution stellt Ansprüche. Um diese zu befriedigen, reichen die Staatseinnahmen zumeist nicht aus. Die Regierungen sind gezwungen, Verbindlichkeiten einzugehen. Sie häufen Schulden an. Dies gegenwärtig in unvorstellbarer Menge. Schon lange ist klar, daß die gewaltigen Schuldenberge durch Sparanstrengungen nicht mehr zu beseitigen sind. Helfen könnten nur Formen der Enteignung. Die aber sind den Bürgern nicht zuzumuten. Deshalb mindern die Regierungen die Folgen ihrer Überschuldung, indem sie weitere Verpflichtungen aufnehmen. Sie setzen auf einen Schelm anderthalbe.

Die Staaten leben in einem Ausmaß auf Pump, für das die Geschichte kein Beispiel kennt. Das verbreitete Motto „Der Staat zuerst!“ (America first) heißt nichts anderes als „Nach uns die Sintflut!“.

Bisher haben sich die Staaten durch das Anzetteln eines Kriegs saniert. Dabei befanden sich ihre Vorgänger nie in einer so schlimmen Lage, wie die gegenwärtigen.

In der Monarchie galt Politik als schmutziges Geschäft. Von der Demokratie wurde erwartet, daß sie sie zum Besseren läuterte.

Doch gerade in ihr führt höchster Einsatz auf diesem Gebiet in fast allen Fällen zur Vermehrung und Verschlimmerung der Probleme. Wahrscheinlich ist die Politik ein Teil von jener Kraft, die das Gute will und stets das Böse schafft (frei nach Goethe).

Es mag durchaus rechtschaffene Damen und Herren in den Palästen und Kanzleien geben. Der Staat aber degradiert seine Vorstände zur Handlangerschaft, läßt sie vollstrecken, was seiner Eigenart, seiner Natur entwächst.

Der Staat verdirbt jeden, der in seinen Dienst tritt. Wer in ihm ein Amt übernimmt, hat der Institution förderlich zu sein, hat ihren Nutzen zu mehren, sie größer, mächtiger, sicherer zu machen. Die Bedürfnisse der Einrichtung selbst haben Vorrang vor allen anderen Anliegen. Die Begehren des Bürgers, auch die Belange der Umwelt, landen unvermeidlich im Drittrangigen. Ehrbarkeit kann sich kein Staatsdiener bewahren

Täglich wird die Welt Zeuge, wie irgendein Potentat mit gewaltigem Pomp vor dem Palast einer Kapitale empfangen wird. Er wird nach Stunden oder Tagen voller Prachtentfaltung mit gleichem Gepränge verabschiedet, ohne daß sein Besuch von Nutzen für die Bürger des betroffenen Staates oder gar für die Menschheit als ganzer war.

Die humane Welt torkelt unübersehbar auf einen Abgrund zu. Diejenigen aber, die in ihr das Sagen haben, schieben die Problemlösung in die Zukunft, verschlimmern derweilen, was ansteht, ereifern sich ersatzweise über Nebensächlichkeiten und haben Zeit und Geld für jede Menge Firlefanz. Es muß erlaubt sein zu fragen, ob die Erdenbürger noch bei Trost sind.

Von dem als Demokratie gestalteten Staat sei Friedfertigkeit zu erwarten, weil in ihm der Bürger das Sagen habe. Das war ein Ausgangspunkt dieser Erörterungen. Dem wissenschaftlichen Mainstream gilt diese Auffassung nach wie vor als Grundpfeiler ihrer Veröffentlichungen.

Wer mitentscheiden soll indes, braucht vorab zutreffende Informationen.

Auch demokratische Regenten jedoch können auf Propaganda, jene Erfindung der Alleinherrscher, nicht verzichten. Daß der Bürger absichtsvoll fehlinformiert wird oder gar vorsätzlich irregeführt, ist in der Demokratie der Neuzeit keine Erscheinung, die als außergewöhnlich zu betrachten ist.

Aktuell zum Beispiel wird der Wähler in Europa über die Modalitäten des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) getäuscht. In seinem Vertragstext wecken Formulierungen den Anschein, als würde der Fond im Falle der Insolvenz eines Staates den Status eines „bevorrechtigten Gläubigers“ haben. Daß dies der Fall sei, behaupten dessen Schöpfer, die 17 Finanzminister, gegenüber den Parlamentsabgeordneten, um deren Zustimmung zu erhalten. Für den Kenner jedoch gibt die genaue Analyse des Textes diesen Sachverhalt nicht her (Siehe dazu Deutsche Wirtschaftsnachrichten vom 18.7.2012: „Juristische Analyse enttarnt ESM-Vertrag als Täuschung des Steuerzahlers“).

Die Berichte der Sachverständigen sind oft sehr umfangreich. Der Dritte Teilbericht zum fünften Sachstandsbericht des Intergovernmental Panel of Climate Change (IPCC) vom April 2014 ist mehrere Tausend Seiten stark. Sein Technical Summary umfaßt immer noch 99 Seiten. Daraus fertigten deutsche Ministerien eine Zusammenfassung der „Kernbotschaften“ auf vier Seiten. In dem Bericht geht es um die Frage, welche Maßnahmen geeignet seien, die Erderwärmung einzudämmen. Zur deutschen Klimapolitik bemerkten die Fachleute (235 Wissenschaftler aus 58 Ländern), daß sie den nötigen Nutzen nicht erbrächte. Die Kurzfassung aber, die das deutsche Umweltministerium den Medien übereignete, stellt die Sache so dar, als habe das IPCC das Gegenteil erklärt.

Wenn ein demokratisch gewähltes Staatsoberhaupt zu einer wahrscheinlich von der Mehrheit seiner Mitbürger nicht getragenen Maßnahme entschlossen ist, scheut es selbst die handfeste Manipulation nicht. Durch eine kaltblütige Täuschung sind die Bürger der USA dazu gebracht worden, dem Eintritt ihres Landes in den Zweiten Weltkrieg zuzustimmen. Und auch der Krieg gegen den Irak ist den US-Bürgern durch vorsätzlich gefälschte Angaben annehmbar gemacht worden.

Was gewichtige Entscheidungen anbelangt, so ist unbenommen, daß ein Regierungschef nicht stets vor jeder Kreuzwegsituation das Parlament oder gar das Volk befragen kann. Dennoch sollte man annehmen, daß in der vermeintlich perfektesten aller Staatsformen bedeutende Schritte stets von mehreren Weitblickenden abgesegnet werden. Indessen, selbst die Entscheidung über Krieg und Frieden liegt auch in der modernen Demokratie oft in der Hand eines einzelnen Menschen. Man denke nur an Kennedy, der in die Schweinebucht einfallen ließ und dadurch den Anstoß für die Kubakrise gab, und an Nixon, der den Vietnamkrieg forcierte.

Von George Bush junior und Wladimir Putin wird folgender Deal kolportiert: Laß du mich, sagte der Amerikaner, in Afghanistan einfallen, dafür halte ich still, wenn du deine Tschetschenen umbringst.

Immerhin, die Bürger der USA haben den Abzug ihrer Truppen aus dem Irak erzwungen. In Afghanistan müssen Soldaten der Großmächte noch standhalten, weil deren Regierungen ihr Gesicht nicht verlieren wollen.

Je größer ein Staat ist, um so mehr werden dessen Vorsitzer verführt, der Institution statt dem Bürger zu dienen. Dies in erster Linie, weil dem Gebilde Eigenheiten innewohnen und mit der Größe zuwachsen, denen kein Mitglied der Administration sich entziehen kann. Dabei ist nicht nur an den Gebietsfetischismus und den Wirtschaftsenthusiasmus zu denken. Hinzu kommen Emotionen, die aus der Geschichte hervorgehen oder schlicht aus dem Staatsverständnis. Jedes Oberhaupt eines Staates muß dessen Fahne hoch halten.

Demokratie gehorcht eindeutig nicht dem Wünschen und dem Wollen ihres Souveräns, des Bürgers. Sie hat eigene Ansprüche, die ihre Diener zu erfüllen haben.

Zusammengefaßt ist zu konstatieren: Der Staat als Demokratie leistet nicht, was eine gedeihliche Ordnung darreichen muß. Sein Bürger erhält keine Sicherheit vor Verletzung und Verlust. Statt dessen wird er fortgesetzt betrogen. Ihn umgibt viel Recht, aber keine Gerechtigkeit. Jeder ist von Armut bedroht, weil ohne Überschuldung die staatlichen Mühen nicht zu bewältigen sind. Am Ende muß der Bürger Tod durch Verbrechen oder Krieg gewärtigen. Das, was sich da als Demokratie etabliert hat, wandelt jeden Sinn zum Widersinn.

Allen Staatenlenkern ist eigen, von der ihnen gegebenen Macht bis zum letzten Schuß Gebrauch zu machen. Das führen die Regimes im Nahen Osten, in Südamerika, in Afrika selbst in Europa, täglich vor Augen. Das Erlebnis des Grauens daher, das mit dem Kollaps der kaputten Ordnung einhergeht, wird wahrscheinlich keinem Staatsbürger in der Welt erspart bleiben.

Angebracht an dieser Stelle ist, auf eine Ausnahme von der Regel hinzuweisen.

Der letzte kommunistische Alleinherrscher in Rußland,. Michail Sergejewitsch Gorbatschow, er sei hier mit Hochachtung in Erinnerung gebracht, verzichtete darauf, was ihm Gleichgestellte in ähnlicher Lage bis zum heutigen Tag vollführen, nämlich, in die Enge getrieben, das Militär schießen zu lassen. Gorbatschow gilt heute bei seinen Parteigenossen als Verräter. Doch wenn je ein Mensch den Friedensnobelpreis verdient hat, dann dieser Mann. Schließlich verdankt die Menschheit ihm nicht weniger, als daß sie noch existiert.

Es ging hier um die Frage, wer oder was in der Welt die bedrohliche Vernichtung und Zerstörung hervorruft. Wer oder was veranlaßt die Menschheit, ihre Lebensgrundlage zugrunde richten? Wer oder was bringt die Menschen gegeneinander auf? Wer oder was schafft unerträgliche Verhältnisse, evoziert Massenflucht?

Der einzelne Mensch hat die Bestimmung über sein Geschick aus der Hand gegeben. Er hat sich einer Einrichtung anvertraut, die verspricht herbeizuführen, was richtig und nötig ist. Tatsächlich jedoch fordert dieses Gebilde eigene Ansprüche ein. Es pocht auf Vorrechte, die dem Versprochenen und Erforderlichen entgegenstehen.

Die Verschlimmerung der Verhältnisse ist nicht zu übersehen. Dies beunruhigt viele Staatsbürger zunehmend. Doch deren Engagement und deren Protest richten sich zur Zeit nicht gegen den wahrhaft Schuldigen. Statt dessen gilt deren Bemühen, die unheilvollen Erscheinungen separat durch Gegenmaßnahmen zu entschärfen.

Von der Friedensbewegung war hier schon die Rede. Auch gegen die Umweltzerstörung, gegen den Artentod, das Flüchtlingselend, den Hunger, die Verarmung und schließlich gegen Kriminalität und Korruption gehen Nachbarn auf die Straße, opfern sie Freizeit und Geld.

Auch die Wissenschaftler, die eine fatale Begebenheit feststellen, begnügen sich damit, diese zu bekämpfen. Sie gehen damit gegen eine der bedrohlichen Erscheinungen vor, lassen aber deren Ursache unangetastet.

Das aber macht die aufopferungsvollen Kraftanstrengungen, eine wie die andere, völlig nutzlos. Denn mit noch so viel Aufwand ist ein Erfolg gegen Begebenheiten, die ein Urgrund hervorbringt, nicht zu erzielen. Unbenommen werden hier und da punktuell Verbesserungen erwirkt. Im großen Ganzen aber bleiben die Zustände nicht nur erhalten, sondern verschlimmern sich fortlaufend.

Das Bemühen, Symptome kurieren zu wollen, ist und bleibt eine vergebliche Mühsal. Es gleicht – anders kann man das nicht sehen - den Waffengängen des Ritters von der traurigen Gestalt (Don Quixote nach Miguel de Cervantes).

Wer einem Wahn sein Wüten austreiben will, muß ihm an die Wurzel gehen.

Das überläßt die Menschheit gegenwärtig den Terroristen.

Nur sie vorerst greifen den Staat an. Ein Teil von ihnen wirft ihm vor, ihnen keinen Halt zu geben oder ihnen keinen Lebenssinn zu vermitteln. Ein anderer Teil verurteilt ihn, weil er für Ungerechtigkeit steht und Not erzeugt. Nach Auffassung eines weiteren Teils stellt er ein blasphemisches Ordnungsmuster dar.

So gut wie alle Terroristen eint die Überzeugung, daß es eine andere, eine bessere Welt geben müsse.

Die Musterdemokratie, die das Schrecknis des Terrors besonders effektiv zu spüren bekam, hielt es für von außen in sie hineingetragen. Das war vielleicht bei einigen Anschlägen auch der Fall. An der Entstehung des Ingrimms aber waren die USA, ihre Politik, ihr Verhalten in der Welt, alles andere als unschuldig. Die Aufwallungen gegen sie kamen nicht von ungefähr.

Doch das, was die bestehende Ordnung ersetzen soll, wenn es nach dem Willen der Attentäter geht, ist alles andere als empfehlenswert. Das wird später noch gesondert zu erörtern sein.

Die Terroristen handeln kriminell, das steht außer Frage. Weit überwiegend jedoch agieren sie nicht aus niedrigen Motiven. Die meisten wollen nichts für sich selbst erwirken. Sie opfern sich für eine als nötig empfundene Veränderung.

Wie nun geht Demokratie mit ihren verwirrten oder irregeleiteten Kritikern um? Für sie ist vorab klar, daß es keine bessere Welt gibt als die ihre. Deshalb ist von vornherein verwerflich, gegen sie vorzugehen. Sie stellt dafür somit auch kein Rechtsmittel zur Verfügung. Für den mithin, der sie in Frage stellt, bleibt nur die Gewalt.

Unbestreitbar sind Terroraktionen zu verurteilen. Es gibt keine Rechtfertigung für Mord. Gleichwohl ist zu beanstanden, wie die demokratische Staatsgewalt mit denen, die sie infrage stellen, umgeht. Die gewählten Machthaber wissen wenig anderen Rat, als die Fehlgeleiteten auszurotten. Bush fiel zu diesem Zweck in Afghanistan ein. Obama ließ ein Tötungskommando in Pakistan wirken. Der Friedensnobelpreisträger schickte Killerdrohnen in alle Welt. Ihnen sind, nach Schätzungen der Medien, bisher mehr als 10 000 Menschen zum Opfer gefallen.

Attentätern gegenüber treten demokratische Mandatsträger mit dem Anspruch der moralischen Letztentscheidung auf. Verfassung hin, Rechtsstaatlichkeit her, wer den Staat, den heiligen angreift, sei es auch auf jene Weise, die allein Aufmerksamkeit erzielt, die allein Nachdenklichkeit zu erzeugen imstande sein könnte, verwirkt sein Leben, ohne daß ihm groß der Prozeß gemacht werden muß.

Diejenigen, die das System Demokratie mit Verantwortung betraut, heizen den Mißstand an. Denn mit Gewalt sind dem Menschen Erkenntnisse, Auffassungen, Ängste nicht auszutreiben. Brutale Verfolgung, dazu unter Rechtsbruch, vermehrt statt dessen Wut und Widerwehr. Dieses Ergebnis wird tatsächlich auch erzielt. Die Nachrichtendienste der USA verzeichnen mittlerweile mehr als eine Million Terroristen, täglich Tausend mehr.

Die Demokratie leidet an ideeller Auszehrung. Dennoch sind Aufstände gegen sie bisher die Ausnahme.

Vorderhand bewältigen die Besorgten ihren Frust teils mit Resignation, teils mit Renitenz. Die Verzagten verzichten auf die Wahrnehmung ihres Wahlrechts. Die Tatkräftigen engagieren sich in extremistischen Parteien oder bei Protestbewegungen.

Dabei besagt die Beteiligung vieler Heutiger an ausgefallenen Initiativen schwerlich, daß sie ernsthaft erwarteten, auf die gewählte Weise eine Wende zum Guten herbeiführen zu können. Wer die Geschichte kennt, weiß solches Verhalten eher als Zeichen tiefgreifender Verunsicherung und Verängstigung zu deuten.

92 Prozent der deutschen Studenten realisieren, daß das, was gegenwärtig vor sich geht, Anlaß zu großer Besorgnis gibt. 2014 noch waren dies nur 74 Prozent (gemäß der Studentenumfrage der Zeitschrift „Die Zeit“ in 2016).

Peter Sloterdijk stellt lapidar fest: „Man weiß, daß für eine effektive Weltsteuerung andere Organe erfunden werden müssen, und man weiß, daß die Zeit abläuft, in der die Bürger mit ihren Regierungen Geduld hatten. [ . . . ] In aller Welt werden die Bürger nach Sicherheit vor ihren Regierungen verlangen.“.

Vorsorgliche Innenminister wappnen deswegen bereits die Polizeistationen gegen die zu erwartenden Aufstände mit zusätzlichen Waffen. Zunehmend wird das Militär benötigt, um das eigene Volk in die Schranken zu weisen. Dieser Absturz in ideell/ethische Tiefen wird bemerkenswerterweise nicht mehr als außerordentlich empfunden. Selbst hochgebildete Anhänger der alten Schule sind sich nicht zu schade, für den Einsatz der Truppe gegen die eigenen Bürger die verfassungsmäßigen Voraussetzungen zu schaffen. Neoetatistische Legalität entledigt sich jeder Fessel der Moral. Auch demokratische Inhaber der Befehlsgewalt führen die Armee gegen das eigene Volk ins Feld.

Aufruhr entbehrt von vornherein jeder Berechtigung. Er darf mit allen Mitteln unterbunden werden. Assad und Konsorten werden durchaus vom Völkerrecht gestützt (siehe dazu Art.2, EMRK).

Wo Menschen als Ungeheuer auftreten, hat stets ein Staat seine Hand im Spiel. Für ihn oder gegen ihn werden sämtliche auftretenden Gräuel verübt. Viel spricht dafür, daß es ohne das Dasein der Staaten keine menschlichen Monster gäbe.

Am Schluß dieser Erörterungen ergibt sich folgender Sachverhalt:

Seit der Antike wird versucht, den Staat zu einem Gebilde zu machen, das vollzieht, was nötig ist, und abwendet, was Schaden bringt. Demokratie, damals zu diesem Zweck erfunden, erfuhr in der Neuzeit ihre exklusive Verwirklichung.

An der modernen Demokratie aber stimmt nichts. Alles an ihr ist verlogener Schein. Freiheit opfert sie ihrem Anspruch auf Respekt und Gehorsam. Sicherheit, ihr ursprüngliches Versprechen, Wohlfahrt, ihre neuartige Verheißung, die Agentur bleibt das eine wie das andere schuldig. Statt dessen grassieren in ihr Ungerechtigkeit und die Gefährdung durch vielerlei Unbill.

Überdies verlangt Demokratie zu ihrer Selbsterhaltung die hemmungslose Ausbeutung der Ressourcen. Ihr wohnt eklatant das Erfordernis inne, Wachsrum, Vermehrung, Erweiterung zu generieren. Diesem Zwang fallen nicht nur die Rohstoffvorräte zum Opfer, ihm steht auch die Natur im Weg.

Daniel Bell stellt lapidar fest: „Die Staaten sind zu klein, um die großen Probleme dieser Welt zu lösen. Und sie sind zu groß, um mit den kleinen Problemen fertig zu werden“.

Unverkennbar werden mit jedem Tag, den die Staaten fortexistieren dürfen, die Probleme und damit die Kriegsgefahr größer, mithin die Chancen der Lebenden geringer.

Das erste Millennium-Projekt der UN sah dies, den Weltbrand, der sich zum Atomkrieg ausweitet, als das wahrscheinlichste Szenario für die nahe Zukunft an.

Sachlage ist, unerbittlich klar, daß unter Beibehaltung der gegebenen Ordnung die Menschheit keine Überlebenschance hat.

Damit ist zugleich die Frage beantwortet, wer oder was die existenzielle Bedrohung der humanen Zivilisation herbeiführt.

Es gibt Hinweise, die darauf deuten, daß einzelne Superreiche oder Gruppen von Reichen starken Einfluß zu ihren Gunsten auf die Verhältnisse nähmen. Angeblich werden viele Aufstände und Kriege in Wahrheit von einer Clique angezettelt, die im Verborgenen werkelt. Viele nennen in diesem Zusammenhang den Council on Foreign Relations CFR.

Geheime Klüngel beeinflussen das Geschehen, das ist kaum mehr zu bestreiten. Dabei allerdings ist zu beachten, daß deren Machenschaften nur möglich sind, weil es die Staaten gibt. Nötig für Unternehmungen dieser Art ist das Vorhandensein einer Vermassung von Menschen. Nötig sind ferner Vorsteher dieser Zusammenballungen, die gegen Bestechung nicht gefeit sind. Nur diese Konstellation erlaubt die Manipulation.

Entsprechend sind auch nicht größere Gruppen von Menschen, etwa aufbegehrende Völker oder Angehörige aufreizender Religionen für das Desaster verantwortlich, selbst nicht die Politiker. Sondern was in der Welt zum Tragen kommt, sind die Eigenheiten der Institution Staat.

Es sind zwar die Menschen dieser Zeit, die den Verfall der Erdzivilisation heraufbeschwören. Deren destruktives Verhalten aber wird durch das System, das sie einbindet, hervorgerufen. Der Staat korrumpiert seine Lenker. Seine Bürger wiederum können schlecht Maß halten, wo Konsum von ihnen verlangt wird. Und sie können schlecht Frieden bewahren, wo sie darben müssen, während andere prassen. Obendrein können sie sich schwer vernünftig verhalten, wo sie fortgesetzt belogen werden.

Was sich bewährt hat, soll man nicht abschaffen, lautet eine nützliche Warnung. Im hier anstehenden Fall trifft sie ins Leere. Die Institution Staat hat allenfalls kurzfristig gehalten, was sie versprach. Neuerdings aber erhebt sie Ansprüche, deren Abgeltung die Biosphäre der Erde schlicht nicht mehr erträgt. Das, was diese Einrichtung aus sich heraus einfordert, übersteigt das Duldungsvermögen dieses Himmelskörpers. Außerdem überzieht es das Toleranzpotenzial seiner ihm Ausgelieferten.

Nach dem Sozialhistoriker Charles Tilly sind Staatsgründungen eine Form organisierten Verbrechens. Diesem Urteil muß man nicht zustimmen. Allerdings kommt es einem Verbrechen gleich, was die staatsfromme Politik heute betreibt. Aleppo ist ein Verbrechen, Mossul, Sanaa, Ost-Ghouta desgleichen. Doch die Übeltäter rüsten weiter auf. Ausrottung und Zerstörung, das kennt die Welt, seit es Staaten gibt.

Ben Ali, Mubarak, Gaddafi, das ist eine Sache. Aber die, die sie aus ihren Ämtern gejagd haben, jetzt bewußt ins Verderben laufen zu lassen, eine andere.

Ordnung ist nötig, das steht außerhalb jeder Frage. Sie ist Grundlage erträglichen Daseins. Und wenn es so wäre, daß Staat allein das Zusammenleben auf zuträgliche Weise zu strukturieren imstande sei, wäre er in der Tat unantastbar. Dann müßten wir uns damit abfinden, daß er unser Ende besiegelt.

Fremd- oder Selbstbestimmung?

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