Читать книгу Friedrich Wilhelm I. - Frank Göse - Страница 37

Die Peuplierungspolitik

Оглавление

Zur Einordnung der im Folgenden etwas näher zu erörternden Vorstellungen und Entscheidungen Friedrich Wilhelms I. muss daran erinnert werden, dass die ostelbischen Territorien des Königreiches zu jenen Landschaften im Alten Reich gehörten, die auf einer vom Nordosten – beginnend in Pommern und Mecklenburg – bis in den Südwesten des Reiches (Württemberg/Elsass) reichenden »Zerstörungsdiagonale« gelegen hatten und in denen die demographischen und wirtschaftlichen Verwerfungen infolge des Dreißigjährigen Krieges am stärksten ausgefallen waren.84 Zu Beginn der Regierungszeit Friedrich Wilhelms I. war demzufolge in vielen dieser Landschaften noch immer nicht das demographische Vorkriegsniveau erreicht worden. Eine deutliche Erhöhung der Steuereinnahmen war aber – so argumentierte auch die kameralistische Lehre – neben einer höheren Produktivität vornehmlich durch eine wachsende Bevölkerungszahl zu erreichen. In diesem Sinne forderte der König 1717 von den Provinzialbehörden Nachweisungen über die im Jahre 1624 vorhanden gewesenen Höfe. Das war jenes Jahr gewesen, in dem für mehrere Gebiete sogenannte Hufenschossregister angelegt worden waren, die zugleich einen recht zuverlässigen Überblick über die wirtschaftlich-demographische Situation vermittelten, bevor im darauffolgenden Jahr die brandenburgisch-preußischen Territorien erstmals von der Kriegsfurie heimgesucht wurden. Die Absicht der Verordnung Friedrich Wilhelms I. bestand darin, jene Dichte an bewirtschafteten Höfen wieder mittelfristig zu erreichen.85 Ebenso galt es, sich für die Kommunen einen solchen Überblick zu verschaffen, was in Gestalt der bald regelmäßigen Erstellung sogenannter »Historischer Tabellen« über den Zustand der Städte erfolgte.86 Dabei zeigte sich für viele Orte noch in den 1730er Jahren eine eklatante Lücke in etlichen Gewerbebereichen.87 Demzufolge wurden vermehrt Anstrengungen unternommen, möglichst zeitnah Verbesserungen herbeizuführen. Eine Vielzahl von allgemeinen und auf einzelne Provinzen bezogenen Verordnungen und Edikten kündet davon.88 Zugute kam den Bemühungen, dass vor allem aus süddeutschen, aber auch aus sächsisch-thüringischen Landschaften im Verlauf des 18. Jahrhunderts Gewerbetreibende eine neue Existenz suchten – gut dokumentiert in den Bürgerbüchern der kurmärkischen Städte. Hier bildete aber nicht so sehr eine intendierte Steuerung seitens der landesherrlichen Behörden den Hintergrund. Die Schwerpunkte der gezielten Ansiedlungspolitik lagen vielmehr neben der Auffüllung verwaister Hofstellen auf der Gründung von Siedlungen auf neu erschlossenem Domänenland, um damit eine höhere Verdichtung in bislang sehr bevölkerungsarmen Gebieten zu erreichen. Dies war verbunden mit meliorativen Maßnahmen, die garantierten, auf bisher dafür ungeeigneten Böden mittelfristig reiche Erträge sowohl im Ackerbau als auch in der Viehwirtschaft zu erzielen. In den Blick gerieten hier solche Landschaften wie etwa das Havelländische Luch oder das Rhinluch in der Kurmark.89 Die Zuwanderung erfolgte überwiegend aus dem Reich – Franken und Schwaben waren besonders stark vertreten.

Insbesondere die Gewinnung von Fachkräften sah Friedrich Wilhelm I. als weitere außerordentlich wichtige Voraussetzung an, um den Entwicklungsrückstand gegenüber anderen europäischen Staaten langfristig kompensieren zu können. Man solle »sich alles äußersten Fleißes angelegen sein lassen …, damit, so viel immer möglich, alle Gattungen von Wollen-, Eisen-, Holz- und Ledermanufacturen und Handwerker, die noch nicht in Unsern Landen etabliret sein, in denselben angerichtet werden mögen«. Dazu müsse das Generaldirektorium wirksame Maßnahmen ergreifen, um »nöthige Manufacturiers aus der Fremde kommen zu lassen nach der Methode, wie Wir zu Potsdam die Gewehrmanufactur angeleget haben«, wies er das neu geschaffene Generaldirektorium im Dezember 1722 an.90 Dem im selben Jahr gegründeten Rüstungsunternehmen war es vergleichsweise erfolgreich gelungen, Fachkräfte aus den traditionellen Standorten des Rüstungsgewerbes wie Lüttich, Solingen oder Suhl zu gewinnen. Wenn es also zum Beispiel »an Tuchmachern fehlet, so muß man dieselben in Görlitz, Lissa und Holland vor Geld anwerben lassen«. Unverkennbar scheint in solchen Verfügungen eine mitunter sehr vereinfachende Vorstellung des Königs auf, wie diese von ihm artikulierten Ziele umzusetzen seien. Um einen tüchtigen Gesellen anzuwerben, »kaufet man demselben ein stuhll und giebt ihm ein hiesiges Mägdchen zur Frau, das Lagerhaus schießet ihm die Wolle vor; dadurch kommt der Geselle sofort zu Brod, etablirt eine Familie und wird insoweit sein eigener Herr, da dann nicht zu glauben, daß es große Mühe kosten werde, dergleichen Leute zu engagiren und dieselbe nach Unsern Landen zu ziehen«. Die begehrten Handwerker und Manufakturarbeiter – der Vergleich aus dem militärischen Metier durfte natürlich nicht fehlen – »müssen recht geworben werden wie die Flügelleutte«.91

Zu den auch historiographisch intensiv bearbeiteten »Leuchttürmen« der Peuplierungspolitik Friedrich Wilhelms I. zählt seit Langem das Retablissement in Ostpreußen. Vornehmlich die Gebiete an der nordöstlichen Peripherie des preußischen Staates waren während der letzten Regierungsjahre seines Vaters in Mitleidenschaft gezogen worden. Hier hatte die zwischen 1708 und 1710 wütende Pest zu verheerenden Verlusten unter der ohnehin nicht gerade zahlreichen Einwohnerschaft geführt. Preußisch-Litauen war am schlimmsten betroffen; dort ist der Aderlass auf etwa drei Viertel der Gesamtbevölkerung beziffert worden.92 Zwar waren die ersten Initiativen schon von König Friedrich I. ausgegangen, der 1711 eine Kommission »zur Herstellung des zerfallenen und in große Unordnung geratenen Kammer- und Domänenwesens« gebildet hatte.93 Jedoch hat Friedrich Wilhelm I. den Wiederaufbau dieser Provinz, das »Retablissement«, als seine Herzensaufgabe angesehen, was sich in einer Vielzahl von Anordnungen, die für seine Verhältnisse zum Teil recht ausführlich gerieten, niederschlug.

Gewiss ragt hier die Einwanderung der Salzburger Kolonisten zu Beginn der 1730er Jahre im Gesamtspektrum der Peuplierungsbemühungen heraus. Dies lag zum einen an der Tatsache, dass man es in diesem Fall mit einer geschlossenen Migrantengruppe zu tun hatte, die noch dazu aus einer weit entfernten Region nach Preußen einwanderte. Zum anderen aber fanden die Ausweisung der Salzburger Protestanten und ihre nachfolgende Ansiedlung in Preußisch-Litauen ein vergleichsweise intensives politisches und publizistisches Echo im Reich. Dabei ging die preußische Seite durchaus mit Vorsicht an die Aufnahme dieser Exulanten heran. Denn die Gegenseite, der Salzburger Erzbischof, hatte ihre rigide Haltung gegenüber den Auszuweisenden, die ja gar keine echten »Augsburgischen Konfessions-Verwandten« wären, mit dem Vorwurf des Rebellentums begründet. Wenn auch der Vorwurf der Salzburger Behörden, es würde sich um »ärgerliche Sectarii und Novatores« handeln, letztlich rasch entkräftet werden konnte, waren die Preußen zunächst misstrauisch, so dass sorgfältige Befragungen der Repräsentanten der Salzburger Bauern vorgenommen wurden.94

Der Vorteil konfessioneller Exulanten bestand darin, dass sie aufgrund der Begleitumstände ihrer Auswanderung bzw. Flucht eine vergleichsweise große Dankbarkeit und Loyalität gegenüber ihrem neuen Herrscherhaus entwickelten und in der Regel in ihren neuen Siedlungsgebieten verblieben. Eine solche Haltung kann auch den Repräsentanten der Salzburger Kolonisten attestiert werden, die insbesondere zur rechtmäßigen Autorität weltlicher Herrschaft befragt wurden und bekundeten, »diese sey von Gott eingesetzt, und müsse man denselben gehorchen, sie sey wunderlich oder gelind«.95 Friedrich Wilhelm I. setzte auf den Bericht des Pfarrers Roloff, der diese Befragung durchgeführt hatte, die Marginalie, dass man alle Salzburger Protestanten, »so viele er sie aus Lande [haben will], … nach meinem Lande schicken, ich werde ihnen höchstens obligiret sein«.96 Dennoch konnten der König und die damit betraute Amtsträgerschaft vor etwaigen Anpassungsschwierigkeiten der neuen Untertanen nicht die Augen verschließen. Bei der Ansiedlung der Salzburger solle man deshalb, so die Anweisung Friedrich Wilhelms I. an den Minister v. Görne, in dem Bemühen, die Bauern und Tagelöhner in Arbeit zu bringen, »so lange nur immer möglich, die Güthe und verständnus« aufbringen.97

Allerdings entspricht die verbreitete Ansicht, wonach die Salzburger Kolonisten in einem weitgehend öden, entvölkerten Land angesetzt worden seien, nicht ganz den realen Vorgängen. Auch der König selbst war hier zunächst falschen Vorstellungen erlegen bzw. mit unzutreffenden Informationen bedacht worden. Da es letztlich doch weniger Wüstungen in diesen Gebieten gab, wurden etwa vier Fünftel der neuen Kolonisten »auf bereits bewirtschaftete Bauernstellen, wo sie ältere, unproduktive oder schon verstorbene Bewohner ersetzten«, gesetzt.98 Zudem stellte die Salzburger Einwanderung nicht nur einen Gewinn in demographischer und produktiver Hinsicht dar, sondern gestaltete sich auch aus finanziellen Erwägungen als ein durchaus lohnendes Geschäft. Ein großer Teil der Immigranten brachte Barvermögen mit; etwa 60 Familien waren somit sofort in der Lage, Güter »direkt von der Krone zu erwerben, gewöhnlich zum Preis von je etwa zweihundert Talern in bar«.99 Gerade diese Nachrichten von den »baar nach Preußen gebrachten Mitteln gibt Mir Hoffnung, Gott werde meine Bemühung an Preußen nicht ungesegnet lassen«, schrieb Friedrich Wilhelm I. am 26. September 1732, unter dem Eindruck der jüngsten Ereignisse stehend, sichtlich erfreut und voller Zuversicht an den Geheimen Finanzrat Christian von Herold.100 Dahingegen war das vom preußischen König vorgegebene Unterfangen, durch den Verkauf der von den Einwanderern zurückgelassenen Güter noch mehr Geld ins Land zu holen, nur von verhaltenem Erfolg gekrönt. Obgleich dem vom König ins Erzstift Salzburg geschickten Gesandten Erich Christoph Freiherr von Plotho kaum Schwierigkeiten bereitet wurden, kamen letztlich nur 300.000 Taler, also »ungefähr ein Achtel des vor der Auswanderung geschätzten Wertes der verlassenen Güter, an die früheren Eigentümer nach Ostpreußen«.101


Allegorie auf die Aufnahme der Salzburger Protestanten in Preußen unter Friedrich Wilhelm I. Kupferstich von 1732.

Nicht minder als der geschilderte fiskalisch-demographische Gewinn wog für den preußischen König der immense Prestigezuwachs, den er als Schutzpatron der aus religiösen Gründen verfolgten Minderheit erzielte. Schließlich lagen diese Vorgänge in einer konfessionspolitisch aufgeladenen Zeit, worauf an anderer Stelle noch zurückzukommen sein wird. Jedenfalls rief die Vertreibung der Salzburger Protestanten ein ungemein lebhaftes publizistisches Echo im Reich und darüber hinaus hervor. Nicht nur, dass die Emigranten auf ihrem Weg in die neue Heimat in den Durchzugsorten der protestantischen Territorien mit Glockengeläut und Festgottesdiensten empfangen wurden, auch entstand damals eine Vielzahl von Preis- und Dankliedern, in denen der preußische König natürlich eine zentrale Rolle einnahm.102 Subtile und direkte Vergleiche mit dem in der Bibel geschilderten Exodus waren dabei gewollt. Auch in bildlichen Darstellungen entfaltete sich dieser Topos.103

Bei aller Strahlkraft, die der Salzburger Immigration weit über die preußischen Grenzen hinaus innewohnte, muss jedoch daran erinnert werden, dass weitere Immigrantengruppen – sowohl davor als auch danach – ihren Beitrag zur Peuplierung Preußisch-Litauens leisteten.104 Nach neueren Forschungen sind mehrere Zehntausend Siedler sowohl aus Polen-Litauen als auch aus diversen Reichsterritorien sowie aus Schweizer Kantonen ins Land geholt worden. Diese Ansiedlung konnte vor allem deshalb relativ reibungslos organisiert werden, weil es sich bei Preußisch-Litauen weitgehend um königlichen Domänenbesitz handelte und man sich nicht mit querulierenden adligen Rittergutsbesitzern auseinandersetzen musste.105 Immer wieder griff der König auch unmittelbar in die Anwerbung und Steuerung der Zuwanderung ein. So wies er zum Beispiel am 19. Oktober 1733 von seinem Jagdschloss Königs Wusterhausen aus das Generaldirektorium an, dass 70 Knechte aus der Magdeburgischen, Halberstädtischen und Kurmärkischen Provinz, »so den Ackerbau verstehen«, nach Preußen geschickt werden sollten. Des Weiteren sollte das Generaldirektorium seine Bemühungen verstärken, »300 Familien aus dem Reich zu bekommen, und deshalb mit dem Geheimen Rat von Seckendorff correspondiren«. 176 Wohnungen seien dafür vorsorglich schon bereitzustellen.106

Die große Bedeutung, die dem Retablissement Preußisch-Litauens aus der Sicht des Königs zugemessen wurde, spiegelte sich auch in der Veränderung der Verwaltungsstruktur wider: Nicht nur wurde die bis dahin eher unbedeutende Stadt Gumbinnen als Koordinationspunkt der Peuplierungs- und Wiederaufbauaktivitäten aufgewertet, sondern dort fand seit dem Jahre 1736 die neu errichtete Litauische Kriegs- und Domänenkammer ihren dauerhaften Sitz.107

Doch auch über Zuwanderergruppen, die sporadisch und in geringerer Zahl in die verschiedenen Landesteile des Gesamtstaates kamen und nicht den dramatischen Hintergrund der Salzburger Immigration aufwiesen, ließ sich Friedrich Wilhelm I. nicht nur informieren, sondern fällte Entscheidungen en détail. Interessant erscheinen dabei auch die Kommunikationswege: Über holländische Handwerker, die Interesse an einer Anstellung in den preußischen Residenzen zeigten, erhielt er zum Beispiel die nötigen Informationen von einem Amtsträger der Klevischen Kriegs- und Domänenkammer. Eine der in größerer Zahl in den Quellenbeständen erhaltenen Ankündigungen beantwortete der König dahingehend, dass jeder von diesen in Potsdam anzusiedelnden Maurern und Zimmerleuten ein Haus erhalten und mit allen Freiheiten (zum Beispiel Einquartierungs- und Werbefreiheit) ausgestattet werden solle, die für solche Fälle vorgesehen waren. Die Handwerker sollten einen Vorschuss von 150 Talern und eine jährliche Besoldung in derselben Höhe erhalten. Im Falle sie nach fünf Jahren die Absicht hätten, in ihre Heimat zurückzukehren, stünde ihnen dies frei. Würden sie aber bleiben wollen, »sollen Ihnen genannte Conditiones von Jahr zu Jahr ferner continuiret werden«.108

Friedrich Wilhelm I.

Подняться наверх