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1. Der Kronprinz Kindheit

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Dem genau ein Jahrhundert vor Friedrich Wilhelm geborenen Thomas Hobbes verdanken wir ein im »Leviathan« formuliertes berühmt gewordenes Bonmot, wonach seine Mutter angesichts der beängstigenden Zeitläufte des Jahres 1588 eine so große Angst empfunden habe, dass sie Zwillinge zur Welt brachte: »mich und zur gleichen Zeit die Furcht«. Das Jahr 1688 stellte ebenfalls ein Schlüsseljahr der europäischen Politik dar, und auch der am 15. August dieses Jahres im Berliner Stadtschloss das Licht der Welt erblickende brandenburgische Kurprinz wurde in eine für die europäische Mächtepolitik höchst unsichere Zukunft hineingeboren, so dass Furcht über das Kommende neben der großen Freude über die Geburt des Thronfolgers durchaus die Stimmungslage im Hause Brandenburg geprägt haben dürfte. Schließlich begann in diesem Jahr eine mehr als ein Vierteljahrhundert andauernde Zeit fast ununterbrochener Kriege, und das bei Weitem noch nicht von den Folgen des Dreißigjährigen Krieges erholte brandenburgisch-preußische Staatswesen lief Gefahr, aufgrund der Ausdehnung seiner zudem unverbundenen Landesteile zwischen Rhein und Memel in die Troublen hineingerissen zu werden. Und in der Tat spiegelten die ersten Lebensmonate des kleinen Friedrich Wilhelm jene Sorgen wider.1

Den unsicheren Zeitläuften war die nach einigem Bedenken vom brandenburgischen Kurfürsten Friedrich III. gefällte Entscheidung geschuldet, seinen kleinen Sohn in die Obhut der Schwiegereltern am Hannoveraner Hof zu geben. Angesichts der anstehenden Herausforderungen war es nicht zu vermeiden, dass er häufig zu Reisen innerhalb seiner weit auseinander liegenden Territorien aufbrechen musste, und von seiner Gemahlin, der Kurfürstin Sophie Charlotte, wurde erwartet, dass sie ihn bei seinen Missionen begleitete. Hauptsächlich seine Schwiegermutter, die braunschweig-lüneburgische Herzogin (und ab 1692 Kurfürstin) Sophie, hatte sich mit Unterstützung ihrer Tochter für diese Lösung eingesetzt und war dafür sogar nach Berlin gereist. Sie sei »voller Jubel über das, was meine Tochter so schön erledigt hat«, ließ sie ihren Korrespondenzpartner Gottfried Wilhelm Leibniz wissen und freute sich darauf, dass ihre Tochter ihr den Kurprinzen »in Obhut geben [werde], wenn sie mit dem Herrn Kurfürsten in Preußen sein wird«.2 Und so kam es dann auch: Friedrich Wilhelm wurde in den ersten drei Lebensjahren von seiner Großmutter und ihrer Oberhofmeisterin Katharina von Harling erzogen. Nachdem in Berlin die aufwendig inszenierten Feierlichkeiten anlässlich der Beerdigung des einige Monate zuvor verstorbenen Kurfürsten Friedrich Wilhelm beendet worden waren, wurden die Reisepläne für den Umzug des Kurprinzen konkreter, so dass Friedrich Wilhelm Anfang Oktober in Hannover eintraf.

Ob die in der Literatur behauptete spätere Abneigung zwischen Friedrich Wilhelm und seinem Cousin Georg August, der 1727 den hannoveranischen Kurhut und die englische Königskrone erwerben sollte, wirklich aus diesen frühkindlichen Tagen in Hannover herrührte, kann nicht mit Sicherheit gesagt werden.3 Für sichere Aussagen fehlen schlicht die Quellen. Dagegen spräche auch, dass unterschiedliche Bezugspersonen für die beiden Kinder zuständig waren. Zudem betrug der Altersunterschied fünf Jahre – eine für diese Phase kindlicher Erziehung recht große Spanne, die kaum eine gemeinsame Unterweisung erwarten ließe. Die Eltern sahen ihren kleinen Sohn nur unregelmäßig, so zum Beispiel anlässlich der Reisen in die niederländischen Generalstaaten und nach England, dessen Herrscher, Wilhelm III. von Oranien, den wichtigsten Part innerhalb der gegen die französische Hegemonialstellung gebildeten Allianz spielte. Im August 1691, genau an seinem dritten Geburtstag, kehrte Friedrich Wilhelm wieder zurück in die brandenburgisch-preußische Residenz. Das, was den Annalen oder dem Theatrum Europaeum nur eine kurze Mitteilung wert war, stellte für den kleinen Kurprinzen indes eine scharfe Zäsur seines noch jungen Lebens dar. Schließlich war der Umzug an den Hof seiner Eltern mit einem radikalen Wechsel seiner Bezugspersonen verbunden. Seine Mutter hatte für ihn nun zunächst die aus Frankreich stammende Marthe von Montbail, eine nach Brandenburg-Preußen emigrierte Hugenottin, als Erzieherin auserkoren. Ob man hierin die Gründe für die Entwicklung bestimmter Charakterzüge zu sehen hat, wie mitunter suggeriert wird, kann nicht mit Sicherheit beurteilt werden.4 Solche örtlichen und auch personellen Wechsel waren bei der Erziehung des fürstlichen Nachwuchses nicht so außergewöhnlich, wie es bei einem oberflächlichen Eindruck wirken mag.

Als ein ebenso übergreifendes Problem, das in vielen Königs- und Fürstendynastien durchaus zu zeitweiligen Spannungen führen konnte, stellte sich die Frage dar, nach welchen Erziehungsgrundsätzen der Thronfolger unterwiesen und in wessen Hände diese wichtige Aufgabe gelegt werden sollte. In der Erziehungsinstruktion von 1695 waren die wichtigsten Bildungsinhalte fixiert worden. Entgegen älteren Auffassungen hielt sich der unmittelbare Einfluss von Leibniz trotz seiner engen Verbindung zu Sophie Charlotte allerdings in Grenzen.5 Eine herausgehobene Bedeutung nahm die religiöse Unterweisung ein. Nun stellt eine solche Forderung gewiss nichts Ungewöhnliches innerhalb des Kanons dar. Gleichwohl erscheinen Intensität und inhaltliche Ausgestaltung jenes Teils seiner Ausbildung gerade für das Agieren des künftigen Monarchen auf konfessionspolitischem Gebiet nicht unerheblich. In der »Instruction« vom 25. Januar 1695 beanspruchte dieses Thema einen vergleichsweise großen Raum. So solle der Unterricht derart gestaltet werden, dass dem Thronfolger »allezeit eine heylige furcht und veneration vor Gott und dessen Geboten beiwohne: Dan Dieses ist das eintzige Mittel die von Menschlichen Gesetzen und Straffen befreyete Souveraine Macht in den Schrancken der gebühr zu erhalten«. Zudem wurde eindrücklich gefordert, den Prinzen in »der wahren Reformirten Religion« zu unterweisen, auch sollten in seiner Umgebung nur Männer geduldet werden, »welche der evangelisch-reformierten Religion zugetan sind«.6 Die ausdrückliche Betonung dieser Aspekte resultierte erheblich aus der spezifischen konfessionspolitischen Situation. In den zurückliegenden Jahrzehnten hatte sich ja ein nicht zu unterschätzendes Konfliktpotential angestaut, das sich maßgeblich aus der Divergenz zwischen der religiösen Position der sich zum Reformiertentum bekennenden regierenden Dynastie und dem fast durchweg lutherischen Glauben der Bevölkerung im brandenburgisch-preußischen Gesamtstaat erklärte – eine Konstellation, die auch noch während der Regierungszeit König Friedrich Wilhelms I. kaum an Dramatik verloren hatte und demzufolge seine Konfessionspolitik mit bestimmen sollte. Wir werden darauf noch ausführlich zurückkommen.


Der Vater Friedrich I. mit den Kroninsignien und der Kette des Schwarzen Adlerordens. Gemälde von Friedrich Wilhelm Weidemann.


Staatsporträt der Mutter, Königin Sophie Charlottes. Gemälde von Friedrich Wilhelm Weidemann (um 1701).

Nur knapp sei auf die Konturen des Religionsunterrichts des jungen Friedrich Wilhelm eingegangen. Angesichts der herausgehobenen Bedeutung dieser Bildungsinhalte lag es auf der Hand, dass die höchsten geistlichen Würdenträger unmittelbar einbezogen wurden. So hatte der Oberhofprediger Ursinus eine wichtige Rolle zu übernehmen, etwa in Gestalt der Predigten und der Katechismusunterweisung. Durchweg wurden solche Themen im Rahmen des gesamten Unterrichts angesprochen bzw. sie waren in den Tagesablauf integriert.7 Dabei nahm die bereits erwähnte Erziehung zur Gottesfurcht einen besonderen Stellenwert ein. Vor allem die reformierte Prädestinationslehre erfüllte hierbei den Zweck, beim Prinzen die Auffassung zu nähren, dass auch ein Herrscher letztlich vor Gott »nur Staub und Asche« sei. Diese Inhalte fielen nach allem, was man weiß, bei dem prinzlichen Schüler offenbar auf einen fruchtbaren Boden. Insbesondere die von seinem späteren Lehrer Jean Philipp de Rebeur vermittelte Lehre von der Vorherbestimmung und Gnadenwahl hinterließ tiefe Spuren bei ihm und ließ ihn noch in späteren Jahren vor dem »verdammlichen Particularglauben« erschaudern. Mitunter kamen seine Lehrer dem praktischen, auf Anschaulichkeit ausgerichteten Sinn des Kurprinzen entgegen. Als der zehnjährige Friedrich Wilhelm lebhaft das Verlangen erkennen ließ, den Teufel in Person zu sehen, wurde ihm dieses Erlebnis in Gestalt eines Raben bereitet.8 Rebeur hat aber andererseits dem Thronfolger auch jene konfessionspolitischen Überzeugungen vermittelt, die gleichsam zur »Staatsräson« der brandenburgisch-preußischen Lande gehörten: »Der Prinz werde zwar in der reformierten Lehre erzogen, aber ihm klar gemacht, daß er alle Untertanen lieben müsse, auch die Lutherischen, ohne die er niemals Kurfürst von Brandenburg sein könne.«9 Es waren jene wichtigen Erfahrungen der letzten Jahrzehnte, inklusive der zuweilen hohe Wogen schlagenden Auseinandersetzungen zwischen Lutheranern und Reformierten, die eine Vermittlung solcher Überzeugungen beim Thronfolger als unverzichtbar erscheinen ließen. Im September 1702 nahm der Kronprinz erstmals gemeinsam mit seinen Eltern an der Abendmahlsfeier teil – für ihn eine in mehrfacher Hinsicht große Herausforderung, die unter anderem darin bestand, »dass er in der Kirche öffentlich auf 60 Fragen antworten« musste.10

Glaubt man den überlieferten Informationen über die Entwicklung des Kurprinzen, dann scheint er seine Erzieher und Lehrer in der Tat so manches Mal vor schwere Probleme gestellt zu haben, ohne dass man vielleicht so weit gehen sollte, hieraus psychische Abnormalitäten abzuleiten. Dass bei ihm Ungeduld, Konzentrationsschwächen und ein gewisser Widerspruchsgeist beobachtet wurden und eine gelegentlich zutage tretende Neigung zum Jähzorn körperliche Attacken gegen seine Erzieher einschließen konnte, ist nicht zu bestreiten, sollte aber aufgrund der nicht durchgängig vorhandenen Informationen auch nicht überbewertet werden. Vor allem reduzierte sich seine charakterliche Entwicklung nicht darauf. Zu dieser zählte zum Beispiel eine sehr praktische Veranlagung ebenso wie der fast schon ungestüme Drang nach körperlicher Betätigung und ein kaum zu zügelndes Temperament (»er stürmt wild voran, und ins Zimmer geht er lieber durchs Fenster als durch die Tür«11), wenngleich durchaus bei der Gestaltung des Alltages des Prinzen auf die Einbindung körperlicher Übungen geachtet wurde. Einen Höhepunkt wird für den knapp 13-jährigen Prinzen jener Tag dargestellt haben, an dem er »beritten gemacht« wurde.12

Es mag angesichts des großen zeitlichen Abstandes und der letztlich lückenhaft bleibenden und subjektiv eingefärbten Quellen schwerfallen, Ferndiagnosen über die psychische Disposition des Prinzen zu stellen. Ob Vorboten eines Borderlinesyndroms auszumachen sind, erscheint doch fraglich, wenn man die Gesamtheit der überlieferten Nachrichten über den preußischen Thronfolger zur Kenntnis nimmt und gewichtet. Es handelte sich um einen gewiss sehr temperamentvollen, oft ungeduldigen Heranwachsenden mit teilweise schon früh ausgeprägten Interessen und Neigungen, überzeugt von seiner Berufung, aber fraglos auch empfänglich für klare Ansagen. Die anschauliche Ausmalung sündhafter Verstrickungen und der unweigerlich darauf folgenden Strafen fand durchaus Resonanz bei ihm.13

Erschwert wurde eine konzise Erziehung Friedrich Wilhelms nicht nur durch die geschilderten Charakterzüge. Da es sich bei der Unterweisung eines Thronfolgers um eine hochpolitische Angelegenheit handelte, unterlag dieselbe den sich zum Teil widersprechenden Einflussnahmen verschiedener Persönlichkeiten bzw. Personengruppen der höfischen Gesellschaft. Sie war eingebettet in die Fraktionskämpfe und Intrigen der politisch-höfischen Elite. Ohne hier auf die Details einzugehen, sei in dem Zusammenhang der Konflikt zwischen der Kurfürstin Sophie Charlotte und dem damals mächtigsten Amtsträger Eberhard von Danckelman genannt. Die Motive für diese Antipathie lagen gewiss auf mehreren Feldern, aber auch die Gestaltung der Erziehung Friedrich Wilhelms wurde davon nicht unwesentlich berührt.14 Der maßgeblich auf Anraten der Kurfürstin 1695 als »Gouverneur« bzw. Oberhofmeister mit der Erziehung des Kurprinzen betraute Graf Alexander zu Dohna war mit dieser Aufgabe ebenso sichtlich überfordert wie der unter dem Einfluss des Oberpräsidenten Eberhard von Danckelman stehende Lehrer Johann Friedrich Cramer – eine quasi institutionell arrangierte »Pendelerziehung« war die Folge. Letzterer, der sich eher als Gelehrter mit einer in der Tat ansehnlichen Reputation empfand, schien nicht der Geeignete zu sein, um die in der Erziehungsinstruktion verankerten Forderungen umzusetzen. Er lehrte schlichtweg über den Kopf seines Schülers hinweg. Sophie Charlotte kritisierte anlässlich des Sturzes des mächtigen Ministers im Dezember 1697 die in ihren Augen planlose und durch ungeeignete Lehrer durchgeführte Unterrichtung scharf und zieh Danckelman, dass ihr Sohn in seinem Unterricht »so vernachlässigt worden [sei], daß er vor acht Wochen noch nicht lesen und schreiben konnte!« Sie unterstellte ihm, ihrem Sohn »alle schlechten Launen beizubringen« und dann zu behaupten, er wäre »bösartig veranlagt«.15 Schaut man sich die zum Teil widersprüchlichen Berichte indes genauer an, wird deutlich, dass wohl mehrere Ursachen für die geringen Lernerfolge des Kurprinzen verantwortlich zu machen waren. Neben der fehlenden Eignung seiner Lehrer – auch der für das Lesen und Schreiben angestellte Lehrer Schmitt scheint eine eher farblose Persönlichkeit gewesen zu sein – dürfte die Einbindung Friedrich Wilhelms in das Leben der höfischen Gesellschaft eine Rolle gespielt haben, das mit seinen vielen Abwechslungen – heute würde man von der »Reizüberflutung« eines Kindes sprechen – den Lern- und Erziehungserfolgen nicht guttat. Allerdings bewahrt uns ein vergleichender Blick auf andere Königs- und Fürstenhäuser vor allzu vorschnellen und apodiktischen Urteilen über gewisse Eigenarten in der Aufführung des Prinzen und die Defizite in seiner Erziehung. Beispielsweise galt auch der Cousin Friedrich Wilhelms, Georg August, besser bekannt als der spätere englische König Georg II., als schwieriger Schüler. Dieser besaß zwar ähnlich wie Friedrich Wilhelm »ein vorzügliches Gedächtnis, zeigte aber großen Unwillen gegen das Lernen und viel Ungeduld«.16


Friedrich Wilhelm I. als Kind. Gemälde von Samuel Theodor Gericke (um 1701).

Die Bemühungen der Mutter waren dann letztlich erfolgreich, so dass mit Jean Philippe de Rebeur nunmehr ein Lehrer gewonnen werden konnte, der sich mit mehr Gewissenhaftigkeit und Strenge seiner gewiss nicht einfachen Aufgabe annahm. Denn die erste Bestandsaufnahme, die er bei seinem hochgeborenen Zögling machte, fiel alles andere als zufriedenstellend aus.17 Seine Stellung bei Hofe blieb ebenfalls nicht unwidersprochen, und auch er hatte zum Teil lautstarke Konflikte mit seinem Probanden auszutragen, doch im Gegensatz zu seinen Vorgängern schien er in das Gemüt seines Schülers tiefer einzudringen und konnte nachhaltigere Lernerfolge bewirken.

Zum Standardrepertoire der Unterweisung von künftigen Regenten gehörte die Lektüre von Fürstenspiegeln. Im Lateinunterricht des jungen Friedrich Wilhelm, bezüglich dessen vor »langwüriger Treibung der Grammatischen Reguln« gewarnt wurde, sollte man »mit ihm einen angenehmen Lateinischen Historicum … tractiren«, was etwa die Kaiserbiographien des römischen Historikers Sueton einschloss.18 Ebenso wurden dem Kronprinzen gründliche Kenntnisse über die Hohenzollerndynastie, die Geschichte Brandenburg-Preußens, aber auch über andere europäische Staaten und Reichsterritorien vermittelt.

Friedrich Wilhelm I.

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