Читать книгу Dr. Zimmertür-Krimis - Франк Хеллер - Страница 5

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An diesem Tage beschloß Dr. Joseph Zimmertür, Amsterdam, Heerengracht 124, ein Bad zu nehmen.

Seit einer Woche lagerte ein unerbittlicher Nebel über Holland. Er war so weiß wie Watte, er schmiegte sich dicht, dicht um rote Hausgiebel und grüne Kupferdächer, er ringelte sich um die Pappeln der Landstraßen und breitete sich wie eine Decke über die schlummernden Tulpenfelder. Man konnte glauben, daß ganz Holland ein Spielzeugland war, in Nürnberg verfertigt und für die Expedition mit der Weihnachtspost in Watte verpackt. Aber Weihnachten war längst vorbei. Wenn der Kalender recht hatte, war der weiße Nebel ein Dunstschirm, in dessen Schutz der Frühling gegen seinen Todfeind, den Winter, anrückte. Aber der Dunstschirm war kalt wie Eis, und die Bevölkerung an den Kanälen, die die Niederlage des Frühlings und neue Attacken von Rheumatismus fürchtete, trank sich nach der Väter Weise holländischen Mut an, teils aus schweren Tonkrügen mit der Inschrift Wacholder, teils aus tulpenförmigen Gläsern mit süßem, grünem Likör.

Was Dr. Zimmertür betrifft, so beschloß er, ein Bad zu nehmen.

Keiner von den 689 200 Einwohnern Amsterdams hatte an diesem Tage das Bedürfnis verspürt, sein Seelenleben analysieren zu lassen. Möglicherweise ließ das triste Wetter sie daran zweifeln, daß sie ein Seelenleben hatten, oder es trieb sie dazu, es auf eigene Faust mit Hilfe des Wacholders zu analysieren. Der Doktor schloß die Türe zu seinem leeren Ordinationszimmer und machte sich zur Badeanstalt auf.

Das Wetter war zu düster! Der Nebel lag wie ein Leichenkleid um Häuser und Menschen; er erstickte alle Laute und alles Licht; man konnte sich in den grauen Hades der Griechen versetzt glauben. Welches Land, dachte der Doktor, welches Land! Da wäre der Hades noch vorzuziehen, denn dort versammeln sich doch wenigstens berühmte Schatten, aber an diesen stygischen Gestaden versammeln sich nur Diamantenhändler, und über das Wasser dieser Kanäle werden keine Geister geführt, nur Edamer Käse. Eine schöne Frau würde in diesem Nebel wie eine Feuersäule aufleuchten, das ganze Volk würde ihr folgen, mit mir an der Spitze. Aber daß ich eine schöne Frau sah, ist ebensolange her, wie daß ich die Sonne sah.

Der Doktor rieb seine kleinen gepolsterten Hände, um das Blut in Bewegung zu bringen, und stampfte mit zwei kurzen Beinen auf den Boden, um sich zu erwärmen. – Die Sonne ist eine Mythe, und es ist eine Fabel, daß es schöne Frauen unter der Sonne gibt. Aber noch während er so schwarze Gedanken in seinem Herzen wälzte, kam das Dementi.

Ohne es zu wissen, war er vor Heuvelincks Antiquitätengeschäft am Pijlsteeg stehen geblieben. In dem Geschäft, das er von früher her kannte, stand das Dementi, ein strahlendes Dementi.

Sie war schlank und graziös wie eine Birke. Unter dem dicht anschließenden Filzhelm sah er ein gerades Profil mit grauen oder graublauen Augen und einem feinen, recht blassen Mund. Zwischen ihren langen, behandschuhten Fingern hielt sie ein kleines, gehämmertes, chinesisches Kästchen, das sie bei dem spärlichen Tageslicht aufmerksam prüfte. Ihr Hals war weiß wie Milch. Neben ihr stand der Inhaber des Geschäfts, Heuvelinck, bauchig wie eine Porterkanne, porterfarben im Gesicht, und das Haar wie Porterschaum um die Ohren. Er verfolgte alle ihre Bewegungen mit mißtrauisch gerunzelten Augenbrauen. Heuvelincks Augenbrauen ließen den Doktor immer an die Zeit denken, als er noch Blindekuh spielte; sie waren so dick, daß sie einer Binde glichen, die Heuvelinck in die Stirn hinaufgeschoben hatte, um beim Spiel zu schwindeln. Was das betraf, so war auch kein Zweifel, daß Herr Heuvelinck gern Blindekuh mit seinen Kunden spielte und sie auch nicht ungern beschwindelte.

Unter dem Filzhelm hing eine kleine Locke ihres Schläfenhaares hervor. Der Doktor erzitterte leicht, er liebte Blondinen, sie waren sein Typ, und ihr Haar unter dem Helm war aschblond mit einem Stich ins Ahornfarbene. Er zuckte die Achseln. Das war ja die Modefarbe. Aber andererseits war ihr Mund blaß und nicht geschminkt. Was sollte man glauben?

Herr Heuvelinck war so ausschließlich damit beschäftigt, sie im Auge zu behalten, daß er den Doktor gar nicht bemerkte. Und doch waren sie alte Bekannte, und es war die feste Überzeugung des Antiquitätenhändlers, daß der Doktor mit zwei Verbrechern im Komplott gewesen war, die Herrn Heuvelinck bei einem bestimmten Anlaß angeführt und betrogen hatten. Da man immer am meisten fürchtet, daß die Menschen einem das tun könnten, was man selbst am liebsten tut, lebte Herr Heuvelinck in der beständigen Furcht, betrogen zu werden.

Der Doktor zuckte zusammen. Erst jetzt fiel ihm etwas auf. Er war nicht der einzige, der die Aussicht durch das Auslagefenster des Antiquitätenhändlers betrachtete.

Hinter ihm stand ein junger Mann im Ulster, dessen Augen an der Szene dort drinnen hingen. Er war schlank, bräunlich und glattrasiert; der Mund war sehr groß und sensitiv, die Augen schimmernd und feucht. Er sah aus wie einer jener Amateurpianisten oder Dilettantenpoeten, die man in den Ateliers und Bars auf dem Montparnasse zu Dutzenden trifft. Die Augen hatten jenen rätselhaften Glanz, den sie annehmen, je weiter man nach Rußland und je näher man dem Animalischen kommt. Jetzt zog er hastig das Halstuch um die untere Partie seines Gesichts und drückte den Hut tief in die Stirne. Der Doktor, der ihn aus dem Augenwinkel beobachtete, wendete den Kopf wieder dem Ladenfenster zu und fand, daß die Szene dort drinnen ihren Charakter verändert hatte.

Herr Heuvelinck hatte ihn erblickt und im Handumdrehen seine schöne Kundin vergessen. Mit purpurroten Wangen und funkelnden Pupillen schüttelte er die geballte Faust gegen seinen Feind auf der anderen Seite der Scheibe. Der Doktor replizierte mit einem höflichen Gruß und einem Lächeln, so milde wie das des Vollmonds. Der gereizte Antiquitätenhändler sprudelte Worte hervor, die dank dem Fensterglas verloren gingen. Man sah nur, wie seine vollen Lippen rasende Substantive formten und herausschleuderten. Nun drehte auch seine Kundin ihr feines Profil und sah erstaunt hinaus. Sie musterte den Doktor mit einem schelmischen Blick, der ahnen ließ, daß sie wenigstens einiges von dem Wortschwall des Antiquitätenhändlers verstanden hatte. Plötzlich begann sie aus vollem Halse zu lachen. Der Doktor fühlte, wie ihm das Blut in die Wangen schoß. Er konstatierte, daß die Rolle, die er im Augenblick spielte, undankbar war und ihn kaum zu seinem Vorteil erscheinen ließ. Der Mann im Ulster hatte sich auf die andere Seite der Straße zurückgezogen. Von dort beobachtete er die Szene aufmerksam. Den Nebel segnend, der sich um ihn schloß, verschwand der Doktor in die Richtung des Achteburgwal.

»Ein anderes Mal«, murmelte er, »ein anderes Mal, mein guter Heuvelinck ...«

Er akkreditierte das Konto des Antiquitätenhändlers mit vielen Strafposten, bis er zur Badeanstalt gelangte.

Die legte unverkennbar Zeugnis für die Art des Wetters ab. Alle Privatkabinen waren besetzt, und nur zwei der Kästen in dem gemeinsamen Lichtbad waren frei. Er kaufte ein Billet für einen davon, zog sich in der Garderobe aus und trat durch die Draperie hinaus. Der Bademeister schloß die Türen des Kastens ab und ließ den Deckel um seinen Kopf herab. Der ragte aus der Öffnung hervor, auf der oberen Fläche des Kastens ruhend, wie Johannes des Täufers Kopf auf Salomes Schüssel.

»Willem!« sagte der Doktor, »geben Sie mir Licht, geben Sie mir viel Licht! Es sind Wochen her, seit ich das Tageslicht sah. Lassen Sie mich so viel Ersatz haben, als ich vertragen kann.«

Der weißgekleidete Bademeister drehte eine Anzahl Lampen auf.

»Mehr Licht!« rief Dr. Zimmertür. »Umgeben Sie mich mit brennenden Lichtkugeln, bis ich der Diana unter den Sternen auf Tintorettos Gemälde in Venedig gleiche! Licht, Willem, mehr Licht!«

Ein dunkler, markierter Kopf, der anscheinend ohne Körper auf dem nächsten Kasten ruhte, drehte sich langsam dem Doktor zu. Eine tiefe Stimme fragte: »Tintoretto? Ich kann mich nicht an dieses Bild erinnern. Wo in Venedig hängt es?«

Dr. Zimmertür-Krimis

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