Читать книгу Dr. Zimmertür-Krimis - Франк Хеллер - Страница 7

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Die Frage, die Signor Donati in dieser etwas unbeherrschten Weise stellte, haben wir auch für den Leser zu beantworten. Dr. Zimmertür war praktizierender Psychoanalytiker in der Stadt Amsterdam. Es war sein Beruf, das Seelenleben der Menschen zu deuten, ihre Impulse, ihre Träume, und was diesen Impulsen und Träumen zugrunde liegt.

Seinem Äußeren nach war der Doktor ein ziemlich kleiner untersetzter Herr mit schwarzem Haar, schwarzen, blinkenden Augen und einem Gesicht so rund wie der Vollmond. Seiner Natur nach war er äußerst gutmütig, sehr neugierig, manchmal eindringlich, aber nie taktlos. Er hatte eine einzige Passion: Rätsel zu lösen, und wenn es galt, dieser Leidenschaft zu frönen, vergaß er sowohl seine Physis, die nicht besonders imponierend, wie seinen Charakter, der nicht besonders mutig war. Dann konnte er etwas von der rasenden Hartnäckigkeit eines Foxterriers haben und sich trotz oft vernichtender Unwahrscheinlichkeiten und zuweilen recht ernster Gefahren wütend in ein Problem verbeißen. Wenn er es auch selbst nicht wußte, stand er gerade jetzt auf der Schwelle zu dem größten Abenteuer, das er bisher erlebt hatte.

»Wer und was ich bin?« gab er Signor Donati zurück. »Gestatten Sie mir, mich vorzustellen, aber entschuldigen Sie, daß es mir unmöglich ist, Ihnen im Augenblick die Hand zu drücken!«

Er nannte seinen Namen und seinen Beruf. Signor Donati brach in ein schneidendes Gelächter aus.

»Psychoanalytiker! Und Sie rümpfen die Nase über die Astrologie. Ausgezeichnet! Als ob die Welt irgendeinen Unterschied zwischen Ihrer Wissenschaft und der meinen machen würde! Doch wenn ich es recht bedenke, macht sie einen. Sie nennt meine Wissenschaft alten Humbug und Ihre modernen Humbug! Das ist der ganze Unterschied.«

»Ich kümmere mich nicht darum, was die Welt sagt«, erwiderte der Doktor, der wirkliches Interesse an seinem Nachbarn zu nehmen begann. »Ich weiß ganz genau, was meine Wissenschaft wert ist. Aber was ich nicht begreifen kann, ist, wie jemand überhaupt die Astrologie eine Wissenschaft nennen kann, nachdem Kopernikus und Galilei die ganze Vorstellungswelt sprengten, auf der die Astrologie beruhte – nämlich, daß die Erde das Zentrum der Welt sei und die Planeten und die Sterne sich um uns bewegen! Können Sie das erklären, mein Herr?«

»Nichts ist einfacher«, erwiderte der Astrologe mit einem finsteren Lächeln. »Sie haben recht, wenn Sie sagen, daß das Weltbild der Astrologie geozentrisch ist. Aber das praktische Leben der Menschen wird immer geozentrisch bleiben. Für uns wird die Sonne ›aufgehen‹ und ›untergehen‹, ganz gleich, ob das Schein oder Wirklichkeit ist. Sowenig sich die Quantität Wärme und Licht, die unser Planet von außen empfängt, seit Kopernikus' Zeiten geändert hat, so wenig haben sich die übrigen außerirdischen Influenzen geändert.«

»Aber!« rief der Doktor und hätte sich bald in der Deckelöffnung des elektrischen Kastens selbst erwürgt. »Aber sagen Sie mir doch vor allem einmal eine Sache: Welche Verbindung existiert zwischen den Sternen am Himmel, die Sie Planeten nennen, und dem Schicksal eines neugeborenen Kindes? Welche Verbindung kann existieren?«

Der Astrologe lächelte so müde wie eine Kinderfrau, die durch ihr Metier gezwungen ist, den Wissensdurst eines eigensinnigen Schützlings zu befriedigen.

»Welche Verbindung existieren kann? Ach, diese ewig wiederkehrenden Einwände! Tausend Astrologen haben sie vor mir beantwortet, und tausend und aber tausend werden sie noch beantworten müssen. Ein skeptisches Geschlecht kämpft mit seiner Lust zu glauben und wagt es nicht, zu glauben! Ihre Frage, mein Herr, macht weder Ihnen selbst noch der Wissenschaft, deren Jünger Sie sind, Ehre. Denn wenn Ihre Frage irgend etwas ist, so ist sie unwissenschaftlich. Die Aufgabe der Wissenschaft ist nicht, zu spekulieren, wie es möglich ist, daß etwas geschieht, sondern festzustellen, was geschieht oder ob etwas geschieht, und in diesem Falle, unter welchen Voraussetzungen es geschieht. Wie ist es möglich, daß gewisse Ätherschwingungen auf der Netzhaut Bilder hervorrufen? Diese Frage geht die Optik nichts an; die Optik konstatiert, daß es geschieht, und sucht die Gesetze zu ergründen, in welcher Weise es geschieht. Warum sterben wir eigentlich? Es gibt auf der ganzen Welt keinen Biologen, der dafür eine völlig befriedigende Erklärung geben kann, aber die Tatsache selbst dürfte kaum jemand in Abrede stellen, nicht wahr? Die Astrologie, mein Herr – und hier rühre ich an den Kern der Sache – die Astrologie ist nicht ein ausspintisiertes theoretisches Lehrgebäude, sie ist eine Wissenschaft, deren Wahrheit durch die Erfahrung bewiesen wird. Wenn Sie so wie ich die Zehntausende von Horoskopen studiert hätten, die uns aus vergangenen Zeiten erhalten sind, und gesehen hätten, wie sie auf das Leben der Männer passen, denen sie gestellt wurden, dann würden Sie nicht mehr zweifeln, Sie würden sich Ihres Zweifels schämen. Nehmen Sie irgendeinen x-beliebigen Menschen, dessen Geburtsstunde Sie kennen, lassen Sie ihm von einem kundigen Astrologen sein Horoskop stellen, und sehen Sie dann, ob es nicht Punkt für Punkt auf sein Leben paßt, so wie es Ihnen bekannt ist! Haben Sie erst einen oder zwei Versuche gemacht, dann werden Sie es sich ein andermal überlegen, eine Sache im vorhinein für unmöglich zu erklären, weil sie im Widerspruch mit Ihrer ererbten Anschauung steht. Und wie alt ist übrigens Ihre ererbte Anschauung? Nicht viele Generationen, mein lieber Herr! Es sind noch keine hundert Jahre her, daß jedem Kinde einigermaßen angesehener Eltern bei seiner Geburt das Horoskop gestellt wurde.«

Er verstummte. Der Doktor blinzelte, wie es seine Gewohnheit war, wenn er sich anschickte zu sprechen.

»Aber«, begann er.

Signor Donati fiel ihm ins Wort.

»Lassen Sie mich die Sache so einfach wie möglich formulieren. Glauben Sie an Chance und Pech?«

»Chance und Pech – hm –«

»Glauben Sie, daß es Menschen gibt, die ihr ganzes Leben lang vom Pech verfolgt werden, und andere, denen alles ›gut ausgeht‹, jedesmal, wenn die Möglichkeit vorhanden ist, daß eine Sache gut oder schlecht ausgehen kann?«

Der Doktor räusperte sich. Aber der Astrologe nahm ihm das Wort aus dem Mund, bevor jener ihn noch geöffnet hatte.

»Wenn Sie nicht glauben, daß es Menschen gibt, die zum Glück, und andere, die zum Unglück geboren sind, so sind Sie skeptischer als die Versicherungsgesellschaften, mein Herr! Sowohl die amerikanischen wie die deutschen Versicherungsgesellschaften führen gerade aus diesem Gesichtspunkt eine Statistik über ihre Versicherten. Sie wissen, daß es gewisse Personen gibt, die immer von einem Auto überfahren werden, wenn nur irgendeine Möglichkeit dazu vorhanden ist, oder einen Ziegelstein auf den Kopf bekommen, wenn es stürmt. Und bevor sie noch lange bei ihnen versichert waren, haben die Gesellschaften erkannt, ob die Leute zu dieser Kategorie gehören, und sie müssen dementsprechende Prämien bezahlen. Fragen Sie, welchen Agenten Sie wollen, und Sie werden hören, daß das wahr ist!«

Endlich gelang es dem Doktor, zu Wort zu kommen.

»Und all das beruht auf der Stellung der Gestirne bei unserer Geburt? Sie müssen schon entschuldigen, aber ...«

Das magere Gesicht des Astrologen nahm langsam die Farbe der Bronze an. Das war offenbar seine Art zu erröten.

»Daß das auf der Stellung der Gestirne bei unserer Geburt beruht, habe ich nicht gesagt. Den innersten Grund des Welträtsels vermesse ich mich nicht zu lösen. Was ich sage, ist, daß man aus der Stellung der Gestirne in der Geburtsstunde sehen kann, wie das Leben sich gestalten wird. Verstehen Sie den Unterschied?«

»Ich glaube wohl«, sagte der Doktor und grübelte ein Weilchen für sich selbst. Plötzlich leuchtete sein Gesicht auf.

»Aber!« rief er mit leuchtenden Augen. »Aber das ist ja großartig! Ein armer Teufel kommt zu Ihnen, um sich sein Horoskop stellen zu lassen. Sie lesen in den Sternen, daß das Unglück Ihres Klienten vorübergehend ist, er ist unter einer glücklichen Konstellation geboren, eigentlich ist er zu Ehren, Macht und großen Reichtümern ausersehen! Sie helfen ihm gegen das Versprechen einer Beteiligung an den Reichtümern, die ihn erwarten, Sie finanzieren ihn, und wenn die Zeit gekommen ist, beheben Sie Ihre Belohnung! Das Leben ist eine Rennbahn, sagt man, eine Wettrennbahn, und wir gewöhnlichen Menschen können nur schwer wissen, wer siegen wird. Aber Sie! Sie werfen einen Blick auf den Sternenhimmel und sind sofort orientiert. Sie können auf einen Outsider nach dem anderen setzen und heimsen Ihren wohlverdienten Gewinn ein! Das ist großartig! Das ist grandios!«

»Ihre Rasse verleugnet sich nicht«, sagte der Astrologe mit einem säuerlichen Lächeln. Sie sehen die Sache sofort aus dem ökonomischen Gesichtswinkel. Lassen Sie mich Ihnen sagen, daß ich nicht das Geld habe, meine Klienten zu finanzieren. Die Wissenschaft wirft ihren Adepten ein mageres Einkommen ab – wenigstens meine Wissenschaft.«

Er sah das runde Gesicht seines Nachbarn vielsagend an.

»Meine auch!« verteidigte sich der Doktor. »Aber habe ich recht mit dem, was ich sagte? Läßt sich ein solcher Fall denken?«

»Er läßt sich sehr wohl denken«, erwiderte Signor Donati trocken. »Aber bis jetzt bin ich noch nicht darauf gestoßen.«

»Eines schönen Tages werden Sie darauf stoßen«, tröstete der Doktor. »Sie treffen einen übersehenen Outsider auf der Wettrennbahn des Lebens, ein ›schwarzes Pferd‹, wie die Engländer sagen, Sie machen Ihren Einsatz, und Sie heimsen dank Ihrer Wissenschaft den großen Gewinn Ihres Lebens ein. Es ist großartig, sich so etwas zu denken! Aber es ist nicht mehr als recht und billig.«

»Mein Herr«, warf der Astrologe ein, »lassen Sie mich Ihnen sagen, daß ich meine Wissenschaft nicht so sehr als ein Mittel betrachte, einen geheimen Tip auf der Börse des Lebens zu ergattern, als vielmehr ein Mittel, mein eigenes Wesen und das der anderen kennenzulernen. Diese Erkenntnis ist die wichtigste, die uns die Sterne schenken können.«

»Andere und sich selbst kennenlernen«, wiederholte der Doktor. »Aber das ist es ja, wonach Sokrates zu seiner Zeit trachtete! Übrigens auch das, was ich selbst mit Hilfe meiner Wissenschaft zu tun versuche«, fügte er nach kurzer Pause hinzu.

Signor Donati lächelte ein Kondottierelächeln.

»Wir sind also Kollegen«, sagte er herablassend.

»Kollegen und Konkurrenten«, verbesserte der Doktor mit einem strahlenden Lächeln.

Die beiden Berufsgenossen betrachteten sich einen Augenblick schweigend. Plötzlich kam dem Doktor eine Idee. Sie ergötzte ihn in dem Grade, daß er beinahe den Lichtkasten gesprengt hätte, in dessen Deckel sein Kopf festsaß wie der eines chinesischen Missetäters im Block. Er sank auf seinen Platz zurück und rief:

»Signor Donati! Ich habe einen Vorschlag.«

Der Astrologe betrachtete ihn kalt abwartend.

»Den ersten Klienten, der morgen zu mir kommt, schicke ich Ihnen, und den ersten Klienten, den Sie haben, schicken Sie zu mir! So können wir sehen, wer tiefer in sein Wesen eindringt und es besser erklärt! Haben Sie mich verstanden? Was sagen Sie?«

Der Astrologe nickte ernsthaft.

»Ich nehme Ihren Vorschlag an«, sagte er. »Und ich hoffe, Ihnen einen solchen Einblick in das, was meine Wissenschaft vermag, geben zu können, daß Sie für alle Zukunft Ihren unwürdigen, merkurischen Spötteleitrieb ablegen.«

»Ich wünsche mir nichts Besseres«, erwiderte der Doktor herzlich. »Willem! Es ist genug! Drehen Sie das Licht ab! Ich will hinaus!«

Der Bademeister kam und ließ die beiden Herren aus ihren Kästen. Bald darauf trafen sie sich in der Halle der Badeanstalt. Draußen schlang der Nebel immer neue Spiralen um rote Giebelhäuser und grüne Kupferdächer.

Der Doktor steckte seinen kurzen Arm unter den des Astrologen und zog ihn die Gasse hinauf.

»Gestatten Sie mir, Sie zu einem Wermut in Beeldemakers Bodega einzuladen. Wir können nach diesem Turnier etwas Stärkendes brauchen. Und auf eine Wette oder ein Übereinkommen soll man immer trinken!«

»Wermut ist jedenfalls dem Schierling vorzuziehen, zu dem man Sokrates einlud«, antwortete der Astrologe kalt und trat vor ihm in die Bodega.

Dr. Zimmertür-Krimis

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