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Inhaltsverzeichnis

Dieser Besuch ließ mich in einem Zustand zurück, den ich nicht zu schildern vermag. Eine einzige Überzeugung erhob sich aus dem unruhigen Meer meines Gemütes. Das Gut des Kaisers durfte unter keiner Bedingung irgendeinem Räuber in die Hände fallen.

Im übrigen war alles Verwirrung. Erst allmählich war es mir möglich, die Lage zu durchdenken. Der Schluß, zu dem ich kam, war der: der Fremde mußte in China gewisse Gerüchte und meinen Namen gehört haben. Der Buddhist hatte ja erzählt, daß er sich dort aufgehalten habe. Außerdem war es möglich, wenn auch nicht sicher, daß er tatsächlich in den Besitz einer meiner Botschaften an den Kaiser gelangt war und sie zu deuten versucht hatte. Vielleicht war ihm dies teilweise nicht eben nur gelungen, denn sonst hätte er mich kaum aufgesucht, um mich einzuschüchtern. Nein, das Wahrscheinlichste war, daß er mich jetzt im Auge behielt, um durch mich das anvertraute Gut des Kaisers zu finden. Und um mich zu verlocken, das Versteck zu verraten, hatte er mich aufgesucht und mir Schreck einzujagen versucht.

Dieser letzte Gedanke zwang mich zu einer Vorsicht, die nahezu unerträglich war. Mein ganzes Sinnen und Trachten war, ungesäumt in das Haus des Kaisers zu eilen. Aber die Erkenntnis, daß ich dadurch den Fremdling auf die richtige Spur bringen konnte, fesselte mich an meinen Laden. Durch verschiedene Kunstgriffe suchte ich mich zu vergewissern, ob ich beobachtet würde oder nicht. Aber das Alter hat mein Auge geschwächt. Es war mir unmöglich festzustellen, ob man mir nachspionierte oder nicht. Der Tag ging vorüber, ohne daß ich etwas zu unternehmen wagte. Erst in der Dämmerung hatte ich meinen Plan geschmiedet.

Verließ ich meinen Laden, so war anzunehmen, daß man mir folgte. Glaubte man hingegen, daß ich mich noch darin befand, war es denkbar, daß die Wachsamkeit nachließ. Ich beschloß also folgendes: Trotz der Mehrausgabe, die es mit sich brachte, wollte ich das Licht in meinen Fenstern brennen lassen, auch nachdem ich den Laden geschlossen hatte. Wenn es Nacht geworden war, würde ich mich durch ein Hinterpförtchen aus dem Hause schleichen und mich auf Umwegen in das Haus des Kaisers begeben. Durch allerlei Schliche mußte ich mich überzeugen, ob ich verfolgt wurde oder nicht. Auf diese Weise konnte ich ohne Gefahr für mich selbst oder das mir anvertraute Gut meinen Bestimmungsort erreichen.

Die Stunden verstrichen langsamer denn je, nachdem ich diesen Entschluß gefaßt hatte. Endlich schlug die Stunde des Pfaus (11 Uhr abends). An allen Gliedern zitternd, öffnete ich die Hintertür. Sie führte in einen Hof mit zwei Ausgängen. Ich spähte umher, nichts war zu hören oder zu sehen, und so allmählich kehrte meine Zuversicht zurück. Ich schloß die Tür hinter mir, und unhörbarer als die Fledermaus glitt ich durch die Schatten des Hofes. Ich erreichte den anderen Ausgang und die andere Straße. Der Wind blies. Sein Heulen übertönte meine Schritte. Halb laufend eilte ich davon. Durch verschiedene Künste, so wie der Hase sich wendet, wenn er verfolgt wird, versuchte ich mich zu überzeugen, daß niemand mir folgte. Soweit ich sehen konnte, war dies nicht der Fall. Nach einer Stunde war ich angelangt.

Eine Handlung hat oft die andere im Schlepptau. Ich hatte an diesem Abend mein eigenes Haus durch die Hintertür verlassen. Als ich nun zum Hause des Kaisers kam, ging ich, ohne daran zu denken, zu der Hintertür. Erst als ich die rostige Klinke anfaßte, die über dreißig Jahre nicht benützt worden war, bemerkte ich es. Mich selbst verhöhnend machte ich kehrt und ging den gewohnten Weg hinein. War jemand vor mir dagewesen?

Soweit ich sehen konnte, stand alles unberührt. Ich atmete auf, und indem ich mich vor dem Bilde des verehrungswürdigen Buddha verneigte, das in der Grabkapelle des Kaisers aufgestellt war, entzündete ich zwei heilige Späne davor. Unter dem Schutz des Verehrungswürdigen konnte diese Nacht dem Hause nichts Böses widerfahren. Frechen Räubern, die sich hereinwagen sollten, beschloß ich ihr Eindringen zu erleichtern. Haha! Ja, ich wollte es erleichtern, wie ich damals Nevill das Hereinkommen erleichtert hatte. Die Eingangstür sollte offenstehen. Auch Nevill hatte sie offen gefunden und war durch sie eingetreten, ohne daß der Kaiser dabei verloren hatte. Das war nun viele Jahre her. Wie viele? Ich entsann mich nicht. Ich war ein alter Mann. Es gab nur einen, der sich daran erinnerte. Oder gab es überhaupt einen? Der sich daran erinnern sollte, hatte jetzt ein schlechtes Gedächtnis. Ao, ao, ein sehr schlechtes Gedächtnis. Nein, niemand sollte den Schatz des Kaisers berühren. Für alle Zeiten sollte er hier ruhen, zu seinem Andenken. Ich war sein Hüter, und wenn ich auch ein alter Mann war, konnte ich doch noch lange leben, noch lange.

Ha – was war das? Niemand war durch die Eingangstür eingetreten, und doch hatte ich plötzlich ein Geräusch im Hause gehört. Als ich es vernahm, befand ich mich im Kellerraum. Mit zitternden Knien schlich ich die Stufen hinauf, um zu horchen. Ich wagte nicht Licht anzuzünden. Die Weißen haben tödliche Feuerwaffen.

Ich stand in der Dunkelheit und lauschte. War jemand gekommen?

 Frank Heller-Krimis

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